Kann man »Musik hören« lernen ?

  • Und man könnte gegebenenfalls noch darüber spekulieren, ob in moderner Mucke Schönheit tendenziell sich verweigert, damit sie nicht einer allgegenwärtigen Verwurstung sich ausliefert; dass moderne Mucke ihre Schönheit vor allem in der Verweigerung von Schönheit hat, also wie ein eiserner Riegel der verhindern möge, dass Schönheit abkackt in z.B. kommunikativen standardisierten Plattitüden, die am laufendem Band ausgekotzt werden….


    Das hieße ja "moderne Mücke" will häßlich sein? Nun ja bei vielen Werken dieser Art habe ich eben genau diesen Eindruck.

    Ich denke aber, die fortlaufende Musikgeschichte sorgt dafür, dass "moderne Elemente" heute eher als wirksames, aber sparsam dosiertes Gewürz verwendet werden.

    Ich bringe da Mal die Musik von Silvestrov an: Von Werk zu Werk immer mehr spontaner Hörgefallen.

    Bei Penderecki ist das noch ausgeprägter, unabhängig von der Diskussion über die Qualität der späteren Werke.

    Ich denke Mal es ist hilfreich den parallel laufenden Penderecki - Thread sich Mal genauer anzuschauen ...

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

  • Ich denke aber, die fortlaufende Musikgeschichte sorgt dafür, dass "moderne Elemente" heute eher als wirksames, aber sparsam dosiertes Gewürz verwendet werden.

    So etwas gab es immer. Eine Tendenz der "fortlaufenden Musikgeschichte" sehe ich weniger, vielleicht eine auffällige Menge an Komponisten, die in den 50er/60er Jahren atonal/zwölftönig komponiert haben. Was man daraus schließen kann, weiß ich nicht so genau.

    Etwas ähnliches gab es schon um 1910/1920, als viele Komponisten vorübergehend atonal/stark dissonant komponiert haben. Bei ihrer "Rückkehr" zu gemäßigten Klängen kam es dann vor, dass das Ende der atonalen Musik verkündet wurde (Casella Mitte der 20er). Besonders prominentes Beispiel wäre Richard Strauss mit seiner Kakophoniespitze 1909 (Elektra), aber höre Dir mal die frühen Streichquartette von Milhaud an, die wirst Du z.T. eher für Schönberg halten.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Zu zwei Dingen, die zuletzt aufgeworfen wurden. Erstens, für Freejazz oder moderne klassische Musik ist es nicht zwingend notwendig viel Hörerfahrung oder Wissen zu haben, um sofort einen Hörgenuss zu haben. Zweitens denke ich nicht, dass sich moderne klassische Musik der Schönheit verweigern will, sondern dass wohl fast alle Komponisten zuerst etwas wahrhaftiges, aber auch schönes kreieren wollen. In beiden Fällen ist die Wahrscheinlichkeit sofortigen Hörgenuss zu haben und Stücke als schön zu empfinden eher wenigen gegeben. Diese Musiken sind schlicht weiter von der Gewohnheit entfernt und insofern auch schwieriger, weil anstrengender. Übrigens verstehe ich Amfortas' Begriff des "interesselos" so, dass es den ursprünglichen Sinn des Hörens übersteigt. Dazu schreibt Jourdain in seinem Buch, dass das Gehirn beim Hören von Musik überproportional aktiv ist. Für einen Sinn, der zur Gefahrenerkennung ursprünglich nur das Überleben des Menschen sichern sollte, ist es faszinierend, dass das Gehirn sich soweit entwickelt hat, dass es die komplexen Vorgänge verarbeiten kann.

    Gruß, Frank

    Gruß, Frank

    Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.

  • Ein sehr schönes, für mich sogar eines der besten Beispiele zum Thema "Gewürz..." ist Lilli Boulangers aus meiner Sicht geniale Pie Jesu. Verdammt, wenn diese Dame doch bloss mehr Zeit gehabt hätte :verbeugung1: :verbeugung1: :verbeugung1: :verbeugung1: :verbeugung1: :verbeugung1: :verbeugung1: :verbeugung1: :verbeugung1: :verbeugung1: :verbeugung1: :verbeugung1:

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

  • @ Freejazz:

    Wenn ich mir dahingegen das Fusionalbum "n.e.w.s" von Prince Rogers Nelson anhöre --- hmm ich finde da einfach keinen Zugang :neenee1:

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

  • ... ja vieles von Richard Strauss, aber auch der Tristan von Wagner ... und einige eher unbekannte Sachen von Holst gehen auch in die Richtung "gewürzt", aber immer noch recht zugänglich.

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

  • Ein sehr schönes, für mich sogar eines der besten Beispiele zum Thema "Gewürz..." ist Lilli Boulangers aus meiner Sicht geniale Pie Jesu.

    Das ist aber scxhon wieder über 100 Jahre her. Du hast oben doch die Verwendung von "Gewürz" als "moderne Elemente" in Musik heute angesprochen!

