ROSSINI - die Opern für Neapel

  • Moïse - die französische Version -1

    Die französische Version von Mosè in Egitto kursiert oft unter dem Namen "Moïse et Pharaon ou Le passage de la Mer Rouge". Dieser Titel ist aber nur auf dem Umschlagblatt von einem Librettodruck vorhanden. Alle andere Quellen, inklusive Partitur und Klavierauszug, tragen den einfachen Namen Moïse, der sich auch in Frankreich durchgesetzt hat.

    Die Pariser Erstaufführung von Mosè in Egitto fand 1822 im Théâtre Italien statt. Ferdinand Hérold war 1821 Rossini in Neapel begegnet und beide waren sich darüber einig, daß sich das Stück für eine Aufführung in Paris eignete. Der Erfolg hielt sich aber in Grenzen.
    Nach dem Erfolg von Le Siège de Corinthe, einer Bearbeitung von Maometto Secondo, nahm Rossini den Gedanken wieder. Das Libretto von Andrea Leone Tottola wurde von Luigi Balocchi auf Französisch übersetzt. Die Oper konnte aber nicht 1:1 übernommen worden, da unter anderem Ballettszenen unverzichtbar waren. Balocchi und Étienne de Jouy unterzogen das Libretto einer intensiven Umbearbeitung, die die Erweiterung von drei auf 4 Akten einbeschloß.

    Dabei wurden auch die Namen geändert, wobei der Grund hierfür nicht immer nachvollziebar ist

    Mosè --- wurde zu --- Moïse
    Faraone ----------------- Pharaon
    Aronne ------------------ Éliézer
    Elcìa --------------------- Anaï
    Amaltea ------------------ Sinaïde
    Osiride ------------------- Aménophis
    Amenofi ------------------ Marie
    Mambre (Tenor) ------ Osiride, Großpriester der Isis (Baß) und Aufide, Anführer der Wache (Tenor)

    Die Handlung der neuen Oper ist folgende:

    1. Akt
    Die Hebräer beklagen ihre Gefangenschaft, aber Moses beruhigt sie: Bald ist der Qualen ein Ende. Tatsächlich kommt Éliézer, der erzählt, Pharao hätte ihre Klagen erhört und auch die der Königin Sinaïde, die ihnen wohlgesinnt ist. Ein Regenbogen erscheint am Himmel und von einem brennenden Busch kommt eine mysteriöse Stimme, die den Bund zwischen dem Herrn und seinem Volk bekräftigt. Sie fordert Moses auf, die Gesetzestafeln an sich zu nehmen, die auf dem jetzt blühenden Busch bereit liegen. Anaï (Tochter der Marie, einer Schwester von Moïse) beklagt ihr Schicksal: sie ist in Aménophis, Pharaos Sohn verliebt, und fürchtet die Trennung. Aménophis, der seine Geliebte nicht ziehen lassen will, widerruft den Befehl seines Vaters und versucht, Moses festzunehmen. Er wird von Pharao angehalten, der nichtsdestoweniger bekräftigt, daß die Hebräer gefangen bleiben. Der Prophet verkündigt den Zorn Gottes: Es kommt eine Sonnenfinsternis, Sturm, Donner, Erdbeben und eine Pyramide verwandelt sich in einen Vulkan.

    2. Akt
    Nach Tagen der Finsternis ruft der Pharao Moses und verkündet seine Entscheidung: die Hebräer dürfen ziehen. Nach eine Invokation des Propheten kommt das Licht zurück. Aménophis ist wieder unglücklich: Anaï wird gehen und dazu will sein Vater ihn mit der Prinzessin von Assyrien vermählen. Seine Mutter versucht, ihn zu trösten und nimmt ihn mit sich zum Isistempel.

    3. Akt
    Im Isistempel feiert Ägypten feiert das wiedergekommene Licht. Moses kommt und fordet das Einhalten der Versprechung. Der Großpriester Osiride aber verlangt, daß die Hebräer sich vor Isis beugen. Diese weigern sich empört und Aufide erzählt von neuen Plagen: das Wasser des Nils wird zu Blut, Heuschrecken, kommen in Scharen usw ...Moses streckt seinen Arm gegen die falschen Götter. Die Isis-Statue stürzt und die Bundeslade erscheint. Pharao befiehlt, die Hebräer in Ketten zu legen und aus der Stadt in die Wüste zu führen.

    4. Akt
    Am Ufer des Roten Meers. Aménophis bringt Anaï zu ihrem Volk und schlägt vor, die Hebräer bei ihrer Flucht zu unterstützen, wenn sie ihm ihre Hand gewährt. Moses stellt sie vor die Wahl zwischen Liebe und Gottestreue. Schließlich entscheidet sie sich gegen die Liebe. Aménophis entfernt sich erzürnt und rachesüchtig. Die Hebräer beten zu Gott und werden von ihren Fesseln befreit. Moses befiehlt ihnen weiterzuziehen. Sie schreiten auf den Fluten.
    Pharaon, Aménophis und die Ägypter wollen denen folgen aber ein Sturm bricht aus und die Fluten verschlingen sie. Marie und die Hebräer preisen den Herrn für ihre Rettung.

    Die Handlung ist komplizierter geworden. Zwischen Neapel 1818 und Paris 1827 hat sich auch das Umfeld stark geändert. Frankreich unter Karl X ist voll in der konservativen Restauration. Das religiöse Element wird jetzt viel stärker betont. Gott selbst kommt zu Wort (als voix mystérieuse im ersten Akt) und sagt:
    "Moses, komm näher. Ich erfülle mein Versprechen. Im seligen Rausch komm und empfange mein Gesetz. Hebräer, seid auf neue Furoren vorbereitet. Geht zum Pharao, schreitet, seid mir treu. Ihr werdet für mich streiten, ihr werdet in meinem Namen siegen."

    Es wird klar Partei ergriffen. Im ersten Akt wird das Volk der Hebräer als erwähltes Volk zelebriert. Am Ende des dritten Aktes kommt es zum Konflikt zwischen Gott und Isis und Gott gewinnt deutlich. Der Ton ist viel rauher geworden. Sogar Aménophis sagt seiner Geliebten Anaï im ersten Akt: "Glaubst du, ich bin bereit, deine Fesseln zu lösen? Sklavin, du gehörst mir." Das Libretto Tottolas hat eine gewisse Qualität. Die Übersetzung ist nicht immer gelungen und das, was von Balocchi und de Jouy hinzugefügt worden, ist textlich nicht auf demselben Niveau.

    Die Beziehungen zwischen den Personen haben sich auch geändert. Aménophis und Anaï sind nicht mehr heimlich verheiratet. Eine richtige Intimität zwischen den beiden, wie in der Elcìa-Osiride Szene im zweiten Akt von Mosé in Egitto, gibt es nicht mehr. In Mosè in Egitto war Elcìa compagna amata (geliebte Freundin) von Amenofi, jetzt ist Anaï die Tochter Maries (und damit Nichte Moses'). Sinaïde die Königin sagt jetzt klar: "Ich respektiere Moses und sein Gott war der meine", sie ist eine Alliierte der Hebräer. Éliézer (I,3) sagt über sie : "Sie hat sich für uns erklärt. Zur Unterstützung des Zornes des Gottes, den sie verraten hat, droht sie, schüchtert sie ein und sie bringt Furcht ins Herz ihres Gemahls". Sie hat sich ziemlich weit entfernt von der ursprünglichen Amaltea, hat aber für Aménophis echte mütterliche Gefühle. In Neapel ist Osiride nicht Amalteas Sohn. Das sagt Pharao klar in II,5: "Und immer eitel mit meinem Sohn, weil du nicht seine Mutter bist, machst du seinen jugendlichen Eifer für das ganze Übel schuldig ". Aménophis ist aber Sinaïdes Sohn in Paris (zufälligerweise wird es auch dort in II,5 mehrmals betont).

    Oft werden die zwischenmenschlichen Beziehungen von Moïse auf Mosè in Egitto rückübertragen, was das Verständnis für die Neapel-Oper nicht einfacher macht.

    Ein Detail: hier teilen sich die Fluten des Roten Meeres nicht mehr. Im Libretto steht:
    Chor (mitten in den Fluten): "O Wunder, die zaghafte Welle bewegt sich und deckt uns nicht. Wir gehen, die flüssige Ebene befestigt sich überall unter unseren Schritten".

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Moïse, die französische Version - 2

    Die Musik:
    Balocchi und de Jouy haben aus Tottolas Libretto einen ziemlichen Schlamassel gemacht.
    Rossini übernimmt große Teile von Mosè in Egitto, die er teilweise umdisponiert und deren Orchestrierung er überarbeitet.
    Er schreibt auch neue Stücke, für die er gelegentlich auf andere Opern zurückgreift.

    Das Resultat ist folgendes:

    1. Akt

    • 1 Vorspiel (Neu, mit Material aus Armida)
    • 2 Chor Dieu puissant (Neu, mit Material aus Armida)
    • 3 Duett Anaï-Aménophis Ah, si je perds l'obiet que j'aime (Mosè in Egitto: Nr 3)
    • 4 Marsch und Chor Jour de gloire (aus Mosè in Egitto: Nr 5)
    • 5 Duett Anaï-Marie Dieu, dans ce jour prospère (Mosè in Egitto: Nr 6)
    • 6 Finale Quel délire! (Überarbeitung von Nr 7 aus Mosè in Egitto)

    2.Akt

    • 7 Introduktion Désastre affreux! ( Mosè in Egitto: Nr 1)
    • 8 Invokation und Quintett Arbitre suprême (Mosè in Egitto: Nr 2)
    • 9 Duett Aménophis-Pharaon Cruel moment! Que faire? (Mosè in Egitto: Nr 8 )
    • 10 Arie Sinaïde Ah, d'une tendre mère (Überarbeitung von Nr 13 aus Mosè in Egitto: Porgi la destra amata)

    3.Akt

    • 11 Marsch und Chor Reine des cieux (aus Bianca e Falliero)

    und 3 scènes de ballet (Neu, teilweise mit Material aus Armida)

    • 12 Finale (Neu, mit Einbeziehung von Mi manca la voce aus Nr 10 von Mosè in Egitto)

    4. Akt

    • 13 Rezitativ und Duett Anaï-Aménophis Ou me conduisez-vous? (Anfang von Nr 10 aus Mosè in Egitto: Dove mi guidi?)
    • 14 Arie Anaï Quelle affreuse destinée! (Neu)
    • 15 Gebet Des cieux où tu résides ( Mosè in Egitto: Nr 14)
    • 16 Finale (Neu, basierend auf Nr 15 von Mosè in Egitto)
    • 17 Cantique (Neu)

    Was die Musik der Pariser Version bezeichnet, ist die reichere Orchesterpalette, ein erhabener Vokalstil und die Gliederung in hochspektakulären Tableaux. Ein Reiz der Neapel-Version besteht in der Dualität Öffentliches-Intimes. Die Intimität wird hier dem Spektakulären geopfert. Es gibt kaum eine Szene ohne Chorbeteiligung.Die Solo-Arien von Mosè in Egitto wurden restlos entfernt. Die große Colbran-Szene am Ende des zweiten Aktes, Porgi la destra amata, wurde beibehalten, aber der Königin Sinaïde übergeben.

