Kissinger Sommer 2018: Eröffnungskonzert und "Feine Linien in Pastell"

  • Kissinger Sommer 2018: Eröffnungskonzert und "Feine Linien in Pastell"

    Mit dem „Eröffnungskonzert des Kissinger Sommers“ und dem „Konzert der feinen Linien in Pastell“ stellte die „Deutsche Kammerphilharmonie“ Bremen beim Festival 2018 die 3. Und 4. Symphonie von Johannes Brahms ihre frisch musizierte Interpretationen mit dem Dirigat des Paavo Järvi vor.

    Es ist immer wieder beeindruckend, wie engagiert die Musikerinnen und Musiker das Konzertpodium besetzen und die hervorragende Klangentfaltung im Max-Littmann-Saal nutzen.

    Järvi ist mit dem Orchester seit Jahren als dessen künstlerischer Leiter verbunden und lässt insbesondere bei der Vierten das Orchester erstaunlich frei spielen.

    Das Eröffnungskonzert wurde durch das „Konzert für Violoncello und Orchester e-moll“ von Edward Elgar mit der hervorragenden Sol Gabetta komplettiert. Mit einer sehr weichen Klang-Gestaltung nahm die noch junge Solistin dem Alterswerk die depressive Melancholie.

    Im Konzert der feinen Linien war der Geiger Christian Tetzlaff für die erkrankte Janin Jansen eingesprungenund erwies sich als eigenständiger aber durchaus hervorragender Interpret des „ Konzertes für Violine und Orchester D-Dur“ von Johannes Brahms.

  • Die Deutsche KammerphilharmonieBremen mit Paavo Järvi beim Kissinger Sommer

    Die Deutsche KammerphilharmonieBremen mit Paavo Järvi beim Kissinger Sommer 2021


    Das Residenz-Ensemble des „Kissinger Sommers“, die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, ist in jeder Hinsicht ein außergewöhnliches Orchester.

    Nachdem Musikstudenten 1980 auf der Nordseeinsel Föhr das „Kammerorchester der Jungen Deutschen Philharmonie“ gegründeten, lief zunächst alles streng basisdemokratisch: jeder Geiger musste auch mal Stimmführer sein und für Dirigate galt ein Rotationsprinzip.

    1987 erfolgte eine Institutionalisierung des losen Zusammenschlusses zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts als professionelles Kammerorchester. Seit 1992 hat das Orchester seinen Sitz in Bremen.

    Nur für die Musik wollten die Orchestermitglieder leben. Da sie aber den Umgang mit Finanzen kaum beherrschten, stand 1998 jeder Musiker für einen Schuldenberg von 1,5 Millionen DM in der Haftung.

    Der Klangkörper stand vor der Auflösung, als der Musiker Albert Schmitt entschied, seinen Kontrabass zur Seite zu stellen, um sich als Manager zu erproben. Mit breiter Unterstützung, auch von außen, baute er das Orchester zum Unternehmen mit professionellem Marketing und einer systematischen Marktstrategie, einer GmbH mit etwa vierzig Gesellschaftern um.

    Mit dem Wirtschaftswissenschaftler Christian Scholz (1952-2019) entwickelte das Orchester aus dem simplen Umstand, dass man mit zwei Klangfolgen, je nachdem ob man diese nacheinander oder gleichzeitig abspielt, Wohlklang oder Dissonanzen erzeugt, eine Trainingsmethode, die es sichert, unabhängig von jeweils aktuellen Bedingungen Hochleistungen zu erbringen.

    Diese als 5-Sekunden-Modell bezeichnete Erfolgsformel weist nach, dass nicht permanente Harmonie, sondern der bewusste Umgang mit Dissonanzen und Konfliktspannungen der Schlüssel zum Erfolg von Hochleistungs-Teams ist: Hierarchie und Demokratie, Notwendigkeit und Sinn, Perfektion und Abenteuer, Energie und Konzentration, Erfolg und Spaß.

