Robert Schumann: Klavierquintett Es-Dur op. 44
Der Komponist Robert Schumann, geboren 1810 in Zwickau, schuf zuerst lange fast nur Klaviermusik, dann Lieder (1840!), dann erste symphonische Arbeiten, und das Jahr 1842 wurde zum „Kammermusikjahr“ mit drei Streichquartetten, einem Klavierquartett und dem im September und Oktober entstandenen Klavierquintett Es-Dur op. 44, das als erstes berühmt gewordenes Werk für die Besetzung Klavier und Streichquartett gilt.
(Franz Schuberts vermutlich 1819 entstandenes Forellenquintett sieht statt des üblichen Streichquartetts nur eine Violine und einen Kontrabass plus Viola und Cello vor. Bekannt gewordene Klavierquintette komponierten unter anderem auch Johannes Brahms und Dmitri Schostakowitsch, je eines, und Antonín Dvořák, zwei.)
Schumanns op. 44, gewidmet seiner Frau Clara, von ihr mituraufgeführt Anfang 1843 und an ihrem 24. Geburtstag am 13.9.1843 im Druck erschienen, hat vier Sätze und dauert meist an die 30 Minuten (wenn die Wiederholung der Exposition im 1. Satz gespielt wird).
Ich hab´s so gehört, und die ungefähren Spielzeitangaben die nun folgen sind von einer Fernsehaufnahme mit Martha Argerich und einem All-Star-Streichquartett aus dem Jahr 2010 geholt:
https://www.youtube.com/watch?v=PU97k1_K3SE
Der 1. Satz (Allegro brillante, 00:55) legt gleich mit dem flott akkordisch aufstrahlenden gefestigt wirkenden Hauptthema das sich markant einprägt los. Aufhorchen lassen mich in diesem Satz speziell der sich zurücknehmende Wechsel von B-Dur nach Ges-Dur in Takt 27 (1:24, bzw. in der Reprise in Takt 233, 7:48), das flehentliche Seitenthema ab Takt 50 (1:52, Reprise ab Takt 257, dort eine Quint höher) und die romantisch-dramatisch mitreißende Durchführung (ab 5:22).
Beim 2. Satz (In modo d'una Marcia, 09:45), dessen Trauermarsch so wie ich ihn höre zweimal mit charakterlich völlig verschiedenen Abschnitten unterbrochen wird (mir persönlich sagt eine weitere Unterteilung nicht so zu), hat´s mir der erste davon (ab Takt 29, 11:40) mit seinen langen Notenwerten in der 1. Violine und dem Cello, den regelmäßigen Achteln in der 2. Violine und der Viola (alle: espressivo e sempre p) und den verführerisch weichen Klaviertriolen dazu (sempre p e legato) aber sowas von angetan, das ist meine Lieblingspassage des Werks. Zur zweiten „Marsch-Unterbrechung“ geht es mit dunkel absteigenden Tonfolgen (ab Takt 84, 14:23), als „Liszt-h-Moll-Sonaten-Verdorbener“ höre ich da eine „1853-Antizipation“ mit. Das Agitato das dann folgt (ab Takt 92, 14:40) bannt mich mit Erlkönig-Drive (ab 109b, 15:25), um das Klavier schließlich breitere Zerlegungen ausspielen zu lassen und wieder regelmäßige Streicherachtel dazu zu setzen (ab 132, sempre legato e piano, 16:08), auch so eine Passage, die mir ganz besonders ans Herz geht, und bei diesem ganzen bewegten zweiten Zwischenspiel spukt mir auch assoziativ jenes des 2. Satzes aus Mozarts Klavierkonzert KV 466 im Kopf herum. Der Marsch, den man in c-Moll kennengelernt hat, kehrt beim letzten Mal überraschend in f-Moll zurück (Takt 165, 17:24), sein Charakter ändert sich damit ins etwas Lichtere. Auch wenn Schumann dann wieder nach c-Moll rückt bleibt meinem Hörempfinden nach die „f-Moll“ Atmosphäre bestehen, ich höre die letzten c-Moll-Tonfolgen als Dominante von f-Moll – umso lichter strahlt der stille, reine C-Dur Schlussakkord. Auch „so ein Moment“.
Flottes Hinauf- und Hinunterspringen im Scherzo des 3. Satzes (Molto vivace, 18:53), die Synkopen darin (ab Takt 10, 19:00, analog Takt 88, Takt 207), das erste Trio, fließend (ab Takt 44, 19:59), das zweite vom Aufstampfenden nahezu ins Elfenhafte hüpfend (ab Takt 122, L´istesso tempo, 21:23), was für ein feiner, spritziger kammermusikalischer Satz hier, bis zur konzertanten Coda (ab Takt 241, 22:58) – da können die Musizierenden musikantisch ordentlich abräumen.
Und dann der 4. Satz (Allegro ma non troppo, 23:18), markanter Themenbeginn, aufsteigender c-Moll Dreiklang, da läuft´s dahin, aber hallo, kammermusikalisch konzertante Meisterschaft sondergleichen! Mir stechen hier insbesondere in die Ohren: der „Dialog“ Streicher-Klavier (ab Takt 85, 24:41) und die Weiterspinnung danach, das Fugato (ab Takt 248, 27:30), und schließlich als ultimative Krönung die Doppelfuge (ab Takt 319, 28:42), die die Hauptthemen der Sätze 1 und 4 fulminant vereint und bei der mir partout auch sofort das Finale von Mozarts „Jupiter“ Symphonie einfällt, angehörs dieses „apollinischen Fugenaufschwungs“.
