Dominanz der Richtungen bspw. in den 60er Jahren

  • Na klar, geht es jetzt hier um e-Musik und nicht um die Beatles. Aber es doch bezeichnend, dass Komponisten wie Schelb oder Newton erst 50 Jahre später zu ihrem "Recht" kommen, während auch die uninspiriertesten Kompositionen eines Stockhauen oder Boulez seit langem die Kataloge zieren. In den 60er und 70er Jahren herrschte zumindest in D, F und I das Credo vor, so wie Schelb und Newton dürfe man nicht mehr komponieren.

    Bei Stockhausen findest Du einen Großteil seiner Werke nicht im Katalog, dort sind nur eine handvoll Stücke, viel zu wenig für einen Komponisten seiner musikhistorischen Bedeutung.

    Und das von Dir genannte Credo beschränkte sich auf einen bestimmten Kreis, der eben die Konzertsäle in D, F und I keineswegs dominierte, sondern ein Musikfestival von etwa einer Woche Dauer irgendwo in der Provinz (Donaueschingen). Freilich haben die eine zu enge Sicht der Dinge gehabt, die auch mir auf den Keks geht, und damit wurde auch viel Papier bedruckt. Aber die Neoklassizisten haben trotzdem Erfolge gefeiert zu der Zeit und wahrscheinlich im Konzertbetrieb weit größere als die "Donaueschinger".

    Andererseits haben aber konservativere Komponisten auch behauptet, man "dürfe nicht" z.B. zwölftönig komponieren. Die Intolleranz gab es da schon wechselseitig. Und außerdem gab es Komponisten, die in allen möglichen Stilen und Techniken geschrieben haben, vor allem in der Generation der um 1900 Geborenen. Man findet womöglich mehr Komponisten, die sowohl tonalen Neoklassizismus als auch atonale Zwölftönigkeit produziert haben, als solche, die nur das eine oder nur das andere gemacht haben. Die Welt ist groß und bunt ...

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Aber es doch bezeichnend, dass Komponisten wie Schelb oder Newton erst 50 Jahre später zu ihrem "Recht" kommen

    Ich glaube auch nicht, dass Schelb "jetzt erst zu seinem Recht kommt", eher, dass er zu Lebzeiten recht erfolgreich war und deshalb jetzt bei der Überschwemmung des CD-Marktes mit "Entdeckungen" auch mitgenommen wird. In Relation zu anderen Komponisten dürfte er sich eher auf dem absteigenden Ast befinden, nicht in der Aufwärtstendenz. Übrigens mag ich diese "Ausgrabungen" (die eigentlich keine sind, das Gedächtnis des Musikschrifttums und der Bibliotheken soll man nicht unterschätzen), und sammle viel zu viel davon, ich habe auch nichts gegen Schelb, der mir schon vor Jahren aufgefallen ist, Hörschnipsel klingen ansprechend. Ich bin für eine Anreicherung des Repertoires mit "Kleinmeistern" - aber ohne Propaganda gegen die "Großmeister" und ohne musikgeschichtsverzerrende Darstellungen.

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  • Haben wir nicht sowieso eine Dreiteilung des Konzertlebens, nämlich 'Alte Musik' (also alles vor Bach), 'Neue Musik' (also serielle Musik und alles was man als deren Vorläufer verkaufen kann) und die 'normalen Konzerte'.


    Das war aber in den 1960er Jahren, von denen die ursprüngliche Behauptung handelte, noch nicht der Fall. Da war die sog. Alte Musik noch gar nicht separiert; sie spielte (wenn vor Bach) praktisch keine Rolle und Bach und Händel gab es normal im Sinfoniekonzert genauso wie Brahms oder Ravel.

    Zitat


    Es wird zwar immer wieder versucht, zeitgenössische Werke in den Konzertbetrieb einzuschleusen, aber der Kanon ändert sich nur bedingt, vielleicht auch weil die Aufnahmefähigkeit der Zuhörer begrenzt ist.


