Zimmermann - Die Soldaten. Oper Köln, Premiere am 29.04.2018

  • Zimmermann - Die Soldaten. Oper Köln, Premiere am 29.04.2018

    Der Komponist Bernd Alois Zimmermann, dessen 100. Geburtstag vor einigen Wochen gefeiert wurde, hatte es nicht leicht mit seinen Zeitgenossen: von den Traditionalisten abgelehnt, von den Neutönern der "Darmstädter Ferienkurse" verspottet, stand er einigermaßen quer zu den Strömungen seiner Zeit. Das verbindet ihn mit dem Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz, dessen Komödie Die Soldaten Zimmermann zu seinem musikalischen Hauptwerk, der gleichnamigen, zwischen 1957 und 1965 entstandenen Oper gleichen Namens, verarbeitet hat. Vor allem Lenz' harsche Absage an die seit Aristoteles geltende Forderung an die dreifache Einheit jeglichen Dramas (in Zeit, Raum und Handlung) erregte Zimmermanns Interesse; der Komponist hatte die Vorstellung der Zeit als nicht linearen Kontinuums - er sprach von der "Kugelgestalt" der Zeit, in der die Menschen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als untrennbare Einheit erleben.

    So läuft - wie bei Lenz - die Geschichte des gesellschaftlichen Absturzes der Bürgerstochter Marie Wesener nicht linear ab, sondern spaltet sich auf in eine Abfolge von aufeinander bezogenen, aber nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge gezeigten Szenen. Mehr noch bei Zimmermann, der die Szenen nicht nur auf der Bühne, sondern auch in seinem musikalischen Material sich überschneidend, gar gleichzeitig ablaufen lässt.

    Die katalanische Theatergruppe La fura dels Baus (Regie: Carlus Padrissa; Bühne: Roland Olbeter; Kostüme: Chu Uroz) hat dem Saal 1 des Deutzer Staatenhauses immerhin schon einmal räumlich eine angenäherte Kugelgestalt gegeben: Die sanft ansteigene Publikumstribüne ist erhalten geblieben, allerdings wurden die üblichen Stühle durch Hocker mit Halblehne ersetzt, die sich um 360° drehen lassen. Vor der Tribüne ist das Hauptorchester platziert, zwei Podeste für Schlagwerke befinden sich an den hinteren Seiten im Publikum. Um das ganze herum verläuft in angenähertem Kreisquerschnitt eine Rampe, die in der Höhe allerdings in etwa dem Anstieg der Publikumstribüne folgt, was die Wirkung einer überall präsenten Schrägheit hat (so wie des Saturns Ringe schräg zur Kugelgestalt des Planeten hängen, obwohl das bei einer Kugel ja ein unsinniger Gedanke ist). Verstärkt wird der Eindruck durch die unterschiedlich hohe Wand, die die Rampe nach hinten abschließt und die gleichzeitig als Projektionsfläche für die nahezu ununterbrochen ablaufenden Videos dient (ca. 25-30 Beamer an der Hallendecke). (Videos: Marc Molinos, Alberto de Gobbi)

    Hauptsächlich auf dieser, Publikum und Orchester kreisförmig umschließenden Rampe wird gespielt, daneben aber auch im schmalen Bereich zwischen Publikum und Orchester, auf den Durchgängen der Publikumstribüne und im Publikum selbst sowie auf zwei von der Rampe aus ins Publikum hineinragenden Gerüstbauten, in denen aber auch schon mal die für das Stück geforderte Jazzcombo spielt. An einer Stelle kann die Rampe auch nach außen durchbrochen werden; und auch in der zweiten Ebene über der Rampenwand wird teilweise gespielt. Neben dem Hauptdirigenten gibt es drei Zusatzdirigenten; die Souffleuse ist mit ihrem Pult pausenlos unterwegs.

