Phrasierung und Artikulation: Was ist der Unterschied?

  • Phrasierung und Artikulation: Was ist der Unterschied?

    Gerade anderswo gefunden:

    Du meinst vermutlich nicht die Phrasierung sondern die Artikulation.

    Ich erinnere mich schwach, daß diese Unterscheidung bereits irgendwo Thema war, doch es erscheint mir sinnvoll, das (noch einmal) zu klären, also: Worin unterscheiden sich Phrasierung und Artikulation?

    Wenn ich die Erklärung bei Wikipedia richtig verstehe, ist die Artikulation ein Aspekt der Phrasierung. Jedenfalls heißt es dort unter Phrasierung:

    Zitat

    Phrasierung bezeichnet die Gestaltung der Töne innerhalb einer musikalischen Phrase hinsichtlich Lautstärke, Rhythmik, Artikulation und Pausensetzung.

    In beiden Fällen geht es offensichtlich um die Frage, "wie aufeinander folgende Töne miteinander verbunden werden", so unter Artikulation. Also doch "Gestaltung der Töne" wie bei der Phrasierung?

    Für eine allgemeinverständliche Aufklärung wäre ich dankbar. :)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Bei der Phrasierung geht es zunächst mal darum, klarzumachen, was überhaupt die Phrasen sind - sofern der Komponist diese nicht als solche kenntlich gemacht hat.

    (Gedankliche Abschweifung: Nicht, dass es einfacher wäre, wenn der Komponist Bögen gesetzt hat. Dann ist - jedenfalls im 19. Jhd. - zu klären, welche Art Bogen gemeint ist: Legatobogen, Akzentuierungsbogen (erste Note betont) oder eine allgemeine Gruppierung. Bei Musik für Streicher kommt hinzu, dass Noten unter einem Bogen auf einen Bogenstrich gespielt werden. Mehr als verwirrend.)

    Ein schönes Beispiel für eine (inkokrrekte) Phrasierung ist Regers Verständnis des Themaa in seinen Mozart-Variationen (über das Variationsthema aus dem Kopfsatz von Mozart Klaviersonate A-Dur KV 331). Mozart hat die ersten drei Töne unter einen Bogen gesetzt, zeigt damit Betonung der ersten Note und indirekt Betonung der dann folgenden vierten Note an. Keinesfalls ist also die dritte Note etwa ein Quasi-Auftakt zur vierten. - Regers Missverständnis geht übrigens auf Riemann zurück, der sogar Mozarts Taktstrich um einen halben Takt versetzte.

    Artikulation ist dagegen zunächst etwas eher Handwerkliches: Wie spiele ich einen Ton? Mit voller notierter Länge oder kürzer? Schlage/streiche/blase ich ihn scharf an oder weich? Und wie verbinde ich Gruppen mehrerer Töne? Alles kurz und getrennt oder legato oder sogar staccato? Oder bei regelmäßig gebauter Musik z. B. den ersten Ton jeder Gruppe legato zum zweiten und dann alles non legato bis zur nächsten Gruppe?

    Soweit etwas unsortiert ein paar Gedanken ...

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Dank Dir, lieber MB!

    Mozart hat die ersten drei Töne unter einen Bogen gesetzt, zeigt damit Betonung der ersten Note und indirekt Betonung der dann folgenden vierten Note an.

    Ja, das kann man im Notenbeispiel hier (https://de.wikipedia.org/wiki/Klaviersonate_Nr._11_(Mozart)) gut sehen. Phrasierung betrifft demnach die Betonung einzelner Noten, Artikulation die Gestaltung der Töne (legato, staccato).

    Ich nehme mal ein anderes Beispiel, das berühmte Ta Ta Ta Taaa, den Eingang zu Beethovens 5. Symphonie, Notenbeispiel hier: https://de.wikipedia.org/wiki/5._Sinfonie_(Beethoven).

    Das zweite "Ta" müßte leicht betont werden, da es sich nicht um eine Triole handelt. Das wäre dann eine Frage der Phrasierung, oder? Ob ich hier die drei Achtel staccato oder legato nehme, ist Artikulation? (Beethoven schreibt hier ja nichts vor.)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Phrasierung betrifft demnach die Betonung einzelner Noten

    ich würde sagen, die Phrasierung betrifft die zusammenfassende Darstellung von musikalischen Sinneinheiten. Bei Hugo Riemann (dem Erfinder des "Phrasierungsbogens") handelt es sich dabei um Sinneinheiten in der Größenordnung von Perioden etc., also vergleichsweise eines musikalischen "Satzes", also weder "Wort" = etwa Motiv, noch übergeordneter Formteil, wie Exposition.

    Daraus, wie man diese Sinneiheiten abgrenzt, können sich dann Konsequenzen für die Betonung von Tönen ergeben, die Mauerblümchen anführt. Riemann war "Auftaktiker", ich weiß nicht, ob der Begriff "Phrasierung" an diese Speziallehre gebunden ist.

    Hardcore-Riemann hätte "Fuchs du hast die Gans gestohlen" womöglich so phrasiert:

    Fuchs du hast die | Gans gestohlen
    ..........|--------------------------------------|

    also Fuchs abgetrennt, und "du hast die" auftaktig zu "Gans gestohlen".

    Ohne Gewähr!

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Ohne Gewähr!

    Machtnix. Auch Dir, lieber zabki, ein Dankeschön!

