Robert Schumann: Klavierquintett Es-Dur op. 44

  • Robert Schumann: Klavierquintett Es-Dur op. 44

    Der Komponist Robert Schumann, geboren 1810 in Zwickau, schuf zuerst lange fast nur Klaviermusik, dann Lieder (1840!), dann erste symphonische Arbeiten, und das Jahr 1842 wurde zum „Kammermusikjahr“ mit drei Streichquartetten, einem Klavierquartett und dem im September und Oktober entstandenen Klavierquintett Es-Dur op. 44, das als erstes berühmt gewordenes Werk für die Besetzung Klavier und Streichquartett gilt.

    (Franz Schuberts vermutlich 1819 entstandenes Forellenquintett sieht statt des üblichen Streichquartetts nur eine Violine und einen Kontrabass plus Viola und Cello vor. Bekannt gewordene Klavierquintette komponierten unter anderem auch Johannes Brahms und Dmitri Schostakowitsch, je eines, und Antonín Dvořák, zwei.)

    Schumanns op. 44, gewidmet seiner Frau Clara, von ihr mituraufgeführt Anfang 1843 und an ihrem 24. Geburtstag am 13.9.1843 im Druck erschienen, hat vier Sätze und dauert meist an die 30 Minuten (wenn die Wiederholung der Exposition im 1. Satz gespielt wird).

    Ich hab´s so gehört, und die ungefähren Spielzeitangaben die nun folgen sind von einer Fernsehaufnahme mit Martha Argerich und einem All-Star-Streichquartett aus dem Jahr 2010 geholt:

    https://www.youtube.com/watch?v=PU97k1_K3SE

    Der 1. Satz (Allegro brillante, 00:55) legt gleich mit dem flott akkordisch aufstrahlenden gefestigt wirkenden Hauptthema das sich markant einprägt los. Aufhorchen lassen mich in diesem Satz speziell der sich zurücknehmende Wechsel von B-Dur nach Ges-Dur in Takt 27 (1:24, bzw. in der Reprise in Takt 233, 7:48), das flehentliche Seitenthema ab Takt 50 (1:52, Reprise ab Takt 257, dort eine Quint höher) und die romantisch-dramatisch mitreißende Durchführung (ab 5:22).

    Beim 2. Satz (In modo d'una Marcia, 09:45), dessen Trauermarsch so wie ich ihn höre zweimal mit charakterlich völlig verschiedenen Abschnitten unterbrochen wird (mir persönlich sagt eine weitere Unterteilung nicht so zu), hat´s mir der erste davon (ab Takt 29, 11:40) mit seinen langen Notenwerten in der 1. Violine und dem Cello, den regelmäßigen Achteln in der 2. Violine und der Viola (alle: espressivo e sempre p) und den verführerisch weichen Klaviertriolen dazu (sempre p e legato) aber sowas von angetan, das ist meine Lieblingspassage des Werks. Zur zweiten „Marsch-Unterbrechung“ geht es mit dunkel absteigenden Tonfolgen (ab Takt 84, 14:23), als „Liszt-h-Moll-Sonaten-Verdorbener“ höre ich da eine „1853-Antizipation“ mit. Das Agitato das dann folgt (ab Takt 92, 14:40) bannt mich mit Erlkönig-Drive (ab 109b, 15:25), um das Klavier schließlich breitere Zerlegungen ausspielen zu lassen und wieder regelmäßige Streicherachtel dazu zu setzen (ab 132, sempre legato e piano, 16:08), auch so eine Passage, die mir ganz besonders ans Herz geht, und bei diesem ganzen bewegten zweiten Zwischenspiel spukt mir auch assoziativ jenes des 2. Satzes aus Mozarts Klavierkonzert KV 466 im Kopf herum. Der Marsch, den man in c-Moll kennengelernt hat, kehrt beim letzten Mal überraschend in f-Moll zurück (Takt 165, 17:24), sein Charakter ändert sich damit ins etwas Lichtere. Auch wenn Schumann dann wieder nach c-Moll rückt bleibt meinem Hörempfinden nach die „f-Moll“ Atmosphäre bestehen, ich höre die letzten c-Moll-Tonfolgen als Dominante von f-Moll – umso lichter strahlt der stille, reine C-Dur Schlussakkord. Auch „so ein Moment“.