    Die Rolle des Moïse besteht jetzt ausschließlich aus Rezitativen (seine Teilnahme am Quintett und Gebet ausgenommen); sie sind hier besonders beeindruckend. Der Prophet ist eine greater than life Figur. Wie schon für Le Siège de Corinthe und wie er's für Guillaume Tell tun wird, hat Rossini einen besonderen Wert auf die Deklamation des französischen gelegt. Im Kontrast zur farbigen Orchestrierung gibt es eine Reihe von Chorsätzen a capella. Die Nr 2, als Chor bezeichnet, ist in der Tat eine lange abwechslungsreiche Szene mit Rezitativen, Chören - teilweise mit solistischen Einlagen - und Tänzen (über 20 Minuten), die nahtlos ins folgende Rezitativ Anaï-Aménophis übergeht. Das Duett der beiden wird durch einen Marsch mit der nächsten Szene verbunden, die aus den Nummern 4,5,6 besteht. Man ist weit entfernt von den geschlossenen Nummern des Bel canto.

    Die Anfangsszene von Mosè in Egitto ist hier am Beginn des zweiten Akte - die französichen Librettisten wollten die richtige Reihenfolge der Plagen wiederherstellen - was ihre Wirkung als eine der ergreifendsten Eröffnungsszenen der Operngeschichte schmälert.
    Weniger ergreifend ist auch hier Mi manca la voce . Das Quartett, das sich an die intime Grotten-Szene einschloß, ist als Je tremble et soupire ins neukomponierte Finale des dritten Aktes integriert worden. Es ist jetzt mit Chorbeteiligung.

    Das Finale vom Akt 4 ist eine Erweiterung des Finale von Mosè in Egitto: Man hört die ägyptische Kavallerie, die ans und ins Rote Meer kommt, den Sturm und die Rückkehr der Stille. Vielleicht aufgrund von technischen Problemen, wohl auch um den dramatischen Effekt dieses Orchestersatzes beizubehalten, wurde das nachfolgende Cantque noch vor der Uraufführung gestrichen. Es ist nicht in der Erstausgabe der Partitur (Troupenas) gedruckt. Abgesehen vom Libretto, ist es ist im Klavierauszug und in Abschriften vorhanden. Es kann als der Vorgänger des Finalgebets von Guillaume Tell betrachtet werden und wurde z.B. in Pesaro reinstalliert.

    Das orchestrale Finale mit seinem stillen Schluß läßt aber Rossinis Gedankenwelt durchschimmern. Die Danksagung der Hebräer ist still und mischt sich mit der Trauer über die gestorbenen Ägypter. Rossinis Gedanken kommen auch in die neukomponierte Arie der Anaï durch: die junge Frau wird von Aménophis, Moïse und den Hebräern vor die Wahl zwischen Liebe und Pflcht gestellt und ist einem extremen Druck ausgesetzt. Man hat die Orchesterbegleitung mit Gretchens Spinnrad in Schuberts Vertonung verglichen: wie Gretchen ist Anaï eine Gefangene, die innerlich zerbricht. Nach ihrer so gut wie erzwungenen Entscheidung ist die Cabaletta der Ausdruck der Trümmerlandschaft, in welcher ihre Seele sich befindet.

    Bis weit ins 20te Jht wurde Moïse als die endgültige, vollendete Version der Oper betrachtet. Mosè in Egitto war höchstens eine "geniale Vorstudie". Heutzutage betrachet man sie eher als zwei unterschiedliche Werke (obwohl Riccardo Muti noch die Meinung vertritt, Moïse sei höher einzuschätzen). Der Stil ist unterschiedlich; die Neapel-Version ist ein besonderes Meisterwerl des bel canto, die Paris-Version ein großartiger Vorreiter der grand opéra.
    Sie wurde schnell ins Italienische rückübertragen. Callisto Bassi übernahm klugerweise den Text von Tottola (im Unterschied etwa zur Ricordi-Version von Glucks Orfeo ed Euridice, wo man nicht Calzabigis Worte findet, sondern eine Übersetzung der frz. Übersetzung). und übersetzte die Teile, die von Balocchi und de Jouy hinzugefügt wurden. Hier hat man konventionelles Opern-Italienisch, das irgendwie zur Musik paßt, aber schon erträglicher ist als Balocchi-de Jouy's nicht immer glucklicher Text. Und Tottolas Dal tuo stellato soglio ist fraglos poetischer als Des cieux où tu résides ...

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Moïse, die französische Version - Aufnahmen

    Es gibt davon nur zwei offizielle: eine als CD, eine als DVD


    Pesaro 1997 mit
    Moïse - Michele Pertusi
    Pharon - Eldar Aliev
    Aménophis - Charles Workman
    Anaï - Elizabeth Norberg-Schulz
    Sinaïde - Mariana Pentcheva
    Eliézer - Luigi Petroni
    Marie - Enkelejda Shkosa
    Osiride - Riccardo Ferrari
    Aufide - Cesare Catani

    Prager Kammerchor - Orchester des Teatro Comunale di Bologna
    Leitung Wladimir Jurowski

    Alles in allem eine Enttäuschung. Jurowski schafft es nicht, die Spannung über große Szenen zu halten. Das Ballett ist erstaunlicherweise gelungen, aber oft zerfällt die Oper in ihre Komponenten. Die Sänger sind fast alle auf Kriegsfuß mit der französischen Sprache. Am schlimmsten Eldar Aliev, der einen unverständlichen Pharao singt und sich hörbar keine Mühe gegeben hat, etwas über Diktion oder Stil zu erfahren. Pertusi ist ein Moïse mit der richtigen vokalen Statur. Workman kann im italienischen bel canto beeindrucken; hier hört man einen ténor léger. der die Musik eines ténor héroïque singt, ein Ènée mit der Stimme eines Nadir sozusagen. Elizabeth Norberg-Schulz ist auch eine Schuhgröße zu klein für Anaï und versucht es mit der Brechstange.

    Das ganze macht keine richtige Freude.


    Mailand 2004 mit
    Moïse - Ildar Abdrazakov
    Pharon - Erwin Schrott
    Aménophis - Giuseppe Filianoti
    Anaï - Barbara Frittoli
    Sinaïde - Sonia Ganassi
    Eliézer - Tomislav Muzek
    Marie - Nino Surguladze
    Osiride - Giorgio Giuseppini
    Aufide - Antonello Ceron
    voix mystérieuse - Maurizio Muraro

    Chor und Orchester des Teatro alla Scala
    Leitung Riccardo Muti
    Regie - Luca Ronconi

    Diese Aufnahme kannte ich zuerst als Rundfunk-Übertragung. Hier stimmt fast alles. Muti dirigiert präzise und schon beim ersten Akt fühlt man den dramatschen Puls. Wo Jurowski eine Reihe von Stücken gab, bildet Muti einen großen Bogen und die große Chor-Rezitativ-Szene ist ungemein spannend.
    Die Stimmen sind gut. Filianoti vielleicht ein Tick zu heroisch, aber es paßt gut zum Charakter. Die französische Aussprache ist auch nicht vorbilldlich (am besten der Kroate Tomislav Muzek, der einen schönen Éliezer singt), aber die Diktion paßt. Abdrazakov ist ein imponierender Prophet und Erwin Schrott als Pharao ein würdiger Gegenspieler.
    Pure Freude und ich war gespannt auf die Bilder.

    Da kam aber die Enttäuschung. Es ist irgendwie ein Sandalen-Epos alla Cecil B. de Mille. Nur daß die Pyramide, die sich in einen Vulkan verwandelt, von dem Ströme glühender Lava sich ins Tal ergießen (Originale Bühnenanweisung) nicht realisiert wurde. Abdrazakovs Brustmuskeln unter einem gespannten schwarzen T-Shirt sind OK, wenn man den schwarzen Bademantel vergißt, Aménophis sieht eher wie eine ägyptische drag queen aus, alles bewegt sich extrem konventionell, so daß die akustisch spannende Oper zu einem langweiligen Bühnenspektakel wird.

    Dies sind die zwei einzigen vollständigen Aufnahmen des französischen Moïse (in Pesaro mit dem Cantique am Ende, in Mailand ohne), so daß am besten Mailand in reiner Akustik-Version zu empfehlen bleibt.

    Letztes Jahr war Moïse in Wildbad zu sehen und hören. Eine CD-Produktion wird auf Naxos erscheinen, eine DVD ist auch geplant. Die Inszenierung war OK, wenn man die begrenzten Mittel berücksichtigt, das ganze war im Haus sehr beeindruckend. Ob es in der Konserve bleiben wird, ist nicht sicher.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Mosè in Egitto - Moïse - Mosè - weitere Aufnahmen

    Mosè, die italienische Übersetzung des Pariser Moïse, blieb - dank Dal tuo stellato soglio - im Répertoire in Italien, allerdings nicht ohne Überarbeitungen. Das Ballett wurde in der Regel gestrichen, andere Szenen auch. Weitere wurden gekürzt. Dazu wurden die a cappella Chorsätze nachträglich mit Orchesterbegleitung versehen.

    Erst in den 1980er Jahren besann man sich wieder auf Mosè in Egitto.
    1983 wurde es in Pesaro aufgeführt. Dirigent war Claudio Scimone. Weiter Teilnehmer waren Cecilia Gasdia (Elcia) - Daniela Dessì (Amaltea) - Boris Martinovich (Mosè) - Simone Alaimo (Faraone) - Rockwell Blake (Osiride) - Giuseppe Fallisi (Aronne) - Luciana Rezzadore (Amenofi) Das ganze kann man hier hören:

    https://www.youtube.com/watch?v=g1xoPEeWJm0&t=296s

    Scimone hat sich nicht radikal verbessert und er hält nicht immer alle seine Leute zusammen, Cecilia Gasdia hat mehr Temperament als June Anderson, Rockwell Blake mehr Virtuosität als Ernesto Palacio (aber ein weniger angenehmes Timbre), Daniela Dessì ist eine Luxus-Amaltea, Simone Alaimo ein guter Pharao, aber ... Boris Martinovich fehlt die Autorität in seiner Invokation. Dazu ist seine Linie nicht immer sicher und so vermasselt er Celeste man placata.... Giuseppe Fallisi ist auch kein besonders erfolgreicher Aronne - was den Ensembles nicht zugute kommt.
    Kann man vergessen.

    Die Inszenierung von Pier Luigi Pizzi gastierte 5 Jahre später in Rom unter der Leitung von Paolo Olmi
    mit
    Cecilia Gasdia (Elcia) - Jenny Drivale (Amaltea) - Ruggero Raimondi (Mosè) - Simone Alaimo (Faraone) - Rockwell Blake (Osiride) - Ezio di Cesare (Aronne) - Gloria Scalchi (Amenofi).
    Paolo Olmi dirigiert mit mehr Präzision und mehr Theatralität als Scimone. Raimondi ist in diesem Umfeld womöglich noch überzeugender als auf der Studio-Aufnahme. Alaimo gibt der Figur des Pharao mehr Kontur als Nimsgern. Ezio di Cesare ist ein guter Aronne, dessen dunkleres Timbre sich gut von dem von Rockwell Blake unterscheidet. Die mir unbekannte Jenny Drivale erreicht vielleicht ganz das Niveau von Daniela Dessì in La pace mia smarrita, bekommt aber in Rom völlig zu Recht herzlichen Beifall. In Dal suo stellato soglio hört man hier, was Inbrunst von Bombast unterscheidet. Bleibt Rockwell Blake, der stimmlich alles hat, um als Osiride zu überzeugen, bis auf das Timbre. Aber irgendwie hat er sich besser im Griff als in Pesaro und tanzt nicht so sehr aus der Reihe. Gasdia ist hier auch ganz überzeugend. Unter anderem hier hörbar:

    https://www.youtube.com/watch?v=V8ZClOyg0Uw&t=4711s

    Übrigens, nach diesen Aufführungen wurde Paolo Olmi von Sawallisch, der selber hat Mosè mehrmals dirigiert hatte, nach München eingeladen, um dort Mosè in Egitto zu dirigieren.

