ROSSINI - die Opern für Neapel

  • Von Italien nach Paris: Le siège de Corinthe

    In den 1820er Jahren befand sich die Oper in Paris in einer Krise. Cherubini hatte seit Les Abencérages im Jahre 1813 nichts Neues mehr gebracht. Spontinis letztes Werk für Paris, Olympie, hatte 1819 keinen Erfolg gehabt, was letztendlich zu dessen Weggang nach Berlin beitrug.

    Rossini war in Paris, hatte 1825 mit Il Viaggio a Reims einen großen Erfolg verbucht, war damit beschäftigt, das Théâtre des Italiens neu zu strukturieren und dessen Répertoire zu erweitern (u.a. mit Meyerbeers Il Crociato in Egitto).

    Es war nun Zeit, von ihm ein Werk für die Académie royale de musique zu bekommen. Nach unterschiedlichen Vorschlägen einigte man sich im Herbst 1825 auf ein rifacimento von Maometto II, das in Frankreich noch nicht gespielt worden war, unter dem Titel Mahomet II.

    Damien Colas, der die kritische Ausgabe erstellt hat, hat die Geschichte der Oper rekonstruiert.

    Es war kein einfaches Unterfangen: die Musik sollte an die französische Prosodie, den französischen Geschmack (kein musico) und auch an die französische Gesangsschule angepasst werden, ein Ballett musste her ...

    Luigi Balocchi wurde für die Übersetzung des originalen Librettos engagiert; Alexandre Soumet - heutzutage bekannt als der Autor der Vorlage für Bellinis Norma - für die neuen Verse verpflichtet.

    Dazu konnte man mit dem allgemeinen Interesse für den Befreiungskampf der Griechen rechnen. Kleines Problem: In Maometto secondo treten keine Griechen auf! Die Christen sind hier Italiener. Die Lösung: die Handlung wird von Negroponte nach Korinth, von 1470 nach 1458 verlegt, die Italiener werden in Griechen umgetauft.

    Im März 1826 wird erstmals Le siège de Corinthe als Alternativtitel angeführt.

    Die Uraufführung war ursprünglich für den Winter 1826 geplant. Allerdings wurde sie - wie üblich - verzögert. Dafür gab es mehrere Gründe, abgesehen von der ausufernden Bürokratie der grande boutique. Einer war der Umfang der Arbeit für die Realisierung der Bühnenbilder, ein anderer die Erstellung des neuen Textes und die Koordinierung mit Rossini, der für seine erste französische Oper einen besonderen Wert auf die Anpassung von Musik und Text legte.

    Immerhin wurde klar, dass der ursprüngliche Termin nicht einzuhalten war. Damit die Uraufführung ihre Wirkung nicht verfehlte, wurde der neue Termin für den Herbst gesetzt, nach der Sommerfrische der Pariser.

    Inzwischen waren die Nachrichten aus Griechenland immer dramatischer und wurden mit steigendem Interesse verfolgt. Die Belagerung von Mesolongi bewegte ganz besonders die Geister. Lord Byron war bei einer früheren Belagerung 1824 ums Leben gekommen. Der Titel Le siège de Corinthe konnte wie eine Anspielung auf sein Gedicht The Siege of Corinth verstanden werden, das allerdings Ereignisse im 18ten Jht zum Thema hatte.

    Im Frühjahr 1826 war die Situation der Belagerten in Mesolongi aussichtslos geworden. Am 3. April wurde unter der Leitung Rossinis im Théâtre des Italiens ein Unterstützungskonzert für die Griechen veranstaltet, das die stolze Summe von 30 000 Francs einbrachte. Am 23 April misslang ein Ausbruchsversuch. Am nächsten Tag sprengten sich die Griechen lieber mit ihren Pulvermagazinen in die Luft, als sich zu ergeben.

    Die Arbeit an Le siège de Corinthe ging parallel voran. Unter dem Einfluss der Aktualität beschloss man kurzerhand, die Handlung zu ändern, um die Ereignisse von Mesolongi zu reflektieren, die einen besonderen starken Eindruck in der französichen Gesellschaft gemacht hatten und bereits in unterschiedlichen Kunstwerken verarbeitet wurden - das Thema sollte die Kunst noch lange beschäftigen. Ein Beispiel: Delacroix' 1826 gemaltes La Grèce sur les ruines de Missolonghi.

    So ist der erste Akt von Le siège de Corinthe eine ziemlich getreue Adaptation vom ersten Akt von Maometto II, während Akt II und III stärker von der Vorlage abweichen.

    Die Personen im neuen Stück sind:

    • Mahomet II, Anführer der Türken - Bass
    • Cléomène, Anführer der Griechen und Vater Pamyras - Tenor
    • Pamyra, Tochter Cléomènes - Sopran
    • Néoclès, junger griechischer Offizier -Tenor
    • Hiéros, alter Grabwächter - Bass
    • Adraste, Vertrauter Cléomènes - Tenor
    • Omar, Vertrauter Mahomets - Tenor
    • Ismène, Vertraute Pamyras - Mezzosopran
    • Griechische und türkische Frauen, Soldaten im Gefolge Mahomets und Cléomènes, Imame, türkische und griechische Soldaten - Chor

    Cléomène entspricht Paolo Erisso und Pamyra Anna

    Néoclès entspricht einigermaßen Calbo

    Hiéros entspricht etwa Condulmiero im ersten Akt, kommt aber mit einer ganz neuen Szene in Akt III

    Omar entspricht Selimo

    Adraste und Ismène sind neu (eine Ismene existierte allerdings bereits in Cesare della Valles Anna Erizo).

    Die Handlung:

    Akt I

    Vorhalle des Senatspalasts in Korinth

    Nachdem Byzanz in ihre Hände gefallen ist, belagern die Truppen von Mahomet II. (Mehmed II.) Korinth seit langem.

    Die Griechen halten einen Kriegsrat ab, um zu entscheiden, ob sie kapitulieren sollen oder nicht. Unterstützt von Hiéros drängt der junge Néoclès Cléomène dazu, den Kampf bis zum Tod fortzusetzen und das Heimatland zu retten. Sie alle schwören, zu kämpfen, wenn nötig bis zum Tod.

    Nachdem Néoclès Cléomène gefragt hat, ob ihm Pamyra noch versprochen sei, trifft sie ein. Cléomène teilt seiner Tochter mit, dass er sie mit Néoclès verheiraten will, um ihr einen zweiten Beschützer zu geben, doch sie antwortet, dass sie sich bereits in Athen einem Almanzor versprochen hat. Ihr Vater fordert sie auf, dieser Liebe zu entsagen, wenn sie nicht seinen Zorn auf sich ziehen will. Auf Drängen von Soldaten und Frauen, die kommen, um sie zu warnen, dass die Muslime die Stadtmauern von Korinth erklimmen, brechen Cléomène und Néoclès zum Kampf auf, nicht bevor der erste seiner Tochter einen Dolch gegeben hat, damit sie sich umbringen kann, falls die Verteidigung der Griechen nachgeben sollte.

    Der Stadtplatz von Korinth

    Während seine Männer griechische Soldaten verfolgen, befiehlt Mahomet ihnen, die Paläste zu respektieren, um seine Eroberung zu verewigen. Omar erzählt ihm, dass einer der griechischen Offiziere gefangen genommen wurde. Mahomet befiehlt, ihn am Leben zu lassen, weil er ihn befragen will. Er erzählt Omar, dass er zuvor unter dem Namen Almanzor Griechenland besucht und sich in Athen verliebt habe. Deshalb möchte er Gnade zeigen. Der gefangene Cléomène wird gebracht. Mahomet ermutigt ihn, seine Soldaten zur Kapitulation zu bewegen. Cléomène weigert sich und erklärt, dass sein Volk die Zitadelle bis zum Tod verteidigen wird.

