Walldorff`s Kalenderblätter - Drittfassung

  • 28.12.1895 - In Paris veranstalten Angestellte der Brüder Lumiere die erste öffentliche Filmvorführung in Frankreich

    Dieser zweite Golem-Film ((= Der Golem, wie er in die Welt kam)) ist ein Markstein in der Geschichte der Lichtspielkunst... Hans Poelzig, der Schöpfer des Großen Schauspielhauses, hat die legendäre...Welt erbaut, in der der jüdische...Kabbalist Bezalel Löw dem tönernen Koloß Leben einhaucht, indem er den Stern Davids mit dem geheimnisvollen Namen des Judengottes, dem "Schem", in seine Brust legt und ihn als willenloses Werkzeug in seine Dienste zwingt. Durch diese Wunderwelt des Ghettos drängen sich...Gäßchen voll düsterer Melancholie... Abbröckelnde Mauern winden sich in Serpentinen. Märchenhafte Gänge, Treppen und Spitzbogenfenster. Ein faustisches Studierzimmer des Geister beschwörenden Rabbi, die kalte Pracht kaiserlicher Festsäle...

    Der Golem ist Paul Wegener... Von monumentaler Eindringlichkeit ist er, wenn er etwa im Schritt einer aufgezogenen Automatenfigur durch die Gassen tappt, mit eckigen, abgezirkelten Bewegungen Holz hackt oder den schweren Kopf stumm-beredt auf die Brust sinken läßt. Vor Wegeners ungestümer Kraft treten die übrigen Darsteller...bei allem Charakterisierungsvermögen in den Hintergrund. Auch als Regisseur bot (er) eine Meisterleistung. Keine Möglichkeit der Stimmungserzeugung wird ungenutzt gelassen. So, wenn aus einem verwitterten Glockenturm plötzlich ein Vogel auffliegt, wenn eine schwarze Katze spukhaft über Dächer schleicht..., oder wenn sich das Volk...in wildem Dankes- und Gebetstaumel in der...geweihten Altneu-Synagoge vor seinen Gott wirft... Verblüffend wirkt die Vielgestaltigkeit des Schauplatzes. Es gibt kaum zwei Szenen in dieser bilderrreichen Serie, die vor demselben Hintergrund spielen... ((Eugen Tannenbaum >1890/1936< am 30.10.1920; zit. v. filmportal.de))

    Ist der neue Chaplin-Film schon in Berlin? Ich glaube nicht. Vergessen Sie nicht, auf den Brötchentanz zu achten, und verlangen Sie ihn Dakapo... Chaplin hat in seiner Blockhütte schöne junge Mädchen zu Gast geladen... Sie kommen nicht, er schläft ein und träumt, sie seien gekommen. Und das ganze kleine Fest zieht an seinen Augen vorüber, und zum...Nachtisch muß er doch den Damen eine Unterhaltung servieren, und weil er nicht singen kann und auch kein Grammophon hat, tanzt er ihnen etwas vor. So: Er pikt auf zwei Gabeln zwei lange Brötchen, stellt die Gabeln auf den Tisch und packt sie... Zu den Klängen eines Foxtrotts wirft das Ding die Beine, rutscht und schleift, einmal macht es dieses Kunststück, ganz weit zu grätschen, daß man glauben muß, es werde gleich in der Mitte aufplatzen, es grüßt...und kokettiert mit den Beinen - und man vergißt völlig, daß es ja nur zwei Brötchen...sind, die uns etwas vortanzen. Diese schlumpige Grazie, dieser Spitzentanz in Lumpen, den wir so oft von ihm selbst gesehen haben: Chaplin wiederholt das mit einem Nichts, mit...der kindlichen Andeutung von Beinen...

    (The Gold rush) ist ein Goldgräberabenteuer aus Alaska; daß es eine Parodie sein soll, wüßte man nicht, wenn man's nicht wüßte... Es geschieht vorher und nachher viel Komisches, aber dies ist doch die dickste Perle. Ich habe den Film in Narbonne gesehen, und wenn Sie mich nach den Sehenswürdigkeiten dieser Stadt fragen: Ich weiß nur diese eine, den Brötchentanz. ((Peter Panter aka Kurt Tucholsky am 15.12.1925; zit. v. wikisource.org))

    Ich habe, nicht des Effektes wegen sondern um die Klangfarben meiner Komposition der Wirklichkeit anzupassen, technische Instrumente verwandt, allerdings alles noch begenzt, um nicht durch zu gewalrsame Neuerungen die Aufnahme zu erschweren. Mein Bestreben geht dahin, eine musikalische Vorstoß-Arbeit zu leisten, die dem Ohr natürlich, ohne Anstrengung eingeht, meine Hoffnung, daß der Zuhörer sie sogar als...die Musik seiner täglichen Umgebung empfinden wird.

    Die Uraufführungskopie ist für ein Orchester von 75 Mann geschrieben gleichwohl liegt im Druck eine Bearbeitung für kleinere Besetzung vor, denn diese Sinfonie soll...überall und immer wieder gespielt werden können. Sie zerfällt im wesentlichen in folgende Teile: Aus der wellenförmigen, periodischen Urform entsteht in maschinellem Rhythmus das Leitmotiv "Berlin", das sich...zum Bläserchoral erweitert - Viertelton-Akkorde der schlafenden Stadt - Arbeitsmarsch - Maschinenrhythmus - Schulkindermarsch - Bürorhythmus - Verkehrsrhythmus - Kontrapunkt des Potsdamer Platzes - Mittagschoral der Großstadt - Verkehrsfuge - kontrapunktisches Stimmgewirr - Sportrhythmus - Signalmusik der Lichtreklamen - Tanzrhythmus - Steigerung aller Großstadtgeräusche in kontrapunktischer Durchführung der Hauptthemen zur Schlußfermate "Berlin"...

    Diese Komposition ist meine größte und liebste Arbeit. Meine größte Genugtuung würde sein, wenn der Zuschauer fühlt, daß dieser Film und diese Musik ihn etwas angehen... ((Edmund Meisel >1894/1930< üb. seine Arbeit für Berlin - Die SInfonie der Großstadt >Regie: Walther Ruttmann<; zit. v. filmportal.de))

    (The Circus) ist das erste Alterswerk der Filmkunst. Chaplin ist älter geworden seit seinem letzten Film. Aber er spielt sich auch so. Und das Ergreifendste an diesem neuen Film ist, daß Chaplin den Kreis seiner Wirkungsmöglichkeiten nun überblickt, entschlossen ist, mit ihnen und nur mit ihnen seine Sache zu Ende zu führen...

    (Der Dichter Philippe) Soupault hat gesehen, daß Chaplin zuerst >die Russen sind ihm darin gefolgt< den Film auf Thema, Variation, kurz auf Komposition, gestellt hat, und daß das Alles zum herkömmlichen Begriff von spannender Handlung in völligem Gegensatz steht. Soupaults hat...den Gipfel von Chaplins Produktion in ("A Woman of Paris")** erkannt. Jenem Film, ...der in Deutschland unter dem törichten Titel "Die Nächte einer schönen Frau" lief. >(Man) sollte ihn jedes halbe Jahr wiederholen. Er ist eine Stiftungsurkunde der Filmkunst.< Wenn wir erfahren, daß für dieses Werk von 3.000 m 125.000 m gedreht wurden, so gibt das einen Begriff von der gewaltigen hingebenden Arbeit, die in Chaplins Hauptwerken steckt. Es gibt aber auch einen Begriff von den Kapitalien, die dieser Mann mindestens so nötig wie ein Nansen oder Amundsen braucht, um seine Entdeckungsfahrten nach den Polen der Filmkunst auszurüsten... ((Desweiteren wird hier fälschlicherweise festgestellt, dass ** der eine Chaplin-Film sei, in dem dieser nicht mitspielt. Chaplin hat jedoch - c. bei 10'15'' - einen Cameoauftritt als Gepäckträger!))

    Es ist gut und nützlich, daß im Augenblick, da das Alter sich zum erstenmal in Chaplins Zügen abzeichnet, Soupaults an die Jugend und den territorialen Ursprung seiner Kunst erinnert. Natürlich ist (dieser)...London. "Auf seinen endlosen Gängen durch die Londoner Straßen mit ihren schwarzen und roten Häusern lernte Chaplin beobachten. Er selbst hat erzählt, daß der Gedanke, den Typ des Mannes mit der Melone...und dem Bambusstäbchen in die Welt zu setzen, ihm zum erstenmal beim Anblick der kleinen Angestellten vom Strand kam. Ihm sprach aus dieser Haltung und Kleidung die Gesinnung des Mannes, der etwas auf sich hält. Aber auch die anderen Typen, die ihn in seinen Filmen umgeben, stammen aus London..." An dieses Selbstzeugnis schließt Soupault eine Parallele zwischen Chaplin und Dickens an, die man nachlesen und weiterverfolgen mag... ((Walter Benjamin in "1929. Rückblick auf Chaplin"; zit. v. gutenberg.spiegel.de))

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 30.12.1819 - Geburtstag von Theodor Fontane

    Der folgende Ausschnitt ist der Veröffentlichung Aus England. Studien und Briefe über Londoner Theater, Kunst und Presse. Von Th. Fontane. Verl. v. Ebner & Seubert: Stuttgart 1860 entnommen....

    Unter allen Shakespeare'schen Dramen ist ("Othello") in England das populärste; es wird hier überall gegeben und häufig. Daher mag es kommen, daß die Aufführungen desselben...selbst da mit einer gewissen Tadellosigkeit vorübergehen, wo man sonst nur gewohnt ist, Halbes und Mittelmäßiges zu sehen... (Im Surrey=Theater gab Mr. Creswick) die Titelrolle und hob die Gegensätze zwischen dem harmlosen und dem tigerhaften Naturmenschen, die hinschmelzende Weichheit und die afrikanische Wuth, das noble Vertrauen und den rasch wachsenden Verdacht, in einer Weise hervor, wie sich's von einem Künstler seines Ranges erwarten ließ. Ein paar Worte hab' ich auch über die Emilia zu sagen. Bei uns ist das eine Nebenrolle; hier aber...wird überall, während des vierten und fünften Aktes, diese Rolle zur Hauptsache... Eine Miß Marriott...gastirte als Emilia, auch schon ein Beweis, wie hoch man die Rolle stellt. Miß Marriott war eine große, starke Dame mit blendend weißem Nacken und einer wohltönenden, mächtigen Altstimmme. Alles, was sie in den letzten zwei Akten sprach, war wie ein Sturmläuten gegen hereinbrechenden Verrath. Die bloße Wirkung der Stimme war außerordentlich. Ich sah nun erst klar in dieser Partie; Emilia ist nicht die zufällige Gesellschafterin Desdemona's, sie ist vielmehr deren Gegenstück, ihre Ergänzung. Sie hat den Muth der Treue und geht unter in diesem Kampf, wie eine noble Dogge, die ihren Herrn schützt...

    Das Lyceum=Theater ist ein ziemlich stattliches Gebäude, mit einem säulengetragenen Portikus...; es ist durchaus unenglisch. Während der Saison fällt das nicht auf. Um diese Zeit singen die Italiener ihre Trovatore's und Traviata's in dem hübsch dekorirten Hause mit dem sauber gemalten Vorhang, und Jeder, der sich verführen läßt, für passable Musik einen ungeheuren Preis bei ungeheurer Hitze zu bezahlen, wird Haus, Musik, Künstler und Publikum -- Alles im schönsten Einklang finden. Anders ist es im Winter, wenigstens an den Abenden, wo Shakespeare gegeben wird. Da will Alles nicht recht passen, und allerhand Theaterplunder..., goldbesetzte Sammtmäntel, kokette Frauenzimmer, die laut kichern und zu glauben scheinen, die Bühne sei nichts wie ein Sockel zur besseren Schaustellung aller ihrer Reize; -- all dieser Jammer...macht sich alsdann in störender Weise breit und widert denjenigen an, der um Hamlets und nicht um der ersten besten Blondine willen sein Billet gelöst hat.

    Ich habe Hamlet und Othello in diesem Theater gesehen... Lehrreich waren (mir diese beiden Vorstellungen) im höchsten Grade. Sie gaben mir nämlich Gelegenheit, die Probe zu machen auf eine wenigstens subjektive Richtigkeit der Urtheile, die ich bis dahin, zwischen kontinentalen und englischen Shakespeare=Aufführungen gewissenhaft abwägend, gefällt hatte. Ich leugne nämlich nicht, daß ich allmählig...anfing, die Befriedigung, ja zum Theil die Begeisterung, mit der ich den Vorstellungen im Sadlers=Wells Theater folgte, aus anderen Ursachen herzuleiten als aus dem Werth derselben. Von der Stunde an, wo ich im Lyceum=Theater gewesen war, wußt' ich, daß ich recht hatte, daß es nicht der Reiz des Fremdartigen und Abweichenden, oder die Unvertrautheit mit den Schwächen und Manierirtheiten der Schauspieler gewesen war, was mich im Sadlars=Wells Theater so sehr zu Gunsten der ganzen Truppe gestimmt hatte, sondern daß diese kleine Musterbühne in der That über all das verfügte, was unsern Hoftheatern im Großen und Ganzen fehlt, und >noch wichtiger als das< daß sie denselben negativ überlegen sei durch Nichtbesitz all er großen und kleinen Unausstehlichkeiten, die theils der Affectation entsprießen, theils einem mangelnden Verständniß von dem, worauf es eigentlich ankommt. Mit jeder neuen Scene fühlt' ich mehr und mehr: "Das ist gerade so wie bei uns daheim," und die Schwächen, an denen wir laboriren, wurden mir niemals klarer aufgedeckt. Es wäre unbillig, wenn ich verschweigen wollte, daß das Lyceum=Theater diese Schwächen in einem Grade zur Schau stellte, wie es bei uns nicht wohl möglich ist...

    Die Aufführung des Othello war keine ganz mißlungene... Einzelne Arrangements z. B. in der Trink= und Streitscene, dann das Dazwischentreten Othello's u. dgl. m. war alles untadelhaft. Im fünften Akt befand sich neben der Vertiefung der Nische, in der man das Lager Desdemona's sah, ...ein hohes, breites Balkonfenster, durch das der Vollmond sein helles, ruhiges Licht goß. Dieser Gegensatz zwischen dem Frieden...da draußen und dem wilden Sturm innerhalb des Gemachs kam zu voller Wirkung. Der Othello >Mr. Dillon< wurde brav gespielt. Desdemona >Mrs. Dillon< gab ihre Rolle in einer Weise, daß ich den Othello hätte sehen mögen, der nicht eifersüchtig geworden wäre. Sie lieh ihrer Stimme nichts Ordinaires, auch nichts Unweibliches, aber sehr viel schwach=Weibliches, etwas bedenklich Putzmacherinnenhaftes. Ihr Benehmen...(schien) sagen zu wollen: "allerdings bin ich es gewesen, aber sei vernünftig und verlange nicht, daß ich's bekennen soll." Der Rodrigo wird hier auf allen Bühnen gleich gegeben, er ist die komische Figur, und der Kavalier geht im Narren völlig unter. Die Emilia ähnlich wie im Surrey=Theater, nur nicht so gut... Auch der Jago >Mr. Stuart< im Lyceum=Theater gab nur den ganz trivialen Theater=Bösewicht, hier und da passend, im Allgemeinen aber unpassend, plump, unwahr und ohne alle Durchdringung des Charakters.

    Den Hamlet...konnt' ich nicht ertragen und mußte nach dem ersten Akt das Haus verlassen... (Er) hatte jedenfalls nicht in Wittenberg studirt und war von seines Gedanken Blässe angekränkelt; wär' er ganz dumm gewesen, so hätt' ich ihn vielleicht tolerirt, aber in seiner schnöden Mittelmäßigkeit konnt' ich ihn nicht aushalten... Das Tollste aber war Ophelia. Miß Woolgar, der Liebling des Publikums, maltraitierte diese Rolle. Nach dem Hamlet wurde noch, laut Theaterzettel..., eine Farce (gegeben,) in der Miß Woolgar die Hauptrolle spielt. Dagegen wäre nichts einzuwenden; aber wenn solche Publikums=Favoritin so weit geht, daß sie lacht und durch die Nase gähnt, während ihr Polonius Vorhaltungen macht, und dabei in's Parterre hineinsieht, als wollte sie sagen: "haltet nur aus, ich muß es ja auch aushalten, in zwei Stunden ist alles vorbei, und dann sollt ihr mich sehen, mit Silberflügeln und in Gaze...," so ist das wirklich mehr, als Jemand ertragen kann, der bis dahin gewohnt war, die Ophelia's wenigsten anständig erscheinen zu sehen.

    zit. v. books.google.de

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 31.12.1747 - Geburtstag von Gottfried August Bürger

    Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzuege und lustige Abentheuer des Freyherrn von Muenchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzaehlen pflegt. Aus dem Englischen nach der neuesten Ausgabe uebersetzt (und) hier und da erweitert... London 1786.

