Läuten die Künstler das endgültige Ende der CD ein?

  • eine gute nachricht.
    ich kaufe pro monat mehrere stück, und habe noch platz in den regalen (seit meinem letzten umzug vor einem jahr).

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Erstaunlich finde ich, dass trotz Krise und mieser Verkaufszahlen weitern im Mittel elf neue Klassik-CDs täglich auf dem deutschen Markt veröffentlicht werden.

    Das werden aber alle Veröffentlichungen sein - also auch die Neuauflagen älterer Aufnahmen, und mein Eindruck ist der, daß dieser Anteil deutlich größer ist als Erstveröffentlichungen neuer Aufnahmen. Und die sind zum Teil auch nicht in der normalen Preisklasse um 15-18 € pro CD.

    Allerdings deutet der Bericht auch die Problematik des Streamings an: mit den kleinen Margen von den Portalen können selbst die regulären Labels nicht mehr irgendetwas finanzieren. Das ist viel alarmierender als die fallenden Verkaufszahlen der physischen Tonträger, denn mit denen rechnet man schon länger nicht mehr - aber die neue Streaminglandschaft gibt ihnen auch kein Input mehr, und was ist dann die Alternative?

    Die Wahrheit ist, da ist eigentlich nichts mehr - sie müßten selber Streamingdienste aufziehen, um da einen größeren Anteil vom Markt zu erhalten, was aber wiederum bedeutet, sie müßten in Konkurrenz zu den bestehenden Portalen treten - auch nicht gerade eine sichere Basis für Geschäftsmodelle... :/

    Daß die Labels sich sogar möglicherweise Konzertgagen von den Künstlern zuschustern lassen, zeigt doch die Verzweiflung, in denen sie sich befinden. Die ganzen Zusammenschlüsse usw. bringen zuwenig Einsparung, wenn die sichere Bank Tonträger-Verkauf ausdünnt. Wenn man sich außerdem anschaut, was ein Tonträger durchschnittlich in den letzten fünfzig Jahren gekostet hat, kann man ja froh sein, wenn in 30-50 Jahren noch Labels existieren und weiter veröffentlichen. Seit 1955 ist die Kaufkraft der DM bzw. des € um 80% gefallen; dafür kostet ein Tonträger zwar heute gut das 6fache gegenüber damals, aber die Produktionskosten und Absatzzahlen sind hoch- bzw. rückläufig. Streaming fängt das finanziell nicht auf. Da werden wir noch einige "Unsterbliche" sterben sehen... :(

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Resultat des ganzen Ökonomisierungswahns wird sein, dass Künstler sich noch mehr selbst vermarkten. Wozu braucht es im Rahmen von Streaming noch des Geschäftsmodells eines klassischen Labels? Zudem wird der Anteil von Live-Aufnahmen, selbst bei Kammermusik, weiter zunehmen.
    Letztlich geht das zu Lasten des Nachwuchses sowie des Nischenrepertoires. Gerade Freunde von Letzterem sollten mit einiger Sorge in die Zukunft schauen...
    :cincinbier:

    "it's hard to find your way through the darkness / and it's hard to know what to believe
    but if you live by your heart and value the love you find / then you have all you need"
    - H. W. M.

  • Naja, so eine CD ist ja auch ein Ausweis der Kompetenz und des Könnens, der zur Eigenwerbung nützlich ist. In der Wissenschaft zahlt man inzwischen auch schon meistens, wenn man seine Daten publiziert. Am Anfang fanden das die meisten, ich inklusive, unmöglich, aber natürlich ist der Wert einer Spitzenpublikation für die eigene Karriere viel größer als die paar Penunzen für die Publikation.Das ist halt ein sehr spezieller Markt, der nicht viel abwirft...

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Naja, so eine CD ist ja auch ein Ausweis der Kompetenz und des Könnens, der zur Eigenwerbung nützlich ist.

    Und dessen Grenznutzen dann nicht mehr gegeben ist, wenn Aufwand und Ertrag (= Verbesserung der Chancen auf gut dotierte Konzertengagements) in keinem Verhältnis mehr stehen.
    Ich denke, wenn junge Künstler sich verschulden müssten, um Aufnahmen zu produzieren, die dann als Visitenkarte herhielten, dann wäre es für so manchen Musiker wahrscheinlich an der Zeit, sich die Sinn-Frage zu stellen.


