21.02.1918 - Todestag von Hedwig Lachmann
Die 1865 geborene Schriftstellerin und Übersetzerin war eine langjährige Freundin von Richard Dehmel (des Dichters der "Verklärten Nacht"; die Beziehung zerbrach an Dehmels Weltkriegsbegeisterung) und übersetzte - teils alleine, teils mit ihrem Ehemann Gustav Landauer >1870/1919< - u. a. Edgar Allan Poe, Sandor Petöfi, Honore de Balzac und Oscar Wilde. (R.Strauss nutzte ihre "Salome"-Übertragung für sein Opern-Libretto.) I. F. zwei kurze Ausschnitte aus dem zweiten Kapitel von Wildes einzigem Roman "The Picture of Dorian Gray" (1890) resp. vom Beginn des Romans "La vielle fille" (1836) von Honore de Balzac......
.... ...weil, wer einen Menschen beeinflußt, ihm seine eigene Seele gibt. Er denkt nicht seine natürlichen Gedanken und glüht nicht in seinem natürlichen Feuer. Seine Tugenden gehören nicht wirklich ihm. Seine Sünden, wenn es so etwas wie Sünden gibt, sind geborgte. Er wird ein Echo der Musik irgendeines Fremden, Schauspieler einer Rolle, die nicht für ihn geschrieben wurde. Das Ziel des Lebens ist Selbstentfaltung. Seine eigene Natur vollkommen zu verwirklichen -- dafür ist jeder von uns da. Die Menschen von heutzutage haben Angst vor sich selbst. Sie haben die höchste aller Pflichten vergessen, die Pflicht, die man sich selbst gegenüber hat. Natürlich sind sie wohltätig. Sie nähren den Hungrigen und kleiden den Bettler. Aber ihre eigenen Seelen sterben Hungers... Die Furcht vor der Gesellschaft, die die Grundlage der Moral ist, die Furcht vor Gott, die das Geheimnis der Religion ist -- das sind die zwei Dinge, die uns beherrschen. Und doch ---"
"Bitte, drehe den Kopf ein wenig mehr nach rechts, Dorian, sei so lieb!" sagte der Maler, der tief in seine Arbeit versenkt war und nur gewahrte, daß ein Zug in das Gesicht des Jünglings gekommen war, den er vorher nie darin gesehen hatte.
"Und doch," fuhr Lord Henry mit seiner sanften, wohlklingenden Stimme...fort, die...er schon seinerzeit in Eton gehabt hatte, "ich glaube, wenn ein einziger Mensch sein Leben völlig und ganz ausleben wollte, jeder Empfindung Form, jedem Gedanken Ausdruck, jedem Traum Wirklichkeit gegen wollte -- ich glaube, die Welt erhielte einen solchen Schwung von Freudigkeit, daß wir all das Siechtum aus den Zeiten des Mittelalters vergäßen... Aber der Tapferste unter uns hat Angst vor sich selber. Die Selbstverstümmelung der Wilden lebt...in der Selbstverleugnung fort, die unser Leben verstümmelt. Wir werden für unser Verleugnen gestraft. Jeder Trieb, den wir ersticken möchten, wühlt sich im Geiste fort und vergiftet uns... Man hat wohl gesagt, die größten Geheimnisse der Welt ereigneten sich im Hirne. Im Hirne...ereignen sich auch die großen Sünden der Welt. Sie, Herr Gray, Sie selber mit ihrer rosigen Jugend und ihrer Knabenunschuld, die wie weiße Rosen ist, Sie haben Leidenschaften gehabt, die Ihnen bange machten, Gedanken, die Sie in Schrecken setzten, Träume bei Tag und Träume im Schlaf, die, wenn sie nur daran denken, das Blut der Scham in ihre Wangen jagen - - -"
"Halten Sie ein!" rief Dorian Gray mit versagender Stimme, "halten Sie ein, mir wird wirr von ihren Reden. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es gibt eine Antwort auf ihre Worte, aber ich kann sie nicht finden. Sprechen Sie nicht! Lassen Sie mich nachdenken. Oder lieber, lassen Sie mich den Versuch machen, nicht nachzudenken."