    Im Teatro San Carlo, wo seit 1849 nur die Mischfassung Mosè zu hören und sehen war, kam Mosè in Egitto 1993 wieder auf die Bühne. Es sangen
    Mosé: Roberto Scandiuzzi, Faraone: Michele Pertusi, Osiride: Rockwell Blake, Amaltea: Gloria Scalchi, Aronne: Ezio di Cesare, Amenofi :Antonella Trevisa, Mambre: Enrico Cossutta.
    Regie und Kostüme: Hugo de Ana.
    Dirigent: Salvatore Accardo

    Die Regie ist einfallslos bis peinlich (die Momente, als der Vorhang unten ist, weil dahinter ein Szenenwechsel stattfindet, und doch ein Stück von von jemandem hochgehalten wird, damit irgendwas passieren kann, sind besonders köstlich).

    Accardo hat die Napolitaner als Dirigent so geschockt (er ist fast ein Lokaler, kommt aus Torre del Greco), daß er am Premiere-Abend nach der Pause von einer Grabesstille empfangen wurde. Man muß sagen, sein Dirigat war genauso gelungen wie die Inszenierung. Viel Tschingdarassabum, wenig Koordination mit der Bühne.
    Die Sänger tun ihr Bestes und es gelingt ihnen einiges. Devias Stimme ist für Colbran-Rollen nicht immer geeignet und hier rettet sie sich, indem sie höhere Varianten singt und hohe Noten interpoliert (besonders in ihrer großen Szene im zweiten Akt). Ezio di Cesare ist leider nicht in so guter Form wie 5 Jahre vorher in Rom. Oft wird "ich kann lauter sein als du" gespielt - ein Spiel, bei dem Rockwell Blake regelmäßig die Oberhand hat.

    Ist auf YouTube vorhanden, in nicht optimaler Qualität: https://www.youtube.com/watch?v=FPGMmD…c1XNRYDPbexENmV

    Von Moïse gibt es ein live aus Paris 1983

    als CD: ASIN: B0000019XU - kein Bildchen oder

    mit
    Samuel Ramey - Moïse
    Jean-Philippe Lafont - Pharaon
    Cecilia Gasdia - Anaï
    Shirley Verrett - Sinaïde
    Keith Lewis - Aménophis
    Jean Dupouy - Éliézer

    Choeur et Orchestre de l'Opéra de Paris
    Dirigent - Georges Prêtre

    Die Tonqualität geht von annehmbar bis gut, es gibt etliche Striche, aber es waren großartige Aufführungen! Georges Prêtre, der noch die grande époque des französischen Gesangs miterlebt hatte, hat wohl sein Bestes getan, um den französischen Stil zu vermitteln und es ist ihm hörbar gelungen, nicht nur das Orchester, sondern auch die vielen internationalen Darsteller mitzunehmen. Ich habe es damals im französichen Fernsehen gesehen; ein Video ist in schlechter Bild-Qualität auf der Tube auffindbar:
    https://www.youtube.com/watch?v=JeoWIvx57Jg
    Hoffentlich wird irgendwann die TV-Aufnahme auf DVD angeboten. Die Regie ist übrigens auch von Luca Ronconi; sie wurde von ihm für die Scala "perfektioniert", sprich verschlimmkitschbessert.

    Sonst gibt es von der Mischfassung Mosè einige Aufnahmen (unter anderem mit Tullio Serafin und Wolfgang Sawallisch). Eine kann man sich merken:

    Es ist eine Studio-Aufnahme. Gestrichen sind Ballett und Nr 9 (Duett Aménophis- Pharaon), sonst nichts. Es ist die französische Fassung mit italienischem Text ohne weitere Änderungen - keine Änderungen an der Orchestrierung, auch die a cappella Teile werden come scritto aufgeführt.. Gardelli dirigiert ganz gut (das Orchester-Finale ist besonders beeindruckend) und die ungarische Sängertruppe kann sich hören lassen.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ermione

    Gestern hat WDR 3 einen Mitschnitt der Ermione aus Neapel gesendet, und beim Googeln der Besetzungsliste habe ich festgestellt, dass das Teatro di San Carlo die ganze Vorstellung in professioneller Abfilmung und sogar mit semiprofessionellen Untertiteln auf Youtube gestelt hat: https://operavision.eu/de/bibliothek/…-di-san-carlo-0
    Gut, man muss diese Herumsteh-Orgie nicht gesehen haben, aber zum Hören gab es was. Zum Beispiel (weitgehend) Originalinstrumente im Graben, was den Klang doch recht pikant schärft und noch einmal daran erinnert, wie scheußlich auch große Dirigenten das Stück glatt gebügelt haben - ich meine hier besondes Scimone.
    Also: Ton an, Bild wech und zugehört!
    :wink:

    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.

  • Ermione - 1

    On popular demand :)
    Es hätte Ricciardo e Zoraide kommen sollen, dies wird später nachgeholt.

    Ricciardo e Zoraide wurde nämlich am 03.12,1818 uraufgeführt, Ermione am 27.03.1819. Im Herbst 1818 schrieb Rossini seiner Mutter, er hätte "zwei gute Libretti", indem er an diese zwei Opern dachte.

    Die Personen:

    Ermione (Hermione), Tochter der Helena und des Menelaos - Sopran
    Andromaca (Andromache), Hektors Witwe - Alt
    Pirro (Pyrrhos), Sohn des Achilles - Tenor
    Oreste (Orestes), Sohn Agamemnons - Tenor
    Pilade (Pylades), Freund und Vertrauter Orestes' - Tenor
    Fenicio (Phoenix), Pyrrhos' Erzieher - Baß
    Cleone, Vertraute der Hermione - Sopran
    Cefisa, Vertraute der Andromache, - Sopran
    Attalo, Anführer der Garde Pyrrhos' - Tenor
    Astianatte (Astyanax), Sohn der Andromache - stumme Rolle

    Die Handlung:

    Vorgeschichte:
    Nach dem Fall Troias ist Pyrrhos nach Buthrote, Hauptstadt des Königreichs Epiros, zurückgekehrt. Mit ihm trojanische Gefangene, unter denen Andromache, Hektors Witwe und deren Sohn Astyanax. Obwohl mit Hermione durch ein Heiratsversprechen verbunden, verliebt sich Pyrrhos in Andromache, was sowohl Hermiones Eifersucht als auch das Mißfallen der griechischen Kriegsführer hervorruft, die befürchten, der Erbe der Trojaner könnte einen griechischen Thron besteigen.

    1. Akt:
    Die trojanischen Gefangenen beklagen die Niederlage und die Zerstörung ihrer Stadt. Unter ihnen befindet sich Andromache, die über den Schlaf ihres Sohnes Astyanax wacht und auf seinem Gesicht die Züge des geliebten verstorbenen Gemahls erkennt. Ihr Schmerz wird dadurch größer, daß Attalo, ein Vertrauter Pyrrhos', ihr die Liebesbekundungen des Königs wiederholt. Dieser ist in Andromache verliebt und verspricht, das Leben des Astyanax zu verschonen - und ihn als Sohn anzuerkennen -, wenn sie der Heirat zustimmt. Dies läßt Phoenix einen neuen Krieg befürchten. Dieser hofft, Pyrrhos wird das Versprechen einhalten, das ihn mit Hermione verbindet. Doch, obwohl Hermione Pyrrhos liebt, zieht ihr jetzt der König die "phrygische Sklavin" vor.

    Cleone und andere Freundinnen versuchen, Hermione zu trösten, doch die Prinzessin ahnt schon ihre Niederlage. Wenn Pyrrhos vorbeikommt, kommt es zu einer Auseinandersetzung: Hermione wirft ihm Untreue vor, er drot ihr und erniedrigt sie.
    In diesem Moment wird die Ankunft Orestes' verkündigt: dieser kommt als Gesandter der griechischen Könige, um Pyrrhus dazu zu bewegen, die Verträge einzuhalten. Pyrrhos ist betrübt; Hermione hingegen begrüßt die Ankunft ihres Befreiers.

    Tatsächlich ist aber Orestes in Hermione verliebt. Diese Leidenschaft ist aber unerwidert. Kaum angekommen, vertraut Orestes seine unglückliche Liebe dem Freund Pylades an. Dieser ermahnt ihn, zuerst an seine Aufgabe zu denken. Pyrrhos empfängt den Gesandten inmitten seines gesamten Hofs (darunter Hermione und Andromache). Orestes verlangt im Namen ganz Griechenlands die Opferung Astyanax', da dieser eine Bedrohung für den Frieden nach dem trojanischen Krieg bedeutet. Pyrrhos reagiert mit Hochmut: er, Sohn des größten griechischen Helden, braucht keine Legitimierung für seine Entscheidungen. Sofort kündigt er seine bevorstehende Heirat mit Andromache. Die griechischen Krieger sind empört und Andromache, die ihrem verstorbenen Gatten treu bleiben will, lehnt Pyrrhos' Hand ab.

    Cleine rät Hermione, Orestes für ihre Ziele einzusetzen, um ihre öffentliche Erniedrigung zu rächen. Dieser trifft ein und erneuert Hermione seine Liebesbekundungen. Diese aber zögert, ihn als Instrument ihrer Rache zu benutzen.
    Eben in diesem Moment trifft Pyrrhos mit seinem Hof ein. Von Andromaches Weigerung erzürnt, beschließt er, dem Pakt treu zu bleiben: er wird Hermione heiraten und Astyanax den griechischen Kriegsführern übergeben. Diese Entscheidung weckt in Hermione und Phoenix Vertrauen, in Andromache und Pylades Besorgnis, in Orestes Eifersucht. Während Pyrrhos das Kind an Orestes übergeben läßt, fällt Andromache auf die Knie und bittet den Fürsten um Zeit, um ihre Entscheidung zu überdenken. Pyrrhos freut sich aber Hermione wird wütend und droht, das Kind zu töten. Der Akt endet in völligem Durcheinander der Gefühle.

    2. Akt:

    Attalo teilt Pyrrhos die erwartete Entscheidung mit: Nach seinen Anweisungen hat Cefisa Andromache davon überzeugt, den Fürsten zu heiraten (dieser Dialog wird von Cleone mitbekommen, die dann alles Hermione referieren wird). Der begeisterte Pyrrhos verspricht Andromache den Thron und Astyanax' Rettung. Diese aber, die Hektors Geist zu sehen vermeint, versucht, seinen Eifer zu bremsen. Eigentlich hat sie andere Pläne: sie will sich gleich nach der Hochzeit umbringen, wenn Pyrrhos feierlich geschworen hat, das Leben ihres Sohnes zu retten.

    In diesem Moment kommt aber Hermione, gefolgt von Phoenix und Cleone. Es kommt zu einer Auseinandersetzung der zwei Rivalinnen: Hermione wirft Andromache vor, ihre Reize eingesetzt zu haben, um den Thron zu besteigen. Diese erwidert die Beleidigungen nicht. Hochmütig vergibt sie der jungen Rivalin und geht ab. Eifersucht und Furcht nagen am Herzen Hermionens. Sie bittet Phoenix darum, Pyrrhos an seine einstigen Liebesbekundungen zu erinnert. Umsonst: der Hochzeitsmarsch für Pyrrhos und Andromache ertönt gleich.