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • @ Gurnemanz:

    Da fällt mir - hab ich weiter oben auch schon erwähnt - auch Silvestrov ein.

    Beispiele aus der Filmmusik möchte ich hier lieber nicht bringen, da diese doch - was gerade ich schmerzlich erfahren musste - doch insbesondere in der letzten Zeit zu sehr vom Sachzwang (diplomatisch für totalen Kommerz) eingeengt wird.

    Aber, auch wenn ich mir da sicher wieder das Unverständnis Einiger hier wieder zuziehen werde:

    Elliot Goldenthal (vorrangig auch ein Filmkomponist, aber nicht nur) : "Fire - Paper - Water" - a Vietnam Oratorio (1996) passt hier auch ganz gut, finde ich zumindest :verbeugung1: :verbeugung1: :verbeugung1:

    Interessant: Dieser Komponist, Hauptschüler von Aaron Copland (das hört man :D ) hat unter Anderem auch bei Nadja Boulanger studiert ...

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

  • ... ach was solls: Wichtige Themen zum schwarzen Hering (äh weissen Hai), aber auch Psycho sind schon würzig.

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

  • Dieser Komponist, Hauptschüler von Aaron Copland (das hört man :D ) hat unter Anderem auch bei Nadja Boulanger studiert ...

    Was ist daran interessant?
    :P
    Copland hat um 1930 auch ziemlich kakophon komponiert (piano variations), um nachher einen populäreren Stil zu pflegen.
    Aber wir sind nicht mehr wirklich beim Thema, und eine Auflistung von Musik, die Du für schmackhaft gewürzt hältst, hat auch nichts mit der "fortlaufenden Musikgeschichte" zu tun. (Und die Filmmusik war auch immer dem Sachzwang ausgeliefert.)

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Was ist daran interessant?
    :P
    Copland hat um 1930 auch ziemlich kakophon komponiert (piano variations), um nachher einen populäreren Stil zu pflegen.
    Aber wir sind nicht mehr wirklich beim Thema, und eine Auflistung von Musik, die Du für schmackhaft gewürzt hältst, hat auch nichts mit der "fortlaufenden Musikgeschichte" zu tun. (Und die Filmmusik war auch immer dem Sachzwang ausgeliefert.)

    ... die Tatsache, dass EG auch bei Nadia Boulanger studiert hat schlägt auch den Bogen zu Lilli Boulangers "Pie Jesu" beamt dessen "Würzigkeit" also für mich schon in die Jetztzeit.

    Meine Auflistung kann natürlich nur eine winzigen Ausschnitt an Beispielen bringen, aber immerhin es sind Beispiele...

    Filmmusik als Art von "Programm-Musik" ist selbstverständlich dem Sachzwang "Programm = filmische Handlung" ausgeliefert, will sagen das ist ihr primärer Daseinszweck. Darüber hinaus hat sich aber leider gerade in letzter Zeit eine aus meiner Sicht die Kreativität der Komponisten sehr stark einschränkende Kommerzialisierung hinzugesellt. Stichwort "Hans Zimmer" , nein soll kein Bashing sein, aber seine Technik fast nur noch über Sampling-Datenbanken die Sounds aneinanderzureihen mag ja sein Stil sein und somit bei seiner Musik noch ganz innovativ sein, aber das hat so Schule gemacht, dass heutzutage teilweise "Komponisten" am Start sind, die dieses Handwerk gar nicht richtig gelernt haben.

    Oh, so kommen wir hier ein wenig zur Anfangsfrage zurück - das Hören lernen von Musik, für Schaffende viel mehr notwendige Bedingung als für die Zuhörerschaft!

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

  • Filmproduktion hat immer auf den schnellen Absatz gezielt, dass man darin auch Kunst sieht, hat eine Weile gedauert. Deshalb sind auch so viele Werke der 20er Jahre verloren, weil man sie einfach weggeschmissen hat, nachdem sie das Geld eingespielt haben. Für das Archivieren hat sich dann u.a. Scorsese eingesetzt, weil er befürchtet hat, dass auch alle seine Filme verschwinden werden. Und die Musik war da idR ein untergeordneter Bestandteil. Wenn sich die Samplerei wieder der Stummfilmpraxis mit den Büchern voller nach Stimmung geordneter Fragmente z.T. klassischer Musik annähert, ist das doch auch witzig - man könnte daraus schließen, dass eine eigenständige Filmmusik eine Sackgasse war, so wie Du meinst, dass die atonale Musik eine gewesen sei.
    ;)
    Filmmusik sollte - zumindest im Kommerzfall - so funktionieren, dass der Hörer gar nichts lernen muss. Die notwendigen Stimmungen sollen getroffen werden aber immer mit möglichst wenig Eigencharakter, damit man nicht von der Handlung abgelenkt wird.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • OK, als eigenständige Richtung sehe ich in der atonalen, aber auch seriellen Musik schon so etwas wie eine Sackgasse, NICHT aber deren Potential die darauf folgende Musik zu bereichern!!!