    Wenn man Künstler wirklich supporten will, dann sollte man in ihre Konzerte gehen.
    Nur: der Effekt daraus ist deutlich begrenzt, qua Aufführungsmöglichkeiten (Konzertsäle x Tage des Jahres) und unter der Nebenbedingung des Wettbewerbs der Musiker untereinander (Konzertsaal X wird nicht an 250 von 365 Tagen mit Violinkonzerten bespielt etc. pp).
    :cincinbier:

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  • Ich denke, wenn junge Künstler sich verschulden müssten, um Aufnahmen zu produzieren, die dann als Visitenkarte herhielten, dann wäre es für so manchen Musiker wahrscheinlich an der Zeit, sich die Sinn-Frage zu stellen.

    Vielleicht überschätzen wir den Wert von CDs des Primärmarktes (den ich mal als "kann via amazon bestellt werden" definiere) für den durchschnittlichen Künstler.

    Klar, es gibt vielleicht 20 lebende Pianist*innen, die einen Plattenvertrag haben und regelmäßig produzieren. Vielleicht sogar ein paar mehr. Aber wie viele als Solist*in ihr Dasein fristende Pianist*innen gibt es insgesamt? Dreistellig, vierstellig? Geht doch eigentlich nur mit Professur und/oder Lehrauftrag, oder?

    Vielleicht spielen Rundfunkproduktionen da eine größere Rolle als frei verkäufliche CDs.

    Und die Zeiten, in denen jedes Mitglied der Berliner Philharmoniker aufgrund von Plattenverkäufen ein Millionär war, die sind halt vorbei. Und mal ehrlich: Wie lange habe sie angedauert? 30 Jahre, also eine Generation? Beginnend mit Karajans 1961/62er Beethoven-Zyklus und endend mit Karajans Tod? Länger? Es sieht so aus, als ob die Generation davor ohne Platten auskam (Caruso und diese Liga mal ausgenommen, z. B. Furtwängler, Schnabel, Björling, und die Generation danach ohne Platten/CDs auskommen muss bzw. ihren eigenen Weg finden muss: Selbst aufgenommene und selbst vermarktete CDs, Rundfunkproduktionen, Mitwirken bei Festivals (Networking), eventuell selbst ein kleines Festival gründen (ich weiß, es wird inflationär) ...

    ... ist das Festival der legitime Nachfolger der eigenen Schallplatte?

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Und wo soll die Masse der Festival-Besucher herkommen?

    Marktgläubige würden wohl von einem Überangebot sprechen.
    Gibt es zu viele Musiker, mit dem Anspruch, von ihrer Profession zu leben?
    :cincinbier:

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  • Und wo soll die Masse der Festival-Besucher herkommen?


    Wie - "wo soll sie herkommen"? Die Festivals sind Realität.

    Gibt es zu viele Musiker, mit dem Anspruch, von ihrer Profession zu leben?


    Das ist eine andere Frage.

    Erinnert mich an den alten Witz, dass Germanisten ihr Studium mit einer Berufsausbildung verwechseln.

    Oder anders formuliert: Wofür ist jemand gut, der das Wohltemperierte Klavier, ca. 35 Sonaten von Mozart bis Berg, den halben Chopin, Liszt und Brahms sowie ca. 20 Klavierkonzerte auswendig und technisch tadellos spielen kann? Kann der Brötchen backen, Haare schneiden, Patienten pflegen, Rechnungen prüfen, Angeklagte verteidigen, Autos reparieren? Also Fähigkeiten, für die man in diesem Lande Geld bekommt? Wer ist bereit, für das langjährige Üben zum technischen und muskalischen Durchdringen der Werke zu bezahlen?

    Ist natürlich ketzerisch.

    Gruß
    MB

    :wink:

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  • Wie - "wo soll sie herkommen"? Die Festivals sind Realität

    Ich meinte natürlich: noch mehr Festivalbesucher für noch mehr Festivals, als substituierende Einnahmequelle.

    Viele Grüße
    Frank :cincinbier:

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  • Ich merke immer mehr, wie wenig mich solche Themen noch interessieren. Ich habe mir sowas wie ein eigenes Hör-Profil zugelegt, dem ich wohl bis zuletzt weitesgehend treu sein werde. Das schließt auch die Frage ein, wie ich mit Tonträgern umgehe. Das ist halt meine Hör-Blase.