    So ein Buechlein...ist freylich weder...Tractatus, noch Commentarius, noch Synopsis, noch Compendium, und es hat keine einzige von allen Classen unserer vornehmsten Academien und Societaeten der Wissenschaften daran Antheil. Wenn es indessen auch weiter nichts thut, als daß es auf eine unschuldige Art zu lachen macht, so braucht...der Vorredner eben nicht gerade...in Mantel, Kragen und Stutzperuecke aufzutreten, um es dem geneigten Leser ehrbarlich zu empfehlen. Denn es ist alsdann, so klein und frivol es immer scheinen mag, leicht mehr werth, als eine ganze große Menge dickbeleibter ehrenvester Buecher, wobey man weder lachen noch weinen kann, und worin weiter nichts steht, als was in hundertmal mehr andern dickbeleibten ehrenvesten Buechern laengst gestanden hat...

    ... Hierauf ging alles gut, bis ich nach Rußland kam, wo es eben nicht Mode ist, des Winters zu Pferde zu reisen... So nahm ich dort einen kleinen Rennschlitten auf ein einzelnes Pferd und fuhr wohlgemuth auf St. Petersburg los... Es war mitten in einem fuerchterlichen Walde, als ich einen entsetzlichen Wolf, mit aller Schnelligkeit des gefraeßigsten Winterhungers hinter mir ansetzen sah. Er hohlte mich bald ein; und es war schlechterdings unmoeglich, ihm zu entkommen. Mechenisch legte ich mich platt in den Schlitten nieder und ließ mein Pferd zu unserm beiderseitigen Besten ganz allein agiren. Was ich...kaum zu hoffen...wagte, das geschah unmittelbar. Der Wolf...sprang ueber mich hinweg, fiel wuethend auf das Pferd, ...und verschlang...den ganzen Hintertheil des armen Thieres, welches vor Schrecken und Schmerz nur desto schneller lief. Wie ich nun...gut davon gekommen war, so erhob ich ganz verstohlen mein Gesicht und nahm mit Entsetzen wahr, daß der Wolf sich beynahe ueber und ueber in das Pferd hineingefressen hatte... Er strebte mit aller Macht vorwaerts; der Leichnam des Pferdes fiel zu Boden, und siehe! an seiner Statt steckte mein Wolf in dem Geschirre. Ich...hoerte nun noch weniger auf zu peitschen, und wir langten in vollem Galopp gesund und wohlbehalten in St. Petersburg an...

    Ich will Ihnen, meine Herren, mit Geschwaetz von...den Kuensten, Wissenschaften und andern Merkwuerdigkeiten dieser praechtigen Hauptstadt Rußlands keine lange Weile machen; vielweniger Sie mit allen Intriguen und lustigen Abentheuern der Gesellschaften...unterhalten. Ich halte mich vielmehr an...edlere Gegenstaende Ihrer Aufmerksamkeit, nehmlich an Pferde und Hunde...; ferner an Fuechse, Woelfe und Baeren, von welchen...Rußland einen groeßern Ueberfluß, als irgend ein Land auf Erden hat; endlich an solche Lustparthien, Ritteruebungen und preisliche Thaten, welche den Edelmann besser kleiden, als ein Bischen muffiges Griechisch, und Latein, oder alle Riechfaechelchen, Klunkern und Capriolen franzoesischer Schoengeister...

    Eines Morgens sah ich durch das Fenster meines Schlafgemachs, daß ein großer Teich...mit wilden Enten gleichsam ueberdeckt war. Flugs nahm ich mein Gewehr aus dem Winkel, sprang zur Treppe hinab, und das so ueber Hals und Kopf, daß ich...mit dem Gesichte gegen die Thuerpfoste rennte. Feuer und Funken stoben mir aus den Augen; aber das hielt mich keinen Augenblick zurueck. Ich kam bald zum Schuß, allein wie ich anlegte, wurde ich...gewahr, daß durch den so eben empfangenen heftigen Stoß sogar der Stein von dem Flintenhahne abgesprungen war... Gluecklicher Weise fiel mir ein, was sich so eben mit meinen Augen zugetragen hatte. Ich riß also die Pfanne auf, legte mein Gewehr gegen das wilde Gefluegel an und ballte die Faust gegen eins von meinen Augen. Von einem derben Schlage flogen wieder Funken genug heraus, der Schuß ging los, und ich traf fuenf Paar Enten, vier Rothhaelse, und ein Paar Wasserhuehner. Gegenwart des Geistes ist die Seele mannhafter Thaten...

    Einst, als ich alle meine Bley verschossen hatte, stieß mir ganz wider mein Vermuthen, der stattlichste Hirsch von der Welt auf. Er blickte mir so, mir nichts, dir nichts, ins Auge, als ob ers auswendig gewußt haette, daß mein Beutel leer war. Augenblicklich lud ich indessen meine Flinte mit Pulver und darueber her eine ganze Hand voll Kirschsteine, wovon ich, so hurtig sich das thun ließ, das Fleisch abgesogen hatte. Und so gab ich ihm die volle Ladung mitten auf seine Stirn zwischen das Geweyhe. Der Schuß betaeubte ihn zwar -- er taumelte -- machte sich aber doch aus dem Staube. Ein oder zwey Jahre darnach war ich in eben demselben Walde auf der Jagd; und siehe! zum Vorschein kam ein stattlicher Hirsch, mit einem vollausgewachsenen Kirschbaume, mehr denn zehn Fuß hoch, zwischen seinem Geweyhe. Mir fiel gleich mein voriges Abentheuer wieder ein; ich betrachtete den Hirsch als mein laengst wohl erworbenes EIgenthum, und legte ihn mit einem Schusse zu Boden, wodurch ich denn auf einmal an Braten und Kirschtunke zugleich gerieth. Denn der Baum hing reichlich voll Fruechte, die ich in meinem ganzen Leben so delicat nicht gegessen hatte...

    Was sagen Sie zum Exempel vom folgenden Casus? -- Mir waren einmal Tageslicht und Pulver in einem pohlnischen Walde ausgegangen. Als ich nach Hause ging, fuhr mir ein ganz entsetzlicher Baer, mit offenem Rachen, bereit mich zu verschlingen, auf den Leib. Umsonst durchsuchte ich in der Hast alle meine Taschen nach Pulver und Bley. Nichts fand ich, als zwey Flintensteine, die man auf einen Nothfall wohl mitzunehmen pflegt. Davon warf ich einen aus aller Macht in den offenen Rachen des Ungeheuers, ganz seinen Schlund hinab. Wie ihm nun das nicht allzuwohl deuchten mochte, so machte mein Baer links um, so daß ich den andern nach der Hinterpforte schleudern konnte. Wunderbar und herrlich ging alles von Statten. Der Stein fuhr nicht nur hinein, sondern auch mit dem andern Steine im Magen dergestalt zusammen, daß es Feuer gab und den Baer mit einem gewaltigen Knalle auseinander sprengte. Man sagt, daß so ein wohl applicirter Stein a posteriori, besonders wenn er mit einem a priori recht zusammen fuhr, schon manchen baerbeißigen Gelehrten...in die Luft sprengte. -- Ob ich nun gleich diesmal mit heiler Haut davon kam, so moechte ich...doch eben nicht noch einmal...mit einem Baer, ohne andere Vertheidigungsmittel, anbinden... ....

    zit. v. deutschestextarchiv.de

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  • 01.01.1823 - Geburtstag von Sandor Petöfi

    Toast beim Sautanz Mäuler und Ohren auf! / Paßt auf, fein still, / Weil ein gewichtig Wort / Ich reden will!

    Vernehmt, was jetzt mein Mund / Verkündet euch, / Und auch der Himmel hör' / Es gnadenreich!
    Lang spinne sich -- lang, wie / Die Würste dort -- / An unsrem Lebensrad / Der Faden fort!

    Wie wir jetzt schmunzeln nach / Dem Braten hier, / So lächle das Geschick / Und für und für!
    Es überschütte uns / Mt seiner Gnad' / Wie's hier den Brei mit Schmalz / Beflutet hat!

    Und hält sein grimmes Mahl / Der Tod zuletzt, / Der, zu verspeisen uns, / Sich niedersetzt:
    Dann mög' ein Riesenkloß / Der Himmel sein, / War aber seien bloß / Das Füllsel drein!

    Das geraubte Rosz Dem Sandkorn gleich, jagt es / Der Sturmwind fort, -- / Fliegt auf dem Roß dahin / Der Bursche dort.
    "Woher in solcher Eil', / Gevatter, sprich?" / "Von jener Pußta holt' / Ich was für mich!

    Gar munter weidet dort / Just das Gestüt, / Dies braune Füllen da / Nahm ich mir mit!
    Zum Turer Markt ist's ja / Von hier nicht weit, / Das Rößlein bring' ich hin / Zu Markt noch heut!"

    "Gevatter, Landsmann, halt! / Ich sage nein! / Gent mir's nur gleich zurück, / Das Roß ist mein!
    Denn mein ist das Gestüt / Auf jenem Fleck, / Und mir habt ihr geraubt / Dies Füllen weg!"

    Der Bursche aber hört / Nicht auf das Wort, / Und weiter auf dem Pferd / Sprengt er sofort.
    Dann wendet er sich doch / Noch einmal um: / "O seid mir, bester Herr, / Nicht böse drum!

    Verschmerzen könnt Ihr leicht / Dies eine Pferd, / Sind doch so viele ja / Euch noch beschert!
    Ich aber nannte nur / Ein Herze mein, / Und das hat mir geraubt / Eu'r Töchterlein!"

    Die Waldschenke Warum nach der Schenk' im Walde / Zieht's, mein Rößlein, immer? / Kehr' doch um, -- das arme Liebchen / Finden wir dort nimmer.

    Böse Schenke! Deinen Anblick / Kann ich nicht ertragen: / Hast dem Burschen Wein gegeben, / Der mein Lieb erschlagen!

    Auf der Donau Wie oft, du stolzer Strom, verwundet deine Brust / Des Bootes scharfer Kiel, des Sturmes wilde Lust!
    Wie ist die Wunde tief, wie tief ist da der Schmerz, / Wie schneidet's da so weh und grausam dir ins Herz!

    Und doch, -- enteilt das Schiff und schweigt des Sturmes Wut, / Dann ist die Wunde heil, und alles, alles gut.
    Fürs Menschenherz jedoch, ward einmal es verwundet, / Gibt's keinen Balsam mehr, durch den es je gesundet!

    Geigenklang und Flötenton und Zimbalschlag, / Gibt's noch einen, den da Leid bedrücken mag?
    Ei, der bringe alle Trübsal rasch zum Schweigen, / Eh noch wir dazu den rechten Weg ihm zeigen!
    Denn der Kummer ist ein bitterböser Gast, / Der uns gleich an unsrem Blut und Leben faßt,
    Und der Gram ein Wurm, der nagt an unsrem Herzen, / Wegzuspülen nur mit Wein und auszumerzen!

    Wein ist Leben, Wein ist Feuer, wie der Kuß! / Küsse, Mädchen, weil ich Küsse haben muß!
    Heiß sind deine Küsse wie der Sonne Glühen, / Das den kahlen Baum des Lebens macht erblühen!
    Nur am frischen Zweige sprießen Blätter grün, / Ohne solchen Schmuck werf' auch den Zweig ich hin.
    Den entlaubten Stamm, den dürren, blätterarmen, / Fegt der Sturmwind "Tod" von hinnen, ohn' Erbarmen!

    "Tod", ein schweres, dunkles Rätsel! Weder Zeit / Noch der Witz des Menschen wüßte da Bescheid!
    Ist mir Segen, Fluch beschieden nach dem Leben? / Gibt's ein Jenseits? Wird's da Wein und Liebe geben?
    Doch, was scher' ich mich s viel um Grabesnacht? / Froh genieß' ich, was das Leben heiter macht!
    Und was wäre da, als Wein und Mädchen feiner? / Wein und Mädchen sollen leben! -- Spiel', Zigeuner! ((dt. v. Ign.Schnitzer; 1839/1921))

    zit. v. zeno.org

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  • 04.01.1785 - Geburtstag von Jakob Grimm

    = = > > aus "Über den altdeutschen Meistergesang*. Von J. G. Verl. H.Dieterich: Goettingen 1811" = = > >
    >* Meinen zwei lieben Bruedern Wilhelm u. Ferdinand G. zugeeignet aus Liebe, Treue und Einigkeit.<

    ((letztendlich habe ich mich - mal wieder - dazu entschlossen, die hier zahlreich vorgenommenen Auslassungen und Umstellungen nicht zu kennzeichnen; J.Grimms Ausdrucksweise und Orthographie ist jedoch unverändert übernommen. / wesW))

    Schon lange vordem, ehe das in Deutschland zu gelten anfing, was in meiner ganzen Abhandlung unter dem Meistergesang verstanden wird, waren Gesaenge und Saenger. Was die Gesaenge angeht, so zeigte sich ih ihnen ein hoechst einfoermiges Gebaeude; wir haben wenig Gruende zu bezweifeln, daß die Weisen von vier langen Zeilen das alte und recht volksmaeßige Maas gewesen, aber wir duerfen dieß nicht auf die epischen Lieder beschraenken. Auch alte Minnelieder, und gewiß im zwoelften Jahrhundert, haben sich darin bewegt.

    Gegen das dreizehnte Jahrhundert hin, bis wo man nichts als die Laute alter Heldenlieder gehoert, erschallt auf einmal ein wunderbares Gewimmel. Von weitem meinen wir denselben Grundton zu vernehmen, treten wir aber naeher, so will keine Weise der andern gleich seyn. Tausend reine Formen liegen dahin gebreitet, grell froehlich an einander gesetzt, gar selten vermischt. Diese Dichter haben sich selbst Nachtigallen genannt*, und gewißlich konnte man auch durch kein Gleichniß, als das des Vogelsangs, ihren ueberreichen Ton besser ausdruecken. (* ich begnuege mich hier an Gottfried's von Straßburg bekannte Stelle im Tristan zu erinnern. An einen Unterschied zwischen Meistern und Minnes. denkt aber der Dichter nicht, ja er nennt die Nachtigall von der Vogelweide selber eine Meisterinne, wenn auch im allgemeinen Sinn.)

    Aus diesem Bestehenden ging nun ein Neues hervor, wohin schon der Name selber weist. Der innere Grundbau der Lieder wurde hervorgehoben, und ihnen zugleich eine Fuelle der Entfaltung gelassen, weßhalb man denn die alten Meisterlieder einmal fester und strenger, dann auch freier und gewandter als den Volksgesang erkennen muß. Andrerseits blieb die persoenliche Sitte bestehen, die Meistersinger lebten an den Hoefen, und wandten ihre Kunst auf den Lohn des Fuersten, nur ist entscheidend, daß sich die Dichter eben ihres Kunstmaeßigen, Eigenthuemlichen bewußt werden* und sich darum auf einer hoehern Stufe glauben mußten, um so mehr als vermuthlich die Lebensart der Volkssinger in der oeffentlichen Achtung gesunken war. (* Conrad von Wirzburg°° singt: "Edelsang sey eine innerliche Kunst, die nicht gelchrt werden koenne, sondern von selber kommen muesse.") ((°° um 1225 Würzburg - 1287 Basel))

    Das Verfeinern der Form wurde befoerdert und veranlaßt durch einen laengst zeitigen Hang zu dem subjektiven, lyrischen Prinzip. Die Zeit stand mitten in zwischen der rastlosen Heldenthaetigkeit und dem ernsten Niedersetzen des Geistes; es war eine sehnende seelige Bewegung des Gemueths, das sich ueber sich selbst zu besinnen anfing und an seiner Zierde und Pracht ein reines Wohlgefallen trug.

    Regel und Meister gab es mit dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts schon genug und dafuer haben wir gluecklicherweise mittelbare Documente uebrig. Die Verherrlichung der Gegenwart schien viel reitzender, als er todten Helden Thaten und Ruhm, die Poesie wurde lebendiger und ins Leben eingreifender, so wie das Verdienst der Person des Dichters ehrenvoller war. In Staedten, auf dem Lande mag der Minnegesang wenig Eingang gefunden haben, und wiederum verschmaehten es die meisten Hofdichter, sich durch Ergoetzung des ungebildeten Volks gleichsam zu erniedrigen. Diesem mußten die Liebesklagen zu fein und gestaltlos vorkommen, wie haette es fuer allegorische Deutung, Gelehrsamkeit und Tiefe Sinn gehabt?