Vier Aufnahmen habe ich sofort greifbar, persönliche Höreindrücke dazu:.
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Leonard Bernstein und das Juilliard String Quartet nahmen das Werk am 28.4.1963 in den CBS 30th Street Studios in New York auf (enthalten auf der Doppel CD Sony SM2K 62709). Das sind so wie ich es höre lauter Erzmusikanten, und sie spielen Schumanns Kammermusik auch angenehm musikantisch, hemdsärmelig, herzhaft der Musik ihren Fluss lassend. Beim 1. Satz wiederholen sie die Exposition nicht.
(Eine Liveaufnahme mit Bernstein und dem Juilliard Quartet gibt es ja auch, die muss von mir natürlich alsbald bestellt werden!)
Zwei der mir zu Verfügung stehenden Aufnahmen entstanden im September 1994.
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Die Einspielung aus dem Mozartsaal des Wiener Konzerthauses mit Paul Gulda und dem Hagen Quartett (CD DGG 447 111-2) besticht so wie ich sie höre mit ihrem energischen aber gleichzeitig extrem kontrollierten Zugriff, dabei auf Details ungemein differenziert achtend, ohne den Gesamtfluss aus dem Auge zu verlieren. Dazu kommt ein großartig offenes Klangbild, das die vier Streichinstrumente akustisch an optimalen Positionen ums Klavier hörbar macht. DIE Offenbarung ist für mich in dieser Aufnahme der erste Zwischenteil im 2. Satz, der sich wie ein zartes Wunder sondergleichen entfaltet, und diese überirdisch schöne Atmosphäre wird dann auch noch einmal ab Takt 132 evoziert, bei der sempre legato e piano Passage im zweiten Zwischenteil. Über nichts wird in dieser Aufnahme hinweggespielt, alles ist im mitreißend Schwungvollen wie im zart Poetischen sehr genau und sehr bewusst gesetzt, in sich geschlossen, kompakt, nahezu eine Modellaufnahme ist das für mich.
Ein Livemitschnitt des Werks mit Martha Argerich entstand im selben Monat, am 18.9.1994 im Concertgebouw in Nijmegen, zusammen mit Dora Schwarzberg, Lucy Hall, Nobuko Imai und Mischa Maisky (gehört aus der Martha Argerich 20 CD Box The Warner Classics Recordings). Da zieht die Musik wieder musikantischer, „eben live“ vorüber, beherzt, sympathisch differenziert wenn es darum geht zu zeigen, dass eben fünf spielen und jede, jeder seine Persönlichkeit hat, empfindsam-melodiös wo es geht, im Live-Einsatz auch erneut mitreißend. Dass da ein Mischa Maisky mitspielt hört man schon durch, bei dieser dritten gehörten Aufnahme sind mir so manche Cellopassagen erstmals deutlicher aufgefallen, die ich zuvor überhört hatte. Aber auch Nobuko Imais Viola weiß dort gut aufzufallen, wo es sich anbietet. Kameradschaftlich herzlich musizierende Einzelpersönlichkeiten!
Martha Argerich and Friends live from the Lugano Festival (3 CDs, EMI): am 27.6.2002, beim Konzert dieses Tages im Auditorio Stella Molo in Lugano im Rahmen des erstmals durchgeführten Progetto Martha Argerich, entstand die zweite Liveaufnahme des Werks mit der geborenen Argentinierin, diesmal zusammen mit Dora Schwarzberg, Renaud Capuçon, Nora Romanoff Schwarzberg und Mark Drobinsky. Da besticht sofort einmal die ungleich offenere, kräftigere, differenzierter ausstrahlende Tontechnik als bei Argerichs vorigem Livemitschnitt. Dadurch kommt das erneut wunderbar beherzte Live-Musizieren aller Mitwirkenden umso mitreißender zur Geltung. Die Spielfreude etwa im Scherzo – toll! Musikantisch kommt´s auch zünftiger daher als 1994.
Mit Martha Argerich gibt es also auch diese oben genannte Fernsehaufnahme eines Konzertmitschnitts aus der Philharmonie Essen mit dem Werk vom Klavierfestival Ruhr 2010, gezeigt in ARTE im Dezember 2013 und verfügbar auf youtube. Diesmal spielte sie als Einspringerin für Nelson Freire mit Renaud Capuçon, Gabrielle Shek, Argerichs Tochter Lyda Chen und Mischa Maisky. Ich bewundere (bei aller erwartbarer Professionalität) diese sicht- und hörbare Live-Hingabe der Mitwirkenden, im Konzert und vor Fernsehkameras die Musik so tonklar, im Zusammenspiel hochkonzentriert, in künstlerischer Einigkeit bei Wahrung der individuellen Persönlichkeit lebendig machen zu können. Es hat vieles hier schon was abgeklärt Souveränes, aber die Leidenschaft kommt so meine ich auch keineswegs zu kurz.
Quellen: wikipedia, Henle Urtext Notenausgabe, CD Booklets.
Andere Meinungen zum Werk, zu den Aufnahmen, andere Aufnahmen - gerne hier! Herzlich willkommen in Robert Schumanns Klavierquintettwelt!