28.12.1895 - In Paris veranstalten Angestellte der Brüder Lumiere die erste öffentliche Filmvorführung in Frankreich
Dieser zweite Golem-Film ((= Der Golem, wie er in die Welt kam)) ist ein Markstein in der Geschichte der Lichtspielkunst... Hans Poelzig, der Schöpfer des Großen Schauspielhauses, hat die legendäre...Welt erbaut, in der der jüdische...Kabbalist Bezalel Löw dem tönernen Koloß Leben einhaucht, indem er den Stern Davids mit dem geheimnisvollen Namen des Judengottes, dem "Schem", in seine Brust legt und ihn als willenloses Werkzeug in seine Dienste zwingt. Durch diese Wunderwelt des Ghettos drängen sich...Gäßchen voll düsterer Melancholie... Abbröckelnde Mauern winden sich in Serpentinen. Märchenhafte Gänge, Treppen und Spitzbogenfenster. Ein faustisches Studierzimmer des Geister beschwörenden Rabbi, die kalte Pracht kaiserlicher Festsäle...
Der Golem ist Paul Wegener... Von monumentaler Eindringlichkeit ist er, wenn er etwa im Schritt einer aufgezogenen Automatenfigur durch die Gassen tappt, mit eckigen, abgezirkelten Bewegungen Holz hackt oder den schweren Kopf stumm-beredt auf die Brust sinken läßt. Vor Wegeners ungestümer Kraft treten die übrigen Darsteller...bei allem Charakterisierungsvermögen in den Hintergrund. Auch als Regisseur bot (er) eine Meisterleistung. Keine Möglichkeit der Stimmungserzeugung wird ungenutzt gelassen. So, wenn aus einem verwitterten Glockenturm plötzlich ein Vogel auffliegt, wenn eine schwarze Katze spukhaft über Dächer schleicht..., oder wenn sich das Volk...in wildem Dankes- und Gebetstaumel in der...geweihten Altneu-Synagoge vor seinen Gott wirft... Verblüffend wirkt die Vielgestaltigkeit des Schauplatzes. Es gibt kaum zwei Szenen in dieser bilderrreichen Serie, die vor demselben Hintergrund spielen... ((Eugen Tannenbaum >1890/1936< am 30.10.1920; zit. v. filmportal.de))
Ist der neue Chaplin-Film schon in Berlin? Ich glaube nicht. Vergessen Sie nicht, auf den Brötchentanz zu achten, und verlangen Sie ihn Dakapo... Chaplin hat in seiner Blockhütte schöne junge Mädchen zu Gast geladen... Sie kommen nicht, er schläft ein und träumt, sie seien gekommen. Und das ganze kleine Fest zieht an seinen Augen vorüber, und zum...Nachtisch muß er doch den Damen eine Unterhaltung servieren, und weil er nicht singen kann und auch kein Grammophon hat, tanzt er ihnen etwas vor. So: Er pikt auf zwei Gabeln zwei lange Brötchen, stellt die Gabeln auf den Tisch und packt sie... Zu den Klängen eines Foxtrotts wirft das Ding die Beine, rutscht und schleift, einmal macht es dieses Kunststück, ganz weit zu grätschen, daß man glauben muß, es werde gleich in der Mitte aufplatzen, es grüßt...und kokettiert mit den Beinen - und man vergißt völlig, daß es ja nur zwei Brötchen...sind, die uns etwas vortanzen. Diese schlumpige Grazie, dieser Spitzentanz in Lumpen, den wir so oft von ihm selbst gesehen haben: Chaplin wiederholt das mit einem Nichts, mit...der kindlichen Andeutung von Beinen...
(The Gold rush) ist ein Goldgräberabenteuer aus Alaska; daß es eine Parodie sein soll, wüßte man nicht, wenn man's nicht wüßte... Es geschieht vorher und nachher viel Komisches, aber dies ist doch die dickste Perle. Ich habe den Film in Narbonne gesehen, und wenn Sie mich nach den Sehenswürdigkeiten dieser Stadt fragen: Ich weiß nur diese eine, den Brötchentanz. ((Peter Panter aka Kurt Tucholsky am 15.12.1925; zit. v. wikisource.org))
Ich habe, nicht des Effektes wegen sondern um die Klangfarben meiner Komposition der Wirklichkeit anzupassen, technische Instrumente verwandt, allerdings alles noch begenzt, um nicht durch zu gewalrsame Neuerungen die Aufnahme zu erschweren. Mein Bestreben geht dahin, eine musikalische Vorstoß-Arbeit zu leisten, die dem Ohr natürlich, ohne Anstrengung eingeht, meine Hoffnung, daß der Zuhörer sie sogar als...die Musik seiner täglichen Umgebung empfinden wird.
