"Rossini in Wildbad" Reihe bei NAXOS

  • L'Italiana in Algeri


    2008 aufgenommen, 2010 veröffentlicht

    mit

    Isabella - Marianna Pizzolato, Alt
    Lindoro - Lawrence Brownlee, Tenor
    Mustafà - Lorenzo Regazzo, Baß
    Taddeo - Bruno de Simone, Baß
    Haly - Giulio Mastrototaro, Baß
    Elvira - Ruth Gonzalez, Sopran
    Zulma - Elsa Giannolidou, Mezzosopran

    Transylvania State Philhamonic Choir, Cluj (Siebenbürger Philhamonischer Staatschor, Klausenburg? :) )

    Virtuosi Brunensis

    Leitung: Alberto Zedda

    Die Oper selber braucht nicht, vorgestellt zu werden.

    Alberto Zedda als Rossini-Dirigenten eigentlich auch nicht. Was allerdings auffällt, ist seine Flexibilität. Statt einheitlich schnell zu dirigieren, läßt er die Zeit ab und zu anhalten, nmmt er sich Zeit, die Musik - oder den Text - zu genießen. Die Stretta des ersten Finales ist aber echt beschwingt und trotzdem kein undurchsichtiger Klangbrei. Respekt allen Beteiligten!
    Im allgemeinen ist die aufmerksame Umsetzung von Text und Musik das Hauptmerkmal dieser Aufnahme. Dies bezieht sinnvolle Verzierungen und "Veränderungen" mit ein. Per lui, che adoro ist davon ein Musterbeispiel. Wichtiges Bestandteil dieser Auffassung war sicher die Tatsache, daß die meisten Teilnehmer (Dirigent inklusive) Muttersprachler sind.
    Der rumänische Chor ist aber auch auf der Höhe des Geschehens und das mährische Orchester hat wie sonst erstklassige Solisten, die Rossinis farbige Instrumentierung stilvoll umsetzen (und wer ein Horn-Solo in Pesaro gehört hat, weiß, daß es nicht immer selbstverständlich ist).
    Die Solisten sind durchaus erstklassig. Technisches Können, stilvolle Umsetzung, Qualität des Instruments, alles durchaus lobenswert. Einen kleinen Abstrich hätte ich mit Lindoros erster Arie.Languir per una bella. Brownlee ist wohl technisch allen anderen Lindori überlegen, nun haben Benelli, Blake, Araiza, Flórez ... mehr Phantasie oder mehr Eleganz oder mehr Raffinesse oder mehr Farben ... gezeigt, in einem Wort hauchen sie dieser Arie Leben (Seele) ein, was Brownlee nur bedingt gelingt. Ok, es ist eine Live-Aufnahme und diese Arie kommt fast gleich am Anfang. Es ist nur ein kleiner Einwand; Brownlee erweist sich im Laufe der Aufführung als gefühlvoller Lindoro, und dies auch in den Rezitativen.

    Alles in allem, eine Italiana zum Genießen - mit Geschmack und Intelligenz. Paßt ganz gut zu Rossini, nicht wahr?
    Deshalb ohne Bedenken :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup:

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Transylvania State Philhamonic Choir, Cluj (Siebenbürger Philhamonischer Staatschor, Klausenburg? )

    In der hier genannten "Variation" müsste es DIESER Chor hier sein :

    http://filarmonicatransilvania.ro/en/media/audio/

    Nur, bei DEM Chor werden die Aufnahmen bei Naxos nicht erwähnt. Doch der Name wäre dem der Naxos-Angaben die nahe größte Wahrscheinlichkeit. Jetzt stellt sich die Frage, ob Naxos den Namen neu "kreiert" hat, oder es eben doch der von mir erwähnte Chor ist.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Danke für den Link. Als Chorleiter wird Cornel Groza genannt, der auch als solchen im Booklet erwähnt wird. Der Name "Filarmonica de Stat Transilvania" entspricht der englischen Übersetzung, die wohl von Naxos in Umgang gesetzt wurde (ungefähr wie die "Czech Chamber Soloists", die sich dann in "Virtuosi Brunensis" (sic) umgenannt haben).

    Immerhin ist es ein professioneller Chor, der in Cluj (Klausenburg) basiert ist. Dessen Répertoire scheint ziemlich breit zu sein. In den Wildbader Produktionen gefällt er mir ganz gut (speziell in dieser Italiana). Später hat Wildbad einen Chor aus Posen eingesetzt, den Camerata Bach Choir Poznan (von dem habe ich keine eigene Website gefunden.), der eher in Musik von Barock und Klassik spezialisiert zu sein scheint. Wie schon bemerkt, scheint er mir weniger vertraut mit dem italienischen Opernstil zu sein und etwas zu reserviert. Vielleicht ändert es sich im Laufe der Zusammenarbeit mit Wildbad.

    Immerhin freue ich mich, daß das Ensemble aus Cluj wohl etabliert ist. Cluj-Napoca ist mit über 300 000 Einwohner die größte Stadt Transylvaniens (Siebenbürgen) und hat als Universitätsstadt ein reges kulturelles Leben. Das philharmonische Orchester und der Chor sind ein Teil davon.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Danke für den Link. Als Chorleiter wird Cornel Groza genannt, der auch als solchen im Booklet erwähnt wird. Der Name "Filarmonica de Stat Transilvania" entspricht der englischen Übersetzung, die wohl von Naxos in Umgang gesetzt wurde

    Kein Problem. Ich war selbst neugierig gewesen. Ok, dann scheint es sich doch um den von mir erwähnten Chor zu handeln.


    Immerhin ist es ein professioneller Chor, der in Cluj (Klausenburg) basiert ist. Dessen Répertoire scheint ziemlich breit zu sein. In den Wildbader Produktionen gefällt er mir ganz gut (speziell in dieser Italiana).