    Die zweite Epoche ist erst im vierzehnten Jahrhundert besonders hervorgegangen. Die Fuersten ermueden die Minnelieder nach und nach, das Volk kann sie nicht brauchen. Die Meister klagen ueber den Verfall des hoefischen Sangs, die Loblieder auf die Fuersten und Herren gerathen immer haeufiger, schmeichelnder und gezierter, je schlechter sie bezahlt werden. Die Lust, große Romane zu reimen, verliert sich, aber die Lust, den Weltlauf zu ergruenden, die goettlichen und menschlichen Dinge zu betrachten wird immer reger. Dabei versieht sich von selbst, daß (die Dichter) die Form der Worte aufs hoechste trieben und durch deren geheimnißvolle Stellung das Geheimißreiche zu ehren strebten, eben so glaublich ist es, daß sie ihre aeußerliche Verbindung unter einander in manchen Ceremonien zu befestigen suchten. Man darf die im vierzehnten Jahrhundert erschienenen Meisterlieder nicht sogleich schlecht heißen, noch weniger ihre Verfasser heruntersetzen.

    In der dritten Epoche, welche ich vom funfzehnten Jahrhundert bis ans Ende rechne, wies es sich nun noch deutlicher aus, daß fuer die Meisterpoesie die Zeit des Hoflebens und Wanderns vorueber war, denn es hatten die Fuersten den Meistern alle Gunst entzogen. Dagegen gerith die Kunst in den Buergerstand allmaelig herab, nicht als ob vorher keine Buerger derselben theilhaftig gewesen, sondern weil jetzo eine Menge aus diesem Stande sie umfaßten und bluehender als je machten.

    Nirgends haette der sinkende Meistergesang so lange gehalten, wenn er nicht in die deutschen Staedte gelangt waere, wo die wohlhabenden Buerger es sich zur Ehre ersahen, daß sie die Kunst einiger ihrer Vorfahren nicht ausgehen ließen, und bald war sie durch eine Menge Theilnehmer in Ansehen und Foermlichkeit gesichert*. Von den tiefen, subtilen Forschungen wandte sich der einfache Sinn allmaelig ab und hielt sich an die Darstellung von Wahrheiten der heiligen Schrift und leichter Allegorien. In den protestantischen Staedten, den Hauptsitzen des spaeteren Meistersangs, kam die Reformation hinzu, die ueberall reines Haus haben wollte, es wurden daher weltliche Gegenstaende durch Sitte oder vielleicht selbst in einigen Ordnungen vom Gesang ausgeschlossen. Man darf aber durchaus nicht diese Einschraenkung aus dem Princip des Meistergesangs ableiten, dem sie nur aufgedrungen war; wir haben sogar nicht wenig wirkliche Meisterlieder aus der letzten Zeit, welche von Liebe oder lustigen Spaeßen handeln. Wenn das auch nicht gern auf den Schulen oeffentlich abgesungen wurde, so schrieben es doch zu Haus die Meister in ihre Buecher mitten unter die andern. (* Hans Sachs soll den Meistergesang so aufgebracht haben, daß mit ihm 250 zu Nuernberg gewesen.)

    zit. v. deutschestextarchiv.de

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 09.01.1876 - Geburtstag von Hans Bethge

    Oshikoshi no Mitsune (Japan, 898/922) Trübsinn Du flohest in die Berge, voller Haß / Gegen die Welt. Wenn in den Bergen nun
    Dich auch der dunkle Trübsinn überfällt, - / Wohin dann willst du weiter fliehn, o Freund?

    Dschami (Persien, 1414/1492) Erkenntnis Gottes
    Demütig lerne Gottes Wesen aus / Dem Wesen Gottes selber, nimmermehr / Aus klügelnden Beweisen zu erfassen.
    Sind etwa Fackel oder Kerze nötig, / Um dich den Glanz der Sonne sehn zu lassen?

    Omar Kahayyam (Persien, 1048/1131) Von der Freiheit
    Weißt du, o Freund, warum wir die Zypresse / Den Baum der Freiheit nennen und die Lilie / Der Freiheit Blume heißt? Wohl hundert Arm
    Von stolzem Wuchs hat die Zypresse, dennoch / Greift sie nicht zu. Zehn Blütenblätter hat / Die Lilie, das sind Zungen, dennoch redet
    Sie nicht ein Wort. Ahnst Du, was Freiheit ist?

    Sa'di (Persien, c. 1210/1290) An den Leser Aus vielen fernen Ländern kehrt ich heim: / Aus Indien, Arabien, Ägypten.
    Wer aus Ägypten heimkehrt, der bringt Zucker / Den Freunden mit als süßes Angebinde.
    Ich habe keinen Zucker mitgebracht, / Doch Verse, die noch süßer sind als Zucker:
    Sie laben zwar die Zunge nicht, die eitle, / Wohl aber Deinen Geist, der ewig ist.

    Der Pilger Ein Frommer, der nach Mekka pilgerte, / Warf sich im Laufe seiner strengen Wallfahrt / Zahllose Male nieder zum Gebet.
    Wenn sich, indes er wanderte, ein Dorn / In seinem Fuß vergrub, ließ er ihn stecken / Und wallte weiter, als verspürt' er nichts.

    Er litt jedoch in seinem frommen Dünkel, / Es schien ihm gut und edel, was er machte, / Stolz war er auf sein Tun, der Törichte.
    Er meinte, daß er Gottes Wege schreite; / Da, eines Tages, jählings, drang es warnend / Von unsichtbarem Munde an sein Ohr:

    "Du strenger Mann der Pflicht, meinst du denn wirklich, / Gebet und Andacht und Sichquälen seinen / Die wahren Opfer auf des Herrn Altar?
    Viel lieber als ein Leib, der tausendmal / Sich niederwirft, ist unserm Gott ein Herz, / Das wohlzutun und Glück zu spenden weiß."

    Kalidasa (Indien, um 400) Sommer Der Duft nach Sandel, den die seidnen Fächer / Über die Brüste schöner Frauen wehn,
    Die Perlen auf der braunen Haut, Gesänge, / Der Klang der Harfen und das Lied der Vögel -
    Das alles weckt den Gott der Liebe auf, / Und neue Lust und neue Qual beginnt.

    Bhartrihari (Nordindien, um 500) Viel lieber...
    laß ich mich von einer Schlange, / Von einer länglichen, beweglichen, / Die bläulich schimmert wie die Lotusblumen, / Anblicken als von eines Weibes Aug, / Das auch so blau erstrahlt: Bin ich gebissen, / So find ich sicher einen Arzt, der gerne / Mich heilen wird; wer aber heilt mich wohl / Vom Liebesblicke einer schönen Frau?

    Nizami (Persien, 1141/1209) Jesus und der tote Hund
    Als Jesus, der auf Erden wanderte, / Dereinst an einem Markt vorüberkam, / Sah er am Wege einen toten Hund.

    Es standen viele Menschen um die Leiche. / Sie plauderten. Der eine sagte mürrisch: / "Pfui, der Gestank verpestet uns das Hirn."
    Ein andrer sagte: "Solch ein Aas bringt Unglück." / Und ähnlich schwatzten alle. Jeder schmähte / Auf seine Art das tote Hundetier.

    Da öffnete auch Jesus seinen Mund / Und sagte ruhig und in großer Güte: / "Seht, seine Zähne leuchten schön wie Perlen . . ."
    Wie da verstummten die Umstehenden / Und heiße Scham ihr Inneres durchrann / Und sie heimschlichen mit gesenkten Häuptern.

    zit. v. yinyang-verlag.de

    Bethges Nachdichtungen haben neben Gustav Mahler ("Das Lied von der Erde") noch zahlreiche andere Komponisten zu Vertonungen inspiriert! Erwähnt seien hier nur Walter Braunfels, Gottfried von Einem, Hans Eisler, Ernst Krenek, Bohuslav Martinu und Krzysztof Penderecki... Auf Bethges Textsammlung "Die chinesische Flöte" (der Quelle, der sich Mahler bediente) geht übrigens auch "Von Apfelblüten einen Kranz" (aus F.Lehars 'Land des Lächelns') zurück - nur dass im Original von Birnenblüten die Rede ist.....

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 12.01.1876 - Geburtstag von Jack London

    Die Story The Apostate ist Bestandteil seiner 1911 erschienenen Sammlung When God Laughs. Die erste deutsche Übersetzung - aus der hier einige Passagen wiedergegeben sind - findet sich 1929 im Auswahlband "Nur Fleisch" (Verl. Peter J. Oestergard G.m.b.H., Berlin-Schöneberg).

    Das amerik. Original ist mit diesem Zitat eingeleitet: "Now I wake me up to work; / I pray the Lord I may not shirk. / If I should die before the night, / I pray the Lord my work's all right. / Amen."

    ... seine Arbeit erforderte keine Bewegung, nichts, was seine Gedanken erregte, und er träumte immer weniger, während seine Seele träge und schläfrig wurde. Dennoch verdiente er zwei Dollar wöchentlich, und die zwei Dollar trennten ihn von akutem Hunger und chronischer Unterernährung. Mit neun Jahren aber verlor er diese Stellung. Die Masern waren schuld daran. Als er wieder gesund war, erhielt er Arbeit in einer Glasfabrik. Der Lohn war höher, und die Arbeit erforderte eine gewisse Tüchtigkeit. Es war Akkordarbeit, und je tüchtiger er war, um so höher war sein Lohn. Hier hatte er einen Ansporn zur Arbeit, und unter diesem Ansporn entwickelte er sich zu einem ausgezeichneten Arbeiter. Es war eine einfache Arbeit - die Befestigung von Glaspropfen auf kleinen Flaschen. Am Gürtel trug er eine Rolle Bindfaden. Die Flaschen hielt er zwischen den Knien, so daß er mit beiden Händen arbeiten konnte, und in dieser Stellung saß er zehn Stunden täglich, die mageren Schultern hochgeschoben und die Brust eingeengt. Es war nicht gesund für die Lunge, aber er schaffte dreihundert Dutzend Flaschen täglich.

    Der Fabrikleiter war sehr stolz auf ihn und benutzte ihn als Schauobjekt für Besucher. Im Laufe von zehn Stunden gingen dreihundert Dutzend Flaschen durch seine Hände. Das heißt, daß er tatsächlich die Vollkommenheit einer Maschine erlangt hatte. Alle Bewegungen, die eine Vergeudung von Kräften bedeuteten, waren beseitigt. Jede Bewegung der mageren Arme, jede Bewegung in den Muskeln der dünnen Finger war schnell und genau. Er arbeitete unter beständigem Hochdruck, und das Ergebnis war, daß er nervös wurde. Nachts arbeiteten seine Muskeln weiter, und am Tage konnte er sich nie von der inneren Erregung befreien und sich ausruhen. Er blieb dauernd bis zum äußersten angespannt, und seine Muskeln arbeiteten weiter. Er wurde gelb und blaß...

    Es hatte mehrere große Ereignisse in seinem Leben gegeben. Eines davon war gewesen, wie seine Mutter einige kalifornische Pflaumen kaufte. Die beiden anderen Male hatte sie Creme für die Kinder bereitet. Das waren wirklich Ereignisse gewesen. Er erinnerte sich ihrer mit Freundlichkeit. Und einmal hatte seine Mutter ihm von einem ganz wunderbaren Gericht erzählt, das sie ihnen einmal machen wollte - "Götterspeise" hatte sie es genannt - etwas, das "viel besser als die Creme" war. Mehrere Jahre lang hatte er sich auf den Tag gefreut, da er sich an den Tisch setzen und Götterspeise essen sollte - bis er schließlich den Gedanken als eines der unerreichbaren Ideale beiseite schob.

    Einmal fand er fünfundzwanzig Cent auf dem Bürgersteig. Das war auch ein großes Ereignis in seinem Leben - aber ein tragisches. Im selben Augenblick, als er die Silbermünze erblickte, noch ehe er sie aufgehoben hatte, wußte er, was seine Pflicht war. Zu Hause hatte sie wie gewöhnlich nichts zu essen, und er hätte das Geld heimbringen sollen, wie er es an jedem Sonnabend mit seinem Wochenlohn tat... Er versuchte nicht, sich etwas vorzumachen. Er wußte, daß es Sünde war, und er sündigte mit voller Überlegung, als er ganze fünfzehn Cent für Bonbons gebrauchte... In der Erinnerung erschien ihm dieses Ereignis immer noch als die einzige große verbrecherische Tat seines Lebens, und wenn er daran dachte, erwachte stets sein Gewissen wieder und quälte ihn. Es war der einzige dunkle Punkt seines Lebens. Seine Veranlagung ließ ihn stets mit Bedauern auf diese Tat zurückblicken...

    Es gab noch eine Erinnerung an die Vergangenheit, unklat und verblichen, aber für alle Ewigkeit seiner Seele durch die grausamen Füße seines Vaters eingehämmert. Es war mehr ein böser Traum als die Erinnerung an etwas wirklich Erlebtes... (Er) machte ihn stets ganz wach, und in dem Augenblick, wenn das erste würgende Gefühl von Angst ihn überkam, war ihm, als läge er quer über dem Fußende des Bettes. Im Bett konnte er undeutlich die Umrisse seines Vaters und seiner Mutter unterscheiden. Er wußte nicht, wie sein Vater ausgesehen hatte. Er hatte nur einen einzigen Eindruck von seinem Vater, und der war, daß er sehr harte und schonungslose Füße hatte...

    Er bewahrte alle Erinnerungen aus seinen frühesten Jahren, aus seinen späteren aber besaß er keine. Ein Tag war wie der andere. Gestern oder vorgestern war dasselbe wie tausend Jahre - oder eine Minute. Es geschah nie etwas. Es gab keine Ereignisse, die den Flug der Zeit angegeben hätten. Die Zeit flog überhaupt nicht. Sie stand immer still. Nur sie wirbelnden Maschinen bewegten sich...

    Seinen sechzehnten Geburtstag feierte er damit, daß er in die Websstube versetzt wurde, wo man ihn an einen eigenen Webstuhl setzte... Er war noch nicht zwei Jahre (dort), als er schon mehr Ellen produzierte als jeder andere Weber und mehr als doppelt so viel wie die weniger tüchtigen. Zu Hause begannen sich die Verhältnisse auch zu bessern, da er ungefähr den Wochenlohn eines Erwachsenen verdiente. Nicht, daß sein größerer Verdienst ihm je mehr als das Notwendigste verschafft hätte. Die Kinder wuchsen heran. Sie aßen mehr. Sie gingen zur Schule, und Schulbücher kosten Geld. Und wie dem nun war oder nicht war, je mehr er arbeitete, desto höher stiegen die Preise von allem. Selbst die Miete stieg, obwohl das Haus immer mehr verfiel...

    ...nachdem er ein paar Löffel voll gegessen hatte, fügte er hinzu: "Ich glaube, ich habe heute abend keinen Hunger." Er...schob seinen Stuhl zurück und erhob sich müde vom Tisch... Er schleppte die Füße noch mehr als gewöhnlich nach, als er durch die Küche ging. Sich zu entkleiden, bedeutete eine...ungeheure Abrackerei für ihn, und er weinte vor Schrecken, als er, noch mit einem Schuh, ins Bett kroch. Er hatte das Gefühl, als...schwölle etwas in seinem Kopf und machte sein Hirn dickflüssig. Seine mageren Finger fühlten sich ebenso dick an wie sein Handgelenk, und in den Fingerspitzen hatte er ein Gefühl, als gingen sie ihn nichts an, und als wären sie ebenso unbestimmt und dickflüssig wie sein Hirn. Seine Lenden schmerzten unerträglich. Jeder Knochen in seinem Körper schmerzte. Und in seinem Kopfe begann es zu kreischen und zu klopfen, zu knarren und zu poltern wie von Millionen Webstühlen... ... ((dt. v. E.Magnus; 1881/1947))

    zit. v. projekt-gutenberg.de

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 18.01.1689 - Taufe von (Baron de La Brede de) Montesquieu

    aus "Schriften von M., ...als ein Nachtrag zu seine Werken herausgegeben. Uebersetzt von Elieser Gottlieb Küster... C.H.Richter: Altenburg 1798"

    Für die folgende kleine Zusammenstellung (v. a. deren Anordnung!!) aus dem Abschnitt Sammlung einzelner Gedanken des obigen Buches ist der Kalendermann - ob's ihm nun behagt oder nicht - alleinig verantwortlich :)

    Es entstehen eben so viele Laster daher, wenn man sich nicht genug schätzt, als wenn man sich zu sehr schätzt. / / / Sehnsucht ist eine Fessel, die alle unsere Vergnügen lähmt. / / / Ich mag die Bauern wohl leiden; sie sind nicht gelehrt genug, um verkehrte Schlüsse zu machen.