    Flottes Hinauf- und Hinunterspringen im Scherzo des 3. Satzes (Molto vivace, 18:53), die Synkopen darin (ab Takt 10, 19:00, analog Takt 88, Takt 207), das erste Trio, fließend (ab Takt 44, 19:59), das zweite vom Aufstampfenden nahezu ins Elfenhafte hüpfend (ab Takt 122, L´istesso tempo, 21:23), was für ein feiner, spritziger kammermusikalischer Satz hier, bis zur konzertanten Coda (ab Takt 241, 22:58) – da können die Musizierenden musikantisch ordentlich abräumen.

    Und dann der 4. Satz (Allegro ma non troppo, 23:18), markanter Themenbeginn, aufsteigender c-Moll Dreiklang, da läuft´s dahin, aber hallo, kammermusikalisch konzertante Meisterschaft sondergleichen! Mir stechen hier insbesondere in die Ohren: der „Dialog“ Streicher-Klavier (ab Takt 85, 24:41) und die Weiterspinnung danach, das Fugato (ab Takt 248, 27:30), und schließlich als ultimative Krönung die Doppelfuge (ab Takt 319, 28:42), die die Hauptthemen der Sätze 1 und 4 fulminant vereint und bei der mir partout auch sofort das Finale von Mozarts „Jupiter“ Symphonie einfällt, angehörs dieses „apollinischen Fugenaufschwungs“.

    Vier Aufnahmen habe ich sofort greifbar, persönliche Höreindrücke dazu:.

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    Leonard Bernstein und das Juilliard String Quartet nahmen das Werk am 28.4.1963 in den CBS 30th Street Studios in New York auf (enthalten auf der Doppel CD Sony SM2K 62709). Das sind so wie ich es höre lauter Erzmusikanten, und sie spielen Schumanns Kammermusik auch angenehm musikantisch, hemdsärmelig, herzhaft der Musik ihren Fluss lassend. Beim 1. Satz wiederholen sie die Exposition nicht.
    (Eine Liveaufnahme mit Bernstein und dem Juilliard Quartet gibt es ja auch, die muss von mir natürlich alsbald bestellt werden!)

    Zwei der mir zu Verfügung stehenden Aufnahmen entstanden im September 1994.

    [Blockierte Grafik: https://images-na.ssl-images-amazon.com/images/I/416H6VGN6AL.jpg]

    Die Einspielung aus dem Mozartsaal des Wiener Konzerthauses mit Paul Gulda und dem Hagen Quartett (CD DGG 447 111-2) besticht so wie ich sie höre mit ihrem energischen aber gleichzeitig extrem kontrollierten Zugriff, dabei auf Details ungemein differenziert achtend, ohne den Gesamtfluss aus dem Auge zu verlieren. Dazu kommt ein großartig offenes Klangbild, das die vier Streichinstrumente akustisch an optimalen Positionen ums Klavier hörbar macht. DIE Offenbarung ist für mich in dieser Aufnahme der erste Zwischenteil im 2. Satz, der sich wie ein zartes Wunder sondergleichen entfaltet, und diese überirdisch schöne Atmosphäre wird dann auch noch einmal ab Takt 132 evoziert, bei der sempre legato e piano Passage im zweiten Zwischenteil. Über nichts wird in dieser Aufnahme hinweggespielt, alles ist im mitreißend Schwungvollen wie im zart Poetischen sehr genau und sehr bewusst gesetzt, in sich geschlossen, kompakt, nahezu eine Modellaufnahme ist das für mich.