    Es scheint auch ein insgesamt recht ordentlicher Chor zu sein. Bad Wildbad ist übrigens ein schönes Städtchen. Ich hatte dort mal vor vielen Jahren ein Jazzkonzert gespielt im alten Schwimmbad. Tolles Ambiente, recht halliger Raum, der aber für ein Jazzkonzert in Sextett-Besetzung ok war.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Ricciardo e Zoraide

    2013 aufgenommen, 2018 veröffentlicht (bislang letzte Rossini-Veröffentlichung der Serie)

    mit

    Agorante - Randall Bills, Tenor
    Ricciardo - Maxim Mironov, Tenor
    Zoraide - Alessandra Marianelli, Sopran
    Zomira - Silvia Beltrami, Mezzosopran
    Ircano - Nahuel di Pierro, Baß
    Ernesto - Artavaszd Sargsyian, Tenor

    Camerata Bach Choir, Poznań

    Virtuosi Brunensis (der Grammatikfehler ist wohl Naxos anzukreiden, das Orchester nennt sich selber richtig Virtuosi Brunenses :http://www.virtuosibrunenses.com/ )

    Leitung José-Miguel Pérez-Sierra

    Ricciardo e Zoraide (im Dezember 1818 uraufgeführt) ist die 5te von 9 Seria-Opern, die Rossini für Neapel komponierte. Sie ist wohl die unbekannteste von Rossinis Neapel-Opern. Sie stand erst zweimal in Pesaro auf dem Spielplan (1990 und 1996; heuer kommt sie allerdings in einer neuen Inszenierung wieder) und wurde bislang nur ein einziges Mal auf CD aufgenommen.

    Der Librettist, Francesco Maria Berio di Salsa, der auch das Libretto für Otello verfaßt hatte, hat sie aus dem Epos Ricciardetto von Niccolò Forteguerri herausgearbeitet, einer damals erfolgreichen Semi-Persiflage der Ritterromane wie Gerusalemme liberata. Er hat daraus zwei Kapitel herausgesucht, die Stoff für eine opera seria geben konnten und sie opernmäßig verarbeitet.
    Daraus resultiert eine Geschichte, die nicht so einfach zu verfolgen ist: Agorante, König von Nubia, hat die Prinzessin Zoraide entführt, in die er verliebt ist, obwohl er mit Zomira verheiratet ist. Zoraide selbst ist in den christlichen Ritter Ricciardo verliebt, der unter falscher Identität zu Agorante kommt, um sie zu befreien. Es gelingt ihm, Agorantes Vertrauen zu gewinnen, aber er wird enttarnt, weil Zomira seinen Dialog mit Zoraide belauscht hatte. Beide Liebende, sowie Zoraides Vater Ircano, der zu Hilfe gekommen war, werden zum Tode verurteilt. Glücklicherweise kommen die Kreuzritter unter der Leitung Ernestos, eines Freundes Ricciardos, und alles wird gut.

    Eigentlich ist man nicht so weit von Ciro in Babilonia. Rossini ist aber in der Zwischenzeit weiter gekommen. Die recitativi - alle accompagnati - die in "metastatischer" Tradition die Aktion voranbringen, sind sorgfältig ausgearbeitet. Zum ersten Mal benutzt Rossini zusätzlich zum ohnehin reichen Orchester Neapels eine banda (Blaskapelle auf der Bühne), um bestimmte Klangeffekte zu erreichen, was er auch mit dem Chor macht, der unterteilt ist. Ricciardo e Zoraide ist ein Klangfarbenspiel. Hinzukommt, daß es nur vier Arien gibt - teilweise mit Chor oder pertichini: Einwürfen anderer Solisten. Der Rest sind Ensembles: drei Duette, ein Terzett, ein Quartett und beide Finali. Statt der Ouvertüre gibt es ein langsames Vorspiel, das einen Marsch einleitet, der unter Mitwirkung der banda variiert wird, bis der Chor eingreift.
    Die Kombination unterschiedlicher Stilelemente macht aus Ricciardo e Zoraide eine musikalisch reizvolle Oper, die mit Erfolg nicht nur in Neapel, sondern in ganz Europa gespielt wurde, bis sie in der Hälfte des 19ten Jht in die Versenkung verschwand.

    Die Wildbader Aufnahme ist ein echter Glücksfall. Die Virtuosi braucht man nicht mehr zu loben. José-Miguel Pérez-Sierra weiß, das ganze Farbspektrum zu entfalten, ohne die Flüssigkeit zu verlieren. Ab und zu geht es leicht auf Kosten der Präzision (bei den Streichern), aber der dramatische Faden reißt nicht ab.
    Der Chor zeigt auch sein ganzes Können und die musikalische Disposition (Begleitung durch die banda, Hinter-der-Bühne Effekte, ...) sorgt dafür, daß er auch in die Dramatik involviert ist.

    Randall Bills in der Nozzari-Rolle des Agorante (eigentlich ist er die Hauptfigur der Oper) braucht etwas Zeit, um in Fahrt zu kommen (Nozzari mußte ein Sondertalent sein, in Ricciardo e Zoraide, Otello, Zelmira muß er sofort eine große Arie singen), ist aber dann echt suverän. Maxim Mironov singt wieder die David-Rolle mit ihren hohen Virtuositätszügen in voix mixte. Das Duett der beiden Tenöre im zweiten Akt ist einer der Höhepunkte dieser Aufführung. Der dritte Tenor, Ernesto, ist eher ein comprimario, wird aber von Artavaszd Sargsyian überzeugend dargestellt.
    Silvia Beltrami wertet die Rolle der Zomira durch ihre dramatische Präsenz und ihr dunkles Timbre auf. Ein leichter Vermutstropfen kommt mit Alessandra Marianelli. Ihre Stimme ist eigentlich zu leicht für die Rolle der Zoraide und sie muß gelegentlich forcieren. Immerhin gelingt es ihr, die Zoraide nicht als Soubrette verkommen zu lassen. Einige Schärfen in der Höhe muß man in Kauf nehmen, nichts aber, was das Hörvergnügen extrem beeinträchtigt.