    Das Studiren ist für mich das allgemeine Mittel wider den Ueberdruß des Lebens gewesen, und nie habe ich eine verdrießliche Laune gehabt, die ich nicht durch ein einstündiges Lesen verscheucht hätte.

    Ich begreife nicht, wie die Fürsten so leicht glauben können, daß sie Alles seyen, und wie das Volk so geneigt seyn kann zu glauben, daß es nichts sey. / / / Wenn man nach Witz haschet, so erhascht man oft Aberwitz. / / / Nie muß man turch Befehle und Verordnungen etwas auszurichten suchen, was man durch Beyspiel und gute Sitten ausrichten kann.

    Für nichts und wieder nichts zu lachen, und jedes noch so kleinliche Stadtgeschichtchen aus einem Hause in das andere zu tragen, heißt jetzt Welt = und Menschenkenntniß. Man fürchtet diese zu verlieren, wenn man sich auf andere Kenntnisse legte.

    Sophokles, Euripides, Aeschylus, haben gleich Anfangs die Art und Weise der Erfindung zu einer so vorzüglichen Stuffe gebracht, daß wir seitdem an den Regeln, die sie uns hinterlassen haben, und die sie ohne eine vollkommene Kenntniß der Natur und der Leidenschaften nicht festsetzen konnten, nichts geändert haben. / / / Virgil, der dem Homer in Ansehung der Größe und Mannigfaltigkeit der Charaktere, so wie in Rücksicht auf die vorteffliche Erfindung nachsteht, kommt ihm in Ansehung der Schönheit der Dichtkunst völlig gleich. / / / Cicero ist, meiner Meinung nach, einer der größten Köpfe, die die Welt je gesehen hat.

    Wenn man nichts weiter als glücklich seyn wollte, so wäre das Ding leicht gethan; aber man will glücklicher seyn, als Andere, und da findet denn die Sache fast immer große Schwierigkeiten, weil wir glauben, daß Andere glücklicher seyen, als sie es wirklich sind.

    Spöttereien sind Reden, wodurch man seinem Verstande auf Kosten seines guten Herzens ein Kompliment macht. / / / Meine Tochter sagte sehr richtig: Rauhe Sitten sind nur das erste mal rauh. / / / Die Frömmeley findet Gründe, böse Thaten zu begehen, auf welche ein Mensch von gemeiner Rechtschaffenheit nie verfallen würde.

    Um die Menschen richtig zu beurtheilen, muß man die Vorurtheile ihrer Zeiten kennen. / / / Immer habe ich bemerkt, daß, wenn man in der Welt gut fortkommen will, man einfältig aussehen, und als ein Weiser handeln muß. / / / Ich sagte zu Madame du Chatelet: Sie enthalten sich des Schlafs, um die Philosophie zu studiren, man sollte vielmehr die Phillosophie studiren, damit man den Schlaf beförderte.

    Sehe ich einen Mann von Verdiensten, so suche ich ihn nie anzutasten; einen mittelmässigen Menschen, der nur einige gute Eigenschaften hat, und doch dabei etwas vorstellen will, pflege ich wohl auf die Zähne zu fühlen und ihn ein wenig aus der Fassung zu bringen.

    Den meisten Fürsten und Ministern fehlt es am guten Willen nicht; sie wissen nur ihre Sachen nicht recht anzufangen. / / / Zweierlei Arten von Menschen: denkende und unterhaltende. / / / Leute, die viel Verstand haben, laufen oft Gefahr, Alles mit Verachtung anzusehen.

    Bey Allen, wo es auf Staat, Schmuck oder Aufwand ankommt, muß man immer etwas weniger thun, als man thun kann. / / / Sein Vermögen muß man als seinen Sklaven betrachten; aber man muß auch seinen Sklaven nicht zu Grunde richten.

    zit. v. archive.org

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 21.01.1872 - Todestag von Franz Grillparzer

    I. F. einige Passagen vom Beginn seiner (1831 u. 42 geschriebenen, 1848 erstveröffentlichten) Novelle Der arme Spielmann. Brigittenau ist der heutige 20. Wiener Gemeindebezirk - dort befindet sich auch eine an diese Zeilen erinnernde Spielmanngasse --- --- Zwei offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend bereinigt....

    (Am Sonntag nach dem Vollmonde im Monat Juli jedes Jahres) feiert die mit dem Augarten, der Leopoldstadt, dem Prater in ununterbrochener Lustreihe zusammenhängende Brigittenau ihre Kirchweihe... Wald und Wiese, Musik und Tanz, Wein und Schmaus, Schattenspiel und Seiltänzer, Erleuchtung und Feuerwerk (vereinigen sich zu einem) pays de cocagne, einem Eldorado, einem eigentlichen Schlaraffenlande...

    (Jedes Volksfest ist mir) ein eigentliches Seelenfest, eine Wallfahrt, eine Andacht. Wie aus einem aufgerollten, ungeheuren, dem Rahmen des Buches entsprungenen Plutarch, lese ich aus den heitern und heimlich bekümmerten Gesichtern, dem lebhaften oder gedrückten Gange, dem wechselseitigen Benehmen der Familienglieder, den einzelnen halb unwillkürlichen Äußerungen, mir die Biographien der unberühmten Menschen zusammen, und wahrlich! man kann die Berühmten nicht verstehen, wenn man die Obskuren nicht durchgefühlt hat. Von dem Wortwechsel weinerhitzter Karrenschieber spinnt sich ein unsichtbarer, aber ununterbrochener Faden bis zum Zwist der Göttersöhne, und in der jungen Magd, die halb wider Willen, dem drängenden Liebhaber seitab vom Gewühl der Tanzenden folgt, liegen als Embryo die Julien, die Didos und die Medeen...

    Ich hatte mich dem Zug der Menge hingegeben..., nur leider zu stets erneutem Stillstehen, Ausbeugen und Abwarten genötigt. Da war denn Zeit genug, das seitwärts am Wege Befindliche zu betrachten. Damit es nämlich der genußlechzenden Menge nicht an einem Vorgeschmack der zu erwartenden Seligkeit mangle, hatten sich...einzelne Musiker aufgestellt, die, wahrscheinlich die große Konkurrenz scheuend, hier an den Propyläen die Erstlinge der noch unabgenützten Freigebigkeit einernten willten. Eine Harfenspielerin mit widerlich starrenden Augen. Ein alter invalider Stelzfuß, der auf einem entsetzlichen, offenbar von ihm selbst verfertigten Instrument, halb Hackbrett und halb Drehorgel, die Schmerzen seiner Verwundung dem allgemeinen Mitleid auf eine analoge Weise empfindbar machen wollte. Ein lahmer, halb verwachsener Knabe, er und seine Violine einen einzigen ununterscheidbaren Knäuel bildend, der endlos fortrollende Walzer mit all der hektischen Heftigkeit seiner verbildeten Brust her abspielte. Eindlich...ein alter, leicht siebzigjähriger Mann...mit lächelnder, sich selbst Beifall gebender Miene... (Er) bearbeitete eine alte vielzersprungene Violine, wobei er den Takt nicht nur durch Aufheben und Niedersetzen des Fußes, sondern zugleich durch übereinstimmende Bewegung des ganzen gebückten Körpers markierte... Aber all diese Bemühung, Einheit in seine Leistung zu bringen, war fruchtlos, denn was er spielte, schien eine unzusammenhängende Folge von Tönen ohne Zeitmaß und Melodie. Dabei war er ganz in sein Wetk vertieft: die Lippen zuckten, die Augen waren starr auf das vor ihm gerichtete Notenblatt gerichtet -- ja wahrhaftig Notenblatt! Denn indes alle andern, ungleich mehr zu Dank spielenden Musiker sich auf ihr Gedächtnis verließen, hatte der alte Mann mitten in dem Gewühle ein kleines...Pult vor sich hingestellt mit schmutzigen, zergriffenen Noten, die das in schönster Ordnung enthalten mochten, was er so außer allem Zusammenhange zu hören gab...

    Er spielte noch ein Weile fort. Endlich hielt er ein, blickte, wie aus einer langen Abwesenheit zu sich gekommen, nach dem Firmament, das schon die Spuren des nahenden Abends zu zeigen anfing; darauf abwärts in seinen Hut, fand ihn leer, setzte ihn mit ungetrübter Heiterkeit auf, steckte den Geigenbogen zwischen die Saiten...und arbeitete sich mühsam durch die dem Feste zuströmende Menge in entgegengesetzte Richtung, als einer der heimkehrt...

    "Sieht es doch beinahe aus", sagte (er) lächelnd, "als ob Sie, verehrter Herr, der Beschenkte wären, und ich, wenn es mir erlaubt ist zu sagen, der Wohltäter, so freundlich sind Sie, und so widerwärtig ziehe ich mich zurück. Ihr vornehmer Besuch wird meiner Wohnung immer eine Ehre sein; nur bäte ich, daß Sie den Tag Ihrer Dahinkunft mir großgünstig im voraus bestimmten... Ich weiß wohl, daß die übrigen öffentlichen Musikleute sich damit begnügen, einige auswendig gelernte Gassenhauer, Deutschwalzer, ja wohl gar Melodien von unartigen Liedern...fort und fort herab zu spielen. so daß man ihnen gibt, um ihrer los zu werden, oder weil ihr Spiel die Erinnerung genossener Tanzfreuden oder sonst unordentlicher Ergötzlichkeiten wieder lebendig macht. Daher spielen sie auch aus dem Gedächtnis und greifen falsch mitunter, ja häufig. Von mir aber sei fern zu betrügen. Ich habe deshalb...diese Hefte mir selbst ins Reine geschrieben." Er zeigte dabei durchblätternd auf sein Musikbuch, in dem ich zu meinem Entsetzen...ungeheuer schwierige Kompositionen alter berühmter Meister, ganz schwarz von Passagen und Doppelgriffen erblickte. Und derlei spielte der alte Mann mit seinen ungelenken Fingern! "Indem ich nun diese Stücke spiele", fuhr er fort, "bezeige ich meine Verehrung den...längst nicht mehr lebenden Meistern und Verfassern, tue mir selbst genug und lebe der angenehmen Hoffnung, daß die mir mildest gereichte Gabe nicht ohne Entgelt bleibt durch Veredlung des Geschmackes und Herzens der...irregeleiteten Zuhörerschaft. Da derlei aber...eingeübt sein will, sind meine Morgenstunden ausschließlich diesem Exerzitium bestimmt. Die drei ersten Stunden des Tages der Übung, die Mitte dem Broterwerb, und der Abend mir und dem lieben Gott...

    Wie ich vorwärts ging, schlug der leise, langgehaltene Ton einer Violine an mein Ohr, der aus dem offen stehenden Bodenfenster eines wenig entfernten ärmlichen Hauses zu kommen schien... Ich stand stille. Ein leiser, aber bestimmt gegriffener Ton schwoll bis zur Heftigkeit, senkte sich, verklang um gleich darauf wieder bis zum lautesten Gellen emporzusteigen und zwar immer derselbe Ton mit einer Art genußreichem Daraufberuhen wiederholt. Endlich kam ein Intervall. Es war die Quarte. Hatte der Spieler sich vorher an dem Klange des einzelnen Tones geweidet, so war nun das gleichsam wollüstige Schmecken dieses harmonischen Verhältnisses noch ungleich fühlbarer. Sprungweise gegriffen, zugleich gestrichen, durch die dazwischen liegende Stufenreihe höchst holperig verbunden... Und das nannte der alte Mann Phantasieren! -- Obgleich es im Grunde allerdings ein Phantasieren war, für den Spieler nämlich, nur nicht auch für den Hörer... ....

    zit. v. zeno.org

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 25.01.1909 - Uraufführung von Richard Strauss' Einakter Elektra (op.68) in Dresden

    Für das Libretto bearbeitete Hugo von Hofmannsthal sein gleichn. (1903 uraufgeführtes) Drama, welches wiederum auf die **Ur - Elektra (die um 415 v. Chr. entstandene gleichn. Tragödie des Sophokles) zurückgeht. Hier einige Passagen vom Beginn** . . .

    Zum Zwecke der besseren Lesbarkeit habe ich mir erlaubt, die Verse anders "anzuordnen" als vorgegeben - - -

    ... O heiliges Licht, / Und erdumwebende Luft, o wie hast / Du so manch lautweinendes Klaglied
    Und manchen so schmerzlichen Schlag schon / Aus blutiger Brust vernommen von mir, / Wenn die finstere Nacht am Morgen entweicht !
    ...Nein, niemals wird / Mein Weinen gestillt, mein düsterer Gram, / So lang' ich den schimmernden Glanzstrahl / Der Gestirne noch schau' und den Tag hier !
    Wie die Nachtigall weint dem verlorenen Kind, / So will ich die Klag' am Ahnen = Palast / Unter Gestöhn' hier vor der Welt ausschrei'n !

    ...Denn erstlich meiner Mutter, deren Schooß mich trug, / Ihr Herz ist ganz verfeindet mir : dann leb' ich hier
    Im Hause mit den Mördern meines Vaters selbst / Zusammen, ihnen unterthan : in ihrer Macht / Steht's, ob ich was anfangen oder darben soll.
    Dann welche Tage, denke dir ! verleb' ich, wenn / Ich auf den Thron der Ahnen muß Aegisthen seh'n / Sich niederlassen ? Seh'n dieselben Festgewand'
    Ihn tragen wie den Vater, und am Hausesheerd / Die Spenden gießen, wo er jenen umgebracht ?
    Seh'n endlich noch den allergrößten Uebermuth, / Den Mörder unsres Vaters in des Vaters Bett / Mit dieser Greuel = Mutter, wenn ich Mutter darf
    Ein Weib noch nennen, welches dem zur Seite ruht, / So gottverlassen, daß sie mit dem Höllen = Mann / Zusammenlebt, und fürchtet keinen Rachegeist !
    Ja, wie zum Hohn und Spotte dessen, was sie that, / Indem sie ausgerechnet hat den Tag, an dem
    Sie einstens meinen Vater meuchlings mordete, / So führt sie Reigentänze auf und schlachtet froh / Den Rettungsgöttern Opferschaf' allmonatlich.
    Und ich, die Aermste, wenn ich das im Hause seh' / Zerrinn' in Thränen, schluchze laut bei diesem Mahl,
    Dem jammervollen Mahl Agamemnons, wie man's nennt, / Allein für mich; denn auch zu weinen ist mir nicht / So viel vergönnt, als meines Herzens Drang begehrt.
    Denn diese nach den Worten hochgesinnte Frau / Sie fährt mich an mit Schelt und Schimpf, indem sie spricht : / "Du gottverhaßter Greuel ! ist denn dir allein
    Der Vater todt, und trauert sonst kein Mensch um ihn ? / Verdirb im Elend ! mögen dich von diesem Gram / Die unterird'schen Mächte nimmermehr befrei'n !"

    ... (Chrysothemis Was schreist du wieder, vor des Tores Pforten her / Getreten, liebe Schwester, solchen Klageruf ?
    Und willst auch in der langen Zeit nicht lernen noch, / Unnützem Unmuth nicht umsonst zu fröhnen so ?
    Zwar kann ich so viel auch von mir versichern, daß / Mir unsre Lage Kummer macht, und würde mir / Die Macht, so thät' ich ihnen, was ich fühle, kund.
    Jetzt aber zieh' ich bei der Noth die Segel ein, / Will nicht mir schaden, wo ich nichts ausrichten kann, / Und wünsche, daß du deinerseits ein Gleiches thust.
    Zwar sei das Richtige nicht bei meinem Worte, nein, / Bei deinem Urtheil ! aber fügen muß ich mich / Den Mächtigen, wenn ich frei mit Anstand leben soll.)