Die Uraufführungskopie ist für ein Orchester von 75 Mann geschrieben gleichwohl liegt im Druck eine Bearbeitung für kleinere Besetzung vor, denn diese Sinfonie soll...überall und immer wieder gespielt werden können. Sie zerfällt im wesentlichen in folgende Teile: Aus der wellenförmigen, periodischen Urform entsteht in maschinellem Rhythmus das Leitmotiv "Berlin", das sich...zum Bläserchoral erweitert - Viertelton-Akkorde der schlafenden Stadt - Arbeitsmarsch - Maschinenrhythmus - Schulkindermarsch - Bürorhythmus - Verkehrsrhythmus - Kontrapunkt des Potsdamer Platzes - Mittagschoral der Großstadt - Verkehrsfuge - kontrapunktisches Stimmgewirr - Sportrhythmus - Signalmusik der Lichtreklamen - Tanzrhythmus - Steigerung aller Großstadtgeräusche in kontrapunktischer Durchführung der Hauptthemen zur Schlußfermate "Berlin"...
Diese Komposition ist meine größte und liebste Arbeit. Meine größte Genugtuung würde sein, wenn der Zuschauer fühlt, daß dieser Film und diese Musik ihn etwas angehen... ((Edmund Meisel >1894/1930< üb. seine Arbeit für Berlin - Die SInfonie der Großstadt >Regie: Walther Ruttmann<; zit. v. filmportal.de))
(The Circus) ist das erste Alterswerk der Filmkunst. Chaplin ist älter geworden seit seinem letzten Film. Aber er spielt sich auch so. Und das Ergreifendste an diesem neuen Film ist, daß Chaplin den Kreis seiner Wirkungsmöglichkeiten nun überblickt, entschlossen ist, mit ihnen und nur mit ihnen seine Sache zu Ende zu führen...
(Der Dichter Philippe) Soupault hat gesehen, daß Chaplin zuerst >die Russen sind ihm darin gefolgt< den Film auf Thema, Variation, kurz auf Komposition, gestellt hat, und daß das Alles zum herkömmlichen Begriff von spannender Handlung in völligem Gegensatz steht. Soupaults hat...den Gipfel von Chaplins Produktion in ("A Woman of Paris")** erkannt. Jenem Film, ...der in Deutschland unter dem törichten Titel "Die Nächte einer schönen Frau" lief. >(Man) sollte ihn jedes halbe Jahr wiederholen. Er ist eine Stiftungsurkunde der Filmkunst.< Wenn wir erfahren, daß für dieses Werk von 3.000 m 125.000 m gedreht wurden, so gibt das einen Begriff von der gewaltigen hingebenden Arbeit, die in Chaplins Hauptwerken steckt. Es gibt aber auch einen Begriff von den Kapitalien, die dieser Mann mindestens so nötig wie ein Nansen oder Amundsen braucht, um seine Entdeckungsfahrten nach den Polen der Filmkunst auszurüsten... ((Desweiteren wird hier fälschlicherweise festgestellt, dass ** der eine Chaplin-Film sei, in dem dieser nicht mitspielt. Chaplin hat jedoch - c. bei 10'15'' - einen Cameoauftritt als Gepäckträger!))
Es ist gut und nützlich, daß im Augenblick, da das Alter sich zum erstenmal in Chaplins Zügen abzeichnet, Soupaults an die Jugend und den territorialen Ursprung seiner Kunst erinnert. Natürlich ist (dieser)...London. "Auf seinen endlosen Gängen durch die Londoner Straßen mit ihren schwarzen und roten Häusern lernte Chaplin beobachten. Er selbst hat erzählt, daß der Gedanke, den Typ des Mannes mit der Melone...und dem Bambusstäbchen in die Welt zu setzen, ihm zum erstenmal beim Anblick der kleinen Angestellten vom Strand kam. Ihm sprach aus dieser Haltung und Kleidung die Gesinnung des Mannes, der etwas auf sich hält. Aber auch die anderen Typen, die ihn in seinen Filmen umgeben, stammen aus London..." An dieses Selbstzeugnis schließt Soupault eine Parallele zwischen Chaplin und Dickens an, die man nachlesen und weiterverfolgen mag... ((Walter Benjamin in "1929. Rückblick auf Chaplin"; zit. v. gutenberg.spiegel.de))