    Die einzige andere Aufnahme, bei Opera Rara, hat mit Nelly Miricioiu eine stimmigere Zoraide. Sie ist aber nicht so gut integriert in die Ensembles. Della Jones ist eine viel zu harmlose Zomira. Die Tenöre sind OK, wenn man Matteuzzis eigentümliches Timbre in Kauf nimmt. David Parry ist aber als Dirigent zu träge.
    Kein Video-Tip diesmal. Auf YouTube findet man eine Pesaro-Aufzeichnung von 1990. Wikipedia zitiert Richard Osborne mit

    Zitat von Richard Osborne

    Mit allen Details würde sich die Geschichte lesen wie ein Epos von Marlowe, nacherzählt von den Marx Brothers

    was nicht unbedingt stimmt, wohl aber für diese Produktion, wo man das Zitat mit "und inszeniert von Monthy Python" vervollständigen möchte. Totaler Reinfall. Dazu ist Riccardo Chailly nicht besonders involviert.

    Unter dem Strich, auch mit dem erwähnten Wermutstropfen und weil diese Aufnahme sich bestens eignet, um diese höchst interessante Oper kennen zu lernen: aufgerundete :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup:

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Aureliano in Palmira

    2017 aufgenommen, 2018 (soeben) veröffentlicht

    mit

    Aureliano - Juan Francisco Gatell, Tenor
    Zenobia - Silvia Della Benetta, Sopran
    Arsace - Marina Viotti, Mezzosopran
    Publia - Ana Victória Pitts, Mezzosopran
    Oraspe, Xiang Xu, Tenor
    Licinio, Zhiyuan Chen, Baß
    Großpriester, Baurzhan Anderzhanov, Baß

    Camerata Bach Choir, Poznań

    Virtuosi Brunenses
    Fabio Maggio, Hammerflügel
    Leitung: José-Miguel Pérez-Sierra

    Aureliano in Palmira ist ein selten gespieltes Werk. Es wurde 1813 für die Mailänder Scala auf einem Libretto vom jungen Felice Romani komponiert. Es isi die einzige Rossini-Oper mit einer Rolle für einen Kastraten, nämlich die des Arsace, die bei der Uraufführung von Giambattista Velluti gesungen wurde. Diverse hauptsächlich von Stendhal kolportierte Anekdoten über ein Zerwürfnis zwischen Rossini und Velluti sind nicht besonders glaubwürdig. Allerdings war die Premiere nicht besonders erfolgreich. Der Erfolg stellte sich aber ein und Aureliano wurde bis in die 30er Jahre wiederaufgenommen, wenn auch nicht so häufig als andere Rossini-Opern.

    Dies kann mit der Thematik zu tun haben: eine Geschichte aus der römischen Antike, in der Kaiser Aurelian in Konflikt ist mit der Königin von Palmyra Zenobia und deren Verbündeten, dem persischen Prinzen Arsace. Aurelian verliebt sich in Zenobia, die selber in Arsace verliebt ist (es beruht hier auf Gegenseitigkeit), in den die römische Publia verliebt ist. Es wird gestritten, gekämpft, gefangengenommen, entflohen, wieder gekämpft und am Ende großzügig vergeben. Aurelian läßt alle unter der Voraussetzung frei, sie werden treue Verbündete Roms sein. Für die Zeitgenossen war es eine Anspielung auf den damaligen Kaiser und Re d'Italia Napoleon, verbunden mit der Botschaft einer glücklichen Zukunft unter seiner Herrschaft.

    Das Zeitgeschehen sollte die Zukunft aber sehr schnell anders gestalten und es ist kein Wunder, daß man in Neapel, Rom und anderswo wenig Lust zeigte, auch ansatzweise Erinnerungen an die Zeit des Regno d'Italia zu wecken.
    Rossini, der die Qualität der Musik seines Aureliano hoch einschätzte, konnte dann für seine erste neapolitanischen Oper, Elisabetta, regina d'Inghilterra, Teile davon, darunter die Ouvertüre, verarbeiten. Ein Jahr später, in Zeitdruck für den Barbiere, konnte er wieder Teile von Aureliano zweitverwerten - u.a. noch einmal die Ouvertüre.

    Dadurch, daß die Ouvertüre zum Barbier von Sevilla Rossinis bekanntestes Orchesterstück ist, fängt Aureliano in Palmira gleich mit einem déjà entendu Effekt an. Dies wiederholt sich ab und zu, zumal, anders als üblich in Rossini-Opern bis Semiramide, die Ouvertüre organisch mit dem Rest der Oper verbunden ist. Allerdings betrifft es nur einen kleinen Teil von den 170 Minuten dieser Oper, die Rossini strukturell auf dem Weg nach Neapel zeigt: weniger geschlossene Nummern, ausgedehnte Szenen mit Chorbeteiligung, vermehrte Anzahl von Ensembles, reduzierter Einsatz des recitativo secco ... Nun, da die politischen Anspielungen von ihrer Brisanz verloren haben (oder ... ? Palmyra ist leider wieder mit schrecklichen Ereignissen verbunden worden), könnte Aureliano den Bekanntheitsgrad von Tancredi erreichen, wenn ... wenn nicht die Geschichte doch etwas gekünstelt erschiene. Tancredi ist die Oper der Jugend und diese "candeur virginale" fehlt etwas in Aureliano,wenigstens am Anfang. Spätestens im zweiten Akt, wenn der geflohene Arsace sich in einer arkadischen Landschaft befindet, die von einem reizvollen Chor mit Solo-Violine besungen wird, kommt dieser Eindruck bezaubernder Frische wieder.

    Diese Wildbad-Aufnahme stand unter einem sehr guten Stern. Die Virtuosi Brunenses sind in bestechender Form und man kann kaum glauben, daß die Solo-Einsätze der Hörner z.B. live eingefangen wurden. Der Danziger Chor ist hier völlig in seinem Element und besticht schon mit dem Gebet an Isis der Introduktion (das später zu ecco ridente al cielo wurde). Der besagte Arkadien-Chor ist ein heißer Kandidat für die Wiederholtaste.
    José-Miguel Pérez-Sierra, der schon mit Ricciardo e Zoraide einen guten Eindruck gemacht hatte, hat sich noch wömöglich gesteigert. Die Ouvertüre nimmt er in einem eher ruhigen Tempo, das dieser Kaisergeschichte angemessen ist, hält aber dann die Musik ständig im Fluß, setzt Akzente, differenziert die Stimmen, hält die Aufmerksamkeit immer wach.