    Ein Livemitschnitt des Werks mit Martha Argerich entstand im selben Monat, am 18.9.1994 im Concertgebouw in Nijmegen, zusammen mit Dora Schwarzberg, Lucy Hall, Nobuko Imai und Mischa Maisky (gehört aus der Martha Argerich 20 CD Box The Warner Classics Recordings). Da zieht die Musik wieder musikantischer, „eben live“ vorüber, beherzt, sympathisch differenziert wenn es darum geht zu zeigen, dass eben fünf spielen und jede, jeder seine Persönlichkeit hat, empfindsam-melodiös wo es geht, im Live-Einsatz auch erneut mitreißend. Dass da ein Mischa Maisky mitspielt hört man schon durch, bei dieser dritten gehörten Aufnahme sind mir so manche Cellopassagen erstmals deutlicher aufgefallen, die ich zuvor überhört hatte. Aber auch Nobuko Imais Viola weiß dort gut aufzufallen, wo es sich anbietet. Kameradschaftlich herzlich musizierende Einzelpersönlichkeiten!

    Martha Argerich and Friends live from the Lugano Festival (3 CDs, EMI): am 27.6.2002, beim Konzert dieses Tages im Auditorio Stella Molo in Lugano im Rahmen des erstmals durchgeführten Progetto Martha Argerich, entstand die zweite Liveaufnahme des Werks mit der geborenen Argentinierin, diesmal zusammen mit Dora Schwarzberg, Renaud Capuçon, Nora Romanoff Schwarzberg und Mark Drobinsky. Da besticht sofort einmal die ungleich offenere, kräftigere, differenzierter ausstrahlende Tontechnik als bei Argerichs vorigem Livemitschnitt. Dadurch kommt das erneut wunderbar beherzte Live-Musizieren aller Mitwirkenden umso mitreißender zur Geltung. Die Spielfreude etwa im Scherzo – toll! Musikantisch kommt´s auch zünftiger daher als 1994.

    Mit Martha Argerich gibt es also auch diese oben genannte Fernsehaufnahme eines Konzertmitschnitts aus der Philharmonie Essen mit dem Werk vom Klavierfestival Ruhr 2010, gezeigt in ARTE im Dezember 2013 und verfügbar auf youtube. Diesmal spielte sie als Einspringerin für Nelson Freire mit Renaud Capuçon, Gabrielle Shek, Argerichs Tochter Lyda Chen und Mischa Maisky. Ich bewundere (bei aller erwartbarer Professionalität) diese sicht- und hörbare Live-Hingabe der Mitwirkenden, im Konzert und vor Fernsehkameras die Musik so tonklar, im Zusammenspiel hochkonzentriert, in künstlerischer Einigkeit bei Wahrung der individuellen Persönlichkeit lebendig machen zu können. Es hat vieles hier schon was abgeklärt Souveränes, aber die Leidenschaft kommt so meine ich auch keineswegs zu kurz.

    Quellen: wikipedia, Henle Urtext Notenausgabe, CD Booklets.

    Andere Meinungen zum Werk, zu den Aufnahmen, andere Aufnahmen - gerne hier! Herzlich willkommen in Robert Schumanns Klavierquintettwelt!

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Danke für die Threaderöffnung zu einem von mir besonders geliebten Werk! (Mein erster Kontakt mit dem Quintett: Das Marcia-Thema als Filmmusik in Ingmar Bergmans "Fanny und Alexander").

    Klavierquintett Es-Dur op. 44, das als erstes berühmt gewordenes Werk für die Besetzung Klavier und Streichquartett gilt

    Bemerkenswert, dass sich diese Besetzung vorher nicht etabliert hat. Ein paar Beispiele im 18. Jh. (Boccherini), aber irgendeine etablierte Tradition gibt es vor Schumann nicht. Dagegen haufenweise Werke für die Besetzung, die man von Schuberts Forellenquintett her kennt (Kavier, Violine, Viola, Cello, Kontrabass).

    Beim 2. Satz (In modo d'una Marcia, 09:45), dessen Trauermarsch so wie ich ihn höre zweimal mit charakterlich völlig verschiedenen Abschnitten unterbrochen wird (mir persönlich sagt eine weitere Unterteilung nicht so zu)

    Ist doch eigentlich recht deutlich ABA'CA''B'A'''. Wobei A'' das Marcia-Thema sozusagen aus dem Agitato herauswachsen lässt.