    Im Podcast wird aber von Statistiken zum Markt gesprochen, von medienwissenschaftlichen Erkenntnissen, von Erfahrungen mit Vinyl-Liebhabern oder der Marktmacht von Streamingdiensten. Es mag Vieles einleuchtend sein, Vieles auch sehr wahr, doch gleichzeitig berührt mich kaum was davon. Die Diskutanten sind in ihren jeweiligen Blasen drinne, so scheint es mir.

    Doch ich sehe meine Möglichkeiten, an Musik zu kommen; daran, in welcher Forn ich sie bekomme; daran, wann ich sie höre; daran, wie ich hören will. Das ist absolut diamentral zur statistischen Beliebtheitskala, zumal ich nicht in der Gruppe der 14-29jährigen bin. Und ich nutze Ressourcen, über die gar nicht gesprochen wurden: z.B. den Second-Hand-Markt.

    Eigentlich ist unsere Zeit perfekt dafür, alle verschiedenen Hörgewohnheiten parallel anbieten zu können - man sucht sich die heraus, die Einem am Besten liegt. Fertig.

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  • Wofür ist jemand gut, der das Wohltemperierte Klavier, ca. 35 Sonaten von Mozart bis Berg, den halben Chopin, Liszt und Brahms sowie ca. 20 Klavierkonzerte auswendig und technisch tadellos spielen kann? Kann der Brötchen backen, Haare schneiden, Patienten pflegen, Rechnungen prüfen, Angeklagte verteidigen, Autos reparieren? Also Fähigkeiten, für die man in diesem Lande Geld bekommt? Wer ist bereit, für das langjährige Üben zum technischen und muskalischen Durchdringen der Werke zu bezahlen?

    Wofür ist jemand gut, der ..etc etc .

    Eben. Nach herrschenden Maßgabe/Mastäben tendenziell zu gar nix.

    Denn solche Fähgkeiten passen letztlich gar nicht rein im herrschenden ökonomischen Funktionszusammenhang. Außer derjenige bringts fertig, seine AK im Muckenbetrieb oder sonst irgendwie soweit erfolgreich zu feil zu bieten, um genug Moppen für eigene Überleben zu sichern.

    Das gilt gleichermaßen fürs Auditurium, also Reinziehn von Bach/Beethoven- bis Lachenmann/Saunders- Mucke. Die Zeit wäre statt dessen effizienter genutzt zum "Rechnungen prüfen, Angeklagte verteidigen, Autos reparieren" oder an der Börse zu zocken usw ... also mit zweckbehafteten Tätigkeiten.

    Ist natürlich ketzerisch.

    So isses.

    Mucke bzw. generell Kunst, falls sie nicht irgendwelchen empirischen Zwecken, wie z.B.Beerdigungen, Politshows, Werbung etc. dienstbar sich macht oder bleibt, funzt im - Verhältnis zum herrschenden Realitätsprinzip - zweckfrei und kommt damit zu diesem "ketzerisch" rüber.. ja , ja okay, okay, sollte Kunst bringen, um ihren eignen Begriff nicht zu verkacken

    ...

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Ich für meinen Teil brauche im Prinzip keine physischen Datenträger mehr, wenn man von Massenspeichern mal absieht. In den letzten Jahren habe ich deshalb nur noch bei meinen beiden Lieblingen Ausnahmen gemacht, warum bei Denen ? Einen vernünftigen Grund kann ich dafür auch nicht nennen. Grins1

    Allerdings halte ich mich mit dem an sich faszinierenden und schon zeitgemäßen Streamen solange zurück, wie es keine umweltverträgliche Weiternutzung der Serverabwärme gibt. Stattdessen lade ich mir mein Futter runter und bewahre es gut auf. Herrlich, Interpretationen aus dem Äther und maximal ein chices kleines Plätzchen zur Aufbewahrung. Und - dann wird es auch für mich - wieder life geben, wenn man sich jeder Atemwegsinfektion persönlich wieder aussetzen kann.

    ... Alle Menschen werden Brüder.
    ... We need 2 come 2gether, come 2gether as one.
    ... Imagine there is no heaven ... above us only sky

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