    ...Bekenne denn von Zweien Eins : entweder bist / Du thöricht, oder ungetreu bei klugem Sinn.
    Denn eben sagst du, würde dir die Macht zu Theil, / Du zeigtest ihnen deinen Abscheu offenbar : / Und dennoch stehst du nicht zu mir, die überall
    Den Vater rächt, und wehrest mir, indem ich's thu'. / Heißt dieses nicht, zum Uebel Feigheit fügen noch ?
    Denn lehr' mich oder lern' von mir, was wär es mir / Gewinn, sofern ich meine Klag' einstellen will ? / Ich lebe ! elend freilich : doch genügt es mir !
    Und ärgre sie, so daß ich damit Ehre doch / Dem Todten zolle, wenn man Wohlthat dort noch fühlt.
    Doch du, du Hasserin, hassest blos dem Scheine nach, / Und hältst es mit den Vatermördern durch die That.
    Ich meinestheils mag nimmermehr, und böte man / Mir all das Gute dar, worin du schwelgest jetzt, / Mich ihnen unterwerfen...

    (Chor Nur alles ohne Leidenschaft, beim Himmel ! denn / In beider Worten ist Gewinn, wenn du nur lernst, / Auf ihre eingeh'n, sie auf deine wiederum.)

    (Chrysothemis Ich meinestheils bin ihre Reden ziemlich schon / Gewohnt, ihr Frauen, hätt' es auch niemals erwähnt,
    Vernähm' ich nicht, daß ein besondres Ungemach / Ihr droht, was ihre ewigen Klagen hemmen soll... / >zu Elektra< Man will dich, so du diesen Klagen nicht entsagst,
    Dahin versetzen, wo du nie das Sonnenlicht / Mehr schau'n, in finstrer Kammer eingemauert, noch / Lebendig, jenseits dieses Lands, dein Leiden singst.
    Demnach bedenk' es, mach' auch mir nicht hinterher / Im Leiden Vorwurf : noch ist's, klug zu werden, Zeit... .... ((dt. v. J.A.Hartung; 1801/1867))

    zit. v. books.google.de

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 28.01.1904 - Todestag von Karl Emil Franzos

    Der Schriftsteller, Publizist und Übersetzer (Gogol!) dürfte einer breiteren Öffentlichkeit, falls übergaupt, lediglich als "Entdecker" Georg Büchners in Erinnerung sein. Hier eine exklusive ;) Kurzfassung des "Erfurt - Kapitels" seiner um 1900 entstandenen "Reise- und Kulturbilder" Deutsche Fahrten.....

    Vor vielen Jahren stand ich an einem strahlend schönen Sommertag auf einer >ich weiß nicht mehr welcher< Höhe des Thüringer Waldes: zu meinen Füßen das sacht abgestufte Gebirg im dunklen Tannenschmuck, dann eine weite, hellgrüne Ebene, mitten drin ein gewaltiger Haufe grauer, von leichtem Dunst umhüllter Pünktchen, aber über diesen Pünktchen, gleichsam in der Luft über ihnen schwebend und den Dunst durchleuchtend, ein rätselhafter goldner Schein, nun strahlender, nun blasser und oft in der Sonnenglut erzitternd, aber immer, immer zu sehen. Was war dieses Etwas, das noch vom Dunst der Erde umwoben war und doch nicht mehr zu ihr gehörte? "Die Madonna am Erfurter Domgiebel"! erwiderte lächelnd mein Gefährte.

    Erfurt ist keine schöne Stadt, aber hier erzählen die Steine, wenn man ihre Sprache versteht, eine Geschichte, so seltsam und herzbeweglich, so wechselnder Schicksale voll, daß sich auch der Kaltherzige ergriffen fühlen müßte. Wie diese Stadt allem, was Menschen und Menschenwerk treffen kann, standgehalten und nun langsam wieder aufblüht - dies ist das Interessanteste und wahrlich auch ein Stück Poesie, schöner und herzerquicklicher, als sich's der Wanderer im stillsten Waldtal erlauschen kann.

    Wenn ich in eine fremde, große Stadt komme, so suche ich sie immer zunächst von einer Höhe zu überschauen. Eine Vogelschau bringt auf einen Schlag Antwort auf eine ganze Reihe von Fragen: wo der Kern der Stadt zu suchen ist, wie sie wuchs, in welcher Richtung sie nun die Glieder streckt und wo die Reichen, wo die Armen wohnen. Aber noch mehr vermag hier ein Blick zu erkennen, oft klarer, als es die Stadtchronik berichtet: warum auf diesem Boden eine große Stadt erwuchs und wie sie sich behauptete. In Erfurt läßt sich solche Überschau mühelos gewinnen; rings heben ja Hügel ihre dicht umlaubten Häupter; der stattlichste im Südwesten der Stadt, der Steiger, wie derlei einzelne Vorberge in Thüringen so oft heißen.

    Am Bahnhof finden sich einige dieser schweren, plumpen Viersitzer ein, mit denen verglichen eine Berliner Droschke zweiter Güte wie das flügelbeschwingte Gefährt des Sonnengotts erscheint; sonst muß man lange nach ihnen suchen. Endlich kam mir auf dem Anger so ein ehrwürdiges Vehikel mit der Geschwindigkeit von einem halben Kilometer in der Stunde entgegengebraust; ich winkte dem Kutscher, er hielt an, ich stieg ein: "Zeitfahrt. Halb drei. Auf den Steiger."

    An den Gassennamen, die freilich zum großen Teil das einzige sind, was schon von der Gasse existiert, hatte ich meine Freude. Sie sind fast durchweg nach Komponisten und Dichtern getauft. Sonderbare Schwärmer, diese Erfurter, wissen sie denn nicht, daß solche Namen nur dann in Deutschland angewendet werden dürfen, wenn kein General, kein Stadrat und kein Nest der Nachbarschaft mehr unverewigt ist? Mein Kutscher kam meinem Interesse an diesen Namen liebenswürdig entgegen, indem er mich nun kreuz und quer durch das ganze Viertel fuhr. Diesen Umstand verdanke ich die Erkenntnis, daß die braven Stadtverordneten der deutschen Literatur gegenüber ihren besonderen Standpunkt einnehmen: Geibel hat eine Hauptstraße, während sich kleine Leute wie Lessing, Kant und Uhland eben mit Nebengäßchen begnügen müssen: mancher leuchtende Name ist vergessen, aber nicht Voß und Simrock.

    Was die Menschen an einen Ort gezogen hat, ist zuweilen unmöglich zu erkennen, weil es auch Städte gibt, die gleichsam gegen den Willen der Natur, nur durch das Erblühen eines Staates groß geworden sind; das merkwürdigste Beispiel dafür ist Berlin. Anders Erfurt; hier war's der Wille dre Natur, eine große Wohnstätte zu schaffen, vom Steiger aus läßt sich dies klar erkennen. Vor allem, dieser Kessel zwischen Waldbergen ist überaus fruchtbar, es schimmert nur so von Obstgärten, Blumen- und Gemüsebeeten; nur im Norden, wo der Kessel in die Ebene übergeht, wogt ein Ährenmeer. Die Straße von Westen nach Osten mußte durch diesen Kessel gelegt werden; jedes andere wäre ein Umweg oder der Wegebaukunst des Mittelalters unmöglich gewesen. Und ebenso muß hier durch, wer von Süden nach Norden, vom Thüringer Wald nach dem Kyffhäuser und dem Harz will.

    Mein Kutscher brachte sich und mich heil auf den Friedrich-Wilhelm-Platz, wie der Domplatz offiziell heißt. Den Erfurtern heißt er "Vom Grähden", die Verballhornung des einstigen lateinischen Namens: Forum ad gradus hieß der Platz im Mittelalter, der "Platz an den Stufen", denn eine mächtige Freitreppe führt von hier die Höhe des Marienbergs zum Dom empor. Der Platz ist wohl der größte in Deutschland - ich wenigstens kenne keinen größeren -, und des darf sich der Beschauer freuen; so ist ihm die richtige Perspektive für eines der herrlichsten Architekturbilder gegönnt, die wir in Deutschland haben, und das will gottlob was sagen. Als ein majestätisches Bauwerk wirkt der Dom, von wo immer er gesehn, am schönsten erschent er von der Ostseite des Platzes. Aus nächster Nähe sind nur einzelne Teile schön, aber andere nicht; weniges stimmt zusammen.

    Die drei gewaltigen romanischen Türme aus dem 12. Jahrhundert, der älteste Teil der Kirche, wirken für sich betrachtet wuchtig genug, aber wer kann sie so betrachten? Sie erheben sich über der Stelle, wo Chor und Langhaus zusammentreffen, also gerade über dem spitzen Winkel, und recht sieht man sie nur von der Severikirche aus. Beide Portale gehören zu dem Edelsten, was alte deutsche Bildhauerkunst geschaffen hat. Beide sind in Aufbau gleich; verschieden sind nur die kleineren Ornamente und die Bildsäulen. In den kleinen Zieraten welche Fülle der Erfindung, in den Bildsäulen welche Kraft der Charakteristik; für die frühe Zeit, das 14. Jahrhundert, von wunderbarer Lebendigkeit des Ausdrucks. Aber es stört sehr, daß die beiden Portale zueinander und zum Schiff schief stehen, und sagt man sich, dieses Rätsel müsse sich ebenaus dem beschränkten Raum, aus der Baugeschichte erklären, so hört doch die Empfindung nicht auf die Vernunft.

    Andere Rätsel wieder bleiben es auch für die Vernunft. Warum haben sie zwischen die alten Bildsäulen des Chores solche von gestern gestellt, warum wirkt von dem neuen Schmuck so weniges künstlerisch? Auch der Eindruck jenes riesigen Mosaikbildes, dessen goldiger Schein mir so unauslöschlich im Gedächtnis haftete, ist von hier aus kein reiner. Es schmückt den Westgiebel. "Äächtes Gold", sagen die Erfurter stolz, und daran zweifle ich nicht, aber mir war zumut, als müsse das grelle, gleißende Riesenbild dem feinen, altersgrauen Ornament des Giebels wehe tun. Ich denke, es ist nicht zu bedauern, daß kein anderer deutscher Dom sich neuerdings solchen Schmuck angetan hat.

    zit. v. projekt-gutenberg.org

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 31.01.1972 - Rosa von Praunheims Film Nicht der Homesexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt wird erstmals im (WDR-)Fernsehen gezeigt...
    wird morgn Früh korrigiert und ergänzt

    .... (Seine Meinung von Bob) war immer günstig gewesen, nun aber hatte sie enthusiastischen Charakter. Eine Fülle von Gescheitheit, Herzenszartheit, Witz und Tiefe hatte Wladimir offebart - so erschien es dem gerührten Peter Iljitsch -, im Laufe der langen Unterhaltungen... Diesmal - so sagte dem berühmten Onkel sein gerührtes Herz - diesmal ist mein Gefühl nicht verschwendet und nicht ins Leere geworfen. Ein Würdiger fängt es auf. Ein Verwandter versteht es. Bei den vielen Fremden - so denkt der begeisterte Peter Iljitsch - habe ich mich nur geübt für den Einen, den nahe-Verwandten. Alles bisher war nur Vorbereitung und nur eine lange Übung des Herzens: Apuchtin, und die ihm nachfolgten - wie fremd, unendlich fremd sind sie mir alle gewesen! Wie gänzlich fremd war mir der schöne Siloti - so fremd, daß ich heute mit ihm stehen kann wie mit einem geschätzten Musiker-Kollegen. Wie flüchtig waren alle diese Abenteuer des Herzens - flüchtig durch meine Schuld, wenn ich es nun recht bedenke. Denn mein Gefühl war nie stark genug, immer hat es versagt. Es entzündet sich schnell an den Fremden, doch es blieb ihnen niemals treu. Wladimir aber hat oft ganz den Blick und die Stimme meiner lieben Mutter. Er erinnert mich auch an Sascha und an Bruder Modest, als der noch jung und liebenswürdig war... ....

    Der Knabe Apuchtin - Stolz der Rechtsschule, scheu bewunderter und umworbener Abgott seiner Klasse - war...wesentlich kleiner als der gleichaltrige Peter Iljitsch, aber gewandt, zäh und elastisch, ein glänzender Turner und Läufer. Während Peter Iljitsch gegen alle von der gleich sanften, etwas scheuen Liebenswürdigkeit war, blieb Apuchtin spröde, abweisend-kalt oder sarkastisch-aggressiv gegenüber den meisten, um vor einzelnen, an denen ihm gelegen war, alle Künste eines selbstbewußten, schlauen Charmes spielen zu lassen. Aus irgendeinem Grunde war ihm an Peter Iljitsch gelegen. Er näherte sich dem sanften, hilflosen Kameraden verführerisch, wie ein böser Engel. Ja, er hatte ganz die Reize des bösen Engels: Peter Iljitsch war ausgeliefert dem harten Glanz seiner dunklen Augen, beglückt und fassungslos vor seinem etwas rauhen, höhnischen oder zärtlichen Lachen, vor dem klugen und verwirrenden Gespräch dieses schmallippigen, sehr roten und beweglichen Mundes...

    Die Jahre...der Jünglingszeit()waren beherrscht...(vom) finsteren Engel: von seinem Reiz, seiner Bosheit, seiner Skrupellosigkeit, seinem hybriden Skeptizismus. Große, bezaubernde Abende, die sie - endlos Zigaretten rauchend, endlos diskutierend - im unordentlichen Zimmer Apuchtins oder auf Spaziergängen verbrachten! Es blieb jedoch nicht bei den Diskussionen. Am süßesten und am unheimlichsten war es, wenn Apuchtin das suchende, schweifende hochmütig-übermütige Gespräch abbrach mit einem rauhen, zärtlich-höhnischen Lachen. Dann hob er die mageren, immer ein wenig schmutzigen Hände nach Peter Iljitsch, und berührte sein Haar oder sein Gesicht oder seinen Körper. Dann schloß Peter Iljitsch die Augen. Apuchtin flüsterte: "Hast du es gerne? Ist es dir angenehm? Ich weiß schon: es ist dir sehr angenehm. Wir wollen nie Frauen lieben - versprich es mir, Pierre! Es ist albern, Frauen zu lieben, es gehört sich nicht für unsereinen, das überlassen wir den Spießern, die Kinder bekommen wollen. Wir lieben nicht, um Kinder zu bekommen, wir machen nicht ein so gemeines Geschäft mit der Liebe... ....

    Ihm wollte es scheinen, als begegnete er...seiner Schwester Alexandra-Sascha, der Tochter seiner lieben Mutter, der Mutter seines lieben Wladimir, nach langer Zeit zum ersten Mal... Man muß diese Begegnung kosten und nutzen: Sascha war krank, sie sparte mit ihren Kräften, wer wußte es, wieviel Anstrengung diese Minuten sie kosteten, sehr bald wahrscheinlich würde sie sich wieder zurückziehen in ihr stummes und zähes Zwiegespräch, in ihre geheimnisvolle und eigensinige Auseinandersetzung mit dem gestrengen Weitentfernten. "Denkst du noch manchmal an unsere Mutter?" fragte sie und behielt ihren prüfenden, freundlich-strengen Blick auf seinem Gesicht. "Ich denke jeden Tag an sie", sagte der Bruder leise. "Nun werde ich sie bald wiedersehen." Sascha lag still; den Blick hatte sie vom Bruder abgewendet, sie schaute zur Decke, ihre Augen glänzten... Da er schwieg, sagte (sie), mit einer plötzlich veränderten, merkwürdig trockenen und sachlichen Stimme: "Du bist gekommen, um mir Wladimir wegzunehmen." Peter Iljitsch konnte es nicht verhindern, daß er rot wurde. "Aber wie magst du so etwas denken!" brachte er heiser hervor. Sie winkte ihm ab. "Laß doch, laß doch!" riet sie ihm mit einer etwas unheimlichen Munterkeit. "Wladimir ist ein erwachsener Junge." Peter Iljitsch, in seiner Verlegenheit, war aufgestanden und machte ein paar Schritte durchs Zimmer... ....

    In jedem Hotelzimmer gibt es Briefpapier. Ich lege einen weißen Bogen vor mich hin und bedecke ihn mit schwarzen Zeichen, damit mein Bob sie liest und etwas von mir erfährt. Er muß es wissen und erfahren, wie fürchterlich er mir fehlt. Ich schreibe auf das Briefpapier des Berliner Hotels: Bob, ich vergöttere dich! Erinnerst du dich, wie ich dir einmal sagte, daß ich mich nicht so sehr an deiner Gegenwart erfreue, wie ich unter deiner Abwesenheit leide? ...Wladimir, mein fremdes Eigentum, hustet zuviel. Er sah schmal aus in seinem Frack... Seine Schwester Vera ist jung gestorben, Gott pflegt seine anmutigsten Kinder früh zu sich zu nehmen. Nein, das will ich nicht denken. Bob muß lange leben, Bob ist mein Erbe... ....