    Pamyra, ihre Vertraute Ismene und weitere griechische Frauen erscheinen. Pamyra bittet den Sultan um Gnade für ihren Vater. Mahomet und Pamyra erkennen einander. Sie ist entsetzt, ihre frühere Liebe als Eroberer wiederzusehen. Doch Mahomet ist gerührt. Er will Pamyra zurückgewinnen und bittet sie, ihm in sein Lager zu folgen. Er würde dann Griechenland verschonen. Cléomène widersetzt sich und erwähnt die Verlobung ihrer Tochter mit Néoclès. Pamyra ist zwischen Liebe und Pflicht hin- und hergerissen. Cléomène verflucht sie wütend. Pamyra lässt sich schließlich von Mahomet abführen.

    Akt II

    Mahomets Zelt

    Umgeben von Ismene und türkischen Frauen bedauert Pamyra ihr Schicksal. Sie erinnert sich an ihre verstorbene Mutter, während die Frauen sie darauf hinweisen, dass ihre Heirat mit Mahomet die Geschicke Griechenlands verändern wird.

    Mahomet versucht Pamyra mit Geschenken und Schmeicheleien zu ermuntern. Pamyra ist verzweifelt, weil sie Gott untreu geworden ist und von ihrem Vater verflucht wurde. Sie bricht in Tränen aus und sehnt sich nach dem Tod. Mahomet kann sie nicht trösten.

    Türkische Soldaten, Höflinge, Imame, Haremsdamen und andere erscheinen, um Mahomets bevorstehende Hochzeit mit Pamyra zu feiern. Ihr Jubel steht in scharfem Kontrast zu Pamyras Traurigkeit. Die Anwesenden versuchen sie wieder zu beruhigen. Nach dem Tanz wird der Altar für die Trauung vorbereitet. Aber Lärm wird gehört von draußen.

    Omar kommt mit Néoclès in Ketten an. Dieser fordert Mahomet im Namen der Griechen heraus und Pamyra versucht ihn vor dem Tod zu retten, indem sie sagt, er sei ihr Bruder. Mahomet befreit ihn und lädt ihn ein, der Hochzeit seiner Schwester beizuwohnen.

    Omar kommt wieder, um Mahomet zu informieren, dass Korinth wieder zu den Waffen gegriffen hat. Auf der Zitadelle im Hintergrund erscheinen griechische Frauen und Soldaten und rufen zum Kampf und zum Märtyrertum auf. Die Türken bereiten sich auf den Kampf vor.

    Pamyra weigert sich, Mahomet ihre Hand zu reichen, um ihn zu besänftigen: Sie verehrte Almanzor, möchte aber für ihr Land sterben. Mahomet macht ihr klar, dass das Schicksal des Landes nun in seinen Händen liege. Wenn sie nicht nachgibt, werden alle Griechen durch Schwert und Feuer umkommen. Zur Freude des Néoclès erklärt Pamyra, dass sie mit ihrem Volk als Märtyrerin sterben will. Enttäuscht und wütend ruft Mohammed sein Volk zu den Waffen. Pamyra und Néocles werden weggebracht.

    Akt III

    Die Gräber von Korinth, beleuchtet von mehreren Feuern

    Néoclès, der seine Wächter überlistet und sich von seinen Ketten befreit hat, gelangt zu den heiligen Gräbern, wo sich die Griechen auf Kampf und Tod vorbereiten. Cléomènes Vertrauter Adraste begrüßt den Ankömmling. Néoclès berichtet, wie er zusammen mit Pamyra entkommen ist. Er bittet Adraste, Cléomène davon zu unterrichten und ihn zu holen, weil Pamyra sich mit ihm versöhnen möchte. Obwohl Néoclès ihr mitteilt, dass sie ihn gerettet hat, droht Cléomène, sie zu erstechen, wenn sie es wagt, vor ihm zu erscheinen. Als Pamyra ankommt, sagt er ihr, er habe keine Tochter mehr. Sie antwortet, dass ihre Liebe zu Mahomet mit dem Tod ihrer Heimat erlischt und sie dies beweisen will, indem sie Néoclès bei dem Grab der Mutter Grab ihre Hand gibt. Cléomène vereint sie.

    Hiéros kommt, um ihnen zu sagen, dass die Muslime im Anmarsch sind. Cléomène bittet ihn, die Fahnen zu segnen, um die Anwesenden auf das Martyrium vorzubereiten. Hiéros lässt zuvor die Soldaten und Frauen schwören, bis zum Tod für das Vaterland zu kämpfen, und ermutigt sie, wie Leonidas und die Dreihundert einen unsterblichen Tod zu verdienen. Er prophezeit, dass das griechische Volk nach fünf Jahrhunderten der Sklaverei aus dem Todesschlaf erwachen wird. Die Männer brechen zum allerletzten Kampf auf.

    Korinth in Flammen

    Pamyra, Ismène und die anderen griechischen Frauen bleiben in der Gruft. Pamyra hält eine Rede, in der sie die Frauen auf ihren bevorstehenden Tod vorbereitet. Alle bitten Gott um Gnade und um ein Ende des Leidens. Beim Klang der Schlacht erkennt Pamyra, dass die Türken endlich siegreich sind und erwartet ihre Ankunft. Die siegreichen Muslime stürzen ein, um die letzten Überlebenden zu massakrieren. Die Frauen stehen vor dem Tod. Mahomet kommt und beansprucht Pamyra für sich. aber sie und die Frauen bringen sich lieber um, sls ich zu unterwerfen. Das Gewölbe stürzt ein und gibt den Blick auf das brennende Korinth frei.

    Néoclès/Calbo ist nicht mehr im Finale vom Akt 1 anwesend. Cléomène ist seiner Tochter gegenüber strenger als Erisso.

    Der zweite Akt entspricht ungefähr dem ersten Bild vom Akt 2 in Maometto; nicht nur ist er erweitert worden, um Ballettszenen einzubauen, sondern die Beweggründe haben sich geändert. Pamyra hat schon eingewilligt, Mahomet zu heiraten. Erst dann erscheint Néoclès.

    Das Manöver mit dem Siegel ist nicht notwendig. In Unterschied zu Anna entwickelt Pamyra keine Strategie.

    Der größte Unterschied ist nämlich, dass hier die Türken den Sieg davon tragen und dass Pamyra, im Unterschied zu Anna, die persönlich für den Sieg der Italiener verantwortlich war und den Preis dafür zahlen musste, den Untergang ihres Volkes miterlebt und selber mit in den Tod gerissen wird.

    Die persönliche Tragödie ist hier eine Deklination der öffentlichen Tragödie. Der Vorrang der öffentlichen Geschichte wird durch die Szene der Fahnenweihe unterstrichen, die ganz neu hinzugefügt wurde.

    Struktur (nach der von Damien Colas edierten kritischen Ausgabe)

    Wenn nichts anderes vermerkt, beziehen sich die Referenzen zu Maometto II auf die Neapel-Originalfassung

    Ouvertüre Neu

    Erster Akt

    Nr. 1.

