Peter Tschaikowski: Symphonie Nr. 4 f-Moll, Op. 36
Peter Tschaikowski begann die Arbeiten an seiner vierten Symphonie in f-Moll Op. 36 im Mai des Jahres 1877 und schloss die Komposition im Januar 1878 ab. Das Werk wurde im Februar des gleichen Jahres in einem Konzert der Moskauer Musikgesellschaft unter Nikolai Rubinstein uraufgeführt und insgesamt positiv aufgenommen. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Werke schätzte der Komponist diese Symphonie auch selbst als gelungen ein, sah sie als Höhepunkt seines symphonischen Schaffens, stellte sie auch über den Eugen Onegin, an dem er parallel arbeitete. Zudem hielt seine Zuneigung zur Vierten auch über die Jahre an.
Das Jahr 1877 gilt als ein Krisenjahr des Komponisten, da er sich unglücklich in einen seiner Schüler verliebte, dann aber auf eine aussichtslose Ehe mit Antonina Miljukowa einließ. Allerdings nahm die Freundschaft zu seiner Brieffreundin und Mäzenin Nadeschda von Meck im gleichen Jahr ihren Anfang. Von Meck war dann auch die – nicht namentlich – angesprochene Widmungsträgerin der Vierten ("a mon meilleur ami").
Im Gegensatz zu anderen Werken, die durchaus auch biographisch motiviert wirken können, lieferte Tschaikowski zur Vierten ein Programm, dies auf Wunsch von Nadeschda von Meck. Grob zusammengefasst beginnt die Symphonie im ersten Satz in der Andante sostenuto überschriebenen Einleitung mit einer Bläserfanfare, die den Ruf des Schicksals darstelle. Im folgenden Sonatensatz Moderato con anima werden dem gegensätzlichen Themenpaar "Hoffnungslosigkeit" bzw. "selige Tagträume" zugeordnet, wobei in der Durchführung ganz maßgeblich der erste Themenkomplex verarbeitet wird. Das Schicksalsmotiv wird als gliederndes Moment der Formabschnitte eingesetzt – Überleitung Exposition/Durchführung, Ende der Durchführung. Bereits in der Exposition werden die Themen intensiv verarbeitet, zumal das „Hoffnungslosigkeitsmotiv“, das in der „Tagtraumszene“ verklärend umgedeutet wird. Die Abschnitte sind eng verzahnt. Bspw. fungiert der Höhepunkt der Durchführung mit dem ersten Thema im dreifachen Forte und Streichertremolo über einer Art Bläserchoral wohl gleichzeitig als Beginn der Reprise, denn es schließt sich danach der zweite Themenkomplex an. Das Werk ist insgesamt sehr kopfsatzlastig, der erste Satz dauert in der Aufführung annähernd so lang wie die drei anderen zusammen, obwohl keine Expositionswiederholung vorgegeben ist.
Der zweite Satz Andantino in modo di canzona stelle nach Tschaikowskis Auskunft die melancholische Erinnerung an eine bessere Vergangenheit dar. Auf die wunderbare Oboenkantilene dürften sich nicht nur die Liebhaber dieses Instrumentes immer besonders freuen.
Der dritte Satz, ein Allegro-Scherzo, sei laut Komponist in der Gefühlslage unbestimmt, wie im benebelten Stadium vor einem Alkoholrausch. Bemerkenswert hier das Pizzicato ostinato in den Scherzo-Abschnitten im Wechsel mit reinen Bläserpassagen, zunächst im Holz, dann im Blech im Trio-Teil. Gibt es für das Pizzicato ostinato in einem Symphoniesatz ein Vorbild? Mir zumindest ist keines geläufig.
Das Finale – Allegro con fuoco – geht mächtig ab. Lärmend, blech- und schlagwerklastig. "Wenn du in dir selbst keinen Grund zur Freude findest, beobachte die anderen und freue dich an ihrer Freude." Zwar schlägt auch hier noch einmal das Schicksal zu, die Coda findet aber sempre forte-fortissimo ein strahlendes F-Dur-Ende. Fremdfreude, aber immerhin.
Die Nr. 4 ist die erste der sehr ernsten, "großen" Symphonien Tschaikowskis. Wie erlebt Ihr die Vierte? Zu viel Schwulst? Zu viel Pathos? Zu persönlich? Oder gerade die ideale Verbindung zwischen Emotion und Form, eine gelungene, in sich geschlossene Auslegung des Per aspera ad astra?
Quellen:
http://en.tchaikovsky-research.net/pages/Symphony_No._4 mit Zitaten aus den Briefen an Frau von Meck
http://conquest.imslp.info/files/imglnks/…p.36;_TH_27.pdf (Partitur)
https://www.redlandssymphony.com/pieces/symphon…n-f-minor-op-36