    Damit ist auch zu erklären, dass die Orchester-GbR mit ihrer Gesellschafterstruktur, der Selbstorganisation und des Konsenszwangs, der Mitverantwortlichkeit des Einzelnen für den Erfolg des Ganzen, den letztlich hierarchischen Orchesterbetrieb in hoher Qualität bewältigt.

    Während in der reichen deutschen Orchesterlandschaft die öffentlich rechtlichen Klangkörper vorherrschend mit 80 bis 90 Prozent aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, erwirtschaftet die Bremer Kammerphilharmonie mit Konzerteinnahmen, Vermarktung von Bild bzw. Tonrechten, Honoraren und Sponsoring über Zweidrittel des gesamten Budgets.

    Im Jahre 2004 hat der weltweit agierende Paavo Järvi (geboren 1962 in Estland) die Künstlerische Leitung der Musikerformation übernommen und zu einem weltweit führenden Orchester geformt. Järvi hat, wie er mir versicherte, trotz vielfältiger Verpflichtungen absolut nicht die Absicht diese Aufgabe aufzugeben. Für ihn sind die „Bremer“ das absolute Dream-Team. Er kenne kein anderes Orchester, in dem die Musiker derart begeistert an Interpretationen arbeiten, proben und im Konzert musizieren. Hinter dem Erfolg, jenseits konventioneller Interpretationen, stehen umfassende Auseinandersetzungen mit den Komponisten und deren Werke.

    Das seit 1986 von der Gründungs-Intendantin Kari Kahl-Wolfsjäger in einer dreißig Jahren währenden Tätigkeit zu schönem Erfolg geführte Festival „Kissinger Sommer“ musste im Jahre 2020 erstmalig ausfallen und war auch 2021 von einem kammermusikalisch geprägten Programm gekennzeichnet.

    Selbst das Residenzorchester aus Bremen konnte nur einen Konzert-Tag bestreiten.

    Im 1913 erbauten Max-Littmann-Saal hatten die Festspielorganisatoren die ersten Sitzreihen demontieren und das Podium um vier Meter verlängern lassen. Die größeren Abstände der Musiker schienen aber kaum Einfluss auf die hervorragende Klangentfaltung in der mit Kirsch- und Ebenholzwänden ausgestatteten „Schuhschachtel“ zu haben.

    Igor Levit, der seine großartige Karriere als Empfänger des Luitpold-Preisesdes Fördervereins Kissinger Sommer 2009 begann, war nach Bad Kissingen gekommen, um mit der Bremer Kammerphilharmonie und Paavo Järvi Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr.4 G-Dur op.58 zu interpretieren.

    Wie improvisierend zart begann Levit das Allegro moderato, ging aber dann direkt in medias res und bringt seine eigene Handschrift zur Geltung. Paavo Järvi ließ das Orchester den Solopart zunächst in einen luftig-transparenten Klangteppich einhüllen, bevor sich das dialogisierende Zusammenspiel von Klavier und Ensemble entwickelte.

    Auch im langsamen Satz ließ der Dirigent dem Solisten ausreichend Raum, seine Virtuosität mit einem farbigen Spiel zu entfalten, während im Rondo nach der Kadenz vom Orchester dem Klavier ordentlich Gegenwind geboten worden war.

    Die Interpretation des formal vielleicht aufregendsten Klavierkonzert Beethovens war spannungsreich ausformuliert und ließen eigene Handschriften vom Solisten und des Orchesters erkennen.

