Franz Schubert: Oktett F-Dur (D 803)
Schuberts Oktett für zwei Violinen, Viola, Cello, Kontrabass, Klarinette, Horn und Fagott ist m.E. eines der schönsten Werke der Bläserkammermusik, wenn nicht der Kammermusik überhaupt - "schön" im Sinne eines überbordenden Erfindungsreichtums auf allen Ebenen, einer Verbindung von melodischem Reichtum, harmonischer Tiefe und klanglicher Vielfalt.
Das Oktett gehört zu den drei Werken, die Schubert am 31.3.1824 brieflich im Zusammenhang mit der vielzitierten Absicht nennt, sich "den Weg zur großen Sinfonie [zu] bahnen". Es entstand im Februar 1824 etwa gleichzeitig mit dem a-moll-Streichquartett und kurz vor dem d-moll-Streichquartett.
Dem Oktett ist ein Widerspruch eingeschrieben, der ihm aber auch seinen besonderen Reiz verleiht: Einerseits orientiert sich Schubert in puncto Besetzung (plus der zweiten Violine), Vielsätzigkeit (einschließlich zweier Tanzsätze) und Satzfolge eindeutig an Beethovens Septett von 1800, einem zum Leidwesen seines Komponisten überaus populären Werks - das Oktett steht somit in der Serenadentradition. Andererseits geht Schubert, was kompositorische Durchgestaltung, harmonischen Reichtum und Ausarbeitung von Beziehungen zwischen den Sätzen betrifft, weit über diese Tradition hinaus und schafft ein Werk von tatsächlich "sinfonischem" Anspruch. Beides gilt natürlich auch für die Kombination von Streichern und Bläsern. "Star" ist dabei recht deutlich die Klarinette, der wiederholt überaus dankbare Passagen anvertraut werden. Aber auch das Horn wird im Rahmen seiner Möglichkeiten reich bedacht. Am seltensten tritt das Fagott solistisch hervor. Mit allen Wiederholungen dauert das Werk in der Regel über eine Stunde - was in der Serenadentradition nicht ungewöhnlich ist, aber durch den musikalischen Ereignisreichtum hier auch eine sinfonische Dimension andeutet.
Der Kopfsatz beginnt mit einer Adagio-Einleitung, die zentrales thematisches Material für das ganze Werk entwickelt: über einem F-Orgelpunkt erklingt das aus anderen Zusammenhängen bekannte "Wanderer"-Motiv. Es wird von der Tonika über fis-moll geführt und bricht mit einem Akkordschlag auf b-moll ab. Dann finden die Blasinstrumente mit dem rhythmisch verkleinerten zweiten Teil des Wanderer-Motivs, das zum zentralen Bestandteil der Themen des Allegro-Hauptsatzes werden wird, zur Tonika zurück.
Der Hauptsatz kontrastiert zwei (eigentlich drei) rhythmisch ähnliche, aber vom Charakter her gegensätzliche Themen miteinander: ein energisch im Tutti aufwärtsstrebendes, ein sich vor allem in der Klarinette aussingendes und ein serenadenhaftes. Bereits in der Exposition kommt es zu dramatischen Zuspitzungen. Die Durchführung lässt das Seitenthema auf schönste Weise durch Instrumentalkombinationen und Tonarten gleiten, bevor unvermutet zur Reprise noch einmal die Einleitung zitiert wird. Die Stretta-Coda wird zunächst ausschließlich vom Hauptthema bestritten, bevor - für das Werk sehr typisch, schon in der Einleitung! - die Bewegung abbricht und sich zum Schluss noch einmal das Seitenthema aussingt.
Das folgende Adagio (B-Dur) im 6/8-Takt beginnt ganz liedmäßig, mit einer weitgespannten zwölftaktigen Melodie in der Klarinette. Im Prinzip ist der Satz auch einfach gebaut, als ABA'B' plus Coda. Trotzdem enthält er nicht nur grandiose Melodik, sondern (etwa bei der langen Überleitung zum zweiten Thema in F-Dur) Passagen großer Verdichtung im freien Kontrapunkt. Auch spitzt sich der im Prinzip idyllische Charakter gelegentlich zu, bei der Wiederholung des A-Teils in zwei b-moll-"Aufschreien" plus einer neuen Überleitung zum zweiten Thema (das im übrigen dem Seitenthema des Kopfsatzes nahe verwandt ist und eine wunderschöne kontrapunktische Fortspinnung beinhaltet.). In der Coda gibt es eine packende Passage, in der sich die Klarinette mit dem obsessiv wiederholten zweiten Takt des Hauptthemas über gefährlichen Pizzicati der Bassinstrumente festzurennen droht. Soweit die dürren Worte zu einem phänomenalen Satz, vielleicht dem schönsten langsamen, den Schubert bis dahin geschrieben hat.