    Schon die kleinen Rollen werden hervorragend gesungen (und wieder einmal ist es Schade, daß Baurzhan Anderzhanov nicht mehr zu singen hat). Ana Victória Pitts als Publia muß bis kurz vor Ende warten, um ihre Solo-Arie zu singen, entschädigt aber mit schöner Stimme von diesem etwas künstlich angenähten lieto fine.

    Arsace wird hier sinnvollerweise von einem Mezzosopran gesungen. Mit ihrem Timbre, das bruchlos von einer hellen Höhe zu einer sonoren Tiefe reicht, hinterläßt Marina Viotti einen starken Eindruck. Juan-Francisco Gatell empfiehlt sich als baritenore in der schwierigen Titelrolle und Silvia Della Benetta kann als soprano drammatico d'agilità überzeugen. Diese drei Stimmen harmonieren sehr gut miteinander und sind auch um Expressivität bedacht, so daß die zahlreichen Ensembles, darunter einige mit "variabler Geometrie" von Duett zu Terzett oder Quartett mit oder ohne Chorbeteiligung, den Zuhörer mitnehmen.

    Ein Teil des Erfolgs ist auch sicher Fabio Maggio zu verdanken, der als musikalischer Assistent die Interpreten hervorragend gecoached hat und das Continuo am Hammerflügel gestaltet. Die Wahl des Instruments bringt einen am Beginn zu Staunen, da man für ein solches Subjekt eher ein Cembalo erwarten würde, aber sie sorgt dafür, daß die recitativi secchi, die wie gesagt nicht so ausgedehnt sind, klanglich besser integriert sind.

    Ein weiteres Hindernis für eine weitere Verbreitung von Aureliano in Palmira ist die Tatsache, daß sich kein Autograph erhalten hat. Eine kritische Ausgabe wurde erst vor wenigen Jahren von Will Crutchfield erstellt, der das Stück 2014 in Pesaro dirigiert hat. Ein Video davon existiert. Crutchfield hat seine Ausgabe sorgfältig aufgrund aller bekannten zeitgenössischen Kopien erarbeitet; dabei hat er alles mögliche Material zusammenkombiniert, inklusive Teile, die gestrichen wurden oder für welche es eine Alternative gibt. Dies und ein nicht sehr lebendiger Dirigierstil bringt es auf eine Länge von über 200 Minuten. Es gibt in diesem Video gute Sängerleistungen; die Regie hinterläßt aber keinen dauerhaften Eindruck und das ganze zieht sich eher hin.

    Die Ausgabe, die in Wildbad benutzt wurde, ist die von Ian Schofield, die 2010 in Auftrag von Opera Rara erstellt wurde und dramaturgsich wohl eher einer tatsächlichen Aufführung der Entstehungszeit entspricht. Sie wurde in einem Opera Rara Konzert aufgeführt und auch für CD eingefangen. Diese Aufnahme ist insgesamt gelungen, bis auf die Zenobia von Catriona Smith, deren hohes Register und Koloraturtechnik viel zu wünschen übrig lassen.

    Eine frühere Wildbad-Produktion (nicht auf Naxos, sondern Bongiovanni erschienen) gab Arsace dem Sopranisten Angelo Manzotti. Keine gute Entscheidung angesichts des Ergebnisses. Eine andere Live-Aufnahme (aus Lucca) leidet unter erheblichen Kürzungen und einem suboptimalen Klang.

    Eine Video-Empfehlung:

    Die Inszenierung einer Freilicht-Aufnahme in Martina Franca ist nicht revolutionär aber läßt sich gut verfolgen, die Videoqualität ist nicht hervorragend (es wurde für Dokumentationszwecke gedreht und erst später entschied man sich für eine Veröffentlichung), aber die Interpreten sind gut: Bogdan Mihai in der Titelrolle, Maria Aleida als eine etwas leichte aber koloraturischere Zenobia und Franco Fagioli als Arsace. Man mag geteilter Meinung über den Einsatz von Kontratenören in Kastratenrollen sein, aber hier ist Fagioli absolut überzeugend. Die benutzte Ausgabe ist in etwa die Schofield-Ausgabe; ich ziehe diese Aufnahme der aus Pesaro vor.

    Unter dem Strich: Aureliano in Palmira ist eine überaus kennenswerte Oper und die Wildbader Produktion ist ein exzellentes Mittel, sie kennen zu lernen. Für Rossini-Freunde unabdingbar!
    :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup:

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Was ist denn mit den letzten Beiträgen passiert? Oder anders gefragt: Ist der Thread jetzt für tot erklärt worden, oder kann man noch hoffen - oder selbst etwas beitragen?

    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.

  • Ich selber habe eine Oxford-bedingte Pause eingelegt aber werde sicher weitermachen. Der Thread ist so weit ich weiß nicht tot und jeder Beitrag ist willkommen!

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Wer seine Naxos-Bestände aufgrund von Philberts Empfehlungen auffüllen möchte, hat jetzt eine gute Gelegenheit: Jpc hat eine Menge davon verbilligt.

    Unsre Freuden, unsre Leiden, alles eines Irrlichts Spiel... (Wilhelm Müller)

  • Maometto secondo

    Um zu zeigen, daß der Thread weitergeht, wird hier wieder die letzte Veröffentlichung der Reihe vorgestellt. Ich weiß, es fehlen noch mehrere, aber sie werden auch kommen ;-).