    • Nr. 1. Introduktion (Cléomène, Néoclès, Hiéros, Adraste, Chor): „Ta noble voix seigneur“ Maometto II Nr 1
      • Rezitativ: „Vaillants guerriers“
      • Rezitativ: „La Grèce est libre encore“
    • Nr. 2. Szene: „Ta fille m’est promise“
      • Trio (Néoclès, Cléomène, Pamyra, Chor): „Disgrâce horrible!“aus Maometto II letzter Teil des Terzettone Nr 3
    • Nr. 3. Marsch
      • Chor: „La flamme rapide“ Chor aus Maometto II Nr 4
    • Nr. 4. Rezitativ: „Qu’à ma voix“ - Neu
      • Arie (Mahomet, Chor): „Les palmes immortelles - Chef d’un peuple indomptable“ aus Maometto II Nr 4: Arie und Cabaletta des Maometto
    • Nr. 5. Szene und Finale I: „Nous avons triomphé“ aus Maometto II Nr 5: Finale I gekürzt (u.a. entfällt die Person von Calbo)
      • (Fortsetzung des Finale I:) „Ah! l’amant qui m’enchaîne“ Ritrovo l'amante aus dem Finale I von Maometto II

    Zweiter Akt

    • Nr. 6. Rezitativ: „Que vais-je devenir?“ Neu
      • Arie (Pamyra, Chor):"O Patrie infortunée - Du séjour de la lumière - Mais après un long orage" Maometto II: Sì, ferite - Madre a te (aus Maometto II Nr 11) + Cabaletta von Calbos Arie (Maometto II Nr 9)
    • Nr. 7. Szene: „Rassure-toi“
      • Duett (Mahomet, Pamyra): „Que vois-je“ aus Maometto II in der Venedig-Fassung (dort Nr 8 )
      • Chor: „La fête d’Hyménée“
      • Rezitativ (Mahomet): „Triomphe Pamyra“
    • Nr. 8. Ballade (Ismène, Chor): „L’hymen lui donne une couronne“ aus Ermione (cf. Nr. 2 der Venedig-Fassung)
    • 1er Air de danse Neu
    • 2ème Air de danse Neu
    • 3ème Air de danse Neu
    • Nr. 9. Hymne (Chor): „Divin prophète“ Neu
    • Rezitativ: „Quel bruit se fait entendre?“
    • Nr. 10. Finale II: „Il est son frère“ Neu
      • (Fortsetzung des Finale II:) „Corinthe nous défie“ Neu

    Dritter Akt

    • Nr. 11. Rezitativ: „Avançons“ (Orchestervorspiel und Anpassung des Rezitativs vor Maometto II Nr 9)
      • Prière/Gebet (Chor): „O toi que je révère“ aus Maometto II Nr 11
    • Nr. 12. Arie (Néoclès): „Grand Dieu, faut-il qu’un peuple“ Neu
    • Nr. 13. Szene: „Cher Cléomène“ aus Maometto II Nr 10
    • Trio (Néoclès, Cléomène, Pamyra): „Céleste providence“ Maometto II Nr 10
    • Nr. 14. Rezitativ: „Je viens de parcourir“ Neu
      • Szene: „Fermez-vous tous vos cœurs“ Neu
      • Chor: „Répondons à ce cri de victoire“ Neu
    • Nr. 15. Rezitativ (Pamyra): „L’heure fatale approche“
      • Prière/Gebet (Chor): „Juste ciel!“ aus Maometto II Nr 3 "Giusto ciel"
    • Nr. 16. Finale III: „Mais quels accents se font entendre“ Neu

    Die kritische Ausgabe wurde 2017 veröffentlicht. Sie soll die Partitur vorgeben, wie sie Rossini fertiggestellt hat. Allerdings wurden während der Proben, nach der Premiere und für eine spätere Wiederaufnahme Striche gemacht, die in den veröffentlichten Ausgaben (Klavierauszug, Troupenas-Ausgabe, weitere Ausgaben) in unterschiedlichem Umfang übernommen wurden. Oft völlig gestrichen sind:

    - die Arie des Mahomets in Akt I (Les palmes immortelles couronnent nos travaux) - es bleibt nur die Cabaletta Chef d'un peuple indomptable

    - der erste Teil der Arie der Pamyra in Akt II ( O patrie infortunée) - die Arie beginnt mit Du séjour de la lumière

    - die Cabaletta des Duetts Mahomet-Pamyra in Akt II

    - der 3. Tanz im Ballett

    ; das Terzett Céleste providence in Akt III wird oft um seine erste Strophe (Solo-Néoclès) gekürzt.

    Dazu wird gelegentlich im zweiten Akt die Nr.8 vor die Nr.6 (Auftritt der Pamyra) verschoben.

    Ab und zu liest man, das Ballett würde Teile aus Il Viaggio a Reims verarbeiten. Es ist eigentlich umgekehrt: die - apokryphe - "Ouvertüre zu Il Viaggio a Reims" wurde nachträglich aus Stücken der Ballettmusik von Le Siège de Corinthe konstruiert.

    Daraus resultiert, dass die Oper, die im ersten Akt hauptsächlich eine Straffung von Maometto II ist, ab dem zweiten Akt zu einer komplexeren Verarbeitung wird.

    Über die Umstellungen und Neukompositionen später ...

    Alles, wie immer, IMHO.

    3 Mal editiert, zuletzt von Philbert (9. Dezember 2023 um 10:03)

  • Le siège de Corinthe - 2

    Das Libretto:

    Wie angedeutet, fängt es an wie eine Adaptation von Maometto secondo und entfernt sich später davon. Luigi Balocchi hat das Italienische übersetzt und Alexandre Soumet hat wohl stärker eingegriffen als später de Jouy für Moïse, denn das Resultat ist qualitativ besser. Rossini hat auch viel Wert auf die Anpassung der Musik an die französische Prosodie gelegt und das Ergebnis ist überzeugend.

    Die Personen des Stücks werden anders dargestellt als in Maometto.

    Wo Maometto mit einer Geste der Hand seine Truppen davon abhielt, eine Kirche anzugreifen, bekommt hier Mahomet ein Rezitativ, in dem er explizit klarmacht, dass die Kunstwerke beachtet werden müssen. Im zweiten Akt kann er in einer langen Szene seine Gefühle für Pamyra ausdrücken. Seine dunkle Seite, die in seiner zweiten Arie zum Vorschein kam, wird hier fast unterschlagen. Erst am Ende vom zweiten Akt wacht die Wut in ihm wieder auf.

    Cléomène hingegen ist viel strenger als Erisso, der zwischen seiner Vater- und seiner Anführerrolle verrissen war. Hier verflucht er ausdrücklich seine Tochter im Finale des ersten Akts. Im dritten Akt hat er wieder sehr scharfe Worte über seine Tochter, während Erisso seine Vatergefühle reden ließ und von Calbo von der Unschuld Annas überzeugt werden konnte, da er selber innerlich daran glaubte.

    Seltsamerweise sehen wir hier einen menschlicheren Mahomet und einen unmenschlicheren Cléomène, was dem Kampf der Griechen gegen die Türken andere Schattierungen gibt als das, was man im Zusammenhang der öffentlichen Stimmung 1826 erwarten konnte.

    Die größten Änderungen erleben eigentlich Pamyra und Néoclès. Calbo war der junge Held und nicht viel mehr als das. Néoclès hat mehr Eigenständigkeit: er tritt sozusagen aus dem Schatten Erissos. Er ist es am Anfang, der Cléomène darauf aufmerksam macht, dass die Vermählung mit Pamyra beschlossen wurde. Er ist im Finale des ersten Akts abwesend - und so trägt er Cléomènes Reaktion nicht mit, aber im Finale von Akt 2 tritt er eigenständig auf und ist in direkter Konfrontation mit Mahomet.