    Mit Pulcinella hatte Igor Strawinsky (1882-1971) mit lockerer Hand aufgefundene Handschriften von Giovanni Battista Pergolesi (1710-1736) zu einer Ballettmusik verarbeitet und daraus eine neunsätzige Suite zusammengestellt. Strawinsky nahm die barocken Melodien nicht unbedingt ernst und verarbeitete sie spielerisch, fast übermütig. Es war eine Freude, wie ungewöhnlich modern der mitunter beschauliche Neobarock ohne die oft zuhörenden wuchtigen großen Besetzungen mit den 41 Bremern klang. Unter der sorgfältigen Zeichengebung Järvis entwickelten sich die polyrhythmischen Wendungen, mit denen Strawinsky die Musik Pergolesis übermalt hatte, mit Biss, Frechheit und Radikalität. Mit Freude erlebten wir eine elegante, makellos e Orchestervirtuosität, anmutig wo es sein sollte und augenzwinkernd pfiffig wo es angebracht war. Besonders großartig erwiesen sich die Tarantella und das Finale.

    Mit einer feurig gespielten Beethoven-Zugabe verabschiedeten sich Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen für 2021 von Bad Kissingen.

    Für den amtierenden Intendanten Tilman Schlömp waren die Festspiele 2021 seine letzten. Ab dem Veranstaltungsjahr 2022 übernimmt der bisherigeOrchesterdirektor des Deutschen SymphonieorchestersBerlin, Alexander Steinbeis (geboren 1974) die Leitung des Festivals.

  • Mit dem Wirtschaftswissenschaftler Christian Scholz (1952-2019) entwickelte das Orchester aus dem simplen Umstand, dass man mit zwei Klangfolgen, je nachdem ob man diese nacheinander oder gleichzeitig abspielt, Wohlklang oder Dissonanzen erzeugt, eine Trainingsmethode, die es sichert, unabhängig von jeweils aktuellen Bedingungen Hochleistungen zu erbringen.

    Diese als 5-Sekunden-Modell bezeichnete Erfolgsformel weist nach, dass nichtpermanente Harmonie, sondern der bewusste Umgang mit Dissonanzen und Konfliktspannungen der Schlüssel zum Erfolg von Hochleistungs-Teams ist: Hierarchie und Demokratie, Notwendigkeit und Sinn, Perfektion und Abenteuer, Energie und Konzentration, Erfolg und Spaß.

    Lieber thomati, kannst Du das bitte mal etwas näher erklären (gern an anderem Ort, falls das zu weit vom Thema abweicht)? Was hat es mit dieser Erzeugung von Wohlklang und Dissonanzen auf sich? Von dieser Methode habe ich noch nie gehört.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Wieso nicht öffentlich?

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Wieso nicht öffentlich?

    Das Thema ist so komplex, dass Gurnemanz entweder das Buch lesen muss oder sich am Telefon meine Deutung mit einfachen Worten anhören sollte.
    Also kein vermintes Gelände.
    Der Link von Scherzo ist aber auch nicht schlecht.

  • Deutsche Kammerphilharmonie beim Kissinger Sommer am 16. Juli 2022

    Die „Bremer“ mit Strawinsky, Brahms und Schumann mit einem Gastkonzert

    Die „Deutsche Kammerphilharmonie Bremen“, war im Zeitraum von 2017 bis 2021, meistens mit den Dirigaten von Paavo Järvi, das Residenzorchester des Festivals „Kissinger Sommer“.

    Inzwischen hat sich einiges geändert: das Festival hat mit Alexander Steinbeis einen neuen Intendanten, es gibt einen Besuchershuttle mit Würzburg bzw. Fulda und man trifft sich wieder nach den Konzerten zur Lounge im Schmuckhof. Vor Allem, die wichtigsten Veranstaltungen werden seit diesem Jahr gestreamt und stehen für neunzig Tage im Internet abrufbar zur Verfügung.

    Fast erwartungsgemäß waren die Konzertveranstaltungen nicht vollständig ausgebucht. Man ist aber mit den Konzertbuchungen nicht unzufrieden.

    Da die Gastronomie im Umfeld des Regent Baus komplett versagte, hatten die Veranstalter in den Räumen eine hervorragende Vor-Konzert- und Pausenversorgung organisiert.

    Ansonsten macht der Kissinger Badebetrieb im Jahre 2022 einen etwas „zurückgebauten“ Eindruck.