    Hermione wirft sich zu Boden. Gefährtinnen versuchen, sie zu trösten und Rache zu versprechen, wenn Orestes eintrifft. Hermione beschließt, die Situation auszunutzen. Im Namen seiner Liebe verlangt sie von ihm, er solle den Fürsten töten und ihr den blutbefleckten Dolch zurückzubringen. Zuerst zaudernd, eilt doch Orestes, das Verbrechen zu vollbringen.

    Phoenix ist es nicht gelungen, Pyrrhos zum Umdenken zu bringen. Zusammen mit Pylades beklagt er das traurige Schicksal, das jetzt Griechenland erwartet.

    Hermione geht im Palast umher. Von Reue erfüllt, empfindet sie doch Liebe für Pyrrhos und versucht vergebens, Orestes aufzuhalten. Dieser kommt aber mit dem blutigen Dolch. Der rasenden Hermione erzählt er Pyrrhos' Tod. Hermione aber weist ihn wütend zurück. Sie sei immer in Pyrrhos verliebt gewesen und nur im Wahnsinn habe sie nach ihrem Tod verlangt. Der verzweifelte Orestes beschwört den Tod, während Hermione die Eumeniden aufruft, um den Mord zu rächen. Pylades kommt mit Vertrauten: das Volk von Buthrote, empört durch Pyrrhos' Tod, droht, die Verbrecher umzubringen. Hermione bricht zusammen, indem sie Orestes verflucht. Dieser, vom Wahnsinn befallen, wird widerwillig von den Griechen abgeführt.

    Die Struktur:

    • Sinfonia mit Chor

    Erster Akt:

    • 1 Introduktion: Troja qual fosti un dì! (Coro, Fenicio, Andromaca, Cefisa, Attalo)
    • 2 Chor: Dall'Oriente l'astro del giorno (Cleone)
    • 3 Duett mit Chor: Non proseguir! Comprendo! (Ermione, Pirro)
    • 4 Kavatine con pertichini: Reggia abborrita! (Oreste, Pilade)
    • 5 Marsch, Szene und Kavatine mit Chor: Balena in man del figlio (Pirro)
    • 6 Finale primo:

      • Duettino: Amarti? (Ermione, Oreste)
      • Marsch und Chor: Alfin l'eroe da forte
      • Überleitung: Dal valor de' detti tuoi (Pirro, Cleone, Pilade, Fenicio, Andromaca, Cefisa, Attalo, Oreste, Ermione)
      • Nonett: Sperar poss'io? (Ermione, Pilade, Pirro, Andromaca, Oreste, Cleone, Cefisa, Attalo, Fenicio)
      • Tempo di mezzo: A me Astianatte! (Pirro, Andromaca, Ermione, Oreste, Pilade, Fenicio)
      • Stretta: Pirro, deh serbami la fè giurata (Ermione, Pirro, Cleone, Cefisa, Oreste, Pilade, Attalo, Andromaca, Fenicio, Coro)

    Zweiter Akt:

    • 8 Duett: Ombra del caro sposo (Andromaca, Pirro)
    • 9 Gran scena di Ermione:

      • Rezitativ. Essa corre al trionfo! (Ermione)
      • Arioso: Dì che vedesti piangere (Ermione)
      • Überleitung: Ah, voglia il ciel (Fenicio, Cleone, Ermione)
      • Arioso: Amata, l'amai (Ermione)
      • Überleitung: Ma che ascolto?, Marsch und Chor: Premi Amore sì bella costanza (Cleone, Ermione)
      • Arioso: Un'empia mel rapì! (Ermione)
      • Tempo di mezzo: Il tuo dolor ci affretta (Coro, Ermione, Oreste)
      • Stretta: Se a me nemiche, o stelle (Ermione, Cleone, Coro)
    • 10 Duettino: A così trista immagine (Fenicio, Pilade)
    • 11 Finale II: Che feci? Ove son? (Ermione, Oreste, Pilade, Coro)

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ermione - 2

    Das Libretto

    Man weiß nicht, inwiefern Rossini selber in seiner Entstehung involviert war. Am 22.09.1818 schreibt er der Mutter: "Ich bin sehr beschäftigt. Ich hoffe, meine Opern werden gut gehen, da ich zwei gute Libretti zum Vertonen habe" (Ricciardo e Zoraide und Ermione). Am 19.01.1819: "Mit meiner Ermione geht es gut voran. Ich fürchte, das Thema sei zu tragisch, aber es kümmert mich wenig; ich kann nun sagen: È fatto il becco all'oca" (florentinisches Sprichwort mit der Bedeutung, eine Aufgabe sei mit Vergnügen und Erfolg erfüllt worden).

    Da Andrea Leone Tottola ein versierter Librettist war, darf man annehmen, Rossini habe sich weniger als bei Otello am Libretto beteiligt, wo dort der Marchese Berio ziemlich unerfahren war.

    Tottola hat seine Vorlage bei Jean Racine gefunden, und zwar ist es dessen Tragödie Andromaque (1687).
    Im Unterschied zu Schiller und Shakespeare gibt es von Racine nur wenige erfolgreiche Opern-Adaptationen (Rameaus Hippolyte et Aricie, Mozarts Mitridate, Glucks Iphigénie en Aulide und eben Ermione). Racine achtet streng die Regeln der aristotelischen Tragödie (Einheit von Ort, Zeit und Handlung). Wie der italienische Kritiker Dino Villatico sagte, schildert er weniger die Leidenschaften selber als die Kraftverhältnisse der Leidenschaften untereinander. Diese Kraftverhältnisse sind es, die die Entwicklung des Geschehens bestimmen, die unaufhaltsam zum tragischen Ende bringt.

    Hier ist es: Orestes liebt Hermione liebt Pyrrhos liebt Andromache liebt ihren verstorbenen Gatten Hektor.
    Abgesehen von Andromache sind alle Kinder: Orestes ist der Sohn Agamemnons, Pyrrhos der Sohn Achilles', Hermione die Tochter von Helena und Menelaos. Allein Andromache besitzt den Edelmut der eigentlichen Helden und ihre Liebe ist eine ideelle Liebe. Bei den anderen ist die Liebe im Zusammenspiel mit anderen Kräften und diese Dosierung der Kräfte ist es, die jede der Handlungspersonen unverwechselbar charakterisiert.
    Der einzige Handlungspunkt, der das Schicksal ins Rollen bringt, ist Orestes' Ankunft in Buthrote und damit beginnt tatsächlich Racines Stück.

    Andromaque war schon für die italienische Bühne adaptiert worden (Leonardo Vinci - als Astianatte 1725, Leonardo Leo 1742, Jommelli 1755, Paisiello 1796 ...). Dabei wurde Racines Text operngerecht verarbeitet: Nebenhandlungen wurden erfunden, das Ende verändert ... -

    Tottola bleibt aber der Vorlage treu. Racines Theater ist hauptsächlich das Theater der Sprache, eine Folge von Monologen und Dialogen in klaren Alexandrinern, die zu den schönsten der französischen Literatur gehören. Tottolas Änderungen dienen dazu, das visuelle Element zu verstärken. Statt die Vorgeschichte im Dialog zwischen Orestes und Pylades erklären zu lassen, erfindet er die ersten Szenen bis Orestes' Ankunft: der Chor der Trojaner mit Andromacas Arie, das Duett Pirro-Ermione. Astyanax, von dem bei Racine nur gesprochen wird, ist hier - als stumme Rolle - präsent auf der Bühne. Bei Racine begeht Hermione Selbstmord. Von dem erfährt man durch Pylades, da ein Mord nicht auf der Bühne dargestellt werden durfte. Im Neapel des frühen 19ten Jahrhunderts konnte sich zwar Otello umbringen (in Rom etwa war es noch unmöglich), aber für eine Prinzessin königlichen Blutes war es doch undenkbar. Hier bricht sie ohnmächtig zusammen.

    Dem Einfluß der metastasianischen Theatersprache kann sich Tottola zwar nicht ganz entziehen, zumal er doch die Vorlage für Rezitative und Arien liefern soll, aber er bleibt er dem Originaltext ziemlich nah und übernimmt sogar einige Formulierungen, etwa Hermionens Odio Pirro, odio Oreste, odio me stessa.

    Das Libretto zu Ermione gehört zu den besten, die Rossini vertonen durfte. Es war auch eines der experimentellsten. Zwar war es für ihn eine willkommene Herausforderung (davon zeugt È fatto il becco all'oca); trotzdem blieben Restzweifel ("Ich fürchte, das Thema sei zu tragisch").

    Die Musik

    Bereits die Ouvertüre ist experimentell. Für Armida hatte Rossini das alte Schema verlassen, bei Mosè in Egitto gab es gar keine Ouvertüre, dafür aber eine eindrucksvolle Eröffnungsszene, in Ricciardo e Zoraide hatte er die Ouvertüre organisch mit der ersten Szene verbunden.

    Hier fängt die Ouvertüre in Glucks Stil an, wird aber vom Chor unterbrochen, der hinter den Kulissen den Untergang Troias beklagt:
    Troia! Qual fosti un dì!
    di te che resta ancor?
    Ahi! qual balen sparì
    il prisco tuo splendor!

    Dafür hat die Ouvertüre zwar das klassische Rossini-Crescendo, ist aber sonst monothematisch.
    Die "Introduktion" (so heißt im italienischen Theater alles, was nach der Ouvertüre und vor dem ersten Rezitativ steht) ist wie in Mosè in Egitto eine umfangreiche ombra-Szene, die mit dem Chor an die Ouvertüre anschließt und eine eigentliche Arie für Andromaca enthält.

    Schon hier sieht man, wie Rossini die traditionellen numeri chiusi aufbricht und in dramatischen Szenen denkt. In Ermione gibt es eigentlich keine klassische Solo-Arie. Die Sortita des Orestes, als "Kavatine con pertichini" bezeichnet, entwickelt sich tatsächlich in ein Duett Oreste-Pilade. Pirros Balena in man del figlio ist eine Szene mit Chor. Das tempo di mezzo im Duett Pirro-Ermione besteht aus der Ankündigung der Ankunft Orestes, einem Schlüsselelement der Dramaturgie. Sowohl Chor als auch Nebenrollen sind nicht mehr rein dekorativ sondern werden dramatisch aufgewertet.
    Vollkommen abwesend sind auch die "kontemplativen Ensembles", die man seit Otello findet, diese Momente, wo die Handlung erstarrt und die Gefühle ausgedrückt werden.

    Die Rezitative sind, wie in allen neapoletanischen Opern Rossinis, reine recitativi accompagnati, aber die Entwicklung, die von Otello ab spürbar war, wird fortgesetzt und sie haben eine besondere dramatische Kraft, die sich auch in die Behandlung des Orchesters widerspiegelt.

    Das Finale I übernimmt im Nonett ein Element, das man von der opera buffa kannte (z.B. in La Cenerentola), und zwar das sillabisierte Singen, hier der Männerfiguren, die die melodische Linie der Ermione und Andromaca harmonisieren. Hier ist man tatsächlich, wie in manchem opera-buffa Finale, in einer totalen Konfusion der Gefühle. Die Stretta ist ein Wettstreit, wie auch in mancher opera buffa, hier aber mit dramatischer Spannung und kulminiert in einem Crescendo auf dem Wort avversità (Unglück), das das Crescendo der Ouvertüre übernimmt und steigert.