    Naja, ein Ergebnis dieses Threads ist doch, dass sich der Kanon eben doch deutlich ändern kann. Heute kriegt niemand mehr ein Dirigentendiplom, der (schlagtechnisch) Probleme hat, Le Sacre zu dirigieren und das Stück ist nahezu vollständig Mainstream geworden. (In der Tat konnte Le Sacre schon in den 1940ern Jahren als Zeichentrickfilmmusik verwendet werden).
    Dagegen ist, was vor 60 Jahren als "gemäßigte neue Musik" galt, wie Egk oder auch Blacher und vieles von Hindemith praktisch verschwunden. Auch die massive Popularisierung des Sowjetkomponisten Schostakowitsch im Westen fällt in die letzten 60 (eher 30) Jahre. Oder ein ganz anderes Beispiel: Die Zemlinsky-Wiederentdeckung hat auch erst in den 70ern begonnen.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Bei Stockhausen findest Du einen Großteil seiner Werke nicht im Katalog, dort sind nur eine handvoll Stücke, viel zu wenig für einen Komponisten seiner musikhistorischen Bedeutung.


    Liegt das nicht vielleicht auch daran, dass Stockhausen bzw. jetzt die Erben irgendwann die Rechte der DG-Aufnahmen zahlreicher Werke in den 60ern und 70er zurückgekauft haben und jetzt darauf "sitzen" bzw. diese Aufnahmen einfach nicht gut vermarktet werden?

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  • Liegt das nicht vielleicht auch daran, dass Stockhausen bzw. jetzt die Erben irgendwann die Rechte der DG-Aufnahmen zahlreicher Werke in den 60ern und 70er zurückgekauft haben und jetzt darauf "sitzen" bzw. diese Aufnahmen einfach nicht gut vermarktet werden?

    Das mag schon sein, es ging mir nur darum, die Behauptung zu widerlegen, dass "auch die uninspiriertesten Kompositionen eines Stockhauen oder Boulez seit langem die Kataloge zieren" - das ist einfach falsch, es sei denn, man vertritt die Ansicht, dass Stockhausen ausschließlich uninspirierte Kompositionen verfasst hätte. Das kann man dann aber auch so ausdrücken, und nicht suggerieren, dass die Kataloge mit Stockhausen überflutet wären.

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  • Das stimmt natürlich. Boulez ist allerdings sehr gut repräsentiert, was zum guten Teil daran liegt, dass er in den letzten 40 Jahren seines Lebens sehr viel mehr dirigiert als komponiert hat und anscheinend auch genügend Marktgängigkeit hatte, seine Werke auf drei verschiedenen Labels teilweise mehrfach aufzunehmen.
    Stockhausen ist aber auch ein Beispiel, wie schnell sich zumindest auf Platten die Verfügbarkeit ändern kann. Denn Ende der 70er oder sogar noch in dern 1980er Jahren war seine Musik anders als die vieler Zeitgenossen auf einem der renommiertesten Label präsent.

    Es hat außerdem kaum etwas mit der Stilrichtung zu tun, dass wenn ein Künstler einmal wirklich berühmt ist, oft auch seine uninspirierten Werke eher präsent sind als die inspirierten von denen, die es nicht so weit nach vorne geschafft haben. Und gerade auf Tonträgern hängt es wieder sehr stark vom Zufall ab. Robert von Bahr (BIS) hatte seit Jahrzehnten den Ehrgeiz, jede Note von Sibelius herauszubringen, einschl. Skizzen, Entwurfsversionen u.a. kaum je zur Veröffentlichung bestimmter Dinge, und er hat das bei BIS durchgezogen. Das grenzt ans Bizarre und geht über "vollständige Mozart-Editionen" u.ä. hinaus, was die Hyper-Vollständigkeit betrifft. Aber das war nun mal sein Projekt und es bringt wenig, ihm vorzuwerfen, nicht lieber bedeutendere Werke anderer Komponisten herausgebracht zu haben.

    Jedenfalls kann eine sehr gute diskographische Repräsentation, die z.B. auf Lutoslawski, Penderecki, Ligeti, Messiaen zutrifft, ganz unterschiedliche Ursachen haben. Ebenso wie eine schlechte. ;)

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    (B. Pascal)

  • Ich muss ja zugeben, die wahnsinnig überteuerten CDs der Stockhausen-Edition gleich einmal auszublenden ... "Hymnen" um € 149,99
    :cursing:
    Bei Boulez mit der DG-Box ist man ja wirklich wie im Paradies ...