    Im dritten Akt tritt er, im Unterschied zu Maometto II, wo er zusammen mit Erisso erschien, zuerst alleine auf und kann in seiner neuen Arie seine Gefühle ausdrücken, die vielseitiger sind als in Non temer, d'un basso affetto : Zweifel in Bezug auf das Schicksal des Krieges und Zuneigung zu Pamyra.

    Pamyra ist im Vergleich zu Anna weniger aktiv. Während Anna angesichts der Identitätsfälschung Maomettos ihre Zuneigung zu ihm bekämpfte und sich einen Plan erdachte, der einen Betrug Maomettos einschloss, um Erisso und Calbo zu befreien und sie zum Sieg zu verhelfen, und dabei ihre eigene Aufopferung einleitete, sind Pamyras Gefühle für Mahomet echt. Erst am Ende des zweiten Akts, als sich die Rückseite des Pavillons hebt und das kämpfende Volk zu sehen ist, wählt sie ausdrücklich ihr Lager. Néoclès ist er, der sie und sich selbst befreit und Pamyra wird zum Opfer der allgemeinen Katastrophe.

    Die persönliche und die öffentliche Tragödien sind nicht mehr verflochten, sondern hier hat man eine persönliche Tragödie vor dem Hintergrund einer historischen. Dazu trägt auch die neue Szene der Fahnenweihung bei, in deren Zentrum die neugeschaffene Figur von Hiéros steht. Das Ende sieht die totale Niederlage der Griechen und Korinth in Flammen. Es gibt keine von einer Person verübte Heldentat mehr, sondern ein "Volk von Helden", das dem Untergang gewidmet ist.

    Soumet hat sich der klassischen französischen Tragödie angenähert (Corneilles Polyeucte, z.B., das für Donizetti zu Poliuto wurde). Durch die Hellenisierung der Namen und dadurch, dass die Handlung nach Korinth verlegt wurde und dass Hiéros auch Marathon, Leonidas und die Thermopylen erwähnt, fühlt man sich mit der griechischen Antike und dem klassischen Theater verbunden. Die richtige Vorlage für eine tragédie lyrique, die in Rossinis Händen zu einem Vorläufer der Grand opéra wird.

    Die Musik:

    Erst seit der Erstellung der kritischen Ausgabe durch Damien Colas sind Rossinis Absichten in vollem Umfang und unverfälscht bekannt.

    Die ersten Ausgaben (Klavierauszug und Partitur) von Troupenas wurden während der Proben und kurz nach der Uraufführung erstellt. Sie sind nicht deckungsgleich und beinhalten Striche und Umstellungen, deren Ursprung nicht eindeutig festzustellen ist.

    Wie man oben sieht, ist ein guter Teil neu komponiert worden. Die aus Maometto II übernommenen Teile wurden auch selten nur mit einem übersetzten Test übernommen sondern verarbeitet, verschoben, umdisponiert und teilweise ganz neu textiert. Giovanni Carli Ballola schreibt: "Daraus resultiert eine Partitur, wo das Alte und das Neue in einer raffinierten Intarsienarbeit verbunden sind und wo die chirurgischen Einsätze mit fraglichem Erfolg (wie Mahomets Cabaletta im Akt I) selten sind im Vergleich zur vollkommenen instrumentalen und stilistischen Verschmelzung der anderen Teile". Die kritische Edition hat Mahomet sein Cantabile zurückgegeben, wie auch die Cabaletta des Duos im Akt II und den ersten Teil der Szene der Pamyra, so dass die Chirurgie jetzt einen echten Erfolg feiern kann.

    Die Entflechtung von persönlicher und öffentlicher Tragödie zeigt sich zuerst dadurch, das das Terzettone im ersten Akt, das bereits in Venedig umgestaltet wurde, hier einfach drastisch reduziert wird. Die Parallelentwicklung vom Kampf in der Stadt und Gefühlsverwirrung bei Anna, Calbo und Erisso wird aufgegeben. Nur das erste Cantabile und die Stretta werden behalten, ungefähr 1/3 des ursprünglichen Umfangs.

    Das Terzettone war exemplarisch für Rossinis neue Tendenz zur Abkehr von den pezzi chiusi hin zu breiten dramatischen Szenen. Allerdings bedeutet seine Reduzierung kaum die Aufgabe von diesem neuen Typ der Gestaltung. Im Gegenteil bezieht sich Rossini hier auf die tragédie lyrique, in der Nachfolge von Gluck, Cherubini und Spontini und dadurch werden zwei Elemente verstärkt, die bereits in Maometto II ein neues Gewicht bekommen hatten: die Rolle des Chors und die Rezitative. Ein gewisser Einfluss von Spontinis Fernando Cortez bei der Komposition von Maometto II hatte schon das Feld vorbereitet.

    Bedingt durch die neue Handlung sind fast alle Rezitative neu. Mahomet bekommt vor seiner Arie in Akt I ein Rezitativ, das seinen Charakter schärfer zeichnet, als aufgeklärter Herrscher, der sich vor den Kunstwerken verneigt. Es gab keine musikalische Notwendigkeit hierfür: die Szene hätte unverändert übernommen werden können. Rossini komponiert das Rezitativ neu, ändert den Anfang der Arie, die jetzt ans Rezitativ anschließt. Und als er die Szene kürzen muss, behält er das Rezitativ und streicht das Cantabile! Ein Indiz dafür, dass die Psychologie der Charaktere ihm wichtig war. Zwischen Cesare della Valles Stück und Maometto II hatte sie sich verlagert, hier verlagert sie sich weiter in dieselbe Richtung.

    Dazu dient die bereits in Venedig erfolgte Streichung der zweiten Arie Maomettos, All'invito generoso. Mahomet kann seine Gefühle für Pamyra ausführlicher ausdrücken und ist sogar überzeugt davon, dass er Cléomène zum Umdenken umstimmen kann. In Venedig waren Teile der Arie in die Stretta des Duetts eingebaut worden, um mit dem Chor der muslimischen Krieger das Wiederaufflammen der Kämpfe darzustellen, hier gesellt sich der Chor zu Mahomet, um Pamyra zu den Hochzeitsfeierlichkeiten aufzumuntern. Sie sind Gegenstand des für Paris obligatorischen Balletts. Der Chor der muslimischen Frauen, der in Neapel und Venedig den zweiten Akt eröffnete, entfällt hier. Statt dessen wird der Chor aus Ermione, der in Venedig im ersten Akt übernommen wurde, hier um ein Solo für Ismène ergänzt und eröffnet das Ballett, das von diesem Chor und einer neu komponierten Hymne eingerahmt ist.

    Im Vergleich zu Erisso wird Cléomènes Partie reduziert. Dies hat einerseits mit der Charakterveränderung zu tun, andererseits mit der Aufwertung der Rolle des Néoclès, der jetzt Tenor ist und deshalb im selben Register singt (die Sänger des Cléomène und des Néoclès bei der Uraufführung, Louis und Adolphe Nourrit, waren tatsächlich Vater und Sohn). Cléomène verliert einen guten Teil des Terzettone im ersten Akt. Erissos Rezitativ am Anfang der Gruftsszene wird auf Néoclès übertragen und dadurch verliert er auch das Arioso Tenera sposa, das den humanen Teil von Erisso darstellte. Im Terzett Céleste providence ist er zweiter Tenor. Hierfür bringt Rossini das Terzettino In questi estremi istanti - mit neuem Text - aus der Neapelfassung von Maometto II wieder, das in Venedig durch ein Terzett Erisso-Calbo-Maometto ersetzt wurde, das hier entfällt.