    2017 aufgenommen, 2018 veröffentlicht

    mit

    Maometto - Mirco Palazzi, Baß
    Anna Erisso - Elisa Balbo, Sopran
    Calbo - Victoria Yarovaya, Mezzosopran
    Paolo Erisso - Mert Süngü, Tenor
    Condulmiero, Selim - Patrick Kabongo Mubenga, Tenor

    Camerata Bach Choir, Poznań


    Virtuosi Brunenses
    Leitung: Antonino Fogliani


    Maometto secondo ist eine der interessantesten Neapel-Opern Rossinis. Ich werde sie ausführlich im entsprechenden Thread vorstellen.
    Die Geschichte spielt in Negroponte (Euböa), einer venezianischen Kolonie, die vom Sultan Mehmed II belagert wird. Der Statthalter Paolo Erisso hält einen Kriegsrat mit den Generälen Condulmiero und Calbo. Dieser, der die Stadt bis zum Tod verteidigen will, ist in Anna, Paolos Tochter verliebt. Paolo sieht einer Heirat wohlwoillend entgegen. Anna hat aber auf einer Studiereise in Korinth einen Uberto kennengelernt und beide haben sich verliebt.
    Als Mehmed nach einer blutigen Schlacht die Bühne betritt, stellt es sich heraus, er sei der Uberto gewesen, der incognito Griechenland bereisen sollte. Nachdem seine Truppen die Venezianer besiegt und festgenommen haben, verspricht der verliebte Mehmed Anna alles mögliche, damit sie seine Frau wird. Anna will trotz ihrer Gefühle für Uberto/Mehmed nicht darauf eingehen. Paolo ist über Annas Haltung unsicher. Calbo weist alle Zweifel darüber zurück. Tatsächlich kommt Anna zu den beiden und gibt ihnen den von Mehmed ausgehändigten Siegel, der freies Auskommen sichert. Bevor sie gehen, besteht sie darauf, mit Calbo vermählt zu werden. Als Mehmed zurückkommt, gesteht sie ihm, daß Calbo ihr Gatte sei und daß er und ihr Vater entflohen sind, und nimmt sich das Leben.

    Die Oper stellt höchste Anforderungen an alle Beteiligten.
    Das Orchester bewältigt sie gut und Antonino Fogliani erweist sich wiederum als ein Dirigent mit Gefühl fürs Drama, der das Orchester als gleichberechtigen Protagonisten behandelt. Es ist nicht nur eine Frage des Tempos, sondern es betrifft auch den Einsatz der Orchesterfarben, die Herausarbeitung leitmotiv-ähnlicher Strukturen, den Dialog mit den Sängern. Die Spannung reißt während der drei Stunden, die die Oper dauert, nicht ab.
    Der Chor ist auch sehr gut, von der Akustik etwas benachteiligt. Es war eine szenische Aufführung und man muß sich darauf einstellen.

    Patrick Kabongo Mubenga, der beide Tenor-Nebenrollen singt, hat eine schöne und gut geführte Stimme und weiß, seiner Teilnahme an den Ensembles Kontur zu geben.
    Mert Süngü ist in guter Form. Die Rolle des Erisso wurde für den baritenore Nozzari komponiert und ist ziemlich zentral in der Tessitura. Süngü fühlt sich hörbar wohl darin, meistert die coloratura di forza, ist hier und da vielleicht etwas wagemütig in den Verzierungen oder den Höhenflügen, vermag aber in dieser Rolle zu überzeugen.
    Victoria Yarovaya ist kein tiefer Mezzo, was für Calbo nachteilig sein kann, wenn man an Ewa Podles oder auch an Lucia Valentini-Terrani denkt. Ihre Agilität in ihrer großen Arie Non temer: D'un basso affetto ist flamboyant. In den Ensembles ist ihre Suavität ein guter Konterpart für eine gewisse Aggressivität seitens des Tenors.
    Maometto ist laut Samuel Ramey die schwierigste Baß-Partie, die Rossini komponiert hat und er selber hat hier Maßstäbe gesetzt. Mirco Palazzi ist noch davon etwas entfernt: man wünscht sich mehr Klangfülle. Allerdings meistert er die Koloratur gut und ist in der ganzen - breiten - Tessitura homogen.
    Die Hauptpartie ist in der Tat Anna (die Theatervorlage hieß Anna Erizo und für die Oper mußte ein anderer Name gefunden worden) und hier liegen die meisten Probleme dieser Einspielung. Es mag live anders geklungen haben (zumindest nach den Rezensionen zu beurteilen, die ich gelesen habe), aber von der Konserve hört sich Elisa Balbo angestrengt an. Die Rolle ist mörderisch, weil Anna fast immer auf der Bühne steht, zwei Kavatinen im ersten Akt hat und die letzte halbe Stunde fast alleine mit dem Chor bestreitet und alle Register des canto spianato und des canto fiorito ziehen muß. Im Zuschauerraum hat man Elisa Balbo wohl mit mehr Begeisterung erlebt; wenn nur der Ton da ist, ist es kein reines Vergnügen: das Volumen ist klein und die Tonschönheit leidet unter dem Forcieren, die Koloratur wird vereinfacht, geschliffen oder durch Verzierungen ersetzt, die nicht immer sinnvoll sind. Sie ist nicht unerträglich wie Majella Cullagh aber von allen Annas, die ich kenne (June Anderson, Cecilia Gasdia, Luisa Islam-Ali-Zade, Carmen Giannattasio, Siân Davies), ist sie die schwächste, leider.


    Ein Wort zur Fassung (mehr im Spezial-Thread).
    Die Oper wurde in Neapel 1820 uraufgeführt. Zwei Jahre später hat sie Rossini für Venedig verarbeitet. Die Venedig-Fassung ist kürzer, (etwas) weniger herausfordernd und endet mit einem lieto fine für welches die Finalszene durchs Rondò Tanti affetti in un momento aus La Donna del lago ersetzt wurde. Dann kam die französische Fassung Le siège de Corinthe ...
    In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich Claudio Scimone mit der Urfassung beschäftigt, sie wiederhergestellt, aufgenommen und in Pesaro aufgeführt.
    Anschließend wurde diese Neapel-Fassung wieder gespielt und live aufgenommen; man hat sich auch für die Venedig-Fassung interessiert (Ersteinpielung als Naxos-Wildbad Ausgabe, Video-Aufnahme aus La Fenice).
    Die erste vollständige kritische Ausgabe wurde von Hans Schellevis für Bärenreiter erstellt (unter Mitarbeit von Philip Gossett) und erschien 2012.
    Diese Ausgabe ist die Grundlage dieser Wildbad-Produktion. Vorher wurde sie im englischen Festival Garsington gespielt und live aufgenommen:

    Unter dem Strich: ich hatte wohl zu hohe Erwartungen, die nur teilweise erfüllt wurden. Die Konkurrenz ist nicht groß, aber beachtlich. Und wenn man nur die zwei Aufnahmen aufgrund der neuesten kritischen Ausgabe betrachtet, würde ich doch Garsington den Vorzug geben.
    Dafür: :thumbup: :thumbup: :thumbup:

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ein weiteres Mal die letzte Veröffentlichung:

    2017 aufgenommen, 2019 veröffentlicht

    mit

    Carlo - Kenneth Tarver, Tenor
    Eduardo - Laura Polverelli, Mezzosopran
    Cristina - Silvia Dalla Bennetta, Sopran
    Giacomo - Baurzhan Anderzhanov, Baß
    Atlei - Xiang Xu, Tenor

    Camerata Bach Choir, Poznań

    Virtuosi Brunensis (sic)
    Leitung: Gianluigi Gelmetti


    Eduardo e Cristina hat eine Sonderstellung unter Rossinis Opern. Es ist nämlich ein centone, eine Oper, die aus meheren Stücken vorhandener Opern gemacht wurde.
    1819 wurde nämlich Rossini vom befreundeten Impresario des Teatro San Benedetto in Venedig, ein Stück zu liefern, um der Karriere der Mezzosopran-Tochter einen Schub zu geben.

    Wegen der Kürze der Vorbereitungszeit (Ricciardo e Zoraide wurde im Dezember 1818 uraufgeführt, Ermione in März 1819 und das neue Stück sollte am 24.04.1819 auf die Bühne gehen), war die Komposition einer ganz neuen Oper außer Frage und man einigte sich auf eine "neue Oper für Venedig", die aus Versatzstücken gemacht wurde, die bislang noch nicht in Venedig gehört worden waren.

    Wenn Rossini in einer Oper eine Nummer aus einer anderen verwendete, hat er sie immer angepaßt und überabeitet (Instrumentierung, Stimmführung usw ...). Hier allerdings geht es um etwas anderes: Rossini hat Teile aus vorhandenen Opern (haupstächlich Adelaide di Borgogna, Ermione, Ricciardo e Zoraide) zusammengesetzt, wofür die Librettisten Andrea Tottola und Gherardo Bevilacqua das Libretto adaptiert haben, das Giovanni Schmidt für Pavesis Odoardo e Cristina 1810 produziert hatte. Eine Baßarie Pavesis im zweiten Akt wurde sogar vollständig übernommen.

    Eine Retorten-Oper, denn, für die man nicht die gleichen Ansprüche an die Dramaturgie wie bei den anderen Opern Rossinis erheben darf.

    Allerdings wußte Rossini genau, welche Stücke er wiederverwenden wollte und Eduardo e Cristina wurde ein triumphaler Erfolg. 1820 kam sie sogar auf die Bühne der Fenice und sie wurde bis 1840 überall zwischen New York und Sankt Petersburg aufgeführt.

    In unserer Zeit allerdings wird sie total vernachlässigt: es ist die einzige Oper Rossinis, für die es noch keine kritische Ausgabe gibt und sie wurde noch nicht in Pesaro aufgeführt.
    Die erste moderne Aufführungsserie fand 1997 in Bad Wildbad statt und sie blieb 20 Jahre lang die einzige, bis sie wieder in Wildbad produziert wurde.

    Die Handlung ist Tancredi-ähnlich: Feldherr Eduardo und Königstochter Cristina sind heimlich verheiratet und haben sogar einen kleinen Gustavo. König (von Schweden) Carlo will seine Tochter mit dem schottischen Prinzen Giacomo vermählen, was für Konfusion sorgt. Als der kleine Gustavo unerwartet auftaucht, kommt das ganze zu Licht, Eduardo und Cristina werden sofort eingekerkert. Da die Russen aber Stockholm wieder angreifen, wird Eduardo von seinen Anhängern befreit, damit er die schwedischen Truppen zum Sieg führen kann. Als dies geschieht, vergibt Carlo großmütig und alle sind glücklich - bis auf Giacomo (der früher in seinem Edelmut angeboten hatte, sogar Cristina mit Beifang als Frau zu nehmen, vorausgesetzt Eduardo wäre beseitigt).

    Wenn man dort nicht sucht, was man nicht finden kann (Personencharakterisierung, Entwicklung der Charaktere ...), kann man an Eduardo e Cristina viel Freude haben. Die Musik ist durchgehend effektvoll, dazu gibt's ein eingebautes Ratespiel (wo kenne ich das her?) und die Überraschung, ein Duett als Solo-Arie, eine Tenor-Cabaletta von einem Mezzosopran usw .. zu hören.

    Die vorliegende Aufnahme ist auf gutem Niveau. Allerdings kann man sich nicht, besonders im ersten Akt, des Eindrucks erwehren, einem Flickenteppich zuzuhören.
    Dies hat mehrere Gründe:
    - Gelmettis Auffassung des Stückes: der Dirigent hat sich wohl nicht extrem beschäftigt, dem ganzen dramatisch einen Sinn zu geben
    - die Tatsache, daß der Applaus mehrnals herausgeschnitten wurde: es fehlt sozusagen die Live-Dramaturgie
    - die Stimmen selber: die Hauptprotagonistinnen Polverellli und Dalla Bennetta haben eine ziemlich ähnliche Stimme. Zum einen sind sie leicht verwechselbar, zum zweiten sind es breite Stimmen mit ziemlich viel Vibrato, die im ersten Akt noch nicht völlig eingesungen sind. Im zweiten Akt allerdings können sie voll aufdrehen und das Stück hebt endgültig ab.

    Es gibt eine einzige andere Aufnahme, die auch aus Wildbad kommt:

    Francesco Corti ist Gelmetti ebenbürtig, ihm in der Dramaturgie sogar überlegen.
    Die Stimmen sind leichter. Weniger bis gar nicht bekannte Namen, aber durchaus überzeugend. Der erste Akt lebt hier tatsächlich
    Die Pavesi-Arie im zweiten Akt, die Gelmetti eliminiert hatte (Schade, denn Baurzhan Anderzhanov hätte sicher eine Solo-Arie verdient) , wird hier gegeben
    Das Booklet bringt das volle Libretto (italienisch-englisch) und eine volle Analyse der Oper (inkl. Referenz der Original-Stücke).