    Die Genzmer-Diskographie z.B. ist jedenfalls überraschend umfangreich für einen "Hindemith-Epigonen". Hier liegt es wohl auch daran, dass er sehr "musikantisch" geschrieben hat und wohl auch gute Kontakte zu den Musikern hatte.

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  • Wenn DGG noch die Rechte an den ca. 40-50 Jahre alten Stockhausen-Einspielungen hätte (die LPs sind meines Wissens teils gesuchte Sammlerstücke), gäbe es wahrscheinlich eine mitteldicke Box zu weniger als 5 EUR/CD.

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  • Bei Stockhausen findest Du einen Großteil seiner Werke nicht im Katalog, dort sind nur eine handvoll Stücke, viel zu wenig für einen Komponisten seiner musikhistorischen Bedeutung.

    Liebe putto
    es gibt doch aber weit über 100 CDs von Stockhausen, die man jederzeit über seinen Selbstverlag bestellen kann, darunter wohl auch alle, die früher mal über die DGG vertrieben wurden. Jeder auch nur periphere Stockhausen-Verehrer wird ja wohl mal auf des Meisters website gewesen sein. Warum Stockhausen und jetzt die Erben diesen Vertriebsweg bevorzugen, weiss ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nur deshalb war, weil sonst niemand das vertreiben wollte. Aber vermutlich gibt es hier im Forum Menschen, die das besser wissen als ich.

    aber ohne Propaganda gegen die "Großmeister" und ohne musikgeschichtsverzerrende Darstellungen.

    ... ab und zu eine kleine Spitze darf ja wohl sein, Propaganda mache ich hier doch nich ;) t.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • In dem Sinne, wie alle "Spezialisten", die sich in die feinen Verästelungen einer sehr speziellen Kunstform vertiefen, anormal sind.

    Allerdings waren die Werke von Stockhausen, Boulez etc. zu Ihrer Zeit keineswegs nur ein unbedeutender Seitenast (oder gar Produkte spleeniger Sonderlinge) sondern repräsentierten unter ihren Komponisten-Zeitgenossen eine der wichtigsten und folgenreichsten Strömungen, wenn nicht die Hauptströmung überhaupt.

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Warum Stockhausen und jetzt die Erben diesen Vertriebsweg bevorzugen, weiss ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nur deshalb war, weil sonst niemand das vertreiben wollte.


    Ich vermute, dass das mit Stockhausens Neigung zum Kontrollfreak-Verhalten zusammenhing, belegen kann ich diese Vermutung aber nicht.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Ich vermute, dass das mit Stockhausens Neigung zum Kontrollfreak-Verhalten zusammenhing, belegen kann ich diese Vermutung aber nicht.

    Vielleicht auch der Neigung, sich selbst als Ikone bzw. Guru zu inszenieren:

    Man führe sich etwa die Stockhausen-Texte des Dumont-Verlags zu Gemüte: Ich kenne keinen Künstler, auch nicht Wagner, auch nicht Dali, auch nicht Thomas Mann, der von sich selbst in diesem erhabenen Tonfall spricht. Irgendwann dürfte Stockhausen begonnen haben, sich nicht nur als Messias auszugeben, sondern sich wirklich dafür zu halten.


    Dieser Neigung, etwas "ganz Besonderes" darstellen zu wollen, würde die Gründung eines eigenen Verlages - ausschließlich für die eigenen Produkte - durchaus entsprechen.

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Der weitgehend aus der klassisch-romantischen Tradition schaffende Gerhard Frommel (1906 - 1984) stellte 1962 das Komponieren fast ganz ein, seine 1962 vollendete Oper Der Technokrat wurde nie aufgeführt (lt. wikipedia).

    Die erste Symphonie von Gerhard Frommel bringt das Label mit dem Forumsnamen in Kürze heraus. Das Werke wurde von niemand Geringerem als Wilhelm Furtwängler 1942 in Berlin aus der Taufe gehoben.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

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