    In der Saison 2022 waren die „Bremer“ nur mit einem Konzert im Festivalprogramm mit der Gastdirigentin Ruth Reinhardt und dem Pianisten Daniil Trifonov vertreten. Auf dem Programm standen Kompositionen der Kernkompetenz des hochinteressanten Klangkörpers, nämlich von Igor Strawinsky (1882-1971), Johannes Brahms (1833-1897) und Robert Schumann (1810-1856).

    Kaum funktionierten nach dem Ende des zweiten Weltkrieges die Postverbindungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten wieder, erreichte Igor Strawinsky ein Brief des Schweizer Dirigenten Paul Sacher (1906-1999) mit der Bitte, zur Feier des 20-jährigen Bestehens seines „Basler Kammerorchesters“ ein Streicherstück von der Dauer von 10 bis 12 Minuten „wie etwa bei Bachs Brandenburgischen Konzerten“ zu komponieren.

    Ende August 1946 lieferte Strawinsky sein dreisätziges nach der Art des barocken Concerto geschriebenes „Concerto in D für Streichorchester“ ohne jede Erläuterung. In einem Begleitbrief bedauerte Strawinsky seine Zeitnot und meinte lakonisch: dass das Werk für Streichorchester geschrieben, wird man sehen, dass es dreisätzig ist, wird im Programm zu lesen sein und, dass es nicht im geringsten atonal ist, werden die Hörer zu ihrem Vergnügen selbst herausfinden.

    Das brillant-witzig dargebotene, auch als „Basler“ bezeichnete Stück, erwies sich als raffiniert-unterhaltsamer Auftakt des Konzertes. Ruth Reinhardt versprühte vom Beginn an viel Energie, um das Orchester anzutreiben. Die Streicher der Kammerphilharmonie hatten sichtlich Spaß, mit ihr die Tiefen dieses etwas sperrigen Kondensats aus Rhythmus, Raffinesse und Farbe darzubieten. Besonders die Bratschistin Friederike Latzko half, die Wirkung des delikat leichtgewichtigen Gebildes von Strawinskys Schwelle zum Expressiven zu sichern, was von den Besuchern stürmisch quittiert worden war.

    Interessant bleibt die Person des Auftraggebers der Komposition: Paul Sacher, aus bescheidenen Verhältnissen stammend, war er durch Heirat mit der Witwe des Gründer-Sohnes der Firma „Hoffmann-La RocheMaja Sacher-Stehlin (1896-1989) zum Nutzer eines gewaltigen Aktienpaketes geworden. Mit seinem auf 25 Milliarden geschätztem Vermögen hatte sich das Paar mit einer breiten unkonventionellen mäzenischen Tätigkeit mit Kompositionsaufträgen, Bilderankäufen sowie Museumsgründungen betätigt und einen breiten internationalen Musiker-Freundeskreis erschlossen.

    So gilt heute, im Zeitalter des zunehmend aggressiven privatwirtschaftlichen Sponsorings, der zu seinen Lebzeiten diskret agierende Konzernmanager, Dirigent und Mäzen Paul Sacher als der letzte Patriarch.

    Das 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms gilt weniger der technischen Schwierigkeiten der Komposition wegen für Pianisten problematisch. Bedingt, ob der komplexen interpretatorischen Entscheidungsmöglichkeiten einer Gestaltung des Soloparts wegen, sei das Konzert der Prüfstein für die künstlerische Reife eines Solisten.

    Brahms komponierte sein 1. Konzert für Klavier und Orchester d-Moll op. 15 im Alter von gerade 23 Jahren. Den etwas schwierigen Weg der Entstehung, Brahms wollte ursprünglich eine Symphonie schreiben, kann man deshalb insbesondere in dem Kopfsatz nachempfinden. Ruth Reinhardt musste zunächst mit dem Orchester Schwerarbeit leisten, um dem Solisten eine ordentliche Vorgabe anzubieten zu können.