    Interessant ist die Entstehungsgeschichte des Satzes: Ursprünglich hatte Schumann statt des Agitato ein zweites Trio, in As-dur und im Grundtempo, vorgesehen. Es war Mendelssohn, der Schumann dazu riet, einen lebhafteren Satzteil einzuschieben. Schumann ersetzte das As-dur-Trio durch das Agitato und Mendelssohn resümierte, "daß in den seltensten Fällen ein nachcomponiertes Stück sich so glücklich in den Zusammenhang füge, wie das hier der Fall sei."

    Zur zweiten „Marsch-Unterbrechung“ geht es mit dunkel absteigenden Tonfolgen (ab Takt 84, 14:23), als „Liszt-h-Moll-Sonaten-Verdorbener“ höre ich da eine „1853-Antizipation“ mit.

    Die Tonfolge gibt's ja fast identisch schon im Kopfsatz, beim Übergang zur Durchführung (in der sich dann auch bereits das Marcia-Thema andeutet). Offenbar ein Schlüsselmotiv. Es wurde auch als Rezeption barocker Figurenlehre gedeutet, als "Katabasis" - Hans Kohlhase sah sogar (etwas gewagt) das "Es ist vollbracht" aus Bachs Johannespassion zitiert.

    :wink:

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  • Die Autorin des Begleitheftes zur Gesamteinspielung von Schumanns Kammermusik mit Klavier (mit Eric le Sage beim Label "Outhere"), geht davon aus dass Schumann das Werk für Clara aus Berechnung komponiert hat. Da er nichts von einer Pianistenkarriere seiner Frau hielt, fand er sich eher damit ab, dass Sie mit dem Quartett von Ferdinand David (damals Konzertmeister des Gewandhauses und gleichzeitig Primarius des Gewandhausquartetts und mit Mendelssohn und den Schumanns befreundet) Kammermusik machte, anstatt als Solistin aufzutreten. In dieser Konstellation blieben ihre Auftritte gewissermaßen "in der Familie". Später hat er sein Problem anders gelöst, indem nämlich Clara fast pausenlos schwanger war. Clara indes liebte das Quintett sehr, und hat auch eine hörenswerte Fassung für Klavier zu 4 Händen davon angefertigt.

    Schumanns Quintett scheint so etwas wie eine "Initialzündung" gewesen zu sein, denn in der Folge erschienen reichlich Quintette in dieser Besetzung (u.a. Fauré, Elgar, Arensky, Borodin, Medtner, Saint-Saëns, Dohnanyi, Stanford, Hahn, Vierne, Suk, Thuille, Bruch uvam.).

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • denn in der Folge erschienen reichlich Quintette in dieser Besetzung (u.a. Fauré, Elgar, Arensky, Borodin, Medtner, Saint-Saëns, Dohnanyi, Stanford, Hahn, Vierne, Suk, Thuille, Bruch uvam.

    Von Kleinmeistern wie Brahms, Franck und Dvorák ganz zu schweigen. :D

    :wink:

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  • Von Kleinmeistern wie Brahms, Franck und Dvorák ganz zu schweigen

    Keineswegs, aber die wurden ja bereits genannt.

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Der Marsch, den man in c-Moll kennengelernt hat, kehrt beim letzten Mal überraschend in f-Moll zurück

    Schumann-typisch? die (oder eine) Reprise in einr anderen Tonart erinnert an die Romanze der 4.Symphonie. Also daß der Schluss auf der "neuen" Dominante am Ende eigentlich die ursprüngliche Tonika in Dur ist...

