PUCCINI: Manon Lescaut - Kommentierte Diskographie
Mit seiner 1893 in Turin unter der Leitung von Toscanini uraufgeführten "Manon" profilierte sich Puccini endgültig unter den führenden Opernkomponisten nicht nur seiner eigenen Zeit. Mit der Wahl des Stoffes forderte er bewußt den Vergleich mit Massenets nur wenige Jahre älterer Version heraus, und der Erfolg gab ihm recht. Trotzdem scheint derzeit das ältere Werk an Bekanntheit und Resonanz zu überwiegen. Wenigstens in unserem Forum wurde Puccinis Werk bisher, soweit ich es überschaue, eher nur nebenher erwähnt. Da mir persönlich ungeachtet des äußerst unsympathischen Charakters Puccinis die italienische "Manon" stets mehr zusagte als die französische (bei Massenet ziehe ich andere von dessen Schöpfungen vor, ohne seine "Manon" abwerten zu wollen), probiere ich einmal, wieviel Echo eine Beschäftigung mit diesem "Frühwerk" auslöst.
Natürlich ist es vollkommen gerechtfertigt, die Puccini-"Manon" als Schmachtfetzen zu bezeichnen - aber es ist ein solch genialer Schmachtfetzen, daß die despektierliche Benennung sich geradezu in eine lobende verwandelt. Der elementare und fast schon rücksichtslose Ausdruck der Gefühle durch Musik erreicht im OEuvre des Komponisten hier einen ersten Höhepunkt, wird aber wohl von klassischeren Seelen als ein wenig barbarisch empfunden. Ich verstehe das, auch wenn ich es nicht so empfinde. Aber lassen wir die allgemeinen Bemerkungen und kommen wir zu einem konkreten Beispiel:
MYTO 2010
Rundfunkmitschnitt einer MET-Aufführung im Jänner 1959. Den verbindenden Kommentar hätte man ruhig ausblenden können, zumal er ohnehin wegen seiner Länge teilweise abgewürgt wird. Im Beitext entschuldigt man sich wegen "minor sound problems", aber sie sind wirklich nur "minor" und stören den Gesamteindruck nicht wesentlich.
Die Besetzung bietet im Prinzip crème de la crème: Renata Tebaldi in der Titelrolle, Richard Tucker als Des Grieux, Frank Guarrera als Lescaut, Fernando Corena als Geronte und die bewährt-berühmten Comprimarii: Charles Anrhony (Edmondo), George Cehanovsky (l'oste), Alessio de Paolis (maestro di ballo), Helen Vanni (musico), Calvin Marsh (sergente), Robert Nagy (lampionaio), Osie Hawkins (comandante). Fausto Cleva dirigiert. Alle blendend!
Natürlich ist vom Typ her weder Tucker ein idealer Des Grieux noch die Tebaldi eine ideale Manon, doch sind beide solche Ausnahmesänger und ihnen zuzuhören ein derartiger Genuß, der - Leo Slezak wüde sagen - wahre Wonneschauer erzeugt, daß dagegen alle Kritik als unbedeutend verstummt. Beide legen sich voll ins Zeug (und die anderen Mitwirkenden nicht minder), das Publikum rast vor Begeisterung, und die gute alte Opernzeit steht wieder auf (ich will die Gegenwart deswegen aber nicht schmälern - immerhin: Welcher derzeitige Tenor reicht an Tuckers Volumen heran? Ja, ich weiß, nostalgische Schwärmerei ist gefährlich und scheuklappig, seht sie mir bitte nach!). Diese tempi sind passati, und heute kann und soll man die "Manon" klarerweise nicht mehr so interpretieren, aber dieser Stil geht mir noch immer durchs Ohr direkt ins Herz. Langweilig sind solche Aufführungen jedenfalls nicht, selbst wenn man sie mißtrauischer empfindet als ich.