    Der zweite Akt 2017 ist allerdings spannender als der zweite Akt 1997.

    Im Endeffekt: weder mit der einen noch mit der anderen Aufnahme ist man schlecht bedient, es bleibt aber Luft nach oben.
    :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup:

    Alles, wie immer, IMHO.

  • < < = = gehört nur sehr indirekt hierher - trotzdem eben der Hinweis,
    :!: dass die Abschlussveranstaltung des diesj. Wildbad-Festivals am ko. SA ab 19h LIVE auf D.Radio.Kultur mitgehört werden kann :!:

    :wink:

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • Als Ergänzung ......

    .....eine interressante Lese Lektüre zur Oper!

    LG palestrina

    „ Die einzige Instanz, die ich für mich gelten lasse, ist das Urteil meiner Ohren. "
    Oolong

  • Moïse

    Soeben erschienen:

    2018 aufgenommen, 2020 veröffentlicht

    mit

    Moïse - Alexey Birkus, Bass
    Pharaon - Luca Dall'Amico, Bass
    Aménophis - Randall Bills, Tenor
    Éliézer - Patrick Kabongo, Tenor
    Oziride / Voix mystérieuse - Baurzhan Anderzhanov, Bass
    Ophide - Xiang Xiu, Tenor
    Sinaïde - Silvia Dalla Benetta, Sopran
    Anaï - Elisa Balbo, Sopran
    Marie - Albane Carrère, Mezzo-Sopran

    Górecki Kammerchor, Krakau

    Virtuosi Brunensis (sic)
    Leitung: Fabrizio Maria Carminati

    Ich war bei einer der aufgenommenen Aufführungen anwesend. Meine Eindrücke waren recht positiv gewesen aber ich war noch ein bisschen skeptisch über eine reine Audio-Veröffentlichung, da ich fürchtete, einige der Darsteller würden ohne die visuelle Präsenz nicht so gut herüberkommen.

    Ich kann Entwarnung geben: der Deutschlandfunk hat sehr gute Arbeit geleistet und die Mikrofone waren wohl gut plaziert und gesteuert.

    Moïse (so der hier gewählte Name, der auch in Frankreich geläufig ist und sich in allen Quellen findet; die übliche Langfassung Moïse et Pharaon ou le passage de la Mer Rouge befindet sich lediglich auf dem Umschlagblatt eines Librettos) ist ein komplexes Werk, von dem es einzig eine CD-Aufnahme und eine DVD-Aufnahme gibt. Details darüber sind im Thread Rossini - die Opern für Neapel ab hier zu finden.

    Fabrizio Maria Carminati hat das Wesen dieses Oratoires, wie Rossini es selbst bezeichnete, perfekt getroffen. Es gibt in diesen fast 3 Stunden keinen Spannungsverlust - und dies auch ohne visuellen Support! Das Feierliche alterniert mit dem Intimeren, dem Andachtsvollen, dem Dramatischen, stilistisch findet man Elemente der tragédie lyrique sowie der Belcanto-Oper, ohne dass der Eindruck eines Flickenteppichs entsteht. Im Gegenteil, es gibt Überraschungseffekte, ruhigere Stellen ... aber alles trägt zur Dramaturgie bei. Dass es nicht nur vom live-Erlebnis kommt, zeigt die Pesaro-Aufnahme unter Jurowski, die eher in ihre Einzelteile zerfällt. Dies hat wohl auch damit zu tun, dass Carminati den richtigen Ton findet, feierlich aber nicht bombastisch, andächtig aber nicht gelähmt oder süßlich. Seine Tempi sind etwas straffer als Jurowskis aber auch dort, wo der Unterschied unerheblich ist - etwa im Gebet Des cieux où tu résides - hat Carminati mehr Energie, mehr Intensität.

    Das Orchester ist auch nicht überdimensioniert und ist flexibel genug. Einige wenige Unsauberkeiten bei den Blechbläsern sind wohl darauf zurückzuführen, dass sie ein echtes Marathon an Auftritten absolviert haben. Sie sind aber nicht katastrophal. Die Harfen verdienen, extra gelobt zu werden.
    Der Chor ist auch eher klein besetzt und in einigen Stellen wünschte man sich mehr Volumen. Er ist aber präzis, sogar in den a cappella Teilen und fügt sich gut in Carminatis Konzept. Keine kleine Leistung, denn er ist in fast allen Szenen präsent und hat oft sogar eine Schlüsselrolle.

    Xiang Xiu ist überzeugend in der kleinen Rolle des Ophide (so in der Partitur, sonst Aufide geschrieben), der im dritten Akt die Plagen verkündet. Als Oziride und "voix mystérieuse" hat Baurzhan Anderzhanovs schöne Bassstimme Fülle und Autorität. Albane Carrère war in der von mir besuchten Vorstellung schwer wahrnehmbar; hier entdeckt man eine schöne leichte Mezzo-Stimme mit perfekter Aussprache. Dies ist auch einer der Trümpfe von Patrick Kabongo als Éliézer. In dieser heiklen Rolle, die aus Rezitativen und - entscheidender - Teilnahme an Ensembles besteht, zeigt er einen Sinn für Farbe und Nuance und auch die für Rossini notwendige Flexibilität. Man kann als Glücksfall bezeichnen, dass zwei der drei Solisten des Gebets im vierten Akt er und Albane Carrère sind.