    In diesem Setting lassen La Fura dels Baus das totale Illusionstheater (erzeugt vor allem durch die dauerpräsenten Videos) ablaufen, konterkarieren die Illusion aber durch das offene Auftreten der Bühnenarbeiter, die Requisiten auf die Rampenbühne bringen oder sie von dort abräumen; und dies wird wiederum durchbrochen, weil die Bühnenarbeiter sich auch manchmal als Mitspielende entpuppen oder die Darsteller auch die Räumarbeiten verrichten. Vor allem aber ist es in desem Setting nicht immer leicht, dem Geschen zu folgen; ja, man sollte besser sagen: den Geschehen zu folgen, denn kaum einmal an diesem Abend läuft nur eine Szene zu einem Zeitpunkt ab. Dabei geht die Inszenierung über Zimmermanns Simultanszenen noch hinaus, wenn sie auch dort, wo Zimmermann das nicht ausdrücklich vorgesehen hat, eine Szene weiterlaufen lässt, während eine andere bereits begonnen hat oder noch während einer laufenden Szene an anderer Stelle bereits die nächste begonnen hat. Und es können durchaus auch ḿehr als nur zwei Szenen gleichzeitig ablaufen.

    Für den Zuschauer ist es damit recht anstrengend, dem Stück zu folgen, aber auch außerordentlich spannend. Viele Besucher dieses Abends tun sich allerdings damit sehr schwer: nicht wenige bleiben mit dem Blick nach vorne gerichtet sitzen, andere verrenken die Hälse, um hinter ihnen stattfindende Szenen zu sehen, finden es aber offenbar undenkbar, die Möglichkeit der drehbaren Sitze auch zu nutzen. Das hat dann schon mal ein merkwürdiges Gefühl zur Folge, wenn man sich nach einer Szenerie umdreht und dabei direkt der stur in die entgegengesetzte Richtung blickenden Sitznachbarin ins Gesicht sieht ...

    Die Kostüme der Hauptfiguren sind Karikaturen der Mode aus der Zeit von Lenz' Stück (ist ja eine Komödie!), das schließt auch die Offiziere Desportes und Mary (dieser im Schottenrock) ein, die übrigen Soldaten hingegen tragen aktuelle Uniformen, allerdings aller möglichen Couleur, UN-Blauhelme sind dabei, andere könnten auch als IS-Kämpfer durchgehen, Bundeswehrhelme mögen auch dabei gewesen sein.


    Einige Schlaglicht-Eindrücke aus der Inszenierung:

    Über der Klangregie hängt die Original-Lampe aus der Schlussszene der 1965er-Produktion. - Während der Introduktion zum ersten Akt stürmen Femen-Aktivistinnen die Rampe; sie werden von aus allen Öffnungen der Rampe brechenden Bewaffneten eingeholt und brutal an ihrer Demonstration gehindert. - Es folgen Einzelszenen, die sich in einem bestimmten Bereich der Rampe abspielen, dann wieder die Kaffeehaus-Szenen, in denen Soldaten fast überall auf den verfügbaren Spielflächen sind. - Beeindruckend die Szene, in der sich Marie von Desportes den Brief diktieren läßt, mit dem sie ihren Verlobten Stolzius abserviert, während an andere Stelle der Rampe ebendieser Stolzius, zutiefst verletzt durch den Brief, der gegenüber gerade geschrieben wird, von seiner Mutter getröstet - und noch mehr gedemütigt wird. Wie Desportes sich nun über Marie hermacht, wird per Video in Dauerschleife verdoppelt; eine gruselige Szene! - In der zweiten Kaffeehausszene geht musikalisch (Jazzband!) und tänzerisch die Post ab. - Stolzius hat, um Rache an Desportes nehmen zu könne, sich als Bursche an dessen Kollegen Mary verdingt, der auch mit Marie abgebändelt hat; Maries Schwester Charlotte erkennt ihn (im Libretto nur angedeutet), eine sehr bewegende Szene. - Die Gräfin de la Roche, die eben ihren Sohn, der auch auf Marie scharf ist, abgefertigt und in die Wüste geschickt hat, bemächtigt sich dieser Marie "von oben herab" (von der höchsten Position der "Kugelbühne" aus nämlich), will sie als Gesellschafterin einstellen - welches Interesse hat sie daran? - Desportes lässt Marie durch seinen Jäger vergewaltigen, um sie endgültig loszuwerden - eine brutale Szene; gleichzeitig vergiftet Stolzius den Desportes und sich selbst. Aber auch der Vergewaltiger kommt nicht davon: eine der Femen-Aktivistinnnen vom Anfang nimmt sich seiner an. - Wenn die völlig heruntergekommene Marie ihren eigenen Vater, der sie nicht erkennt, um Almosen anbettelt, geht dieser Vorgang einmal um die ganze Rampe herum; die Regie lässt die beiden sich ganz am Ende doch erkennen und sich umarmen. - Die große Multi-Simultanszene am Ende beginnt mit Video-Bildern von KZ-Toten und endet mit der Erhängung der Soldaten (an Stelle des von Zimmermann vorgesehenen Atompilzes). - Es dürfte unmöglich sein, alle Details dieser Inszenierung in nur einer Vorstellung auch nur halbwegs mitzubekommen.