Allegro vivace ist der dritte Satz überschrieben: ein sehr schneller "G'stampfter" mit Scherzo-Charakter, der aber auch lange, harmonisch spannungsvolle Entwicklungen kennt. Das eher entspannte C-Dur-Trio hat einen angedeuteten Ländlercharakter über durchgehenden Viertelbässen.
Das folgende Andante ist ein Variationensatz in C-dur. Das ganz serenaden- oder lustspielhafte Thema hat Schubert mit geringen Modifikationen aus seinem neun Jahre alten Singspiel Die Freunde von Salamanca entnommen. Die erste Variation, zunächst vom reinen Streichquartett angestimmt, schlendert in 16tel-Triolen, die zweite huscht rhythmisch bewegt dahin. In der dritten führt das Horn, in der vierten das Cello. Die obligatorische Moll-Variation klingt durch die rasende 32tel von zweiter Geige und Bratsche fast gehetzt. Die kantable sechste Variation steht in As-dur und nutzt vor allem höhere Lagen der Instrumente. Ihr schließt sich eine schöne, harmonisch vagierende Überleitung an, die nach C-dur und damit in die siebte, wiederum serenadenhaft-beschwingte siebte Variation überleitet. Sehr reizvoll die Coda, bei der in quasi nostalgisch-witziger Rückschau das leicht verfremdete Thema von unablässig pochenden 32teln begleitet wird.
Der zweite Tanzsatz, Allegretto, ist eines jener "verspäteten" Menuette, wie sie auch schon bei Beethoven vorkommen - nur noch entfernt an den höfischen Tanz erinnernd, leicht melancholisch gefärbt, obschon in der Grundtonart stehend. Das Hauptthema erinnert nicht nur durch seinen identischen Auftakt an die Themen des Kopfsatzes. Das thematisch eng verwandte B-dur-Trio ist dagegen ganz rustikal-ländlermäßig. Auf die Menuett-Reprise folgt wie bei den Beethoven-Werken (op. 31/3, 59/2) noch eine leicht verschleierte Coda, die die ebenfalls in "Anführungszeichen" stehende Coda des Variationensatzes ins Gedächtnis ruft und auch zum überraschenden Beginn des Finales überleitet.
Wenn für ein in der Serenadentration stehendes Werk der Bläserkammermusik bisher auch vieles ungewöhnlich war: Die Andante molto-Einleitung des Finales fällt endgültig aus dem Rahmen: Das drohende Donnergrollen eines anschwellenden F in Kontrabass und Cello untermalt in Forte und Fortissimo notierte Unisono-"Schreie" der anderen Instrumente - rhythmisch und motivisch deutlich an die Einleitung des Kopfsatzes angelehnt, aber hier von exzessivem Charakter und mit spektakulären klanglichen Effekten geradezu haltlos durch diverse Dur- und Moll-Tonarten irrend. Auch am Schluss der Einleitung ist mit einem geisterhaft oktavierten C im dreifachen Pianissimo alles andere als tonal fester Boden unter den Füßen erreicht. Der folgende Allegro-Hauptsatz ist ungewöhnlich breit angelegt, von fast geschwindmarschartigem Charakter über durchgehenden Vierteln im Hauptthema, etwas konzilianter, aber thematisch eng verwandt im C-Dur-Seitenthema. Auffällig eine sehr spannungsreiche, sich dynamisch und harmonisch immer mehr steigernde Rückleitung zur Reprise, etwas an die entsprechende Passage im Kopfsatz des d-moll-Quartetts erinnernd. Ob man den Charakter des Satzes als fröhlich-ausgelassen, mitunter heftig, oder sogar als gehetzt empfindet, wird je nach Hörer unterschiedlich sein. Am Schluss der Reprise kehrt mit großem Effekt die Einleitung zurück (prinzipiell ein aus der Klassik bekanntes Verfahren, man denke an Haydns Paukenwirbel-Sinfonie), die diesmal aber harmonisch regelgerecht, eindrucksvoll nach Dur modulierend in die abschließende Allegro-molto-Stretta übergeht.