Zu Barenboims politischem Engagement möchte ich eigentlich nichts schreiben, da der Musiker Barenboim nicht dadurch besser oder schlechter wird, dass er für Frieden in Nahost wirbt. Ebenso wird er nicht dadurch besser oder schlechter, dass er vor vielen Jahren seine todkranke Frau betrogen hat...
Kommen wir also zum Musiker Barenboim - für den ich Christian Köhns Einschätzung vom größten lebenden Musiker durchaus plausibel finde. Barenboim ist aus meiner Sicht der einzige lebende dirigierende Instrumentalist, der es sowohl als Solist als auch als Dirigent zu absolutem Weltruhm gebracht hat.
Barenboims Klavierspiel war in jungen Jahren vielleicht weniger umstritten. Seine frühen Aufnahmen der Mozart-Konzerte liebe ich, ebenso seine Brahms-Aufnahmen mit du Pre. Vor ca. 15 Jahren habe ich ihn mal live im Recital mit Beethovens op. 109, 110 und 111 gehört. Das war durchaus beeindruckend, wenn auch beileibe nicht so unglaublich und überwältigend wie z. B. Sokolovs kürzlich gehörte Darbietung von op. 111. Ein guter Freund von mir, auf dessen musikalische Meinung ich sehr viel gebe, hat Barenboim ein paar Jahre später mit einem Beethoven-Programm gehört und war maßlos enttäuscht. Ähnliches habe ich zu seiner Darbietung des WTK vor einigen Jahren gehört. Andererseits finde ich seine noch recht junge Aufnahme der Schubert-Sonaten beeindruckend. Im Sommer 2015 spielte Barenboim an einem Abend beide Brahms-Konzerte. Auch wenn ich seine Darbietung nicht vollständig überzeugend fand, so habe ich doch den allergrößten Respekt vor der Bewältigung dieser pianistischen Herkules-Aufgabe. Auf diesem Niveau muss man in Barenboims Alter erstmal noch spielen können.
Der Dirigent Barenboim ist bei mir vor allem mit seinen Wagner-Interpretationen sehr positiv vermerkt, und außerdem schätze ich sein Engagement für Neue Musik. So war Barenboim z. B. gut mit Boulez befreundet und hat einige seiner "Notations" in den Orchester-Fassungen uraufgeführt. Das Konzert zur Eröffnung des Boulez-Saals in Berlin fand ich bemerkenswert, vor allem wegen der Darbietungen von Bergs Kammerkonzert und von Boulez' Klangwunder "Sur incises".
LG