    Tschaikowskys Neffe Wladimir Dawydow stirbt am 27.12.1906 (34jährig) durch Suizid.

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • Krankheitsbedingt habe ich die im vorigen Beitrag angekündigte "Korrektur und Ergänzung" nicht rechtzeitig durchführen können. Oben handelt es sich um einige Auszüge aus Klaus Manns - 1935 erstmals in Amsterdam erschienenen - "Tschaikowsky-Roman" Symphonie Pathetique. Die insgesamt sieben || Abschreibefehler enthalten zumindest nichts sinnverfälschendes... Klaus Mann verstirbt gleichfalls durch Suizid, am 21.05.1949.
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    02.02.1941 - Todestag von Johannes Schlaf

    Als Übersetzer trug er entscheidend zur Verbreitung der Werke von Walt Whitman...und Emile Zola im deutschsprachigen Raum bei. (v. wikipedia.org) Der folgende (sehr ausschnittsweise wiedergegebene) Aufsatz - m. E. eigentlich geradezu eine Hymne - ist erstmals 1897 in Leipzig erschienen, jedoch bereits 1892 geschrieben worden - - -

    Vor kurzem war in ein paar Zeitschriften die dürre Notiz zu finden, dass am 26. März dieses Jahres einer der hervorragendsten Dichter Nordamerikas, Walt Whitman, im 74. Jahr seines Lebens...gestorben sei. Die paar Daten über sein Leben und Schaffen, die jener Notiz beigefügt waren, konnte mit ihrem literaturlexikalischen Lakonismus unmöglich geeignet sein, ein weiteres Interesse für den Verstorbenen wachzurufen...

    In dem Vorwort zu der (auszugsweisen Uebersetzung von Whitmans "Leaves of Grass", die Karl Knortz und T. W. Rolleston 1889...in Zürich erscheinen liessen,) nennt einer der Uebersetzer...Whitman den "Optimisten par excellence". Aber...in diese enge Hülle bekommen wir den ganzen Whitman nicht hinein. Mit dem Schlagwort irgend eines Standpunktes lässt sich schlecht etwas anfangen einem Menschen gegenüber, der von sich die stolz-bescheidenen Worte sagen darf: I do not trouble my spirit to vindicate itself or to be understood, I see the elementary laws never apologize...

    Je tiefer wir uns in ihn hineinlesen, um so mehr fasst es uns mit der Macht der alten Urgesänge. Das ist die...Energie der althebräischen Psalmisten und Propheten. Und doch ist alles so neu, schlicht... Diese Sprache ist so irdisch wie nur möglich, oft mit...Nüchternheit konstatierend, was ist. Und doch hat sie ihr Pathos, überwältigend und hinreissend, wie es nur eins gegeben hat. Ein unendlicher Rhythmus, eine unendliche Melodie. Wie der Sturm seinen ansteigenden und verebbenden Rhythmus hat, wie die Meereswellen ihn haben...

    Bald verhalten, in kurzen Sätzen süsse, eindringende Worte, in denen das Licht- und Schattenspiel einer Mondnacht lebt, das leise, mystische Plätschern unendlicher, lichtglitzernder Meeresfluten, das leise Rauschen im Gebüsch, das Spiel der Wolken und die strahlende Ruhe der Gestirne, bald ein Wechsel von Interjektionen, kurzen Sätzen und langen, breithinströmenden Perioden, mit einzelnen Wortstössen, wie das Zupfen und Zausen des Windes, oder wieder wie sein langes, starkatmendes Getöse, wenn er über endlos sich dehnende Prärieen stürmt, halb ruhelos, hastig, breitrauschend wie unaufhörliches Getriebe des Verkehrs in den Strassen... Wortanhäufungen, Wiederholungen, die sich nie genug thun können; die Naivetät eines Kindes, das einen neuen Gegenstand...zehn-, zwanzig-, hundertmal hintereinander bezeichnet und nicht müde wird...

    Eine sich drängende Fülle von Eindrücken... Durch alles das fühlt man sich zurückgestossen und angezogen, wie einen die Natur anzieht und abstösst, sich giebt und verweigert, durchsichtig und mystisch ist mit dem ewigen Rhythmus der Erscheinungen, der monoton ist und doch von unendlicher Mannigfaltigkeit...

    Zu achten ist die Wissenschaft, erhaben ist es, einen Mann und ein Weib im Uebermass zu lieben, aber es giebt ein Anderes, das w a h r l i c h erhaben ist...: das ist die Religion. Nicht der Kult, das Dogma mit seinen Imperativen: sondern das...religiöse Gefühl, das innige, jauchzende, intime Bewusstsein der Einheit mit allem. Einzig den Samen einer grösseren Religion in die Welt zu streuen singt er seine Gesänge... (Er) verehrt nicht, katzenbuckelt nicht vor den ewigen Gesetzen und macht keine Ceremonieen mit. Seine Verehrung ist die rasende Lust, mit der Atmosphäre in Berührung zu kommen, jauchzend sich in die mächtige Bewegung des Lebens zu stürzen, in sein Werden und Vergehen, sein Blühen, Leuchten, Brausen, Wachsen und Glühen...

    Er ist der Sänger der sozialen Umwandlungen und der Zukunft der Demokratie, ein Liebhaber der (grossen) Städte.. Ueber alles liebt er (diese) und sein "Manhattan". Mehr als die stille, glänzende Sonne, Laub, Korn und Weizen, als Einsamkeit und Bienensummen. Unermüdlich ist er, durch ihre Straßen zu wandern und in ihrem Verkehr sich zu verlieren, der in...farbenfunkelnden Visionen in seinen Strophen lebendig wird. In unzähligen, endlos aneinandergereihten Bildern lässt ihn sein liebendes Erstaunen an uns vorüberrauschen. Nichts will er auslassen, nichts sich entgehen lassen... Wie eine unzählige Fülle kleiner Romane, Dramen, lyrischer Gedichte, oft nur...ein paar Worte umfassend, reiht er diese Bilderfülle aneinander. Da sind Sklaven, Auktionen, Soldaten, Polizei, Feuerwehrleute, Handwerker, Verkäufer u. s. w. Er durchwandert Werkstätten und Magazine, geht an den Uferquais hin, durch Speicher, an Bauplätzen vorbei. Was ist das "Uebernatürliche" gegen...diese Wirklichkeit? Es giebt nichts Ueber- und Aussernatürliches. Alles ist in der gegenwärtigsten und nahsten Wirklichkeit...

    v. archive.org ... Mir (namentlich) bekannte Vertonungen von Worten Walt Whitmans sind: Frederick Delius: "Sea Drift" (f. Bariton, Chor u. Orchester), 1904 + "Songs of Farewell for chorus and orchestra", 1930 / Ralph Vaughan Williams: "A Sea Symphony", 1910 (UA) / Paul Hindemith: 3 Hymnen op.14, 1919 + "A Requiem 'For those we love'", 1946 / Karl Amadeus Hartmann: 1.Symphonie. Versuch eines Requiems für Altstimme und Orchester, 1936 resp. 1955 / Kurt Weill: Four W. W. Songs, 1942-47

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 05.02.1907 - Todestag von Ludwig Thuille

    *(L. T. an Richard Strauss) Gauting, 17.07.1889 ... ich sicherte mir in erster Linie den "Parsifal" und zwar...praenumerirte ich auf 4. August. Sei so gut und besorge mir nun für die darauffolgenden Aufführungen von "Tristan" und "Meistersinger" möglichst gute Plätze, den zweiten Parsifal wird man hoffentlich wohl herausschinden. Auch bitte ich Dich freundlichst, mit für die Tage...irgendwo ein einfaches Zimmer zu besorgen. Das in Aussicht genommene ist mir für 5 Mark pro Tag...entschieden zu theuer... Mit 1000 Grüssen - Dein alter Ludwig

    (L. T. an R.Strauss) München, 20.12.1889 ... mit grosser Freude und Befriedigung ersehe ich..., dass die (Weimarer) Verhältnisse Dir vorderhand entsprechen, und dass Dein Wirkungskreis...Dich anregt und Deiner würdig ist. Mit...riesiger Freude (habe ich) die Nachricht von dem zündenden Erfolg Deines - "meines" "Don Juan" vernommen!** Onkel und ich wurden allerdings sehr wehmütig, dass es uns...nicht vergönnt sein sollte, dieser Taufe beizuwohnen! Es ist nun also doch so gekommen, wie ich gehofft habe: "Don Juan" erscheint zuerst, und wird durch seine Siege die erstaunten und erhobenen, sowie auch die "empörten" Menschen auf "Macbeth" und "Tod und Verklärung" vorbereiten. Die Partitur des letzteren Werkes, von dem mir Onkel*** nicht genug vorschwärmen kann, erwarte ich täglich von ihm...

    In letzter Zeit hat mich der vierhändige Klavierauszug des Sextetts...sehr aufgehalten. Ich hatte diese Arbeit leider auf die lange Bank geschoben... Endlich ist er abgeschickt, und ich atme wieder auf! -- ...für eine symphonische Dichtung fühle ich mich noch nicht reif genug; zudem muss ich mich...wieder in die Orchestertechnik einzuarbeiten suchen, da meine Kenntnisse hievon seit meiner Symphonie sich denn doch wesentlich vertieft haben dürften. Apropos Symphonie betreffend möchte ich...erwähnen, daß die Wiener Aufführung wieder in's Wasser gefallen ist... (ich erhielt) durch einen xbeliebigen Musikgesellschaftsmeyer Partitur und Stimmen zugesandt, mit der lakonischen Meldung, dass mein opus nicht in die Programme der saubern Bande aufgenommen werden konnte. Warum? stand nicht zu lesen... Das Sextett hat in Dresden...sehr gefallen****... Auch aus Frankfurt und Köln hörte ich von beabsichtigten Aufführungen. Hier hört man es natürlich ganz zuletzt, wenn keine Seele mehr davon spricht! --

    Von einigem Interesse für mich ist mein Männergesangverein; hauptsächlich wohl, weil ich mich da als Dirigent üben kann. Ich kann...constatieren, dass ich hierin...sehr viel gelernt habe, nicht zum Wenigsten durch Dich, alter Freund. Damals war es noch mehr der ausübende Körper, der mich dirigierte... Ich bemerke jetzt, dass zum guten Dirigenten nur ein ganz bestimmtes apodiktisches, rhythmisches Wollen befähigt, das mir anzueignen ich auf dem besten Wege bin. Ich hatte jüngst mein erstes Concert...und machte mir den Extraspass, zur grossen Verblüffung aller anwesenden Dirigentchen der Concurrenz-Gesangvereine, sämmtliche Chöre, die allerdings nur a capella waren, auswendig zu dirigieren... Mein nächstes Concert wird Chöre mir Orchester bringen; es wird abermals den erhabenen Namen Liszt's an der Spitze führen... tausendmal herzlichst grüsst - Dein alter, unveränderter Ludwig.

    (R.Strauss an L. T.) Weimar, 19.11.1890 ... Sonntag Tannhäuser, Montag Faustsinfonie, zu welchen beiden Siegfried Wagner eigens...gekommen war. Er war sehr befriedigt von meinen Aufführungen, die auch durchaus gelungen waren... Bei dem...Lisztschen Werke ist mir...wieder zum Bewusstsein gekommen, daß Liszt der einzige Sinfoniker ist, der auf Beethoven kommen mußte und auf ihn einen riesigen Fortschritt bedeutet. Alles übrige ist purer Dreck. Und selbst die Mehrsätzigkeit...ist hier so notwendig bedingt und etwas so Wesentlich...Neues! Die eigentliche dramatische Handlung geht ja erst im Mephisto vor sich und der ist ja auch erst die "sinfonische Dichtung", die beiden großen Typen des Faust und des Gretchen sind dagegen so complicirt, daß ihre Darstellung...in einem Satze gar nicht möglich war. Daher als Exposition die beiden größten Stimmungsbilder, die je geschrieben... Dabei ist die Verbindung der drei Sätze durch das Andeuten des Mephisto im ersten Satze, das Hereinspielen der Faustnatur ins Gretchen so meisterhaft, daß man vor Bewunderung gar nicht weiß wohin...

    Ich habe eine Energie...und einen Rhythmus entfaltet, daß das Theater wackelte; und dabei habe ich vor lauter Herumfuchteln...im Mephisto...ein Seitenstechen (bekommen), das nicht von schlechten Eltern war; beim ewig Weiblichen verlor sich's wieder.

    Siegfried ist mit tüchtigem Respect...heute Nacht halb3 Uhr abgefahren, nachdem wir...Bowle getrunken hatten; ich schleppte um 3 Uhr die zwei besoffenen Tenoristen vom Bahnhof nach Haus, wobei der Heldentenor lyrisch und der lyrische Tenor...zum Helden wurde. Siegfrieds Anwesenheit hat mir große Freude bereitet. Er ist ein liebenswürdiger, feinerzogener Mensch, der Kopf, Herz und Mund am rechten Fleck hatte... Gegen die törichte Behauptung, daß Berlioz die moderne Orchestertechnik erfunden habe..., wandte er sehr richtig ein, daß das Hauptmoment der Unterscheidung...in der gesteigerten Ausdrucksfähigkeit der einzelnen Instrumente...liege, und die hat...zuerst Weber gebracht, und daran knüpft Wagner an. Im Ganzen Berlioz spricht kein Instrument eine so bestimmte menschliche Sprache, als die Clarinette in der Freischützouvertüre und das Fagott im Finale des III. Aktes Freischütz. Und Holländer, Tannhäuser, Lohengrin waren ohne Kenntniß der Berliozschen Partituren geschrieben...

    ...wie geht es Dir überhaupt, Du ewiger Schumannianer und Nachtstückevortragskünstler? ...was macht das Klavierconcert und seine Form, mach' sie nur nicht gar zu altehrwürdig! Doch verzeih', ich bin jetzt in so polemischer Mephistostimmung! Und wütend aufAlles, was nach Vergangenheit riecht! ...und nun einen herzlichen Kuß - Deines bald ganz verrückten Richard.

    zit. v. correspsearch.net ... * Bei den Bayreuther Festspielen 1889 war R.Strauss "musikalischer Assistent" ... **R.Strauss' Tondichtung "Don Juan" op.20 ist L. T. gewidmet! ... ***L. T. war ab seinem 11. Lebensjahr Vollwaise und wurde von einem Onkel betreut und gefördert! ... ****Das Sextett op.6 (f. Klavier u. Bläserquintett) wurde 1889 in Wiesbaden uraufgeführt und ist derzeit bei jpc in vier verschiedenen Aufnahmen vorrätig! Uwe Friedrich (in einem Beitrag für den Deutschlandfunk am 30.05.2010) hält allerdings das dreiviertelstündige Klavierquintett op.20 (1901) für Thuilles kammermusikalisches Hauptwerk!

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 11.02.1939 - Todestag von Franz Schmidt

    Am Folgetag erscheint in der "Wiener Zeitung" dieser - hier kaum gekürzter - Nachruf des Komponisten und Schriftstellers Ferd. Scherber (1874/1944)

    Der Tod des bedeutenden Musikers und Komponisten, der seit Jahren sein Leben in stiller Abgeschiedenheit..., nur seinem Schaffen gewidmet, verbrachte, erscheint...als unerwartetes, trauriges Ereignis. Noch vor etwa einem Jahr, als er für den starken Erfolg seines neuen großen Oratoriums Das Buch mit sieben Siegeln***** dankte, machte er nicht den Eindruck eines Kranken, schien nicht einmal merklich gealtert. S. war...1874 in Preßburg geboren, kam jedoch schon frühzeitig nach Wien, wo er seine musikalische Ausbildung genoß und als Cellist, Pädagoge, später als Komponist wirkte und es in allen diesen Gebieten zu...Ansehen brachte. Am alten Wiener Konservatorium waren Robert Fuchs und Anton Bruckner seine Lehrer in Theorie, bei Ferdinand Hellmesberger studierte er Cello. S. war auch ein hervorragender Pianist, worin er sich durch Selbstunterricht ausbildete. Er wurde zuerst...Mitglied des Opernorchesters, dann selber Lehrer für Cello an der Musikakademie. Franz Schalk machte auf S. als Komponisten durch die Aufführung dessen Oper Notre Dame...aufmerksam. Der namhafte künstlerische Erfolg des Werkes veranlaßte S., ...sich ganz der Komposition und der pädagogischen Tätigkeit in Musiktheorie zu widmen. Er wurde dann auch Lehrer für Kontrapunkt an der Hochschule für Musik, trat auch als Lehrer in den Ruhestand und lebte nur mehr seinen künstlerischen Arbeiten.