    Ich habe das Stück vor knapp vier Jahren an der Komischen Oper Berlin schon einmal erlebt und war damals schon begeistert. Aber heute abend hatte ich das Gefühl, das Stück ein erstes Mal zu erleben! Vor allem habe ich jetzt erst auch sinnlich kapiert, was denn eine "Simultanszene" bedeutet! Das Gürzenich-Orchester unter François-Xavier Roth spielt dieses Stück, als wäre es selbstverständlichste auf der Welt; es ist vielleicht diese Leichtigkeit, die an der fulminanten Orchesterleistung am meisten fasziniert (das das nicht "leicht" ist, kann man dennoch ohne weiteres wahrnehmen). Großartige Solistenleistungen, überwiegend aus dem Kölner Ensemble. Die größeren Rollen: Emily Hindrichs als Marie, Nikolay Borchev als Stolzius, als Desportes Martin Koch (der die Partie mit weit größerer Nonchalance sang als weiland in Berlin, und damit noch widerlicher wirkte), Frank van Hove als Wesener, Sharon Kempton als Gräfin de la Roche (sie sang die Partie schon in Wiesbaden und singt sie aktuell auch in Nürnberg), Wolfgang Stefan Schwaiger als Mary, John Heuzenroeder als Pirzel, Oliver Zwarg als Feldprediger Eisenhard. In den Kleinrollen herausragend Miljenko Turk als Haudy (soviel Schönstimmigkeit für so einen Drecksack!); und das Kölner Alteisen Alexander Fedin als Kammerdiener der Gräfin liefert eine special performance ab (und erinnert zwischendurch daran, dass das Stück ja urprünglich eine Komödie war).

    Die Darsteller trugen Microports; ich bin recht sicher, dass diese auch für gesprochene Stellen auch hie und da eingesetzt wurden. Ein, zweimal meinte ich, dass auch gesungene Stellen verstärkt wurden. Hauptgrund war allerdings wohl die Aufzeichnung durch Deutschlandradio Kultur für die Sendung am 12. Mai um 19:00 Uhr.

    Bei der Premierenfeier präsentierten sich GMD Roth und Intendantin Birgit Meyer in ziemlicher Eintracht; den beiden waren in der Presse erhebliche Differenzen nachgesagt worden, Roth soll angeblich seinen Verbleib in Köln von Meyers Ablösung abhängig gemacht haben. Falls das (jetzt immer noch) stimmt, ist er ein großartiger Heuchler. In jedem Fall ist er aber ein großartiger Dirigent. Er hob in seiner Ansprache noch einmal die Bedeutung Michael Gielens hervor, der es damals geschafft hatte, das Stück gegen große Widerstände doch noch auf die Bühne am Offenbachplatz zu bringen. Anwesend war auch B. A. Zimmermanns Tochter Bettina (bei der Uraufführung der Soldaten war sie dreizehn gewesen). Vor kurzem erschien ihr Buch "Con tutta forza":

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    Das einzig Blöde, was ich über diese Produktion sagen kann ist, dass ich versäumt habe, mir rechtzeitig eine Karte für eine weitere der nur sechs Aufführungen zu besorgen - sie sind inzwischen alle ausverkauft.

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Danke für die ausführliche Kritik und die Links. Ich freue mich schon sehr auf die Aufführung am 13.05 :wink:

    Viele Grüße
    Melanie

    With music I know happiness (Kurtág)

  • u n d . . .

    meine Thread - Eröffnung über Bernd Alois Zimmermann k o m m t :!: :!:

    . . . kann noch`n Monat dauern . . . aber sein 100.Geburtstag ist jetzt eh schon 6 Wochen her ;)

    :wink:

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

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