Fast zehn Minuten land stand er da, ohne sich zu regen, mit geöffneten Lippen und einem seltsamen Glanz in den Augen... Die paar Worte...hatten eine geheime Saite berührt, die zuvor nie berührt worden war, die er aber jetzt zittern und in seltsamer Wildheit rauschen hörte. Die Musik hatte ihn so ähnlich erregt. Die Musik hatte ihn oft wirr gemacht. Aber die Musik war unbestimmt. Sie erzeugte in einem nicht eine neue Welt, sondern eher ein neues Chaos. Worte! bloße Worte! Wie furchtbar sie waren! Wie deutlich und lebendig und grausam! Man konnte ihnen nicht entrinnen. Und was war doch in ihnen für eine feine Magie! Sie schienen imstande, gestaltlosen Dingen plastische Gestalt zu geben und eine Musik in sich zu bergen, die so süß war wie die der Bratsche oder der Laute... .... ((zit. v. zeno.org))
Athanase Granson war ein magerer, blasser junger Mann von mittlerer Figur, mit hohlem Gesicht, in welchem zwei schwarze, geistsprühende Augen wie zwei Kohlen funkelten. Die etwas gequälten Linien seines Gesichts, die Krümmungen des Mundes, sein vorspringendes Kinn, der regelmäßige Schnitt der marmornen Stirn, ein Ausdruck der Melancholie, der von dem Gefühl des Elends herrührte, das im Widerspruch zu der innern Kraft stand, derer er sich bewußt war, bekundeten einen begabten Mann in Gefangenschaft... (Er) gehörte zu der Klasse begabter Menschen, die sich selbst nicht kennen und leicht mutlos werden. Seine Seele war beschaulich, er lebte mehr im Denken als im Tun... DIe Verachtung, welche die Welt über die Armut ergießt, lähmte (ihn); die entnervende Atmosphäre einer beklemmenden Einsamkeit erschlaffte seinen Geist, der sich immer wieder aufs neue anspannte, ein schreckliches Spiel ohne jeglichen Erfolg, das die Seele ermüdete...
(In tiefer) Verborgenheit hielt er das Geheimnis seines Herzens, eine Leidenschaft, die seine Wangen aushöhlte und seine Stirn welk machte. Er liebte seine entfernte Verwandte, jene Mademoiselle Cormon, die seine unbekannten Rivalen, der Chevalier de Valois und Du Bousquier, umlauerten. Diese Liebe war von der Berechnung erzeugt worden. Mademoiselle Cormon galt für eine der reichsten Pesonen der Stadt: der arme Junge war also durch...den tausendmal gehegten Wunsch, die alten Tage seiner Mutter zu verschönen, durch die Sehnsucht nach einer behaglichen Existenz, die für geistig arbeitende Menschen so notwendig ist, dahin gebracht worden, sie zu lieben, und dieser recht unschuldige Ausgangspunkt entehrte seine Liebe in seinen Augen. Er fürchtete überdies, daß die Welt sich über die Liebe eines jungen Mannes von dreiunddreißig Jahren zu einer Vierzigjährigen lustig machen würde...
Wer vermag die Leidenschaft, die Athanase...hegte, zu begreifen? Weder die Reichen, diese Sultane der Gesellschaft, die ihre Harems dort finden, noch die Spißbürger, welche auf der ausgetretenen Landstraße der Vorurteile enhertrotten, noch die Frauen, die der Leidenschaft der Künstler verständnislos gegenüberstehen und ihnen als Erwiderung ihre Tugenden entgegenhalten, weil sie glauben, daß die beiden Geschlechter von denselben Gesetzen regiert werden. Hier muß man sich wohl an die jungen Menschen wenden, die in der Zeit, wo alle ihre Kräfte sich spannen, unter ihren ersten unterdrückten Begierden leiden; an die an ihrem Genie krankenden Künstler, die in der Umklammerung der Not ersticken; an die mit Talenten Begabten, die oft jeden Halts und aller Freunde entbehren... Alle diese kennen die nagenden Schmerzen, die Athanase verzehrten; sie alle haben angesichts der großen Ziele, zu denen ihnen die Wege abgeschnitten warren, lange, ratlose Erwägungen in ihrem Hirn hin und her gewälzt; sie alle haben das Verdorren der Hoffnungskeime erfahren, wenn der Same des schaffenden Genies auf dürren Sand fällt... .... ((zit. v. projekt-gutenberg.org))