    Daniil Trifonov, den wir als Capell-Virtuos der Sächsischen Staatskapelle Dresden in der Saison 2016/2017 noch ungestüm in Mozart-Klavierkonzerten und introvertiert mit einem Klavierrezital erleben konnten, zeigte sich inzwischen gereifter und bewegte sich unaufgeregt durch die wechselnden Stimmungen des Kopfsatzes. Mit emotionaler Direktheit stellte er lyrische Passagen den flexiblen Ausbrüchen gegenüber. Nur gelegentlich betonte er die Dramatik der Komposition und spielte insgesamt etwas langsamer als gewohnt.

    Das Adagio bot Trifonov in einer üppigen Stimmung und vermittelte reichhaltige, gefühlvolle Sensibilität. Das Finale interpretierte er turbulent, fast respektlos und mit perfektem Ansturm bis zum Schluss.

    Mit ihrem Dirigat sicherte die gebürtigen Saarländerin Ruth Reinhardt, dass die Deutschen Kammerphilharmoniker dem Solisten immer einen anspruchsvollen Gegenpart liefern konnten.

    Frenetische Ovationen veranlassten Trifonov zur Zugabe: Johann Sebastian Bachs BWV 147 „Jesus bleibe meine Freude“.

    Mit einer klaren und präzisen Interpretation der 3. Symphonie, der „Rheinischen“, betonte Ruth Reinhardt im zweiten Konzert-Teil den Detailreichtum des Schumann´schen Werkes. Gezügelte Lautstärke begrenzte den überschwänglichen Charakter des Eingangs-Themas und setzte mit verstärktem Bläsereinsatz die interessanten Akzente im ersten Satz.

    Mit dem Scherzo betonte die Dirigentin effektvoll die Vielstimmigkeit der Bremer Streicher-Stimmen und ließ mit den Celli das Thema schön ausarbeiten.

    Empfindsam, von vorsichtigen Streichern gespielt und einem gekonnten Klarinetten-Solo getragen, gestaltete Ruth Reinhardt den dritten Satz zum gefühlvollen Mittelteil der Symphonie.

    Die Interpretation des mit „Feierlich“ überschriebenen vierten Satz betonte, in erster Linie von den Hörnern und Posaunen der „Bremer“ bestimmt, seinen sakralen Ansatz. Dennoch gelang es einen effektvollen Spannungsbogen zu einem heiteren, fast ausgelassenem Finale zu schlagen.

    Die Konzertbesucher waren begeistert und dankten mit stürmischen Ovationen und erhielten die eingeforderte Zugabe.

  • Abschlusskonzert des Kissinger Sommers 2022 am 17. Juli im Max-Littmann-Saal

    Krzystof Urbański und Jan Lisiecki mit den Bamberger Symphonikern

    Kaum vier Minuten waren gespielt, da war der erste Höhepunkt des Konzertes der Bamberger Symphoniker im wunderbaren Max-Littmann-Saal des Bad Kissinger Regent Baus bereits verklungen.

    Der polnische Dirigent Krzystof Urbański hatte eine Klavier-Komposition seiner Lands-Frau Grażyna Bacewicz (1909-1969) „Scherzo“ für einen effektvollen Auftakt des Konzertes für sein Orchester bearbeitet.

    Die Mehrfach-Begabung, wegen ihrer schriftstellerischen und philosophischen Arbeiten als die „Polnische Sappho“ bezeichnete Komponistin, schrieb das Klavierstück 1934. Über die Grenzen Polens ist Grażyna Bacewicz nur wenig bekannt. Sie hatte eine unwahrscheinlich schnelle Auffassungsgabe, war eine harte Arbeiterin und behauptete, sie könne in einer halben Stunde fünfzehn Briefe schreiben. Ihr Komponier Stil unterlag einer beständigen Evolution, war rastlos und vielschichtig, wie ihr Leben. Dabei ließ sie sich ungern in die Karten schauen und bezeichnete die Entstehung einer Komposition als diskrete, rein persönliche Angelegenheit.