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Eine Reprise in der Subdominante ist eigentlich gar nicht so selten. Daß die Reprise eines moll-Satzes zur Dur-Tonika führt sogar eher die Regel.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Eine Reprise in der Subdominante ist eigentlich gar nicht so selten. Daß die Reprise eines moll-Satzes zur Dur-Tonika führt sogar eher die Regel.

    mag sein, daß das öfter vorkommt, vielleicht sogar gerade in der Kombination.
    hier ist es, anders als ich erst in Erinnerung hatte, aber doch so, daß kurz vorm Ende das Thema doch wieder in c-moll erscheint, also mein Vergleich mit der Romanze aus der 4. hinkt.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Es verhält sich doch m.E. etwas anders: Die Tonart f-moll wird durch das Agitato in den zweiten Satz eingeführt, und bereits die noch im Agitato-Tempo stehende zweite Wiederkehr des Marcia-Themas steht ebenfalls in f-moll. So erfolgt dann auch die Wiederkehr des expressiv-lyrischen B-Teils in F-dur und nicht in C-dur wie beim erstenmal. Dass die letzte Wiederkehr des Marcia-Teils wieder in f-moll steht, ist dann eigentlich keine Überraschung mehr.

    Die formal spiegelsymmetrische Anlage wird durch die Harmonik konterkariert: Der in c/C stehende Satz kippt in der Mitte (beim Agitato) dauerhaft nach f/F, erst ganz zum Schluss geht das Marcia-Thema wieder nach c-moll (wie von philmus gesagt), gefolgt vom abschließenden C-dur-Akkord.

    :wink:

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  • Ein zentrales Werk auch für mich. Danke Alexander für die Threaderöffnung.

    Obwohl ich das Werk hörend in- und auswendig kenne, bin ich wieder einmal erstaunt darüber, wie gut ihr über das Werk zu reden/schreiben versteht. Seit du, Alexander, den Thread gestartet hast, habe ich einige Aufnahmen gehört, nicht mit Noten in der Hand, meist nur nebenbei. Viele Einzelheiten sind mir aufgefallen. Sie zur Sprache zu bringen fällt mir allerdings schwer. Daher erst einmal nur Allgemeinplätze:

    An die Doppelfuge habe ich mich inzwischen mehr gewöhnt als dass ich sie liebe. Gut erinnere ich noch, dass ich sie beim Kennenlernen des Quintetts unpassend, extrentisch bizarr fand und sie eher widerwillig über mich ergehen ließ. Sonberbar ist sie noch immer, ob sie auch absonderlich ist, mag jeder selbst entscheiden. Vielleicht ist, besser war mir auch der Übergang in die Fuge zu abrupt.

    Eine stets vorhandene Zentralfrage ist die nach der Tempodramaturgie. Bei diesem Werk stellt sie sich ganz besonders, meine ich, weil das Werk große Stärken in der romantisch-melodiösen Schwelgerei wie Innerlichkeit hat, ihm aber auch im besonderen Maße Gegenstellen einkomponiert sind, die man Brüche oder auch weniger gewichtig Kontraste nennen mag.

    Wie halte ich als Ausführender es nun mit dem Verhältnis von - vereinfacht gesagt - Melodie und Kontrast, schwelgerischer Romantik und ihren Brüchen?

    In meiner Werkwahrnehmung steht die Melodienfülle im Vordergrund. Mehr als das Schroffe fesseln mich die langen Melodien, das immer wieder vorherrschende lyrisch Beseelte. Ja, die Klüfte sind selbstverständlicher Bestandteil des Ganzen, aber sie sind für mich weniger wichtig, haben im Wesentlichen, mir fällt kein besseres Wort ein, entkitschende Funktion. Will sagen: Nur Melodien geht ja auch nicht.

    Andere sehen das anders. Ihre Aufnahmen liegen mir demgemäß auch nicht so. Ein Extrembeispiel ist die Aufnahme des Hagen Quartett mit Gulda: Sie beginnen in einem derart rasenden Tempo, dass man befürchten muss, das Werk ist vorbei, noch bevor man den Weg vom CD-Spieler zum Sessel zurückgelegt hat. Offenbar tun sie das, um eine größere Spannung zwischen den Werkteilen zu erzeugen und so dem Hörer im lyrischen ein stärkeres Entspannungsgefühl zu vermitteln. Mich überzeugt das in dieser Extremform gar nicht. Gewillkürte, dem Werk aufgepfropfte Exzentrik ist das für meine Ohren. Zu viel! Zu viel!