    Diese ganze Szene wird neu konzipiert. Die schöne Introduktion der Neapel-Version wird übernommen. Das Rezitativ ist auf Néoclès übertragen aber, statt die Arie Non temer, d'un basso affetto einzuführen, leitet es zum Gebet der Frauen in der Ferne, das das Finale II von Maometto II öffnete - mit Einwürfen diesmal von Néoclès, die zu seiner Arie Grand Dieu, faut-il qu'un peuple qui t'adore führen. Diese Arie, obwohl eine Bearbeitung von Barbara sorte, die in La Gazza ladra eingefügt wurde, ist ganz im französischen Stil gehalten und eine Vorgängerin von Arnolds Asile héréditaire in Guillaume Tell. Néoclès ist es auch, der das Terzett Céleste providence eröffnet, eine Adaptation vom Terzettino In questi estremi istanti in Maometto II. Dort waren private Gefühle ausgedrückt, hier ist es eine Invokation. Der Ton der Musik genügt, um die atmosfera morale auszudrücken, so dass hier Rossini, ähnlich wie Schubert in eingen Vokalwerken, die Worte als Klangfarbe benutzt. Er lässt sie in Silben auseinanderfallen und konstruiert einen falso canone mit delikaten Variationen. Diese Szene ist ein Beispiel für die "Intarsienarbeit" nach Carli Ballola, eine gelungene Synthese von der französischen Tradition und dem italienischen Stil.

    Ein weiteres Beispiel ist die Eröffnungsszene von Akt II, diesmal für Pamyra. Hier komponiert Rossini ein neues Rezitativ Que vais-je devenir? für die Arie Ô patrie infortunée, eine Übernahme von Sì, ferite aus Maometto II. Ohne Überleitung folgt Du pays de la lumière, Madre, a te che sull' Empiro aus Maometto, dann Calbos Cabaletta E d'un trono, hier als Mais après un long orage mit Frauenchor. Calbo druckte dort sein Vertrauen in Anna Standhaftigkeit aus, hier Pamyra und die griechischen Frauen ihr Vertrauen in eine bessere Zukunft für ihr Land. Selbstverständlich sind alle Stücke überarbeitet, an den neuen Text und and die Stimme von Laure Cinti-Damoreau angepasst. Zum Beispiel wird Sì ferite etwas entschärft aber E d'un trono weiter ausgeziert. Das Ergebnis ist eine überzeugende Darstellung der Seelenlage Pamyras.

    Das Gebet Giusto ciel aus dem Terzettone ist eigentlich mit einem neu komponierten Rezitativ als Arie für Pamyra Juste ciel, ah ta clémence bekannt worden.

    Die Herabsetzung Cléomènes wird mit der neuen Figur Hiéros ausgewogen. Als Bass ist er in Kontrast zum Tenor Néoclès. Er übernimmt etwas von der Rolle Condulmieros im ersten Akt, ist aber zentral in der neu komponierten Fahnenweihe in Akt III. Die Segnung der Standarte durch den Bischof ist Teil der Ikonographie der Belagerung von Misolongi geworden. Diese Szene, in der Hiéros mit dem Chor dialogiert, artikuliert sich in Segnung, Prophezeiung der Zukunft Griechenlands und Marsch zum Kampf. Der Marsch scheint ein Echo der Revolutionslieder zu sein, die noch im Gedächtnis präsent waren, zumal Hiéros die Liberté aufruft (durch die Zensur prompt in Ô patrie! geändert, was wohl kaum in deren Sinne wirksam gewesen sein sollte). Wie schon erwähnt, fühlt man sich eher in die griechische Antike als in eine orthodoxe Kirche versetzt, was sicher beabsichtigt und konform zum Philhellenismus der Zeit war. Nicht unerwartet hat diese Szene einen tobenden Erfolg gehabt und wird als Vorbild für weitere ähnliche Szenen der grand opéra sein, bei Meyerbeer und auch bei Verdi und Berlioz.

    Neu sind auch die Finali II und III. Das Finale II ist eine große Szene für Solisten (Pamyra, Ismène, Néoclès, Omar, Mahomet) und drei Chöre (die Griechen in der Ferne, die Türken und die Türkinnen) mit stereophonischen Effekten, das Finale III der kollektive Selbstmord in Korinth in Flammen.

    Rossini hat nicht die für Venedig komponierte Ouvertüre übernommen, sondern eine neue komponiert. Sie fängt mit dem Eröffnungsmotiv von Bianca e Falliero ein und bearbeitet u.a. einen marche funèbre grecque (griechischen Trauermarsch), ein Thema, das man in einer Psalmvertonung von Benedetto Marcello oder ein Oratorium von Giovanni Simone Mayr finden kann. Daraus macht er einen mächtigen symphonischen Satz, der in seiner Verarbeitung besonders raffiniert ist.

    Wo Carli Ballola von "chirurgischen Einsätzen" spricht, möchte man fast das Bild von Doktor Frankenstein bemühen, der eine neue Kreatur erschafft. Allerdings hat der italienische Komponist mehr Erfolg gehabt als der Wissenschaftler aus Ingolstadt: die Nahtstellen sind nicht zu erkennen und seine Kreatur, die aus Teilen der opera seria und der tragédie lyrique zusammengestellt ist, ist durchaus lebensfähig: die Grand opéra.

    Die Aussage ist noch kritischer als die von Maometto II. Die Personen sind in einem Konflikt verwickelt, der über sie hinausgeht. Der Fanatiker ist hier eindeutig Cléomène, nicht Mahomet, der aufgeklärte Herrscher und treue Liebhaber. Pamyra hat sich nicht in einen fake-Uberto verliebt, sondern in einen Almanzor. Seine Herkunft war ihr deshalb bekannt, nur sein Rang nicht. Rossini hat die Türken nicht als feindliches Lager karikiert. Die musica turca wird behutsam eingesetzt. In den Ballettszenen findet man trotz offensichtlicher Vorlage kein orientalisches Kolorit, das gleiche gilt für die Hymne Divin prophète mit Harfe obbligato. Die Werte des Heldentums werden hochgehalten aber sie ergeben nur einen kollektiven Selbstmord, in den Pamyras Tod untergeht. Am Ende bleibt buchstäblich nur ein Ruinenfeld.

    Die Rezeption

    Le siège de Corinthe war ein großer Erfolg. Die Oper blieb beinahe 40 Jahre im Répertoire der Académie royale de musique und bezeichnete über 100 Vorstellungen.1870, als Paris von den Preußen belagert wurde, wurde sie wieder auf den Spielplan gesetzt. Allerdings waren schon während der Proben Striche durchgeführt; weitere Striche und auch Umstellungen erfolgten nach den ersten Aufführungen. Immerhin konnte Rossini die Oper als erste an einen Verleger verkaufen: Troupenas, der sowohl Klavierauszug als auch Partitur druckte (aber nicht deckungsgleich).