    Es sind Elemente, die schon in Armida, Mosè in Egitto ... entweder vorhanden oder angekündigt waren sind und die von der konsequenten Entwicklung der Dramaturgie Rossinis zeugen. Hier in Konjunktion mit der dramatischen Zielstrebigkeit Racines, die dankenswerterweise Tottola nicht verwässert hat, bringen sie, was Gossett “One of the finest works in the history of 19thcentury Italian opera" benennt.

    Der zweite Akt geht noch ein Stück weiter. Nach dem Duett Pirro-Andromaca (wo der Tenor bis zum hohen D kommt) verschwinden beide von der Bühne und der Rest wird von der Figur Ermiones dominiert. Zuerst die siebenteilige Gran scena, dann das Finale.

    Die musikalische Sprache ist auch äußerst herausfordernd. Hier schöpft Rossini aus dem vollen und fordert von seinen Sängern das Extreme. Sozusagen als musikalische Transposition der Alexandriner Racines, die mit reinster Spracheleganz die wildesten Leidenschaften ausdrücken, nutzt Rossini alle Elemente des bel canto, um diese wilden Leidenschaften darzustellen: breite Sprünge, extreme Verzierungen, halsbrecherische Linien, die eine absolute Kontrolle erfordern. Mit belkantischen Mitteln werden die Personen charakterisiert: Andromaca oder die heroische Treue, Pirro oder die despotische Macht, Oreste oder der destruktive Wahnsinn, Ermione oder die entfesselte Liebe.

    Von Haydn, aber auch von den Orchesterwerken Mozarts und Beethovens übernimmt Rossini den Sinn für die Architektur der großen Szenen, von Gluck die dramaturgische Stringenz, von Spontini die Eloquenz des Rezitativs, con Cherubini die Wucht der Leidenschaft.

    Die Gran scena ist eine Vorgängerin der Wahnsinnszenen Bellinis und Donizettis und ist denen in der dramatischen Kraft nicht unterlegen. Das Orchester ist ein Protagonist, der sowohl Ermiones Seelenzustand als auch den Hintergrund des Geschehens (Hochzeitsmarsch für Pirro und Andromache) darstellt. Rossini erlaubt sich das Augenzwinkern einer Anspielung an Mozart: Amata l'amai ist ein Zitat von Tu fosti tradito in La Clemenza di Tito, entwickelt sich aber in eine äußerst verzierte Arie. Die Überleitung zur folgenden Arie ist der Dialog zwischen Ermione und dem hinter den Kulissen singenden Hochzeitschor. Nach Orestes Ankunft kommt es zum Entschluß Ermiones, Pirro durch ihn umbringen zu lassen, der in einer buchstäblich rasenden Stretta erfolgt.

    Das Duettino Fenicio-Pilade, das die Gran scena vom Finale trennt, bietet der Sängerin die Möglichkeit, ihre Kräfte zu sammeln. Es hat aber primär eine dramatische Funktion als retardierender Moment vor dem Schluß. Hier bricht Tottola ein einziges Mal die liaison de scènes, die erforderte, daß von Szene zu Szene wenigstens eine Person auf der Bühne blieb. Pilade hat keine Arie, ist aber als pertichino in Orestes Sortita und in diesem Duett extrem gefordert.

    Das Finale übernimmt die Einleitung der Gran scena, kommt zum scheinbaren Ruhepunkt der Kavatine Parmi che ogni istante, die aber in ein bewegtes Rezitativ mündet. Höhepunkt des recitativo drammatico, der in Orestes Erzählung seines Mords weitergeht, wo zum Rezitativ sich dramatische Koloraturen von Oreste und Ermione vermischen. Die dramatische Spannung des dritten Akts von Otello wird noch überboten. Eine furiose Stretta Ermione-Oreste folgt, bis Pilade mit dem Chor eintrifft und das Drama ein brutales Ende nimmt.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ermione - 3

    Die Rezeption

    Eigentlich gab es keine. Ermione wurde 7mal gespielt (die letzten 2 Aufführungen auf den ersten Akt beschränkt). Das wär's.
    Von Rossini selber gibt es keinen Kommentar; es gab keinen Bericht in der lokalen Presse. Der Mailänder Korrespondent einer Leipziger Zeitung sprach lakonisch und nicht ohne Schadenfreude von einem fiascone, das man versucht hätte, totzuschweigen.

    Über die Gründe des Mißerfolgs wurde gerätselt.
    Das Uraufführungs-Team war wie gewohnt glänzend besetzt:

    Isabella Colbran als Ermione
    Rosmunda Benedetta Pisaroni Andromaca
    Andrea Nozzari Pirro
    Giovanni David Oreste
    Giuseppe Ciccimarra Pilade
    Michele Benedetti Fenicio

    Rossini hatte gefürchtet, das Thema sei zu tragisch. Stendhal, der nicht anwesend war, spricht, von einem Versuch im französischen Stil Glucks zu komponieren und sagt, die Personen streiten sich ständig auf der Bühne. Später hat Rossini gesagt, die Oper habe lediglich aus langweiligen Rezitativen bestanden. Auf Drängen Davids hätte er für ihn die Cabaletta A come mai nascondere komponiert.

    Dies gibt uns einige Elemente. Das Tragische an sich kann kein großes Problem gewesen sein. In Neapel hatte man schon Opern mit tragischem Ende gesehen und gefeiert (sei' nur Rossinis Otello). Allerdings gibt es in Ermione kein ruhendes Moment. Kein Liebesduett, auch kein "kontemplatives Ensemble" - was wohl Stendhal zu seiner Bemerkung geführt hat. Rossinis ironischer Kommentar weist auch darauf, daß die traditionellen Strukturen in Ermione gebrochen sind. Es gibt eigentlich kein abgeschlossenes Showpiece - abgesehen eventuell von der Cabaletta des Oreste, die zu einer beliebten aria di baule geworden ist - eine Arie, die der Sänger sozusagen parat im Koffer (baule) hatte, um sie im gegebenen Fall einzusetzen.

    Die Tatsache, daß nicht einmal im Giornale delle due Sicilie ein Kommentar gedruckt wurde, ist vielleicht ein Indiz dafür, daß der Mißerfolg nicht Rossini alleine angekreidet werden konnte und daß die Truppe des San Carlo teilweise Schuld an der Misere gewesen sein könnte. Dies kommt daher, daß die Anforderungen an die Sänger extrem sind.

    Pirro ist als die schwierigste Tenor-Rolle beschrieben worden. Eine typische Nozzari-Rolle mit extrem breiter Tessitura, viel coloratura di forza und eine lange Szene im ersten Akt, die dann ins Finale mündet.
    Oreste war für David auch herausfordernd. Dort konnte der tenore contraltino seine coloratura di grazia nur bedingt einsetzen, da sie nicht richtig in die Rolle paßt. Deshalb wohl der Wunsch für eine Cabaletta, wo er sich im besten Licht zeigen konnte.
    Andromaca ist eine Alt-Rolle, die viel vom tiefen Register verlangt, aber auch viel legato.
    Ermione selber war vielleicht für Colbran doch zu viel (und kein Blatt in Neapel hätte sie offen kritisieren dürfen, da sie eine protégée vom König war). Gewöhnlich gab ihr Rossini die Möglichkeit, ihre Stimme aufzuwärmen. Hier tritt sie zuerst im Duett mit Pirro auf, wo sie schon Dezim- und Quatuordezimsprünge bewältigen muß. Im zweiten Akt muß sie alle ihre technischen und darstellerischen Fähigkeiten zeigen, ohne dafür den Beifall richtig ernten zu können.

    Ein weiterer Grund war vielleicht ein politischer. In dieser Oper wird der König ermordet, das Volk rebelliert nach dem Mord des Herrschers, der Mörder, ein Prinz königlichen Blutes, wird wahnsinnig abgeführt und die Prinzessin, die das Desaster zu verantworten hat, bleibt am Ende alleine und bewußtlos auf der Bühne. Schwer, darin eine Moral zu finden, die man zur Verherrlichung der neapoletanischen Bourbonen biegen könnte. In den früheren Adaptationen von Andromaque heiratete Pyrrhos entweder Andromache oder Hermione und die gesellschaftliche Ordnung war wiederhergestellt.

    Rossini hat Teile von Ermione in anderen Opern wiederverwendet (im Centone Eduardo e Cristina und in Le Siège de Corinthe u.a.), hat sich aber geweigert, die Oper für die französische Bühne zu adaptieren. Er soll Escudier gesagt haben, sie sei "für die Nachwelt komponiert worden".

    Tatsächlich wurde sie erst 1977 in Siena konzertant wieder aufgeführt, dann 1986 konzertant in Padua, endlich 1987 szenisch in Pesaro mit Caballé in der Titelrolle, die sie dann auch in Neapel und Madrid sang. In den 90ern war Anna Caterina Antonacci Ermione in Rom, London, Buenos Aires, Glyndebourne. Alexandra Pendatchanska sang sie 2000 in Santa Fe und 2004 in New York, Nelly Miricioiu 1995 in Brüssel und 2004 in London. In Pesaro wurde sie erst 2008 wieder aufgeführt (mit Sonia Ganassi), in den letzten Jahren wurde sie von Angela Meade in La Coruna, Lyon, Paris und zuletzt Neapel verkörpert.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ermione - die Aufnahmen (CD)

    Die Ernte ist nicht groß: offiziell sind 2 CD und 2 DVD Aufnahmen verfügbar.
    Dazu gibt es ein paar Mitschnitte.

    Die erste CD Aufnahme folgte der konzertanten Aufführung in Padua und hat deshalb (wie bei Mosè in Egitto und Maometto secondo) vor der ersten Bühnenaufführung in neuer Zeit stattgefunden.

    Monte Carlo 1986 mit
    Ermione: Cecilia Gasdia
    Andromaca: Margarita Zimmermann
    Pirro: Ernesto Palacio
    Oreste: Chris Merritt
    Pilade: William Matteuzzi
    Fenicio: Simone Alaimo
    Attalo: Mario Bolognesi
    Cleone und Cefisa: Elisabetta Tandura

    Philharmonischer Chor Prag (Einstudierung Josef Veselka)
    Philhamonisches Orchester Monte Carlo.
    Leitung: Claudio Scimone

    Diese Aufnahme wurde realisiert, bevor die kritische Ausgabe entstand. Deshalb ist sie etwas verkürzt, was eigentlich nicht das Hauptproblem ist.
    Scimone kann ein Orchester dirigieren, nur steht er mit dem Tempo auf Kriegsfuß. In lyrischen Momenten ist er oft zu träge, in dramatischen zu hastig. Schon die Ouvertüre ist gehetzt; Cabalette und Strette werden in der Regel so beschleunigt, daß sie für die Sänger unkomfortabel sind und daß der Eindruck eines unaufhaltsamen Schicksals total verspielt wird. Manch ein Cantabile wird hingegen so verlangsamt, daß der Lauf des Schicksals total ins Stocken gerät.