    Filmmusik als Sackgasse, hmm, heutzutage ist nun mal der Film überwiegend das, was Programm-Musik sinnvoll und erforderlich macht.

    Und ja: Die Stimmung soll möglichst "einfach" rüberkommen, aber bis vor nicht allzulanger Zeit - teilweise bis heute (John Williams) haben das Komponisten, die ihr Handwerk verstehen fabelhaft gemacht. Und heute? ... Naja, um mal Namen zu nennen: James Newton Howard, Alan Silvestri, Michael Giacchino, Alexandre Desplat sind schon noch Komponisten... Aber auch sie müssen sich ein sehr enges Korsett anziehen, welches mit dem Sachzwang "möglichst einfach das Programm zu untermalen" nicht unbedingt was zu tun hat.

    Aber schweifen wir mal nicht zu sehr in die Gefilde der Filmmusik ab, das ist ein eigenes Thema ...

    Weiss nicht, wie wir jetzt auf das Anfangsthema gescheit zurückkommen können...

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

  • Wir sind doch wieder recht nahe daran, wenn Du meinst, dass 1) Musik so sein soll, dass man nichts "lernen" muss, weil man sich vom Nachdenken der Arbeit erholen soll und 2) beklagst, dass die Filmmusik das dergestalt einlöst, dass Dir schon wieder langweilig dabei wird.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Wir sind doch wieder recht nahe daran, wenn Du meinst, dass 1) Musik so sein soll, dass man nichts "lernen" muss, weil man sich vom Nachdenken der Arbeit erholen soll und 2) beklagst, dass die Filmmusik das dergestalt einlöst, dass Dir schon wieder langweilig dabei wird.

    ... ich stehe gerade auf dem Schlauch ?(

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

  • Nun, ich kann zwar keine Noten lesen bin aber durchaus in der Lage musikalische Zusammenhänge auch komplexeren Art zu erkennen. Insbesondere auch was das Wiedererkennen von Themen usw betrifft, selbst wenn sie stark variiert daherkommen. Das hat damals mein Musiklehrer sehr wohlwollend honoriert. Keine 1, aber eine 2 bekam ich dennoch, auch ohne Notenkenntnisse. Thema war Carmen ... auch Programm-Musik.

    Ich kann auch heute noch sehr gut erkennen, ob ich eine rein kommerzielle heisse Luft vor mir habe oder was Anderes.

    Mein Musikgeschmack und meine Faves dürften ja bekannt sein ... :D

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

  • Eine "rein kommerzielle" Musik wird es ebensowenig geben, wie eine jedes Publikum verneinende Neue Musik.
    Wenn man statt E und U "Kommerz" und "Gehalt" setzt, wird es nicht eindeutiger.
    Allerdings kann man dann leichter sagen, "was mir nicht gefällt, ist Kommerz", weil das weniger leicht zu widerlegen sein dürfte, als beim E/U-Gegensatz.
    Z.B. kann man sagen, dass Penderecki einfach zu kommerziell ist, und man daher Boguslaw Schaeffer vorzieht.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Eine "rein kommerzielle" Musik wird es ebensowenig geben, wie eine jedes Publikum verneinende Neue Musik.

    eine These, die zu diskutieren wäre. (Aber vielleicht nicht hier...)

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • um Musik zu verstehen.

    Da ich selbst keine Noten lesen kann, fehlt mir oft das Werkzeug, Musik zu verstehen.
    Da ich aber im Vollbesitz meiner kognitiven Fähigkeiten bin- Forenmitglieder mögen daran hie und da zweifeln :love: - bin ich in der Lage, Musik zu begreifen.

    Beide Begrifflichkeiten machen für mich einen Unterschied aus, einen erheblichen sogar.
    Und folgere also: man kann Hören lernen.
    Wie man in der Lage ist, sich jedes Gebiet des Wissens, Könnens etc. zu erschließen.
    "Begreifen" hat etwas Kindliches, vom "Anfassen" um etwas zu "erkennen".

    Lange habe ich mit mir gehadert, das musikalische Alphabet nicht zu beherrschen, also gezwungen zu sein, andere Mittel zu nutzen, Musik zu erschließen.
    Heute respektiere ich beide Wege- andere auch.
    Manchmal redet man aneinander vorbei, der "Versteher" und der "Begreifer", oft aber meint man das selbe und ist sich sehr nah.
    Benutzt die selben Vokabeln.

    Wirklich erheblich finde ich, dass man in der Lage ist, Querverbindungen zu erkennen innerhalb der Musik.
    "Anwendungsbereites Wissen" aufbauen nannte man das in meiner Schulzeit.

    Da stellt sich also die Frage nicht, ob man Musik hören lernen kann, es stellt sich eher die Frage, wie dieses stete Lernen einem abhanden kommen kann.

    "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst." Voltaire

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!