    1827 wurde das Libretto durch Calisto Bassi unter dem Titel L'assedio di Corinto auf Italienisch übersetzt. Im Dezember 1827 wurde die Oper konzertant in Rom - ohne Ballett - erstaufgeführt. Im Juni 1828 wurde sie unter Gaetano Donizetti in Genua gespielt. Dafür ließ er aber Neocle (Néoclès) von einer Mezzosopranistin singen. Da er nicht wußte, dass das Duett Pamyra-Mahomet ursprünglich eine Cabaletta hatte, die nachträglich gestrichen worden war, komponierte er eine. 1834 ließ Giuditta Grisi für die Londoner Erstaufführung Michael Costa eine Cabaletta, Parmi vederlo, für die Arie Giusto ciel, in tal periglio im dritten Akt komponieren. Das Stück wurde in unterschiedlichen Versionen gespielt und verschwand wie fast alle Serienopern Rossinis von den Spielplänen.

    1969 erstellte Thomas Schippers für das Scala-Debüt von Beverly Sills eine eigene Fassung von L'assedio di Corinto. Neocle wurde von Marilyn Horne gesungen. Hier und da wurde gestrichen, hier und da wurden Teile aus der einen oder der anderen Fassung von Maometto II dazu gemischt (ungeachtet der Unterschiede in der Handlung). Für eine Studioaufnahme 1974 machte Schippers weitere Eingriffe. Donizettis und Costas Cabalette wurden eingesetzt. Horne musste Non temer, d'un basso affetto selbstverständlich singen. Da die Cabaletta aber für Pamira im zweiten Akt benutzt wurde, wurde sie in Mailand gestrichen und für EMI kurzerhand durch eine Cabaletta aus Ciro in Babilonia ersetzt.

    1981 wurde Le Siège de Corinthe in Marseile und Paris wieder auf Französisch gesungen (mit einer Mezzosopranistin - Martine Dupuy- als Néoclès), 1992 in Genua mit einem Tenor.

    2000 wurde er in Pesaro (und dann in Lyon) aufgrund einer provisorischen Ausgabe gespielt.

    2010 wurde er in Wildbad aufgrund einer Revision der Erstausgabe gespielt und aufgenommen.

    2017 erschien die kritische Ausgabe, die im selben Jahr in Pesaro eingesetzt wurde. Sie wurde auch für Aufführungen in Erfurt im Januar 2023 benutzt.

    Alles, wie immer, IMHO.

    4 Mal editiert, zuletzt von Philbert (1. Januar 2024 um 21:53)

  • Le Siège de Corinthe ist also nicht lediglich "die französische Fassung von Maometto II", es ist eine neue Oper, die es verdient, eigenständig betrachtet zu werden.

    Die Wiederaufwertung vom neapolitanischen Mosè in Egitto hat den französischen Moïse nicht in den Schatten gestellt (in den letzten Jahren sind bemerkenswerte Produktionen in Pesaro und Aix-en-Provence dazu gekommen), bei Maometto II scheint es sich anders ausgewirkt zu haben. Dies hat mehrere Gründe:

    Mosè ist eine der wenigen Opern Rossinis, die nie wirklich von der Bildfläche verschwunden ist. Le Siège de Corinthe hat das Schicksal der anderen Opern geteilt und wurde ab Ende des 19ten Jhts nicht mehr gespielt.

    Von der italienischen Fassung von Le Siège de Corinthe, L'assedio di Corinto, gab es keine zuverlässige Fassung, sondern unterschiedliche Bearbeitungen. Im Unterschied zu Mosè, wo der italienische Text von Tottola oft wieder eingesetzt werden konnte, musste in der Regel eine Neuübersetzung gemacht wurde, da die Handlung nicht deckungsgleich ist und die Musik von Maometto teilweise in einem anderen Zusammenhang erklingt. Das Prunkstück von Mosè, Dal tuo stellato soglio, z.B., kommt - textlich sogar vorteilhaft - in die italienische Version zurück anstelle von Des cieux où tu résides, während In questi estremi istanti durch Celeste provvidenza ersetzt werden muss. Dabei hat büßt der italienische Text das Klangfarbenspiel des französischen ein. Der neue italienische Text passt nicht mehr so gut zu Rossinis Musik, die sorgfältig an die andere Sprache angepasst worden war.

    Hinzukommen Änderungen in der Struktur, die nicht richtig zur italienischen Ästhetik der Zeit passten, so dass L'assedio di Corinto sehr früh durch unterschiedliche Einwirkungen entstellt wurde, beispielsweise den Einsatz eines musico für die Rolle des Neocle.

    Maometto II war seit 1826 völlig in die Versenkung geraten. Dessen Wiederentdeckung war nicht so spektakulär als die von Il Viaggio a Reims (das Manuskript lag in Pesaro und musste "nur" ediert werden), hat aber ein verschwundenes Meisterwerk wiederhergestellt, das sich dann etabliert hat.

    Dazu gab es keine zuverlässige Ausgabe von Le Siège de Corinthe. Das Originalmaterial ist verschollen und Philip Gossett betrachtete die Erstellung einer kritischen Ausgabe als Mission impossible. Erst seit 2017 ist eine verfügbar.

    Dies erklärt, warm es sehr wenige Aufnahmen gibt, die allerdings vor 2017 gemacht wurden.

    Die erste kommt aus Genua:

       

    mit

    Mahomet Marcello Lippi

    Pamyra Luciana Serra

    Cléomène Dano Raffanti

    Néoclès Maurizio Comencini

    Hiéros Armando Caforio

    Adraste Vito Martino

    Omar Francesco Facini

    Ismène Francesca Provvisionato

    Orchestra e Coro del Teatro Carlo Felice di Genova

    Prager Philharmonischer Chor

    Leitung: Paolo Olmi

    Teatro Carlo Felice, Genua, Juni 1992

    Um das Rossini-Jahr 1992 zu zelebrieren, hatte Paolo Olmi die begrüßungswerte Idee gehabt, zum ersten Mal in Italien Le Siège de Corinthe in der Originalversion aufzuführen.

    Es wurde aufgrund der Troupenas-Ausgabe gearbeitet. Das heißt, gestrichen sind:

    - das Cantabile der Arie des Mahomets in Akt I (Les palmes immortelles couronnent nos travaux)

    - der erste Teil der Arie der Pamyra in Akt II ( O patrie infortunée) - die Arie beginnt mit Du séjour de la lumière

    - die Cabaletta des Duetts Mahomet-Pamyra in Akt II

    - der 3. Tanz im Ballett

    Dazu wird im zweiten Akt die Nr.8 vor die Nr.6 (Auftritt der Pamyra) verschoben.

    Im Terzett Céleste providence in Akt III wird allerdings die erste Strophe (Solo-Néoclès) nicht gestrichen.

    Dies ist eine live-Aufnahme aus dem Theater, so dass die Klangperspektive nicht immer optimal ist, immerhin aber akzeptabel. Bühnengeräusche gibt es auch. Wie man sieht, für die französische Erstaufführung dieser Oper in Italien hat man nur italienische Sänger bemüht. Die Diktion der Sänger ist deswegen nicht immer einwandfrei aber auch nicht katastrophal. Paolo Olmi dirigiert routiniert, und die Aufführung nimmt allmählich Fahrt auf. Dano Raffanti, der 10 Jahre vorher in Pesaro ein vortrefflicher Rodrigo in La donna del lago gewesen war, ist nicht zu erkennen. Er hört sich tatsächlich als Pamyras Vater an, hat aber an Stimmqualität eingebüßt.

    Marcello Lippi ist ein guter Mahomet, mit der richtigen Mischung von Autorität und Zuneigung und das notwendige technische Rüstzeug.