    Eben läuft das Hollywood Quartet mit Victor Aler, das mir ein weiteres Beispiel für Tempowillkürlichkeiten bietet. Wieder der Anfang, dieses Mal geht es um die Stelle nach den gemeinsamen Akkorden, in der das Klavier kurz quasi allein spielt (Takt 9 f.). Die ersten Takte stehen im forte, die Stelle, um die es mir geht, im fortepiano. Das Klavier spielt in der rechten Hand zwei Halbe, eine punktierte Halbe und sodann einen crescendierten Achtellauf mit eine punktierten Halben als Ziel (das wird wiederholt). Aler spielt diese Stelle mit starkem Rubato. Die Halben werden stark gedehnt, die Achtel folgen dann im normalen Tempo (Ich weiß, andere Zeiten, in den 50ern spielt man das eben so. lange Noten langsam, kurze Noten plus Crescendi schneller, stört mich trotzdem).

    Normales Tempo? Gibt es das? Die Tempoangabe heißt Allegro brillante. Die Tempoangabe ändert sich nach dem forte-Teil mit dem fp-Teil nicht. Anfänger, mag man mir entgegenhalten. Wir sind in der Musik der Romantik. Das fp macht deutlich, dass ein anderes Tempo gefordert wird. Das schreibt man nicht noch zusätzlich hinein. Völlig unbestritten, entgegne ich. Aber in welchem Maß?

    Nach meinem Empfinden macht das Hagenquartett im Großen (also in der Großstruktur der Tempi) zu viel, was Aler mit dem Hollywood Qt im Kleinen (in der Phrasierung) zu viel macht.

    Lieblingssatz von mir, das muss ich noch loswerden, ist der Zweite. Dieser Marsch ergreift mich immer aufs Neue. Unfassbar großartig, was Schumann da gelungen ist.

  • Sehr schöne Einführung, informative Beiträge! Vielen Dank!

    Bei mir findet sich eine einzige Aufnahme des Werks, das ich lange nicht mehr gehört habe. Mangels Vergleich kann ich nur beisteuern, daß es sich in meinen Ohren um eine zügige, temperamentvolle, hochgespannte Interpretation handelt, die auch das Melodiöse fein herausarbeitet. Die Einspielung, die auch das 2. Klavierquintett von Gabriel Fauré enthält (ebenfalls sehr hörenswert!), entstand während des Moritzburg-Festivals 2003 und klingt durchaus live, ist aber möglicherweise eine Studioaufnahme.


    Louis Lortie, Klavier, James Ehnes, Violine, Mira Wang, Violine, Naoko Shimizu, Viola, Jan Vogler, Violoncello

    Das verwendete Klavier ist übrigens ein Concert grand E-272 aus der Manufaktur Steingräber & Söhne Bayreuth.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • 1934 nahmen Artur Schnabel & das Pro Arte Quartet ihre Version des Quintetts auf . Mit rauhem Charme .

    Durchaus schlanker und flotter gingen Jose Sanroma & das Primrose Quartet ( Oscar Shumsky , Josef Gingold - Violine; Harvey Shapiro -Cello ; William Primrose - Viola ) 1940 für RCA zu Werke .

    [Blockierte Grafik: https://images-eu.ssl-images-amazon.com/images/I/21zl2Ax65nL._AC_US318_.jpg]


    1942 machten dann Rudolf Serkin & das Busch Quartett ihre ausgereifte Aufnahme .


    Victor Aller & das Hollywood String Quartet sowie die Studio-Aufnahme mit Bernstein & dem Juilliard Quartet wurden schon erwähnt . Aber am häufigsten spiele ich diese packende Live-Version , die kurz vor der Studio-Einspielung entstanden ist :

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Der Komponist Robert Schumann, geboren 1810 in Zwickau, schuf zuerst lange fast nur Klaviermusik, dann Lieder (1840!), dann erste symphonische Arbeiten, und das Jahr 1842 wurde zum „Kammermusikjahr“ mit drei Streichquartetten, einem Klavierquartett und dem im September und Oktober entstandenen Klavierquintett Es-Dur op. 44, das als erstes berühmt gewordenes Werk für die Besetzung Klavier und Streichquartett gilt.