    Luca Dall'Amico ist im Gegenteil eher auf Kriegsfuß mit der Sprache. Es ist nicht mal eine Frage des Akzents, der bei den anderen Protagonisten stärker oder schwächer sein kann, sondern der Intonation, der Phrasierung. In den Rezitativen stolpert er über die Worte und verliert an Genauigkeit auch in der Tongebung. Zum Glück hat er nicht so viele davon; sobald er melodisch gefordert wird, fühlt er sich besser. Dies betrifft die Ensembles und auch das Duett mit Aménophis im zweiten Akt, das hier als Belcanto-Nummer dargeboten wird, mit zusätzlichen Verzierungen in den Wiederholungen, die von beiden Partnern stilvoll ausgeführt werden.
    Randall Bills als Aménophis zeigt Eleganz und Stil, vielleicht nicht übermäßig viel Leidenschaft, aber dadurch, dass er in jedem Akt ein heikles Duett zu singen hat (außer im dritten, aber da hat er eine führende Stimme in Je tremble et soupire), freut man sich auf eine gesunde Stimme, die alle Hürden scheinbar mühelos bewältigt.
    Silvia Dalla Benetta singt die Sinaïde, die oft einem Mezzo anvertraut wird, mit einem vollen dramatischen Sopran. Sie hat bereits in Wildbad und anderswo Colbran-Rollen eindrucksvoll dargestellt und so geht sie die Sinaïde an und zwar mit vollem Erfolg.
    Die andere Sopran-Rolle, Anaï, ist auch eine Art Zwischenfach-Partie. Elisa Balbo hat dafür das hohe Register, das aber unter Druck im ersten Akt etwas zur Schärfe neigt - besonders in den Rezitativen. Dies macht sie aber in ihrer großen Szene im vierten Akt wett, wo sie ihr eigentlich leichtes Timbre mit dem dramatischen Ausdruck überzeugend kombiniert. Diese Szene, die in der Aufführung besonders beeindruckend war - Anaï ist zwischen ihrer Liebe für Aménophis und die für ihr Volk zerrissen und wird von beiden, besonders aber von Moïse unter psychischen Druck gesetzt, woran sie eigentlich zerbricht - bleibt es auch ohne Bilder, was ein großer Verdienst von Sopran, Dirigent und Orchester ist.
    Alexey Birkus in der Titelrolle zeigt auch auf der Aufnahme mehr Präsenz als in der Aufführung. Wer im Gedächtnis noch einen Samuel Ramey hat, kann allerdings optisch nur enttäuscht werden. Stimmlich ist er aber überzeugend mit vollem Bass und auch mit der Behandlung der Sprache, was in seinem Fall besonders wichtig ist, da er hauptsächlich in Rezitativen auftaucht. Bis auf die zwei großen Ensembles, O toi dont la clémence in Akt II und das Gebet in Akt IV. Beide - und auch Je tremble et soupire in Akt III - sind hervorragend gelungen. Tragende Säule von diesen drei Schlüsselmomenten ist Éliézer - und Patrick Kabongo ist eben tadellos. Moïse ist aber derjenige, der in Akt II und Akt IV den Ton ansetzt, und das tut er mit der nötigen Autorität und Sicherheit.

    Leider war es nicht möglich, den Idioten herauszuschneiden, der in die letzte Note des Orchesternachspiels des Gebets mit Applaus eingefallen ist. Dort, wo man sich eigentlich etwas Zeit zum Nachdenken wünscht. Sonst wurde mit dem Applaus klug umgegangen. Derselbe Kretin hatte in der von mir besuchten Aufführung das gleiche mit Je tremble et soupire gemacht, wohl eine Zehntelsekunde - für ihn - zu spät, so dass der Applaus hier total und richtigerweise weggelassen wurde. Nach Virtuosennummern, etwa dem Duett Pharaon-Aménophis in Akt II wurde er genauso richtigerweise belassen.

    In den Aufführungen wurden zwei von den drei Ballettnummern gespielt (wohl wegen fehlender Balletttänzer). Die fehlende Nummer 2 wurde nicht zusätzlich aufgenommen, was Schade ist, denn Nummer 1 und 3 werden sehr gut dargeboten.
    Zusätzlich aufgenommen wurde hingegen das abschließende Cantique, das in Wildbad wie wohl schon bei der Uraufführung gestrichen worden war. Ich gehöre zu denjenigen, die das Auflösen in der Stille, als die Fluten des Meeres zurückfließen, bevorzugen. Dieses bedächtige Ende finde ich extrem beeindruckend - und so war es auch in den Aufführungen. Zum Glück kann man hier den Stop-Knopf drücken. Sonst schadet es auch nicht, als Anhang dieses Dankgebet zu haben, das wohl das Beste ist, was Rossini in der Situation machen konnte, aber doch, ungeachtet einer guten Darbietung, etwas plakativ vorkommt.
    Glücklicherweise hat man beim Schnitt den Schlussapplaus herausgeschnitten und nach das Cantique eingesetzt, wo er gut passt.

    Unter dem Strich: eine vollkommen überzeugende Aufnahme, die naturgemäß nicht absolut perfekt ist, die aber dieses großartige Werk würdig darstellt und richtig Freude macht!
    :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup: :thumbup:

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Gerade überträgt DLF Kultur die Ermione aus Wildbad, die auch auf Naxos erscheinen wird.

    Lässt sich m.E. gut an!

    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.

  • ...ist eigentlich mal jemand bei diesem Festival gewesen und kann berichten? Mich hat es schon mehrfach gejuckt dort hinzufahren, aber ich habe es bisher immer verworfen. Ein enthusiastischer oder auch ein ausnüchternder Bericht könnte mich in der Entscheidungsfindung unterstützen... ;)

    ...auf Pfaden, die kein Sünder findet...

  • ...ist eigentlich mal jemand bei diesem Festival gewesen und kann berichten? Mich hat es schon mehrfach gejuckt dort hinzufahren, aber ich habe es bisher immer verworfen. Ein enthusiastischer oder auch ein ausnüchternder Bericht könnte mich in der Entscheidungsfindung unterstützen... ;)

    Seit 1989 bis auf 2X jedes Jahr!

    Und seit 6 Jahren wohne ich ja fast um die Ecke!

    LG palestrina

    „ Die einzige Instanz, die ich für mich gelten lasse, ist das Urteil meiner Ohren. "
    Oolong

  • ...ist eigentlich mal jemand bei diesem Festival gewesen und kann berichten?

    Philbert , der diesen thread eingefädelt hat (und versprach , ihn fortzusetzen ) , war eigentlich auch oft dort - wie auch auf anderen Festivals , bei denen der Gesang im Vordergrund steht , wenn ich mich recht erinnere . Leider hat er sich sehr , sehr rar gemacht , was ich persönlich bedaure . Eine Stimme , die vermißt wird .

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

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