    Maurizio Comencini kommt als Néoclès an seine Grenzen und muss ein paar hohe Töne in seiner großen Arie verschenken.

    Armando Caforio fehlt als Hiéros das Volumen und die Durchsetzungskraft.

    Luciana Serra ist eigentlich eine zu leichte Pamyra. Sie braucht auch Zeit, um richtig warm zu werden, kann aber ihre Leichtigkeit durch Stilsicherheit kompensieren und überzeugt in ihren beiden Arien, sowie im Duett mit Mahomet in Akt II.

    Das Terzett Divine providence in voller Länge ist richtig verführerisch. Die anschließende Fahnenweihe weniger so.

    Der Chor, obgleich verstärkt, ist nicht unbedingt überzeugend.

    Alles in allem war es eine Aufnahme, mit der man leben konnte, bevor eine bessere kam, und glücklicherweise kam eine bessere.

     

    mit

    Mahomet Lorenzo Regazzo

    Pamyra Majella Cullagh

    Cléomène Marc Sala

    Néoclès Michael Spyres

    Hiéros Mathieu Lécroart

    Adraste Gustavo Quaresma Ramos

    Omar Marco Filippo Romano

    Ismène Silvana Bertrami

    Virtuosi Brunenses

    Camerata Bach Choir, Posen

    Leitung: Jean-Luc Tingaud

    Bad Wildbad, Juli 2010

    Hier handelt es sich auch um eine live-Aufnahme, allerdings von einer konzertanten Aufführung und die Tonqualität ist sehr gut.

    Für Wildbad wurde die Troupenas-Ausgabe revidiert und man hat sich für die Fassung entschieden, die in den ersten Aufführungen gegeben wurde. Das heißt, gestrichen sind:

    - das Cantabile der Arie des Mahomets in Akt I (Les palmes immortelles couronnent nos travaux)

    - der erste Teil der Arie der Pamyra in Akt II ( O patrie infortunée) - die Arie beginnt mit Du séjour de la lumière

    - die Cabaletta des Duetts Mahomet-Pamyra in Akt II

    - der 3. Tanz im Ballett

    - die erste Strophe im Terzett Céleste providence in Akt III.

    Orchester und Chor sind wie gewohnt gut (sehr schön die Soli der Bläser oder der Harfe) und wieder merkt man, daß der französische Stil dem Chor aus Posen besonders gut steht.
    Jean-Luc Tingaud ist in der französischen Musik zu Hause. Hier in Musik des klassischen Stils fehlt seinem Tempo gelegentlich das Ebenmaß. Man wünscht sich hier und da etwas mehr retenue, Zurückhaltung, damit die grandiosen Szenen ihre Wirkung entfalten, besonders in den ruhigeren, introspektiven Momenten, die hier etwas verhetzt wirken. Man hat aber Schlimmeres gehört.

    Lorenzo Regazzo, der den Maometto in Venedig gesungen hat, ist ein wohltönender Mahomet mit schöner Phrasierung. Im Laufe der Oper unterstreicht er eher den Verliebten als den Kriegsherrn, was keine schlechte Wahl ist. Er verfügt über das nötige breite Register und ist in der Koloratur souverän.

    Marc Sala als Cléomène ist meist in Ensembles anwesend. Die Ensembles sind aber in dieser Einspielung schön und ausgewogen und Sala, mit seinem angenehmen Timbre, kann auch heroische Töne anstimmen, wie im ersten Terzett und besonders im ersten Finale, wo er die Opportunität ergreift, mehr Individualität zu zeigen.
    Michael Spyres meistert mühelos die Tessitura (bis zum hohen D in seiner Arie im dritten Akt) und kann die unterschiedlichen Gefühle seiner Rolle stilvoll und mühelos ausdrücken. Seine Aussprache ist korrekt, nun fühlt man etwas, dass er nicht ganz zu Hause mit der Sprache ist und sich eher auf die Vokalität als auf die Diktion verlässt.
    Im Unterschied zu Mathieu Lécroart, der nicht nur sprachlich sondern auch stilistisch völlig zu Hause ist. Die Szene der Fahnenweihe im dritten Akt ist einer der Höhepunkte dieser Einspielung.

    Soviel Sinn für die Sprache kann man von Majella Cullagh nicht erwarten. Wenn sie weder zu hoch noch zu niedrig, noch zu laut, noch zu schnell singen muss, ist sie als Pamyra überzeugend und dankenswerterweise liegen gute Strecken ihrer Rolle in diesem Bereich, etwa das Duett mit Mahomet im zweiten Akt oder das Terzett Céleste providence im dritten. Wenn ihr Sopran aber nach der Fahnenweihe über dem Chor leuchten soll, kommt nur Geschrei heraus. Dazu hat sie zwei der schönsten Rossini-Arien zu singen, wofür ihre Stimme ist eigentlich zu leicht ist. Sie erlaubt sich Verzierungen, die leider oft ihre schrillen Höhen und ihren üblichen Säuregrad zeigen. Die etwas gehetzten Tempi Tingauds helfen hier dabei auch nicht.

    Es ist trotz dieser Einwände eine schöne Aufnahme. Wenn nur die kritische Ausgabe verfügbar gewesen wäre ....


    Zwei live-Aufnahmen aus Pesaro sind erwähnenswert.

    Pesaro 2000:

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    mit

    Mahomet Michele Pertusi

    Pamyra Ruth Ann Swenson

    Cléomène Stephen Mark Brown

    Néoclès Giuseppe Filianoti

    Hiéros Carlo Lepore

    Adraste Alessandro Guerzoni

    Omar Simone Alberghini

    Ismène Iwona Hossa

    Orchestre de l'Opéra de Lyon

    Prager Kammerchor

    Leitung: Maurizio Benini

    Pesaro, 5. August 2000.

    Hier wurde eine vorläufige Ausgabe aufgrund der Troupenas-Ausgabe realisiert. Das heißt, gestrichen sind:

    - der erste Teil der Arie der Pamyra in Akt II ( O patrie infortunée) - die Arie beginnt mit Du séjour de la lumière

    - die Cabaletta des Duetts Mahomet-Pamyra in Akt II

    - der 3. Tanz im Ballett

    - die erste Strophe im Terzett Céleste providence in Akt III.

    Wie in Genua wird im zweiten Akt die Nr.8 vor die Nr.6 (Auftritt der Pamyra) verschoben aber Mahomet behält sein Cantabile im ersten Akt.

    Das Orchester ist gut und Maurizio Benini hat eine glückliche Hand. Es fehlt ihm weder an Dramatik noch an Eleganz und ist im Unterschied zu Tingaud flexibel genug.

    Michele Pertusi, der auch Maometto gesungen hatte, ist ein überzeugender Mahomet. Giuseppe Filianoti ist hervorragend, nicht ganz so souverän wie Michael Spyres aber mit mehr Sinn für die Sprache (seine Aussprache ist nicht astrein aber man merkt, dass er sehr präzise weiß, was er singt). Und Ruth Ann Swenson hat Seide in der Stimme. Ihre Verzierungen sind stilvoll und klangschön und sie überzeugt sowohl in ihren Arien als auch in den Ensembles. Stephen Mark Brown ist nicht so schön timbriert wie Marc Sala, was ihm vergeben wird, da Cléomène nicht besonders sympathisch ist. Nur Adraste ist hier der totale Reinfall aber zum Glück hat er extrem wenig zu singen.

    Für mich geglückter als die Naxos-Einspielung, insbesondere dank Benini und Ruth-Ann Swenson.