    Ein Livemitschnitt des Werks mit Martha Argerich entstand im selben Monat, am 18.9.1994 im Concertgebouw in Nijmegen, zusammen mit Alexandre Rabinovich, Dora Schwarzberg, Nobuko Imai und Mischa Maisky (gehört aus der Martha Argerich 20 CD Box The Warner Classics Recordings). Da zieht die Musik wieder musikantischer, „eben live“ vorüber, beherzt, sympathisch differenziert wenn es darum geht zu zeigen, dass eben fünf spielen und jede, jeder seine Persönlichkeit hat, empfindsam-melodiös wo es geht, im Live-Einsatz auch erneut mitreißend. Dass da ein Mischa Maisky mitspielt hört man schon durch, bei dieser dritten gehörten Aufnahme sind mir so manche Cellopassagen erstmals deutlicher aufgefallen, die ich zuvor überhört hatte. Aber auch Nobuko Imais Viola weiß dort gut aufzufallen, wo es sich anbietet. Kameradschaftlich herzlich musizierende Einzelpersönlichkeiten!


    Wenn da Argerich Klavier spielt, dann nicht Rabinovitch. Jedenfalls sicher nicht beide. In meiner "schwarzen" Argerich-Kammermusikbox sieht es so aus, als ob sie spielen würde. Ich hatte auch mal eine ältere Veröffentlichung, evtl. hat Rabinovitch stattdessen im Klavier*quartett* gespielt, das weiß ich leider nicht mehr, weil ich die andere CD weggeben habe, da ich dachte, es wäre alles auch in der neueren enthalten. Die hat aber nur eine neueren Mitschnitt des Klavierquartetts (Lugano 2006).

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Wenn da Argerich Klavier spielt, dann nicht Rabinovitch

    Die beiden spielen im "Andante mit Variationen" op.46 (Originalfassung) zusammen. Bei allen anderen Werken ist Argerich die Pianistin (s. auch Buchstabenkennung hinter den Werken).

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Da war natürlich Lucy Hall an der 2. Violine, danke fürs Aufpassen, war im Booklet möglicherweise falsch angegeben, kann ich aber erst heute Nacht überprüfen. Korrigiere das im Originalposting auch sofort.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • op.44 LIVE...

    übr. sind sie demnä. mit eben diesem Quintett (dazu vor der Pause das Elgar - Quintett op.84) auf kleiner Tour** . . .
    . . . "sie" = der Pianist Martin Helmchen, seine ihm zur Ehe anvertraute Cellistin Marie-Elisabeth Hecker sowie Carolin Widmann, Pauline Sachse u. David Mc. Caroll . . .

    ** 26.04. August Everding Saal Grünwald
    27.04. Konzerthaus Wien
    29.04. Stadttheater Schweinfurt
    05.05. Historischer Reitstadel Neumarkt

    <= zumindest in SW (mit mir im Publikum) werden die Karten so langsam knapp . . .

    :wink:

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow


  • Eine stets vorhandene Zentralfrage ist die nach der Tempodramaturgie. Bei diesem Werk stellt sie sich ganz besonders, meine ich, weil das Werk große Stärken in der romantisch-melodiösen Schwelgerei wie Innerlichkeit hat, ihm aber auch im besonderen Maße Gegenstellen einkomponiert sind, die man Brüche oder auch weniger gewichtig Kontraste nennen mag.

    Wie halte ich als Ausführender es nun mit dem Verhältnis von - vereinfacht gesagt - Melodie und Kontrast, schwelgerischer Romantik und ihren Brüchen?

    In meiner Werkwahrnehmung steht die Melodienfülle im Vordergrund. Mehr als das Schroffe fesseln mich die langen Melodien, das immer wieder vorherrschende lyrisch Beseelte. Ja, die Klüfte sind selbstverständlicher Bestandteil des Ganzen, aber sie sind für mich weniger wichtig, haben im Wesentlichen, mir fällt kein besseres Wort ein, entkitschende Funktion. Will sagen: Nur Melodien geht ja auch nicht.