    Margarita Zimmermann wird am meisten von der Beschleunigungstaktik benachteiligt. Ihre Koloraturen in der Introduktion klingen wie gebellt.
    Matteuzzi ist fast ein Luxus-Pilade und bewältigt seine Ausgabe gut.
    Merritt verfügt über die hohen Noten Orestes, nur sind sie nicht in seiner Komfortzone. Es ist eher für Baritenore-Rollen prädestiniert und wird tatsächlich ein großer Pirro werden. Dort wird er die Autorität haben, die für Oreste nicht erfordert wird. Immerhin bewältigt er seinen Part beachtlich.
    Ernesto Palacio hat diese Autorität hingegen nicht. Er kompensiert durch Musikalität, kommt aber hörbar an seine Grenzen an beiden Enden der Tessitura. Es sind keine Raketen-acuti von ihm zu erwarten (die eine Spezialität Merritts als Pirro sind); stilistisch ist er immerhin tadellos.
    Ceciia Gasdia hat viele Colbran-Rollen übernommen und war oft eine Notlösung. Solche Notlösungen möchte man gerne haben! In der Koloratura schlägt sie sich ziemlich gut - und wird von Scimone nicht gerade unterstützt. Was ihr fehlt ist die Kraft und auch die Sicherheit im tiefen Register, was sie gelegentlich durch Transponierungen löst. Sie wurde als "bonsai-Ermione" bezeichnet, was nicht ganz falsch ist.

    Im Endeffekt eine Aufnahme, die wenig von der Größe dieser Oper vermittelt.

    Die zweite Aufnahme ist auch eine Studio-Aufnahme und wurde auch im Zusammenhang mit einer konzertanten Aufführung realisiert.

    London 2009 mit
    Ermione: Carmen Giannatasio
    Andromaca: Patricia Bardon
    Pirro: Paul Nilon
    Oreste: Colin Lee
    Pilade: Bülent Bezdüz
    Fenicio: Graeme Broadbent
    Attalo: Loic Felix
    Cefisa: Victoria Simmons
    Cleone: Rebecca Bottone

    Geoffrey Mitchell Choir (Einstudierung Renato Balsadonna)
    London Philharmonic Orchestra
    Leitung: David Parry

    Hier wird die kritische Ausgabe verwendet.
    David Parry ist in seiner Tempowahl glücklicher als Scimone. Nur ist er nicht besonders raffiniert und manch ein Auftritt der Bläser wirkt alles andere als fürstlich (im Hochzeitsmarsch z.B.). Der Chor ist nicht besonders gut; er vermasselt bereits die Ouvertüre. Dazu ist es Renato Balsadonna ihm nicht gelungen, ein annehmbares Italienisch beizubringen.
    Patricia Bardon verfügt über die nötige Agilität, sie ist aber etwas kleinkalibrig für Andromaca. Ihre tiefen Noten sind angestrengt und sie hat auch nicht die Präsenz, um diese noble Figur darzustellen.
    Colin Lee meistert die Tessitura Orestes eindrucksvoll. Er vermittelt auch die Fragilität des Charakters. Paul Nilon ist auch etwas kleinkalibrig als Pirro. Die Autorität geht ihm abhanden, die hohen Noten sind angestrengt.
    Carmen Giannatasio hat definitiv mehr Präsenz als Gasdia. Ihr Timbre ist aber nicht besonders angenehm (teilweise schwer von Patricia Bardon zu unterscheiden). Ihre aufsteigenden Koloraturen sind erkämpft und an der Grenze des Geschrienen. Sie klingt dadurch fast beständig hysterisch, was der Gran scena nicht zugute kommt. Das Finale, im Duett mit Colin Lee, gelingt ihr besser.

    Mein Exemplar ist teilweise übersteuert (es scheint sich niemand darüber beklagt zu haben, deshalb ist es wohl ein Einzelfall).

    Auch nicht eine Aufnahme, die mich restlos für Ermione begeistert.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ermione - die Aufnahmen (DVD)

    Davon auch zwei. Die erste kommt aus Glyndebourne

    Glyndebourne1995 mit
    Ermione: Anna Caterina Antonacci
    Andromaca: Diana Montague
    Pirro: Jorge Lopez Yanez
    Oreste: Bruce Ford
    Pilade: Paul Austin Kelly
    Fenicio: Gwynne Howell
    Attalo: Paul Nilon
    Cefisa: Lorna Windsor
    Cleone: Julia Unwin

    Glyndebourne Chorus (Einstudierung Christopher Moulds)
    London Philharmonic Orchestra
    Leitung: Andrew Davis
    Inszenierung: Graham Vick

    Die Inszenierung ist klassizistisch-minimalistisch: eine Theaterbühne mit Königsloge auf der Drehbühne, Kostüme, die ich als Empire qualifizieren würde. In der ersten Szene ist die Drehbühne umgedreht, so daß man das Theater nicht sieht, sondern dessen Schattenseite, wo sich die trojanischen Gefangenen befinden. Erscheint das Theater, so werden auch die Kulissen beleuchtet, die Logen darstellen. Für die letzte Szene dreht es sich wieder.
    Die geschickte Inszenierung eines Klassikers. Racine im Empire statt im Grand siècle sozusagen. Die Empire-Kostüme haben eine Art einfacher Eleganz, die gut zum Klassizismus paßt. Am Ende ist selbstverständlich die Eleganz dahin ...

    Schon bei der Ouvertüre weiß Andrew Davis, die Spannung aufzubauen und während der ganzen Vorstellung findet er das richtige pacing. Dazu kommen die Orchesterfarben gut zu Geltung. Die Klangregie der Aufnahme ist auch tadellos. Auf einmal hört man einiges, was mit Scimone und Parry verborgen blieb. Der Chor ist auch viel besser als der Geoffrey Mitchell Choir auf der Opera Rara Aufnahme.

    Jorge Lopez Yanez kenne ich nur von dieser Aufführung. Er ist zwar kein Chris Merritt und erlaubt sich keine waghalsigen vokalen Stunts. Er ist aber durchaus königlich und hat auch keine vokalen Schwächen. In seiner großen - und schwierigen - Szene ist er glaubwürdig als König und auch als Liebender.
    Bruce Ford hat in seiner Karriere mehr Nozzari- als David-Rollen gesungen. Hier ist er ein vollblütiger Oreste, immerhin Botschafter der griechischen Könige und meistert die Tessitura eindrucksvoll, auch wenn er in der Verzierung sparsam ist. Er ist aber auch als junger Liebhaber glaubwürdig und das Duett Oreste-Ermione im ersten Finale, wo er erkennt, daß er Ermione liebt während sie ihn nur mag, ist bewegend.

    Die insgesamt sparsame Verzierung paßt eigentlich ganz gut zum Klassizismus der Inszenierung. Der Fluß der Musik wird nicht durch ausgedehnte Fermate gestoppt, dazu spricht Rossinis Musik für sich und sie ist auch come scritto ausdrucksstark und elaboriert genug.

    Paul Austin Kelly hat vokale und darstellerische Präsenz und zeigt, wie wichtig die Rolle des Pilade ist. Kein bloßer Komparse, sondern im Geschehen involviert.
    Gwyne Howell ist nicht der jüngste, was aber glücklicherweise zur Rolle paßt.

    Diana Montague ist für mich als Andromaca zu ... blond. Sie ist eine englische Lady mehr als eine griechische Adelige. Die arme kann nichts dafür, daß ich Irène Papas in Erinnerung habe. Das ist aber wohl das einzige, das ich ihr vorwerfen kann.
    Anna Caterina Antonacci läßt als Ermione keine Wünsche offen. Nörgler könnten einwenden, daß ihre hohen Noten nicht leuchtend sind. Sie sind aber gesungen und nicht geschrien, dazu muß sie nicht für die tiefen Noten tricksen. Sie ist darstellerisch wie vokal völlig in der Rolle. Ihre Ermione ist je nach Situation liebend, herrisch, verzweifelt, wahnsinnig ... und dazu bewältigt sie als richtiger soprano drammatico d'agilità alle Schwierigkeiten ihrer Rolle.
    Das finale Duett mit Oreste ist darstellerisch wie musikalisch ergreifend.
    Ermione hatte Antonacci vorher in Rom, Buenos Aires und London gesungen, Dazu sagte sie im Interview, die Proben für Glyndebourne seien lang und intensiv gewesen. Man merkt deutlich, daß alle Beteiligten besonders involviert waren.

    Im Endeffekt: wenn nur eine Ermione, dann diese!
    Gute Nachricht für diejenigen, die vom inzwischen hohen Preis geschockt sind: sie ist auf der Tube verfügbar! Und zwar ganz offiziell von Warner hochgeladen:
    https://www.youtube.com/watch?v=DYzRXLKfBAw&t=17s

    Das zweite Video ist jüngeren Datums:

    Pesaro 2008 mit
    Ermione: Sonia Ganassi
    Andromaca: Marianna Pizzolato
    Pirro: Gregory Kunde
    Oreste: Antonino Siragusa
    Pilade: Ferdinand von Bothmer
    Fenicio: Nicola Uivieri
    Attalo: Riccardo Botta
    Cefisa: Cristina Faus
    Cleone: Irina Samoylova

    Kammerchor Prag (Einstudierung Jaroslav Brych)
    Orchestra del Teatro Comunale di Bologna
    Leitung: Roberto Abbado
    Inszenierung: Daniele Abbado

    Die Inszenierung ist auch minimalistisch, nicht weit von einem Update der Glyndebourne-Inszenierung. Eine schräge Bühne, worunter sich die Kerker der Gefangenen befinden, kahle Wände. Moderne Kostüme. Diesmal ist Andromaca auch als Gefangene, nicht als Prinzessin, angezogen. Ich muß sagen, daß ich für solch ein klassisches Thema minimalistische Inszenierungen bevorzuge. Die Bewegungen der Schauspieler sind genauso schematisch wie in Glyndebourne, was nicht negativ sein muß, wurden aber nicht so präzis einstudiert, so daß die Protagonisten oft ihrem eigenen Können überlassen wird, das von gut (Kunde, Pizzolato, Ganassi) bis grenzwertig (Siragusa) oder fast inexistent (von Bothmer) reicht.

    Roberto Abbado dirigiert präzis, nicht überhastet. Er wurde als zu träge kritisiert; ich empfinde es nicht so. Das Orchester ist hörbar mit Rossini vertraut.
    Hier wird marginal mehr als in Glyndebourne verziert, stilistisch passend (keine ohrenbetäubenden sovracuti am Ende der Szenen).

    Von den Comprimari notiert man besonders den guten Attalo von Riccardo Botta. Nicht so gut allerdings die Cleone.
    Ferdinand von Bothmer als Pilade ist eher unbeholfen und, obwohl er alle Noten hat, vermag er weder darstellerisch noch stimmlich, die Akzente zu setzen, die Paul Austin Kelly setzte.
    Marianna Pizzolato entspricht optisch meiner Vorstellung einer Andromaca. Darstellerisch ist sie überzeugend, vokal vielleicht nicht ganz so suverän wie Diana Montague, aber dies und ihr dunkleres Timbre passen gut zu ihrer Rolle.
    Gregory Kunde war eher ein David-Tenor, der mit zunehmendem Alter Nozzari-Rollen übernommen hat. Sein Pirro ist schon ein alternder König, fast ein Idomeneo. Er muß zwar mit seinen vokalen Ressourcen haushalten, tut es aber mit Stil. Er erlaubt sich sogar ein paar extra Acuti, die zwar gestemmt sind aber ins Bild passen. Am Ende seiner großen Szene leider man aber etwas mit ihm. Immerhin schafft er es, eine eigene Darstellung der Rolle rüberzubringen.
    Antonino Siragusa hat sowohl David-Rollen als auch Buffo-Rollen in seinem Repertoire. Die David-Tessitura ist in seiner Komfort-Zone; über die erforderte Agilität verfügt er auch. Für Oreste hat seine Stimme aber kaum den nötigen Körper. Darstellerisch ist er suboptimal; den Applaus nach seiner sortita genießt er sichtbar. Das Duett "lieben/mögen" im ersten Akt ist nicht so träumerisch-nostalgisch wie in Glyndebourne, das hat auch mit Siragusas etwas undankbarem Timbre zu tun.
    Sonia Ganassi ist eine Mezzo-Ermione. Optisch ist sie nicht so verführerisch wie Anna Caterina Antonacci, wird aber -im Gegenteil zu Mosè in Egitto - von der Kostüm-Designerin (Carla Teti) nicht undankbar ausgestattet und dank ihrer Darstellungskunst bleibt sie völlig überzeugend. Ihre Koloraturen sind nicht so flüssig wie Antonaccis (siehe das erwähnte Duett mit Oreste) aber sie bewältigt die Tücken der Partie, auch wenn sie - wie übrigens auch Siragusa - mitten in einem Wort den Atem holen muß. In der Gran scena gelingt es ihr, völlig anders als Antonacci, die unterschiedlichen Stimmungen überzeugend auszudrücken, im Finale glaubt man fast, die Anwesenheit des Geistes Callas' zu spüren. In beiden Szenen paßt allerdings Siragusas Timbre gut zu ihrer Darstellung.