    Dann aber kam die kritische Ausgabe und sie wurde prompt in Pesaro benutzt:

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    mit

    Mahomet Luca Pisaroni

    Pamyra Nino Machaidze

    Cléomène John Irwin

    Néoclès Sergey Romanovsky

    Hiéros Carlo Cigni

    Adraste Xabier Anduaga

    Omar Iurii Samoilov

    Ismène Cecilia Molinari

    Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai

    Coro del Teatro Ventidio Basso Chormeister: Giovanni Farina

    Leitung: Roberto Abbado

    Pesaro, 10. August 2017

    Damien Colas hat über 470 neue Takte wiederhergestellt - das macht ca 20 Minuten mehr. Die volle Struktur der Oper ist jetzt erkennbar. Leider ist die Aufführung nicht auf der Höhe.

    Roberto Abbado ist aber leider nicht so feinfühlig wie Maurizio Benini oder Jean-Luc Tingaud. Er verwechselt oft Dramatik mit Bombast und hetzt durch das ganze Stück, als wollte er die zusätzliche Länge wettmachen. Céleste providence ist verschenkt, aber auch Ismènes L'hymen lui donne in Akt 2 wirkt wie zerhackt.

    Stimmlich ist es auch kein Fest. Luca Pisaroni vereinfacht seine Koloratur. John Irwin wird wohl durch die Tontechnik unterstützt (als Pirro in Neapel war er oft kaum hörbar) aber er zieht sich durch. Sergey Romanovsky fängt vielversprechend an aber im dritten Akt vereinfacht er seine Arie und ist in Céleste providence fehlen ihm die piano-Nuancen.

    Am schlimmsten ist aber Nino Machaidze. Man versteht kein einziges Wort von dem, was sie singt, ihre Koloratur ist mechanisch und teilweise gleicht sie einem Vibrato. Dazu hat sie nicht die Belcanto-Kultur, um durch Variationen der Farbe, der Dynamik, der Phrasierung etwas auszudrücken. Ihr Timbre hat dazu etwas Aggressives, und zwar unabhängig von dem, was sie singt. Wahrscheinlich hat sie das durch Optik wettgemacht, aber wenn nur der Ton bleibt, macht es keine Freude.

    Schade, schade ...

    Die Szene Néoclès-Cléomène-Pamyra in Akt 3, mit der Arie des Néoclès und Céleste providence (komplett) ist hier zu finden:

     

    Michael Spyres, diesmal als Cléomène, Lawrence Brownlee als Néoclès und Tara Erraught als Pamyra.

    Hier klappt alles - inklusiv Aussprache.

    Davon Céleste providence alleine hier:

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    Bleibt zu hoffen, dass es den Managern von Pesaro einen Impuls gibt. Leider kann die Mezzosopranistin Tara Erraught die Sopran-Partie der Pamyra nicht im ganzen bewältigen, aber Marina Rebeka? Mit Roberto Tagliavini als Mahomet? ...

    Alles, wie immer, IMHO.

    Einmal editiert, zuletzt von Philbert (19. Januar 2024 um 09:54)

  • Le Siège de Corinthe auf DVD

    Die Details sind oben angegeben. Bleibt hinzuzufügen: Inszenierung von La Fura dels Baus / Carlus Pedrissa

    Tenor der Inszenierung ist wohl, dass die modernen oder künftigen Kriege Kriege ums Wasser sind (sein werden). Hauptrequisite sind große Wasserflaschen, wie sie auf Wasserspendern in Büros, Supermärkten usw zu finden sind. Daraus werden auch die Mauern gebildet, die die Bühnenräume definieren. Diese Flaschen werden auch als normale Requisiten benutzt: Menschen trinken daraus, bespritzen andere daraus, werfen sie zueinander ... Während der Ouvertüre wird der Inhalt von einigen Flaschen in eine Art unterirdische Zisterne (oder in eine Abwasserleitung?) gegossen, während der Vorbereitung der Hochzeit Pamyras und Mahomets erfrischt sich Ismène in einem kleinen Pool ...

    Ein paar andere Requisiten sind Porträts, die von oben heruntergerollt und dann in den Saal getragen werden. Anfangs werden sie von Buchstaben verdeckt, die die Wörter L' OEIL DE L'ETHIQUE (das Auge der Ethik) geben. Im dritten Akt hängt ein Riesen-Arrangement von Trockenblumen, das wohl den Friedhof in Korinth symbolisiert.

    Während der Ouvertüre und des Balletts werden im Hintergrund Textzeilen von Byron projiziert, hauptsächlich aus The Siege of Corinth, teils auf Spanisch und Italienisch, teils auf Englisch und Italienisch, die man auf der DVD nicht richtig verfolgen kann. Im allgemeinen ist übrigens die Filmregie nicht besonders gelungen; sie trägt nicht dazu bei, die Handlung nachzuvollziehen.

    Die Griechen und die Türken kann man kaum anhand der Kostüme unterscheiden: die Frauen tragen lange dunkle Kleider, die Männer ärmellose Overalls - dazu ein Umhang für Mahomet, ein Cape für Cléomène, ein Schal für Hiéros - etwas farbiger bei den Griechen, einförmiger schwarz-braun bei den Türken, ohne dass man zwei Lager unterscheiden könnte. Teilweise merkt man etwas von einer Hostilität zwischen den Gruppen, teilweise agieren sie aber zusammen. Irgendwie bekommt man die Ahnung von einer verstörten Idylle zwischen Mahomet und Pamyra. Am Ende ersticht sich Pamyra mit dem Taschenmesser, das ihr Cléomène am Anfang gegeben hat, die Wasserflaschen stürzen und begraben Mahomet.

    Über die Stimmen habe ich mich oben geäußert. Das Bild macht die Sachen nicht besser, insbesondere, was Pamyra betrifft. Mit französischen Untertiteln wird klar, dass sie sich keinen Deut um das kümmert, was sie singt. Nicht nur um die Aussprache, sondern auch um die Aussage. Du séjour de la lumière, das Andenken an die verstorbene Mutter, könnte glatt als Anklage gelten. Das Fehlen der Belcanto-Kultur wird optisch auch nicht ausgewogen. Luca Pisaroni als Mahomet hat keine Bassresonanz. Die Lautstärke wird vom Miking unterstützt aber der Stimme fehlt die Substanz. Im Gebet Juste ciel, ah ta clémence, hat Damien Colas festgestellt, dass Ismène dort ein wichtiger pertichino sein sollte. Man sieht es, hört es aber nicht.

    Alles in allem nicht die Produktion, die einen für Le Siège de Corinthe gewinnen könnte. Dass man statt eines Kultur- oder Religionkampfes zwischen Griechen und Türken einen zeitgenössischen Umweltkampf inszenieren könnte, ist kein an sich schlechter Einfall. Die Umstellung ist aber kaum überzeugend. Wenn man nicht unbedingt korinthische Kapitel auf der Bühne haben wollte - was man durchaus verstehen kann - und für das aktuelle Publikum die Aktualitätsrelevanz wiederherstellen möchte, die das Stück zur Zeit der Uraufführung und später hatte (nicht umsonst wurde es 1870 aufgeführt, als die Preußen Paris belagerten), hätte man es besser machen können.

    Ich hoffe weiterhin auf eine Neuinszenierung (Davide Livermore, Damiano Michieletto ? ) mit Julie Fuchs, Roberto Tagliavini, Michael Spyres ... im Graben Antonino Fogliani oder Giacomo Sagripanti ...

    Alles, wie immer, IMHO.

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