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
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    Helmut Lachenmann

  • Lieber Gurnemanz,

    was du erinnerst war eine Verwechselung meinerseits. Ich schrieb, wenn ich mich recht erinnere, etwas über die Artikulation und meinte die Intonation (oder umgekehrt), was Bernd (Oboe) mir dankenswerterweise erklärte.

    Frei von jeder Theorie, du suchst ja nach griffigen und nicht musikwissenschaftlichen Erklärungen, haben Artikulation und Phrasierung nach meinem Verständnis erst einmal wenig miteinander zu tun. Während die Artikulation die Art und Weise des Spielens des einzelnen Tons betrifft (siehe oben: hart-weich etc.), geht es bei der Phrasierung darum, den Notentext in sinnvolle Einheiten zu unterteilen. Simpel gesagt: Von wo bis wo geht die Melodie(oder der sonstige musikalische Gedanke)? Auf Basis dieser gefundenen Einheiten kann dann munter gestaltet werden. Dabei kommt die Artikulation wieder ins Spiel. Diese ist ein Mittel der Phrasierung.

    Interessant wird es, wenn verschiedene Personen dieselben Noten unterschiedlich phrasieren, weil Person 1 kürzere Einheiten bevorzugt, Person 2 längere. Dafür bräuchte ich jetzt ein Beispiel (Grübel).

  • Nochmals Dank, diesmal Dir, lieber Knulp!

    Dafür bräuchte ich jetzt ein Beispiel (Grübel).

    Könnte das Beethoven-5.-Beispiel nicht passen? Ta Ta Ta Taaa - Ta Ta Ta Ta Taaa --- Ta Ta Ta Ta Ta Ta Ta Ta Ta Ta Ta Taa usw. Diese Motivteile (richtiger Ausdruck?) könnte ich wie in einem Schwung aneinanderbinden oder aber im Gegenteil auseinanderreißen, Letzteres durch Verlängerung der Pausen. Die Fermaten lassen da ja Spielraum.geht evt.:

    Aber auch das Mozart-KV 331-Beispiel geht evt.: analog Beethoven, auch hier Motiv (1. Takt) - Motiv kadenziert (2. Takt) - Motivfortspinnung (ab 3. Takt).

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Bin gerade in Eile, deshalb nur kurz:

    Phrasierung ist die Gestaltung musikalischer Phrasen, Artikulation die Art der Verbindung aufeinander folgender Töne. Das sind erst einmal zwei verschiedene Dinge, die aber natürlich insofern zusammenhängen, als zur Phrasengestaltung unter anderem auch die Artikulation gehört (nicht aber umgekehrt). Zu Phrasieren bedeutet vor allem, Anfang und Ende der musikalischen Phrasen überhaupt erst einmal hörbar zu machen, dann aber auch ihre innere Gestaltung durch Dynamik, Agogik, Artikulation usw.. In der Klassik gibt es z.B. sehr oft das Schema zweier kurzer Phrasen, denen eine längere folgt. Das hat Auswirkungen auf den Spannungsverlauf und somit z.B. auf die Dynamik, die Tempo- und Pausengestaltung usw.. Am einfachsten kann man sich den Unterschied zwischen Artikulation und Phrasierung beim Gesang klar machen, weil dort die musikalischen Phrasen in der Regel unter einem Atem gesungen werden (soweit das möglich ist), während Artikulation vor allem die deutliche Aussprache innerhalb dieser Phrasen meint.
    Wie gesagt: nur auf die Schnelle...

    Christian

  • Wie gesagt: nur auf die Schnelle...

    Und abermals ein Dankschön!

    :)

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Phrasierung ist die Gestaltung musikalischer Phrasen, Artikulation die Art der Verbindung aufeinander folgender Töne. Das sind erst einmal zwei verschiedene Dinge, die aber natürlich insofern zusammenhängen, als zur Phrasengestaltung unter anderem auch die Artikulation gehört (nicht aber umgekehrt). Zu Phrasieren bedeutet vor allem, Anfang und Ende der musikalischen Phrasen überhaupt erst einmal hörbar zu machen, dann aber auch ihre innere Gestaltung durch Dynamik, Agogik, Artikulation usw.. In der Klassik gibt es z.B. sehr oft das Schema zweier kurzer Phrasen, denen eine längere folgt. Das hat Auswirkungen auf den Spannungsverlauf und somit z.B. auf die Dynamik, die Tempo- und Pausengestaltung usw.. Am einfachsten kann man sich den Unterschied zwischen Artikulation und Phrasierung beim Gesang klar machen, weil dort die musikalischen Phrasen in der Regel unter einem Atem gesungen werden (soweit das möglich ist), während Artikulation vor allem die deutliche Aussprache innerhalb dieser Phrasen meint.
    Wie gesagt: nur auf die Schnelle...

    Sehe ich auch so. Bei der "Artikulation" geht es auch noch um verschiedene Arten des Anspielens der Töne. Stoße ich weich an, oder nehme ich hier bei dem "Lauf" Doppelzunge, usw. Bei den Tasteninstrumenten würde ich das mit verschiedenen Arten des Anschlages beschreiben, bei den Streichern dürfte das auch was mit der Bogenführung zu tun haben.

    Man kann auch sagen: Phrasierung hat etwas mit dem Aufbau der Architektur des Stückes zu tun, ist also in erster Linie NICHT auf des jeweilige Instrument bezogen (zumindest zum größten Teil nicht), während Artikulation etwas mit Instrumententechnik/Spieltechnik zu tun hat, also mehr auf das Instrument bezogen ist. Wobei Atemtechnik mMn in beide Bereiche fällt.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

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