    Im Endeffekt: wenn man nur eine Ermione kaufen muß, dann diese! (Glyndebourne hat man umsonst auf der Tube ;) ).

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ermione - Live Mitschnitte

    Der Mitschnitt der Pesaro-Aufführungen von 1987 hat Kult-Status erworben.
    Davon gibt es eigentlich mehrere Mitschnitte. Am besten schaut man sich die Fernseh-Aufnahme an:

    https://www.youtube.com/watch?v=va85UZR86Zw
    https://www.youtube.com/watch?v=sFLANSQXPv4

    Ermione: Montserrat Caballé
    Andromaca: Marylin Horne
    Pirro: Chris Merritt
    Oreste: Rockwell Blake
    Pilade: Giuseppe Morino
    Fenicio: Giorgio Surian
    Attalo: Enrico Facini
    Cefisa: Paola Romano
    Cleone: Daniela Lojarro

    Coro di radio di Budapest
    Orchestra giovanile italiana
    Leitung: Gustav Kuhn
    Inszenierung: Roberto di Simone

    Es ist der Mitschnitt der Generalprobe vor geladenen Gästen. Dies erklärt das gute Benehmen des Publikums.
    Die Inszenierung versucht, "traditionell" zu sein. Eigentlich hat man hier eher Rokoko als Klassizismus, eine Dekorationsorgie mit opulenten Kostümen, die den Stil der Oper nicht trifft (ach, die schönen Mädel, die sich Bälle zuwerfen, während der Chor vor Ermiones Auftritt singt). Für eine dekorative Barock-Oper würde es gehen, für eine antike Schicksalstragödie nicht.
    Die Sänger bewegen sich sozusagen maskenballgerecht, bis auf die Titelheldin ... darüber mehr.

    Für diese erste szenische Aufführung seit 1819 hatte man ein besonderes Team zusammengesetzt.
    Giuseppe Morino und Giorgio Surian, solide Pesaro-Tragsäulen der 80er, sind in ihren Rollen exzellent.
    Marylin Horne was schon leicht über ihren Zenith. Die Homogenität der Register ist nicht mehr so gut, ab und zu gestattet sie fragwürdige Verzierungen, aber ihre Musikalität ist geblieben und es gelingt ihr, ihre Rolle zu gestalten.
    Chris Merritt und Rockwell Blake waren die Nozzari und David jener Tage. Sie zeigen ihre brillante Virtuosität, gestatten sich sovracuti und extreme Verzierungen. Merritt ist ein absoluter herrischer Pirro, Blake ist schon over the top als Oreste. Man bewundert restlos seine stimmlichen Möglichkeiten, fragt sich aber, ob sie tatsächlich zu der Rolle passen.

    Dazu muß man sagen, daß das ganze von Kuhn gar nicht kontrolliert wird. In der Ouvertüre wird man zuerst positiv überrascht, der Eindruck bleibt aber nicht lange. Es wird al fresco dirigiert und die Sänger nützen es restlos aus.
    Bleibt die Caballé. Sie auch war schon über ihren Zenith hinaus, besonders, was bel canto betrifft. Dazu war sie nie eine, die durch akribische Studie der Partitur glänzte und sehr beweglich war sie nicht mehr.
    Sie nimmt hieratische Posen, was noch einigermaßen Ok ist, aber nicht unbedingt zum Rest paßt.
    Das wäre aber noch das kleinere Übel. Schöne lyrische Linien hat sie noch, ihr Timbre und manches pianissimo auch - und das wär's. Der Text ist Glückssache - schon odio Pirro, odio Oreste, odio me stessa kriegt sie nicht richtig. Im ersten Akt kriegt sie noch die Musik irgendwie zusammen, ab der Gran scena singt sie ihre eigene Version, die eher nach Tosca als nach Ermione klingt. Die Duette mit Rockwell Blake haben etwas Abenteuerliches.

    Bei der Generalprobe hat das Publikum höflich geklatscht, bei der Premiere und später gab's kräftige Buhs, die das ganze noch destabilisiert haben.

    Ein historisches Dokument ist es allemal.

    Zum Glück gibt es andere Mitschnitte. Ein Video-Mitschnitt aus Madrid mit Caballé ist nicht unbedingt zu empfehlen, außer daß Zedda am Pult ist.

    1991 wurde Ermione in Rom gegeben.

    Ermione: Anna Caterina Antonacci
    Andromaca: Gloria Scalchi
    Pirro: Chris Merritt
    Oreste: Rockwell Blake
    Pilade: Luca Canonici
    Fenicio: Stefano Rinaldi-Milioni
    Attalo: Mario Buffoli
    Cefisa: Laura Musella
    Cleone: Bernadette Lucarini

    Ochestra e coro dell'opera di Roma
    Leitung: Evelino Pidò
    Inszenierung: Hugo de Ana

    Ein Audio-Mitschnitt ist vorhanden:
    https://www.youtube.com/watch?v=v2dzwqw5Pos&t=3s
    Einen Video-Mitschnitt gibt es auch, allerdings in schlechter Qualität. Dazu war Chris Merritt erkrankt und wurde durch Enrico Facini (den Attalo in Pesaro) ersetzt, weshalb der erste Teil von Balena in man del figlio gestrichen wurde.
    Zwei der Negativpunkte von Pesaro fallen weg: Kuhn und Caballé. Antonacci ist vielleicht noch nicht ganz in der Rolle angekommen, dafür hat man hier richtiges Theaterblut. Merritt und Blake ziehen alle Register - und ziehen gelegentlich übers Ziel hinaus. Merritts Raketen sind nicht immer zielsicher. Blake ist zwar vokal herausragend, Subtitlität war aber nie seine Stärke und Orestes ist auch ein fragiler Charakter, was Blake nicht richtig darstellen kann. Gloria Scalchi ist auch ungebändigt. Im Endeffekt, es war sicher ein formidabler Theaterabend, eine Ermione für die Ewigkeit es wohl doch nicht.

    Antonacci sang die Titelrolle 1992 wieder in London

    Ermione: Anna Caterina Antonacci
    Andromaca: Judith Forst
    Pirro: Keith Lewis
    Oreste: Bruce Ford
    Pilade: Jaczek Laszcwowski
    Fenicio: Peter Sidhom
    Attalo: Mario Buffoli
    Cefisa: Julie Gossage
    Cleone: Anne Durbic

    New Company Choir- Orchestra of the Age of Enlightenment
    Leitung: Mark Elder

    Mitschnitt hier:
    https://www.youtube.com/watch?v=P_psbmUCeSU&t=162s

    Es war eine konzertante Aufführung, wie diejenigen, die zu den Aufnahmen von Scimone und Parry geführt haben, aber hier zeigt das OAE unter Elder eine Klangkultur, die man bei den beiden vermißt. Die Mischung der Timbres zwischen Sängern und Solo-Instrumentisten läßt öfter aufhorchen.
    Dazu ist die Sängerriege mehr als ordentlich. Antonacci hat gegenüber Rom an Sicherheit gewonnen, Keith Lewis ist eher der verliebte König als der autoritäre Herrscher, gewinnt aber seiner Rolle unerwartete Nuancen. Ford wie gehabt weniger exuberant als Blake, dafür aber glaubwürdiger.

    Hätte man nicht Glyndebourne mit Bildern, würde man sich wohl kaum mehr wünschen, außer ...

    Brüssel 1995
    Ermione: Nelly Miricioiu
    Andromaca: Patricia Spence
    Pirro: Chris Merritt
    Oreste: Bruce Ford
    Pilade: Stanford Olsen
    Fenicio: Umberto Chiummo
    Attalo: Mario Buffoli
    Cefisa: Penelope Walker
    Cleone: Rachele Stanisci

    Orchestre et choeur du Théâtre Royal de la Monnaie
    Leitung: Steven Mercurio

    Mitschnitt hier: https://www.youtube.com/watch?v=Ax3aixuuqfM

    Schon wird man vom düsteren Ton der Ouvertüre berührt. Mercurio dirigiert hier eine Tragödie und, obwohl es wieder eine konzertante Aufführung war, ist die dramatische Spannung von Anfang da. Ein Glücksfall: der Dirigent hat im Unterschied zum Theater alles unter direkter Aufsicht, dabei zeigen alle Aufführenden genausoviel Engagement als auf der Bühne. Chris Merritt ist nicht mehr ganz in Höchstform, deshalb wagt er nicht so viel, aber er ist immer noch ein brillanter Pirro. Ford kennt man inzwischen. Stanford Olsen als Pilade ist auch Extra-Klasse. Patricia Spence ist allen anderen ebenbürtig.
    Über allen steht aber Nelly Miricioiu. Nicht nur eine glühende Ermione, technisch ist sie in Höchstform. Man denkt oft an Callas hier. Sie leistet sich Verzierungen und sovracuti, die aber im Unterschied zu ihrer durch Scimone dirigierten Armida, nicht als Stunt herauskommen, sondern dramatisch sinnvoll sind. Wie sie die unterschiedlichen Gefühle in ihrer Gran scena vokal darstellt, ist verblüffend.
    Es wird insgesamt mehr verziert als in Glyndebourne, dies aber stilsicherer als in Rom.

    Hätte man davon eine professionelle CD-Ausgabe, wäre sie wohl konkurrenzlos.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Hätte man davon eine professionelle CD-Ausgabe, wäre sie wohl konkurrenzlos.

    Dank Dir , lieber Philbert , für Deine - fast hätte ich geschrieben : konkurrenzlosen - Einführungen in mir unbekannte Rossini-Opern . Aber es sind ja auch zugleich Heranführungen , denn ich bin in der tube bei der Brüsseler Aufführung "hängengeblieben" und habe mich nur eben nach über 50 Min. mit Köstlichkeiten mannigfaltiger Art versorgt , um jetzt gleich weiter zu hören . Ideal an einen verregneten Nachmittag !

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Ermione als Stream

    Bis zum 08.05.2020 ist eine Auffühung (2019) von Ermione aus dem Teatro di San Carlo in Neapel hier als Stream zu sehen:

    Ermione

    Die musikalische Leitung hat Alessandro De Marchi und die Inszenierung ist von Jaqcopo Spirei.
    Deutsche Untertitel sind zuschaltbar.