    Die Feier seines sechzigsten Geburtstages...bot Anlaß, (sein) reiches und bedeutendes künstlerisches Lebenswerk zu überblicken. Bereits sein Erstlingswerk, die Oper "Fredegundis", ist...reife und echte Musik seines Könnens. Es ist Musik, die gewissermaßen im Innern von Musik erfüllt ist. Musik in der Farbe des Orchesters, in der Kunst des Satzes, in der Melodie, wenn diese auch nicht so sinnlich und populär schlagkräftig ist, wie es eine dankbare Spielplanoper verlangt. Irgendwie drängt die oft etwas in sich gekehrte, sich selbst nachspürende, oft auch an Schuberts Musizierfreudigkeit erinnernde Musik vom Theater weg zum Konzertsaal oder in den zahlreichen Orgelwerken zur Kirche... Wenn man klassifizieren und zerlegen will, so könnte man in Schmidts Musik außerdem Element von Brahms, Bruckner, Reger entdecken, ja selbst solche der jüngsten Moderne, wobei er diese und alles Übrige in den Bann persönlichen, eigenen Stils zwingt. Seine Vorliebe für die Künste des polyphonen Satzes, eine eigenartige Harmonik, konnte S. am ungebundensten in seinen Orgelwerken befriedigen, die einen breiten Raum seines Schaffens einnehmen.

    Welche Musik S. auch schrieb, er schrieb immer...künstlerische Musik im wahren Sinne des Wortes, nie unbedeutende Musik, nie Musik, die sich...geschäftigt regt und laut anpreist, mit Sensationen und Effekten verplüffend (sic!) spielt. / zit. v. anno.onb.ac.at

    Meines Wissens ist mein Versuch, die Apokalypse zusammenhängend zu vertonen, der erste, der bisher unternommen wurde... Als ich an diese Riesenaufgabe herantrat, war mir klar, dass die Voraussetzung dazu darin lag, den Text auf eine Form zu bringen, der alles Wesentliche womöglich dem Wortlaute nach beibehielt und dabei die...Dimensionen des Werkes auf durchschnittlichen Menschenhirnen fassbare Maße brachte. (Einzig vom Standpunkte des tiefreligiösen Menschen und des Künstlers aus >habe ich zum Werk< Stellung genommen. Diese Stellungnahme mag auch manche Freiheit in der Auffassung erklären; so zum Beispiel, dass ich Johannes...als jungen Mann auffasse und komponiere.) Mit Ausnahme des Umstandes, dass ich (dessen) Briefe...zu einer Begrüßungsansprache vereinigte, hielt ich mich...an das Original: die Berufung des Johannes..., sein Erscheinen vor dem Thron..., das Buch in der Hand des Herrn, die Vision des Lammes, das Entgegennehmen des Buches durch das Lamm, all dieses ist...dem Original nachgebildet. Der anschließende kurze Dankgottesdienst rundet den Akt zu einem Prolog im Himmel ab...

    Nach segens- und hoffnungsreicher Ausbreitung der christlichen Heilslehre durch den weißen Reiter >Jesus Christus< verfällt die Menschheit in Nacht und Wirrsal; der blutrote Reiter...stürzt die Menschheit in den Krieg aller gegen alle. Der dritte >schwarze< und der vierte >fahle< apokalyptische Reiter führen weiterhin die Folgen des Weltkrieges vor: Hungersnot und Pest. Die Menschheit ist zum größten Teil...in Verzweiflung versunken: nur ein kleiner Rest hält noch am Glauben fest. Beim Aufbrechen des fünften Siegels treten die Seelen der Glaubensmärtyrer und anderer Opfer menschlicher Verbrechen in Erscheinung. Sie rufen nach Gerechtigkeit... Der Herr...verspricht ihnen (diese) am Tag des großen Gerichtes. Da der größte Teil der noch übrigen Menschheit auch weiterhin in...Verstocktheit verharrt, vertilgt sie der Herr..., was durch das Aufbrechen des sechsten Siegels offenbar wird. Damit schließt der erste Teil. Die sich hier ergebende Zäsur bot die einzige Gelegenheit, das im Original nunmehr wie ein Ozean alles überflutende Material in eine vertonbare Form zu bringen. Johannes führt nämlich von hier aus an in zahllosen Varianten...von Gleichnissen und Bildern in ungeheurer Steigerung seinen Kampf gegen den Sündenpfuhl Babylon...

    Der zweite Teil beginnt mit der großen Stille im Himmel, die beim Öffnen des siebenten Siegels eingetreten ist. Während dieser Stille erzählt uns Johannes...die Geschichte des wahren Glaubens und seiner Kirche... (Danach) rüsten die sieben Posaunenengel zum Blasen des schauerlichen Appells für das Jüngste Gericht. Über dieses selbst berichtet Johannes...nur ganz kurz, um aber umso eindringlicher darzulegen, dass...nunmehr eine neue Erde jene trage, die das ewige Leben haben und dass ein neuer Himmel ihnen blaue. Und der Herr spricht zu den Geläuterten, dass...sie seine Kinder sein werden und er ihr Vater. Nachdem die Geläuterten dem Herrn...gedankt und gehuldigt haben, schließt Johannes seine Offenbarung mit einer...Abschiedsansprache ab.

    Da der Text...nicht nur die äußeren Konturen des Werkes bestimmt, sondern auf das Wachstum aller seiner Organe maßgebenden Einfluß nimmt, so erscheint die vokale Komponente des Werkes als die primäre... Ich war nun bestrebt, von diesem Gesichtspunkte aus die künstlerischen Aufgaben auf alle am Aufbau des Werkes mitarbeitenden Kräfte in möglichst gleichem Maße zu verteilen. Daraus folgt zum Beispiel, dass dem Orchester...keine prävalierende Rolle zufällt... (Selbständige symphonische Sätze) habe ich vielmehr der Orgel zugeteilt, die...grundsätzlich als souveräner Klangkörper behandelt wird...

    Wenn es meiner Vertonung gelingt, diese beispiellose Dichtung...dem Hörer von heute innerlich nahe zu bringen, dann wird dies mein schönster Lohn sein. F. S., geschrieben zur Uraufführung***** am 15. Juni 1938 / zit. v. docplayer.org

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • 13.02.1693 - Todestag von Johann Caspar Kerll

    Auf jpc.de weiss N.N. zu vermelden, dass dessen Orgelstücke - nicht zuletzt durch seinen ausgedehnten Schülerkreis - in ganz Europa verbreitet waren und noch Jahrzehnte nach seinem Tod in Italien, England und den Niederlanden gedruckt wurden. Der selbe Informant zitiert auch den engl. Musikhistoriker John Hawkins, der 1776 über J.C.K. gesagt haben soll one of the most skilfull and able organists that the world ever produced. User Harald Brandstetter wagt (auf amazon.de am 03.03.2014) gar die These, dass es kaum einen Meister des Kontrapunkts gebe, der J.C.K. das Wasser reichen könnte!

    Heute scheint er nur denjenigen bekannt zu sein, die dauerhaft und "ausgiebiger" an Orgelmusik interessiert sind. Selbst auf tamino-klassikforum.at (lexikalisch ja nach wie vor ungleich breiter aufgestellt als das hiesige Forum) ist m. E. lediglich der Hinweis von user Bernhard (Eintrag vom 11.09.2009), dass das Kerll'sche (Orgel-)"Capriccio sopra il Cucu" wohl Händel zum Allegro im Orgelkonzert No. 13... inspirierte, wirklich erwähnenswert!

    Lt. N.N. auf klassik-heute.de (sind) viele seiner Werke verschollen, so z. B. alle seine 11 Opern und 24 Offertorien. Studium in Rom bei Giacomo Carissimi (1649-51), Leiter der Hofkapelle in München (1656-74) sowie (für einige Jahre ab 1777) "in höfischen Diensten in Wien" werden hier als gesicherte Lebensstationen aufgezählt. Auf der gleichen HP weist D.Huchting (am 24.03.2005) darauf hin, dass sich in der Notensammlung der Leipziger Thomassschule etliches von Kerll vorfand, und eine intensive Beschäftigung von JSB damit nachgewiesen sei. >Das Sanctus D-Dur BWV.241 geht auf das Sanctus aus Kerlls "Missa superba" zurück!< Und lt. Th.Melidor (Beitrag vom 08.06.2005) ist eine Sammlung von K.-Werken, die Georg Muffat angelegt habe, Grundlage aller modernen Ausgaben. Schließlich rühmt Matth.Hengelbrock (am 22.07.2002) Johann Capar Kerlls Synthese aus protestantischer Innerlichkeit und katholischer Geste >K. trat vom evang-luth. zum kath. Glauben über!<, zugleich aus mitteldeutscher Gelehrsamkeit und italienischer Klangpracht.

    Auf jpc.de berichten B.Huber und G.Guglhör (offensichtl. zwei Mitarbeiter von OehmsClassics), dass mit K. erstmals ein dt. Musiker...im Musikleben Münchens maßgeblichen Einfluß erlangt. Und: ...dass seine auftragsgebundenen Werke bereits 1689 im Druck erschienen, zeige dessen besondere Wertschätzung. Beide Autoren verweisen ferner besonders auf Kerlls - an H.Schützens "Kleine Geistliche Konzerte" erinnernde - in Struktur, Metrum und Tempo sehr unterschiedliche Motetten.

    Weitere Ergänzungen entnehme ich dem booklet - Text des Interpreten Jos.Kelemen (J.C.K. - Sämtliche freie Orgelwerke: OehmsClassics 362). Lt. diesem hat K. während seines Aufenthaltes in Rom gewiss Joh.Jak.Froberger >1616/1667< kennengelernt. Und als Anhang seiner 1686 in München herausgegebenen "Magnificat-Verse" habe er eine Auflistung seiner Tastenmusik erstellt, die als eines der frühesten gedruckten (Werk-)Verzeichnisse eines einzelnen Komponisten gelte. Schließlich erwähnt Kelemen das (vermutlich auf Joh.Nik.Forkels JSB-Biographie von 1802 zurückgehende) "hartnäckige Gerücht", dass das sagenumwobene Manuskript, dass der ältere JSB-Bruders Johann Christoph besessen haben soll (und welches Johann Sebastian gelegentlich habe einsehen dürfen), neben Stücken von Joh.Pachelbel >1653/1706< und Froberger auch solche von J.C.K. enthalten habe... Ausdrücklich weist er außerdem darauf hin, dass Kerlls (acht) Toccaten sich formal auf Frescobaldis gleichnamige Werke beziehen sowie sich dessen Canzonen ebenso durch kontrapunktische Raffinesse wie durch die eigenwillige Anlage ihrer Kopfthemen auszeichnen. Allgemein auffallend seien zudem die (zumindest im Notenbild der freien Orgelwerke Kerlls) reichlich vorhandenen ausgeschriebenen Verzierungen in italienischer Manier.

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  • 15.02.1965 - Michael Gielen dirigiert in Köln die Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns Oper "Die Soldaten"

    Das Werk basiert auf dem gleichn. (1776 verfassten, 1863 uraufgeführten) "Bürgerlichen Trauerspiel" von Jakob Michael Reinhold Lenz. I. F. zwei gekürzte Passagen vom Ende des dritten und Beginn des vierten resp. vom Beginn des letzten (fünften) Aktes. Wortlaut und Orthografie folgen der Ausgabe von 1965/66 (Hg. Br.Titel u. Hellm.Haug. Goverts Verl.: Stuttgart).

    Die Gräfin de la Roche ...sagen Sie mir, ich bitte Sie, wie kamen Sie doch dazu, über ihren Stand hinaus sich nach einem Mann umzusehen. Ihre Gestalt, dachten Sie, könnte Sie schon weiter führen als Ihre Gespielinnen; ach liebe Freundin, eben das hätte Sie sollen vorsichtiger machen. Schönheit ist niemals ein Mittel, eine gute Heurat zu stiften, und niemand hat mehr Ursache zu zittern als ein schön Gesicht. Tausend Gefahren mit Blumen überstreut, tausend Anbeter und keinen Freund...

    Armes Kind, wie glücklich hätten Sie einen rechtschaffenen Bürger machen können, wenn Sie diese fürtreffliche Gesichtszüge, dieses einnehmende bezaubernde Wesen mit einem demütigen menschenfreundlichen Geist beseelt hätten, wie wären Sie von allen Ihres gleichen angebetet, von allen Vornehmen nachgeahmt und bewundert worden. Aber Sie wollten von Ihresgleichen beneidet werden. Armes Kind, wo dachten Sie hin und gegen welch ein elendes Glück wollten Sie alle diese Vorzüge eintauschen? Die Frau eines Mannes zu werden, der um Ihretwillen von seiner ganzen Familie...verachtet würde. Und einem so unglücklichen Hazardspiel zu Gefallen Ihr ganzes Glück, Ihre ganze Ehre, Ihr Leben selber auf die Karte zu setzen. Wo dachten Sie hinaus? wo dachten Ihre Eltern hinaus? Armes betrogenes durch die Eitelkeit mißhandeltes Kind. Drückt sie an Ihre Brust...

    Mariane, Tochter eines Galanteriehändlers in Lille weint auf ihre Hand. Er liebte mich aber. Gräfin Die Liebe eines Offiziers Mariane -- eines Menschen, der an jede Art von Ausschweifung, von Veränderung gewöhnt ist, der ein braver Soldat zu sein aufhört, sobald er ein treuer Liebhaber wird, der dem König schwört, es nicht zu sein und sich dafür von ihm bezahlen läßt. Und Sie glaubten die einzige Person auf der Welt zu sein, die ihn trotz des Zorns seiner Eltern, trotz des Hochmuts seiner Familie..., trotz seines Charakters, trotz der ganzen Welt treu erhalten wollten? Das heißt, Sie wollten die Welt umkehren. -- -- Und da Sie nun sehen daß es fehlgeschlagen ist, so glaubten Sie bei andern Ihren Plan auszuführen und sehen nicht, daß das was Sie für Liebe bei den Leuten halten, nichts als Mitleiden mit Ihrer Geschichte, oder gar was Schlimmeres ist. Mariane fällt vor ihr auf die Knie, verbirgt ihr Gesicht in Ihren Schoß und schluchst...

    Kommen Sie mit in mein Haus, Ihre Ehre hat einen großen Stoß erlitten, das ist der einzige Weg, sie wieder herzustellen. Werden Sie meine Gesellschfterin und machen Sie sich gefaßt in einem Jahr keine Mannsperson zu sehen. Sie sollen mir meine Tochter erziehen helfen -- kommen Sie wir wollen gleich zu Ihrer Mutter gehen und sie um Erlaubnis bitten... ....

    Mary, Offizier ... wenn der Desportes das Mädchen nicht heuratet, so heurate ich's. Ich bin zum Rasendwerden verliebt in sie. Ich habe schon versucht, mir die Gedanken zu zerstreuen, du weißt wohl mit der Duval, und denn gefällt mir die Wirtschaft mit dem Grafen gar nicht und daß die Gräfin sie nun gar ins Haus genommen hat, aber alles das -- verschlägt doch nichts, ich kann mir die Narrheit nicht aus dem Kopf bringen... Sich an den Kopf schlagend. Und wenn ich noch so denke, wie sie neulich im Mondschein mit mir spazieren ging und mir ihre Not klagte, wie sie manchmal mitten in der Nacht aufspränge, wenn ihr die schwermütigen Gedanken einkämen, und nach einem Messer suchte...

    - - - - - - - - - - - - - - -

    Mariane ...unter einem Baum ruhend, zieht ein Stück trocknes Brod aus der Tasche. Ich habe immer geglaubt, daß man von Brod und Wasser allein leben könnte. Nagt daran. O hätt ich nur einen Tropfen von dem Wein, den ich so oft aus dem Fenster geworfen -- womit ich mir in der Hitze die Hände wusch... O das quält -- -- nun ein Bettelmensch -- Sieht das Stück Brod an. Ich kann's nicht essen Gott weiß es. Besser verhungern. Wirft das Stück Brod hin und rafft sich auf. Ich will kriechen, so weit ich komme, und fall ich um, desto besser.