    Grażyna Bacewicz wurde nur 69 Jahre alt, gehört aber unbedingt zur „goldenen Riege „ der polnischen Komponisten“ Lutoslawski, Gorecki, Penderecki und Szymanowski.

    Für das 2. Klavierkonzert e-Moll op. 11eines weiteren polnischen Musiker-Titanen Fryderyk Chopin (1810-1849) war aus Kanada der Pianist Jan Lisieki, der gleichfalls polnische Wurzeln hat, angereist.

    Chopin, der selbst ein ausgezeichneter Pianist gewesen war, hat fast ausschließlich Klaviermusik komponiert. Seine beiden Konzerte für Klavier und Orchester sind innerhalb einer Jahresfrist 1829 zu 1830 entstanden, so dass dem e-Moll-Konzert die niedrigere Opus-Zahl 11 zugeordnet worden war. Das geringfügig früher fertig gestellte f-Moll-Konzert trägt die Opus-Zahl 21.

    Beide Klavierkonzerte gelten als Bewährungsprobe für die Technik und das Ausdrucksvermögen eines Pianisten. Dem ausgewogenem Anfangssatz folgte ein impulsives Larghetto und ein betörend sprühendes Finale. Mit seiner enormen Anschlagstechnik, seiner Phrasierungskunst, seinem exzessiven Spiel schuf Jan Lisiecki eine begeisternde Intensität und eine gewaltige Spannung. Für das Orchester unter dem Dirigat Krzysztof Urbańskis gab es die undankbare Aufgabe, sich mit dem doch kompositorisch unausgewogenen Orchesterpart gegen das „Virtuosen-Konzert“ zu behaupten. Es klang aber bei allen Bemühungen nur matt und stumpf.

    Für das Kissinger Abschlusskonzert hätte ich mir deshalb die von Mikhail Pletnev und Daniil Trifonov mit dem „Mahler Chamber Orchestra“ entwickelte Fassung des 2. Chopin-Klavierkonzertes gewünscht: Pletnev, der als Pianist und Dirigent tätig ist, hat selbst unter der Diskrepanz zwischen der pianistischen Raffinesse des Werkes und dessen orchestrale Simplizität regelrecht gelitten. Er überarbeitete deshalb behutsam die Orchester-Partitur Chopins, indem er charakteristische melodische Phrasen anders als Chopin den Orchesterinstrumenten zuordnete. Als ausgewiesener Kenner der Möglichkeiten seiner Instrumente erzielte er mit diesem Arrangement reichere Farben und eine stabilere Klangfülle.

    Seine Bearbeitung verursachte zwar einigen Wirbel in der Musikwelt, hat aber bereits Nachnutzer gefunden.

    Zur Abrundung der Festspiele 2022 kam Peter Tschaikowskis (1840-1893) „Symphonie Nr.4 f-Moll op. 36“ zur Aufführung.

    Krzysztof Urbański machte auf dem Podium eine schneidige Figur und hatte etwas von einem Show-Man. Seine Zeichensetzungen waren aufgeräumt und effizient, er bot einen ordentlichen Körpereinsatz und nutzte den zur Verfügung stehenden Platz, indem er auf dem Podium sprang, tanzte, mal auf einem Bein stand und weit ausholende Armbewegungen zeigte. Das Orchester machte diesen Spaß mit, so dass fast zu freudig musiziert wurde und die Piano-Stellen etwas zu hell kamen. Dazu baute Urbański den Höhepunkt des ersten Satzes zurückhaltend auf und auch das Scherzo mit den Pizzicato-Streichern kennen wir leichtfüßiger.

    Dafür ließ er die „Bamberger“ mit dem Finalsatz ordentlich auftrumpfen und sicherte sich und dem Orchester einen jubelnden, für Bad Kissingen höchst seltenen von etwa einem Drittel des Auditoriums stehenden Applaus.

    Das Abschlusskonzert war nicht nur ausverkauft. Es mussten Zuhörer sogar einen der akustisch benachteiligten Seitenräume nutzen.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!