Mit Simon Rattle in einer"Digitalen Schuhschachtel"?
Betritt man den Kuppelsaal im Hannover Congress Centrum, um sich in mit seinen 3600 Plätzengrößtem Konzertsaal Deutschlands Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 9 anzuhören, so stutzt man zunächst ob des optischen Eindrucks. Als mit Raumakustik leidlich vertrautem Konzertbesucher möchte man nicht glauben, dass sich Simon Rattle mit dem London Symphonie Orchestra hat überreden lassen, in diesem Rundbau ernsthafte Musik zu spielen.
Der Kuppelsaal mit einer lichten Raumhöhe von 42,5 Meter wurde 1911 bis 1914 von den Architekten Paul Bonatz und Friedrich Eugen Scholer als „multifunktionale Stadthalle“ nach dem Vorbild des römischen Pantheons für „Musikaufführungen, Kongresse und Versammlungen“ als Zentrum eines Stadthallen-Ensembles erbaut.
Eigentlich logischerweise gab es von Anfang an Probleme mit der Schallausbreitung im Raum. Der runde Raum und die Kuppel fokussieren den Schall und verhindern ein gleichmäßiges Schallfeld im Raum. Extrem langer Nachhall ermöglichte eigentlich nur Orgelkonzerte mit befriedigendem Klangeindruck.
Mit der Beseitigung der dem zweiten Weltkrieg geschuldeten Schäden im Zeitraum bis 1962 hatte sich der Architekt Ernst Zinsser auch um eine Verbesserung der akustischen Bedingungen bemüht. Mit einem gewaltigen Deckensegel über der Bühne verminderte er akustisch die Raumhöhe und sorgte für Reflexionen in Richtung des Publikums.
Trotzdem blieb der Raumklang unbefriedigend, so dass sogar Orchester abgelehnt haben sollen, im HCC-Kuppelbau zu spielen.
Nach umfangreichen Vorbereitungsarbeiten wurde dann der „Kuppelsaal“ bis Mitte 2015 mit einem Aufwand von 7 Mio. Euro unter Denkmalschutz-Aspekten renoviert und modernisiert.
Visuell waren die unterschiedlichen Architektur-Auffassungendas 20. Jahrhundert zu vereinen. Oberhalb des zweiten Ranges dominiert die helle neoklassische Raumgestaltung von 1914. Unterhalb wurde die dunkle Holzverkleidung der sechziger Jahre beibehalten.
Ein großer Teil der Wandflächen des oberen Saalbereichs und des waagerechten Deckenbereichs wurden mit absorbierendem Material verkleidet, um Mehrfach-Reflexionen einzuschränken.
Im Parkett wurden die Rückwände mit sogenannten QRD-Absorbern ausgestattet um mit ungeordnetenwaagerechten Streifen diffuse Schallstreuungen zu erreichen.
Aber auch die etwa 10 Meter über dem Podest je nach Orchestergröße variabel aufgehängten ovalen Glasfaser-Reflex-Module und eine zum Teil erneuerte dämpfende Bestuhlung hätten das Grundproblem des Rundbaus, die Schallfokussierung, nur eingeschränkt.
Deshalb sollten durch Einsatz elektronischer Möglichkeiten „frühe Reflexionen“ erzeugt und der Nachhallverdichtet werden. Aus dem Rundraum sollte in ein akustischer Schuhkarton entstehen. Die Salzburger Firma Rohde-BeSB Noise+Vibration GmbH stellte dazu ein System für variable Raumakustik „AMADEUS“ zur Verfügung, das mit der Firma Sennheiser realisiert wurde.
Das Orchesterpodest wurde in 24 Flächensegmente geteilt. In der Mitte jeder dieser Zonen hängt ein hochwertiges Bühnen-Mikrofon MKH8020. Die Höhe ist ab 3 Meter variabel veränderbar.
Außerdem sind im Orchesterbereich 7 Grenzflächen-Mikrofone MKE 2 auf Trägerplatten variabel angeordnet.
Durch 12 umlaufend im unteren Teil der Brüstung eingebaute Lautsprecher K&L CA 106 sind erste Reflexionen zu erzeugen, die eben auch tatsächlich den Hörer von hinten „treffen“.
Das war im 2. Rang aus baulichen Gründen nicht möglich, so dass die Beschallung von vorn-oben mit an zwei Bäumen angeordneten Koaxial-Lautsprechern E8 von d&b audiotechnik erfolgen musste.
Damit sollte eine Klangaufhellung und eine Erhöhung der Lautheit erreicht werden.
An den Wänden der Nischen sind weitere 28 d&b E4 und weitere d&b E12-Subs unter den hinteren Parkettbänken positioniert.
Die Signale jeden Mikrofons werden für jeden Lautsprecher-Verstärker gesondert berechnet und klanglich angepasst, so dass der Eindruck entstehen soll, der Raum antworte.
Außerdem wurde eine vorhanden „Hauptbeschallung“ mit 15 weiteren Lautsprechern im System wirksam.
Wir hatten für das Konzert leider nur Karten in der mittleren Preisgruppe C im Hochparkett 2. Reihe ziemlich exakt gegenüber dem Orchester erwerben können.
Die Instrumentengruppen des Orchesters waren von diesen Plätzen erstaunlich gut akustisch zuzuordnen, so dass bei den langsameren und leiseren Passagen ein recht ordentlicher Klangeindruck entstand. Aber sobald das Orchesterspiel Fahrt aufnahm, erreichte uns eine zunehmend verwaschene Klangsosse. Nun hatten wir uns bereits gewundert, dass die drei Reihen des Hochparketts unterschiedlichen Preisgruppen zugeordnet waren. Die erste Reihe gehörte zur Preisgruppe A und die dritte Reihe zur Preisgruppe D, obwohl die Ohren der Konzertbesucher kaum einen Meter näher bzw. weiter vom Orchester entfernt waren. Und erstaunlicherweise reichte es, sich soweit als möglich zur ersten Reihe hin vorzubeugen, um ordentlich hören zu können.
Was in den Nischen hinter dem 2. Rang in der Preisgruppe F für ein Klangeindruck entsteht, mag man sich nicht vorstellen.
Bleiben somit für den nächsten Besuch im HCC von den 3600 Tickets nur die Plätze im Parkett und die wenigen Sitze in den ersten Reihen des Hochparketts, des Orchester-Rangs und der Logen.
Zur Darbietung der 9. Mahler-Symphonie durch das „London Symphony Orchestra“ unter Sir Simon Rattle möchten wir als C.T.-Dresden-Leipzig-Verwöhnte uns nicht äußern.