    Desportes, ein Edelmann...in frz. Diensten Wie ich dir sage, es ist eine Hure vom Anfang an gewesen und sie ist mir nur darum gut gewesen, weil ich ihr Präsenten machte. Ich bin ja durch sie in Schulden gekommen, daß es erstaunend war, sie hätte mich um Haus und Hof gebracht, hätt' ich das Spiel länger getrieben. Kurz um Herr Bruder, eh ich mich versehe, krieg ich einen Brief von dem Mädel, sie will zu mir kommen... Nun stell dir das Spektakel vor, wenn mein Vater die hätte zu sehen gekriegt. Was zu tun, ich schreib meinem Jäger er soll sie empfangen und ihr solange Stubenarrest auf meinem Zimmer ankündigen, bis ich selber...zurückkäme und sie heimlich zum Regiment abholte. Denn sobald mein Vater sie zu sehen kriegte, wäre sie des Todes. Nun mein Jäger ist ein starker robuster Kerl, die Zeit wird ihnen schon lang werden auf einer Stube allein. Was der nun aus ihr macht will ich abwarten. Lacht Höhnisch. ich hab ihm unter der Hand zu verstehen gegeben daß es mir nicht zuwider sein würde. Mary. Hör Desportes, das ist doch malhonett. Desportes. Was malhonett, was willst du -- Ist sie nicht versorgt genug wenn mein Jäger sie heuratet? Und für so eine -- Mary. Sie war doch sehr gut angeschrieben bei der Gräfin. Und hol mich der Teufel Bruder ich hätte sie geheuratet, wenn mir nicht der junge Graf in die Quer gekommen wäre, denn der war auch verflucht gut bei ihr angeschrieben auch. Desportes. Da hättest du ein schön Sauleder an den Hals bekommen.

    Mary ...einmal kam ich hin, es war in den heißesten Hundstagen, und sie hatte eben wegen der Hitze nur ein dünnes Röckchen von Nesseltuch an, durch das ihre schönen Beine durchschienen. Sooft sie durchs Zimmer ging und das Röckchen ihr so nachflatterte -- hör ich hätte die Seligkeit frum geben mögen, die Nacht bei ihr zu schlafen. Nun stell dir vor, zu allem Unglück muß den Tag der Graf hinkommen, nun kennst du des Mädels Eitelkeit. Sie tat wie unsinnig mit ihm, ob nun mich zu schagrinieren, oder weil solche Mädchens gleich nicht wissen, woran sie sind wenn ein Herr von hohem Stande sich herabläßt, ihnen ein freundlich Gesicht zu weisen. Mir ging's wie dem überglühten Eisen, das auf einmal kalt wie Eis wird... ....

    zit. v. zeno.org

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • Über das Geburtsdatum des Frühhumanisten Rudolf Agricola (eigtl. Roelof Huysman) gibt es unterschiedl. Annahmen; manche halten den 17.02.1444 für möglich....

    Hier - ohne jede Kennzeichnungen von Kürzungen und Umstellungen - die "capriccio-exklusive" Kurzversion eines Vortrags ("R. A., ein dt. Vertreter der ital. Renaissance"), den der Historiker Friedr.G.J.Bezold >1848/1928< am 25.07.1884 in München gehalten hat (zit. v. archive.org).....

    Die Italiener hatten in der That ein gutes Recht auf die Fülle von durchgebildeten Persönlichkeiten stolz zu sein, deren fesselnde Züge uns noch heute aus den schriftlichen und vor Allem künstlerischen Denkmälern des XV. Jahrhunderts entgegenblicken. Das allmähliche Freiwerden der Individualität spiegelt sich nirgends klarer als in der wachsenden Bedeutung der Biographien und der Porträts in der bildenden Kunst. Während des Mittelalters lassen die Lebensbeschreibungen wie die bildlichen Darstellungen in der Regel das Persönliche, Charakteristische fast ganz zurücktreten; sie bieten uns häufig nur verkörperte Begriffe, mehr oder minder vollkommene Typen. Es ist der Kaiser, der Papst, der Mönch, der Ritter, der uns vorgestellt wird; unter den conventionellen Falten der geistlichen oder kriegerischen Gewandung verschwinden die Umrisse des Menschen. Diesen mönchisch - ritterlichen Massstab hat nun die Renaissance zerbrochen und weggeworfen. Dante und Petrarka ((sic!)) waren schon ihren Zeitgenossen grosse Menschen, die sich nicht mehr unter eine der herkömmlichen Rubriken zwängen liessen; ihr Name durfte für sich allein auftreten, ohne die früher unerlässliche Legitimation einer Genossenschaft. Von da ab wächst zuerst in Italien die Schaar der Männer, die nicht dies oder jenes, sondern ganze Menschen sein wollten.

    Kein Geringerer als Petrarka, der "erste moderne Mensch", war (Rudolf Agricola's) auserwähltes Vorbild. (Letztere) ist nicht nur ein sprechendes Beispiel für diesen neuerwachten Trieb nach Unabhängigkeit, sondern auch dadurch sehr merkwürdig, dass er, der Nordländer, dem italienischen Ideal der harmonisch ausgebildeten Persönlichkeit nachgegangen und nahegekommen ist. Unter den italienischen Humanisten waren Habgier und Ehrgeiz bis zur cynischen Leidenschaft sehr an der Tagesordnung. Von diesen Flecken ist er unberührt geblieben, während er doch in italienischer Atmosphäre über die spiessbürgerliche Biederkeit und Plumpheit der deutschen Standesgenossen völlig hinausgewachsen war.

    Geboren in einem Dorfe bei Groningen, sollte er als ein aufgewecktes und frühreifes Kind, wie sich das beinahe von selbst verstand, geistlich werden. Nachdem er in Löwen und Paris scholastische Philosophie und Theologie studiert hatte, führte ihn sein Interesse an der klassischen Literatur über die Alpen. Die entscheidenden Lebensjahre brachte er in Italien zu; am Hofe zu Ferrara trat er als trefflicher Orgelspieler in die herzogliche Kapelle, während er sich zugleich mit Feuereifer auf das Griechische warf. Es waren keine Geister ersten Ranges, die damaligen Rhetoren, Poeten und Philosophen Ferrara's, als aber A. endlich in die Heimat zurückkehrte, empfand er doch den Abstand sehr tief und musste wie Dürer und mancher andere Nordländer "nach der Sonnen frieren". Vergebens suchte man in Groningen, Antwerpen, am burgundischen Hofe den berühmten Landsmann zu fesseln, bis es Dalberg*** gelang, ihn nach Heidelberg zu ziehen. Hier wirkte er nicht ganz drei Jahre; zurückgekehrt von einer Romreise starb er am 28. Oktober 1485.

    Agricola bekennt sich in seiner Biographie Petrarka's offen zu der Ansicht, dass die Leiblichkeit des Menschen durchaus nichts Gleichgültiges sei; innere Trefflichkeit könne durch Schönheit noch gehoben werden. Seine leidenschaftliche Hingabe an die Studien ging niemals so weit, dass er die körperliche Ausbildung darüber versäumt hätte. Er beherrschte eine Reihe von Sprachen; die Reinheit seiner lateinischen Aussprache schützte ihn vor dem Spott der Italiener, der sonst den lateinisch redenden Barbaren unfehlbat traf und selbst einen Meister wie Erasmus°°° abhielt, sich in Italien öffentlich hören zu lassen. Agricola war durch und durch musikalisch, als Musiker gewann er zuerst den Beifall der Italiener; noch im XVI. Jahrhundert lebten manche von seinen Weisen fort. Aber auch die bildende Kunst der niederländischen Heimat musste einen so empfänglichen Geist mächtig anregen. Seine Jugendübung in der Kalligraphie bahnte ihm den Weg zur Malerei, die er wie die Musik mir wahrer Leidenschaft betrieb. Er kennt nicht nur die Perspektive, sondern spricht auch mit vollem Verständnis von den Körperproportionen. "Wenn nicht alle Glieder des Leibes," sagt er, "gehörig angeordnet sind, wenn sie nicht die richtige Gestalt und Grösse haben, so ist aller Schmuck vergebens; der Körper wird zu diesem in einem schreienden Gegensatz stehen und seine Missgestalt durch die äussere Zier nur noch hervorgeben werden."

    Agricola besass ein Formengedächtnis wie wenige; er liebte es unterwegs, ohne Nachhülfe einer Stütze seine Eindrücke zu sammeln. Wenn er einen Menschen malen wollte, sagt sein Biograph, beobachtete er ihn heimlich in der Kirche während der Messe und warf dann zu Haus eine sprechend ähnliche Kohlenzeichnung hin; "man glaubte in diesen stummen Conturen der Glieder den Körper leben und sich bewegen zu sehen." Er scheint ihm also ganz besonders auf ein lebendiges Erfassen der ganzen menschlichen Gestalt und nicht etwa blos auf den seelischen Ausdruck des Gesichts angekommen zu sein. Wir dürfen uns wohl der Vermutung eines unserer Kunsthistoriker anschliessen, dass Agricola's Arbeiten, wenn sie uns erhalten wären, die frühesten Zeugnisse für die Einwirkungen der neuen italienischen Kunst auf Deutschland liefern würden.

    Schon in seinen Anfängen hat der deutsche Humanismus, sehr verschieden vom italienischen, sich mit Vorliebe der Schule zugewendet; an den Schulen, an den Universitäten sucht er sich einzubürgern und seine literarischen Erzeugnisse besitzen fast durchweg einen stark pädagogischen Geschmack. Agricola mochte für seine Person von der Plackerei und dem Staub der Schule ganz und gar nichts wissen. "Eine Schule," sagte er, "ist etwas herbes, mühseliges, unerquickliches, widerwärtig anzusehen, mit ihren ewigen Prügelszenen einem Kerker zum Verwechseln ähnlich."

    Agricola hat sein Ideal einer beata tranquillitas, eines völlig ungestörten Daseins nirgends gefunden. Schon der Schatten eines Anspruchs, den andere auf seine Zeit und Tätigkeit erheben konnten oder durften, war ihm unerträglich. Auch für das, womit es ihm voller Ernst war, ist er eigentlich nie als Kämpfer aufgetreten; die Polemik, für manche Humanisten geradezu das Lebenselement, ist ihm in der Seele zuwider; das blosse Wortgefecht, obwol er sich darauf verstand wie einer, hatte keinen Reiz für ihn. Aber man würde diesem Liebhaber der Ruhe sehr Unrecht tun, wollte man ihn für einen weichlichen Egoisten halten. Er war der gefälligste wissenschftliche Berater, der liebenswürdigste Gesellschafter.

    ***Johann XX. v. Dalberg >1544/1503<: lt. wikipedia.org "Bischof v. Worms u. Kanzler d. Universität Heidelberg".
    °°° wer sonst als Erasmus v. Rotterdam >um 1468/1536< könnte gemeint sein....

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  • 18.02.1564 - Todestag von Michelangelo Buonarroti

    Sonett V. An GIOVANNI VON PISTOLA, Als der Autor die Decke der Sistina malte. 1509. ((M. ist jetzt 34J. alt.))
    In diesem Elend wuchs mir schon ein Kropf / So wie den Katzen im Lombardenreich
    Vom Wasser, oder wo auch sonst noch gleich, / So dass der Bauch zu haften scheint am Kopf.

    Der Bart steht himmelan, es wächst der Schopf / Am Buckel fest, die Brust Harpyen** gleich, ((**kräftig gebaute, süd- u. mittelamerik. Greifvogelart))
    Mein Pinsel, abwärts träufelnd, farbenreich, / Bemalt mit Mosaik mich armen Tropf.

    Die Niere presst sich an die Brust ; das Kreuz / Drückt' ich heraus, im Gleichgewicht zu steh'n, / Der Fuss, den nicht das Auge lenkt, geht quer.

    Vorn längt sich mir die Haut, und andrerseits / Kürzt sie im Rücken sich vom Einwärtsdrehn, / Gekrümmt wie'n Syrer-Bogen athm' ich schwer.

    Nun wird auch mehr und mehr / Mein Urtheil schief, im schiefen Haupt erzeugt ; / Aus krummen Rohren schiesst fehl man allzuleicht.

    Drum, Freund, steh' du mir bei, / Und sag der Welt, dass ich kein Maler sei, / Und nicht am rechten Platz ; das sage frei !

    Grabschriften auf CECCHINO BRACCI VON FLORENZ Gestorben in Rom in seinem siebzehnten Jahre am 8. Januar 1544. Dem Luigi Del Riccio zugesandt.

    4. Nicht mordete mit hoher Jahre Waffen / Der Tod die Schönheit, die der Staub hier deckt, / Er nahm sie schnell, auf dass sie unbefleckt
    Zum Himmel kehre, schön wie sie geschaffen.

    44. Cecchino's Augen schliesst der Tod und trennt / Vom Leib den Geist; dies Leben voller Pein / Mit einem bessern tauscht es Bracchio ein,
    Ihm ward so früh, was oft dem Greis missgönnt.

    Madrigal XVI. Der Tod, ja schon die Todesfurcht kann retten / Aus strenger Schönheit Ketten, / Kann vor der Stolzen Waffen mich beschirmen;
    Ja in den Liebesstürmen, / Die mehr als je die Gluth in mir entzünden, / Werd' ich nur Hülfe finden,
    Wenn ich des Todes Bild in's Herz mir präge, / Denn Amor fliegt des Todes dunkle Wege.

    Madrigal XII. Wie sich ein Bild der Phantasie im Steine / Verbirgt und erst zu Tage / Mit jedem Hammerschlage
    Allmählig tritt, wenn jener fortgehauen, / Dass endlich es erscheine,
    So birgt in einer rauhen / Und harten Schaale sich der Geist, der hehre; / Der Stoff umschliesst ihn wie den Baum die Rinde.
    Nimm gütigste der Frauen, / Mir ab die Erdenschwere,
    Da in mir selbst ich Kraft nicht dazu finde.

    Sonett I. An DANTE ALIGHIERI. 1545. Vom Himmel stieg er lebend in die Hölle / Und sah, ein Mensch, die beiden Leidenssphären,
    Um dann zu Gott lebendig heimzukehren, / Auf dass der Wahrheit Licht auch uns erhelle.

    Du Stern, dein Ruhm beglänzt der Heimath Schwelle, / Die dich zum Dank verstösst ! und dennoch wären
    Zu armer Lohn die Welt und Schätz' und Ehren, / Nur Gott genügt dir, deines Lebens Quelle !

    Ich rede jetzt von Dir, o grosser Dante, / Da Neider dein Verdienst mit Undank zahlen, / Dein Volk, dem Edlen feind, dich stets verkannte ;

    Und doch, könnt' ich in deiner Glorie strahlen, / Dann tauscht' ich gern von dir, den Missgunst bannte, / Für höchstes Glück mir ein all' deine Qualen !
    zit. v. archive.org ((dt. v. Soph. Hasenclever; 1824/1892))

    S. (resp. höre) auch ... H.Wolf: drei Gedichte von M. f. eine Baßstimme u. Klavier; 1897 ... B.Britten: Seven Sonnets of M. f. Tenor u. Klavier op.22; 1940 ... D.Schostakowitsch: Suite nach Worten von M. op.145; 1974

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  • PS

    Michelangelo lediglich in (ich hoffe leidlich gelungener!!) dt. Übersetzung - das widerstrebt mir! => Im ital. Original nochmals 16.Madrigal u. 4.Grabschrift...

    Non pur la morte, ma 'l timor di quella / Da donna iniqua e bella, / Ch' ogn' or m' ancide, mi difende e scampa:
    E se tal' or m' avvampa / Piu che l' usato il foco in ch' io son corso, / Non trovo altro soccorso
    Che l' imagin sua ferma in mezzo il core ; / Che dove e morte non s' appressa amore.

    PER CECCHINO BRACCI FIORENTINO...
    Non volse morte non ancider senza / L' arme degli anni e de' superchi giorni / La belta che qui giace, accio c' or torni
    Al ciel con la non persa sua presenza

    Wortlaut und Orthographie folgen der Veröffentl. ("Saemmtliche Gedichte°° M's in **Guasti's Text") des Verlags Alph.Dürr, Leipzig 1875. ((**Der Schriftsteller und Philologe Cesare Guasti >geb.1822< hatte sie°° 1863 neu herausgegeben; hierauf basieren auch die oben wiedergegebenen Übersetzungen.))

    Übrigens geht das zweite Stück >Il Penseroso; Der Nachdenkliche"< aus dem Italien - Band von Liszt Annees de pelerinage auf eine Michelangelo - Statue zurück!! ((Müsste ich mich für ein Liszt'sches Klavierstück für die einsame Insel entscheiden, wär's vermutlich eben dieses!! ...kann mich dunkel an ein Vergleichshören vor einigen Monaten erinnern: W.Kempffs leider arg verrauschte Aufnahme vom Okt. 1950 überzeugte mich erheblich mehr als die Interpretation >des eigentl. so verdienstvollen< Michael Korstick(s), mit der ich gar zu sehr "Staatsbegräbnis" assoziierte....))

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