    Andere sehen das anders. Ihre Aufnahmen liegen mir demgemäß auch nicht so. Ein Extrembeispiel ist die Aufnahme des Hagen Quartett mit Gulda: Sie beginnen in einem derart rasenden Tempo, dass man befürchten muss, das Werk ist vorbei, noch bevor man den Weg vom CD-Spieler zum Sessel zurückgelegt hat. Offenbar tun sie das, um eine größere Spannung zwischen den Werkteilen zu erzeugen und so dem Hörer im lyrischen ein stärkeres Entspannungsgefühl zu vermitteln. Mich überzeugt das in dieser Extremform gar nicht. Gewillkürte, dem Werk aufgepfropfte Exzentrik ist das für meine Ohren. Zu viel! Zu viel!


    Ich glaube, wenn es sich um ein Soloklavierwerk Schumanns handelte, würden wir extreme Tempi und Temposchwankungen als relativ selbstverständlich akzeptieren. Klar, dieses Werk ist auch sonst "klassischer", nicht so frei und fantasieartig wie viele der Soloklavierwerke, aber abwegig sind "romantische Extreme" deswegen nicht.
    Als ich die Hagen/Gulda-Aufnahme das erste Mal hörte, fand ich das jedenfalls sehr packend. Damals lagen die zwei oder drei anderen Einspielungen, die ich hatte, sehr eng beieinander, alle um 9 min Spielzeit ggü. 7:37 bei Hagen. Inzwischen habe ich aber die von Alexander genannte neuere mit Argerich und Kollegen, die brauchen auch nur knapp über 8 min. Und dagegen die späte Rubinstein-Einspielung mit dem Guarneri Q. mit etwa 9:45. Der Eindruck hängt natürlich auch stark davon ab, wie viel jeweils bei den Seitenthemen u.ä. nachgegeben wird. Das Hauptthema ist ja ein bißchen plakativ und selbst wenn Tempo gewiss nicht die einzige Möglichkeit ist, es schwungvoll und energisch darzubieten, kann es bei zu breitem Tempo m.E. leichter etwas banal wirken.

    Ingesamt ist es aber schwierig, dem Werk seine Wirkung zu nehmen, dem mitreißende Schwung der schnellen Sätze und der ausdruckstarke Trauermarsch kann man sich schwer entziehen. Von diesem außergewöhnlichen langsamen Satz abgesehen, finde ich allerdings das weniger populäre, da nicht so offensichtlich brillante Quartett op.47 inzwischen überzeugender.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Einen interessanten Beitrag zu dem Quintett hat auch Christian Köhn auf seiner Homepage veröffentlicht.
    http://christiankoehn.de/?p=300.

    Die Möglichkeit Notenbeispiele einzubinden fände ich auch für dieses Forum einen großen Gewinn.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Am Rande sei hier auf eine Bearbeitung des Klavierquintetts hingewiesen . Earl Wild hat sie für Streichorchester und Klavier gefertigt . Ein Kuriosum , aber durchaus anhörbar .

    Schnipsel : http://www.ivoryclassics.com/releases/71003/

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Die Möglichkeit Notenbeispiele einzubinden fände ich auch für dieses Forum einen großen Gewinn.

    Das ist bei uns innerhalb bestimmter, vom Copyright gezogener Grenzen durchaus möglich:
    Der Vorstand gibt bekannt: Regelung zur Einfügung von Notenbeispielen

    Einen interessanten Beitrag zu dem Quintett hat auch Christian Köhn auf seiner Homepage veröffentlicht.
    http://christiankoehn.de/?p=300.

    Danke für den Hinweis. Sehr aufschlussreich die Erläuterungen zur Komplexität des Hauptthemas im Kopfsatz, die folgende Aussage konterkarieren:

    Das Hauptthema ist ja ein bißchen plakativ und selbst wenn Tempo gewiss nicht die einzige Möglichkeit ist, es schwungvoll und energisch darzubieten, kann es bei zu breitem Tempo m.E. leichter etwas banal wirken.

    :wink:

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