    Ermione: Angela Meade
    Andromaca: Teresa Iervolino
    Pirro:John Irvin
    Oreste: Antonino Siragusa
    Pilade: Filippo Adami
    Fenicio: Guido Loconsolo
    Cleone: Gaia Petrone
    Cefisa: Chiara Tirotta
    Attalo: Cristiano Olivieri
    Chor: Teatro di San Carlo
    Orchester: Teatro di San Carlo


    Gruß
    Josquin

  • Ricciardo e Zoraide - 1

    Zurück zum 03.12.1818, als Ricciardo e Zoraide auf die Bühne ging.

    Es ist wohl die am wenigsten Bekannte unter Rossinis Neapel-Opern. Als Librettist fungierte wieder der Marchese Berio di Salsa, dem wir Otello verdanken. Die Story entnahm er diesmal einer Parodie auf die beliebten Ritter-Epen wie Orlando innamorato und Orlando furioso. Mehr darüber später.

    Dramatis personae:

    Agorante König von Nubien, unerwidert verliebt in Tenor
    Zoraide Tochter des Ircano, verliebt in Sopran
    Ricciardo christlicher Ritter, in Zoraide verliebt Tenor
    Ircano Herr über einem Teil Nubiens Bass
    Zomira Agorantens Gemahlin Alt
    Ernesto Botschafter des christlichen Lagers Tenor
    Fatima Vertraute der Zoraide Mezzosopran
    Elmira Vertraute der Zomira Mezzosopran
    Zamorre Vertrauter des Agorante Tenor

    Dienstboten im Serail
    Edeldamen am Hofe Zomiras
    Adelige am Hofe des Agorante
    Ritter im Gefolge des Ricciardo
    Krieger des Agorante
    Volk


    Die Handlung (Vorsicht: die in einem gewissen T-Forum dargestellte Handlung ist nicht 100%ig richtig)

    Die Handlung findet in Dongala, der Hauptstadt Nubiens, statt.

    Agorante, mit Zomira verheirateter König Nubiens, hat sich in Zoraide, Tochter seines Vasallen Ircano verliebt. Da Ircano ihm die Hand Zoraides verweigert, greift ihn Agorante an und vertreibt ihn. In den Wirren des Kriegs stößt Zoraide auf Ricciardo, einen der mutigsten Ritter Karls des Großen und beide verlieben sich augenblicklich. Als er erfährt, daß Zoraide im Lager der Christen Zuflucht gefunden hat, schickt Agorante dort ein Entführungskommando. Die Oper beginnt ....

    Erster Akt

    Die Krieger Agorantes feiern den Sieg über Ircano. Voll im Glanz seines Ruhms fordert der König das um Ricciardo gesammelte europäische Bündnis heraus und verspricht ihm eine bittere Niederlage. Dann kündigt er seiner Gemahlin Zomira ab, dass er sich von ihr trennen will, da er in Zoraide unsterblich verliebt ist. Zomira ist darüber erzürnt und Zoraide verzweifelt.
    Agorante beschließt, einmal für allemal Ricciardo loszuwerden.

    Da kommt aber Ricciardo, der sich als Afrikaner verkleidet hat. Mit ihm sein Freund Ernesto, der sich als Botschafter des christlichen Lagers gibt. Er rät Ricciardo zur Besonnenheit, ist aber bereit, ihm bis ins Lager des Feindes zu folgen. Die mißtrauische Zomira befiehlt Elmira, Zoraide zu beobachten.

    Ernesto verlangt von Agorante die Freilassung Zoraides und der mit ihm gefangen genommenen Ritter. Der hochmütige König erwidert, er werde die Krieger freigeben, nicht aber Zoraide. Ernesto erklärt dann das Scheitern der Verhandlungen.
    Agorante versucht, Zoraide zu beschwichtigen und sie von seiner Liebe zu überzeugen. Sie ist aber unnachgiebig und verweist auf die Trauer um ihren Vater.
    Da Agorante nicht einlenken will, bedeutet es ein Wiederaufflammen des Krieges.

    Zweiter Akt

    Der verkleidete Ricciardo kommt zu Agorante und bittet ihm um Unterstützung gegen ... Ricciardo, der seine Frau entführt haben soll. Der König sieht darin die Gelegenheit, Zoraide davon zu überzeugen, dass Ricciardo ihrer Liebe nicht würdig ist: wenn sein neuer Freund sie von Ricciardos Falschheit in Kenntnis setzt, wird sie sich Agorante zuwenden. Er befürwortet denn ein Treffen Zoraides mit seinem neuen Freund.
    Beide treffen sich - heimlich von Elmira beobachtet. Ricciardo enthüllt Zoraide seine richtige Identität und seine Befreiungspläne. Er rät ihr, sich Agorante freundlich zu zeigen.

    Trotzdem sagt Zoraide dem verliebten Agorante, sie möchte gehen, um ihren Vater zu suchen. Zur Verzweiflung des "Afrikaners" droht er, sie in den Kerker zu werfen. Ihr Schicksal wird in einem Zweikampf entschieden. Will keiner für sie kämpfen, muss sie sterben.

    Ein unbekannter Verteidiger erscheint unerwartet: es ist der verkleidete Ircano, Zoraides Vater. Agorante lässt mitteilen, dass er gegen seinen Freund den "Afrikaner" kämpfen wird.
    Unterdessen erklärt Elmira Zomira die richtige Identität des Afrikaners: es ist der verkleidete Ricciardo.

    Zomira sinnt auf Rache: sie geht zu Zoraide und rät ihr, mit Ricciardo zu fliehen, der inzwischen Ircano besiegt hat. Dann eilt sie zu Agorante, um ihm davon zu berichten.
    Ricciardo und Zoraide werden festgenommen und zum Tode verurteilt. Der erkannte Ircano teilt ihr Schicksal.
    Zoraide erklärt sich bereit, Agorante ihre Hand zu geben, wenn das Leben Ircanos verschont wird. Gleichwohl wird ihr Herz ihm nie gehören.
    Ernesto stürmt aber mit dem christlichen Heer in Dongala und vertreibt Agorantes Krieger. Großmütig vergibt Ricciardo allen, gibt Zoraide ihrem Vater wieder, der sich genauso großmütig zeigt, so daß am Ende die Lebenden vereint und alle glücklich werden.

    Musikalische Struktur:

    Akt 1

    • 1 Sinfonia und Introduktion Cinto di nuovi allori (Chor)
    • 2 Rezitativo und Cavatina Popoli della Nubia - Minacci pur, disprezzo (Agorante)
    • 3 Chor Quai grida! (Zoraide, Fatima)
    • 4 Duett Invan tu fingi, ingrata (Zomira, Zoraide)
    • 5 Terzett Cruda sorte! (Zoraide, Agorante, Zomira, Coro)
    • 6 ChorChe recate?
    • 7 Cavatina con pertichini S'ella m'è ognor fedele (Ricciardo, Ernesto)
    • 8 Chor Se al valor compenso promesso
    • 9 Finale I Cessi omai quel tuo rigore (Agorante, Ricciardo, Ernesto, Zoraide, Coro, Zomira)

    Akt 2

    • 10 Duett Donala a questo core (Agorante, Ricciardo)
    • 11 Duett Ricciardo! Che veggo? (Zoraide, Ricciardo)
    • 12 Quartett Contro cento e cento prodi (Ircano, Agorante, Ricciardo, Zoraide, Coro)
    • 13 Szene und Arie Più non sente quest'alma dolente (Coro, Zomira)
    • 14 Chor Il tuo pianto, i tuoi sospiri (Zoraide)
    • 15 Chor, Gran Scena und Finale II Qual giorno, ahimè, d'orror - Salvami il padre almeno - Sorpresi, traditi - Or più dolci intorno al core (Coro, Zoraide, Ricciardo, Ircano, Agorante, Zomira, Ernesto)

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ricciardo e Zoraide 2 - das Libretto

    Rossini selber als Ricciardo e Zoraide in einem Brief an seine Mutter als "gutes Libretto" gekennzeichnet (zusammen mit Ermione).
    Wenn man sich die Handlung anschaut, fühlt man sich in die Welt der barocken Opera seria zurückversetzt. Unerwiderte Liebe, Verkleidungen ... lieto fine in extremis ...
    Die Rittergeschichten um Orlando, Ruggiero, Angelina ... waren damals in unterschiedlichen - und unzähligen - Adaptationen auf die Bühne gebracht worden.

    Dabei handelt es sich in Ricciardo e Zoraide doch auch um eine Art Experiment und deshalb sollte es uns nicht wundern, dem Marchese Berio di Salsa wieder zu begegnen.

    Am Anfang steht Niccolò Forteguerri, geboren am 06.11.1674 im toskanischen Pistoia. Der drittgeborene Sohn eine Familie aus dem niedrigen Adel sollte eine Laufbahn im Schoße der Kirche antreten . Wegen der Beziehungen seiner Familie u.a. zu Papst Clemens XI konnte er es schon ziemlich weit bringen. Allerdings hatte er auch literarische Ambitionen. Irgendwann merkte er aber, dass seine Erfolge auf dem Gebiet der Belletristik eher seiner Beziehungen als der Anerkennung seines Werts zu verdanken waren, während er auch als Auge der Kirche in literarischen Kreisen benutzt wurde.
    Er erhoffte sich eine Promotion zum Kardinal, die aber nicht kam.

    Als er merkte, dass er für immer zur zweiten Reihe gehören werde, fing er an, satirische Verse zu schreiben, u.a. den Ricciardetto, in dem er die Ritterromane parodierte und mit Seitenhieben auf das katholische Establishment versah. Als er 1735 starb, war Ricciardetto sozusagen im Underground bekannt. Forteguerri wollte ihn nicht veröffentlichen lassen.

    Der satirische Versroman erschien 1738 in Venedig (fälschlicherweise als Paris angegeben) unter dem Pseudonym Niccolò Carteromaco und wurde sofort auf den Index gesetzt. Eine verbesserte Ausgabe erschien 1813 in Mailand.
    So bekam Forteguerri den posthumen Ruhm eines Anti-Establishment Autors (würde man heute sagen) und Ricciardetto fand eine weite Verbreitung in mehreren Sprachen, obwohl der literarische Wert nicht unumstritten blieb.

    Forteguerri teilte immerhin mehrere Ideen der Aufklärung - er hatte sich z.B. für die Nominierung zweier chinesischen Bischöfe eingesetzt. 1818 war die mailändische Ausgabe noch brandneu (noch 1828 scheiterte eine Ausgabe von Forteguerris Reisememoiren daran, dass sein Ruhm eher in antiklerikalen Kreisen fundiert war).

    Der einzige Indiz, den wir haben, ist der Brief, in dem Rossini die Libretti zu Ricciardo und Ermione in einem Zug erwähnt. Man kann sich aber fragen, ob nach dem Erfolg von Mosè in Egitto, wo Rossini weitere Seiten seines Talents gezeigt hatte, in den Intelligentsia-Kreisen von Neapel nicht der Plan gekeimt wäre, zwei weitere neue und gegensätzliche Aspekte zutage zu fördern: die klassische Tragödie (Ermione) und die Satire (Ricciardo). Trotz dessen Erfolges war Ricciardetto bislang noch nicht als Vorlage zu Oper gemacht worden. Dieses Vorhaben war wegen Forteguerris Ruf schon fast avantgardistisch. Neapels Intellektuellen haben wohl gedacht, dass Rossini der geeignete Musiker dafür war. Als Librettist war der Marchese Berio di Salsa, der bereits Shakespeare für den San Carlo schmackhaft gemacht hatte, wohl prädestiniert.

    Allerdings war es keine einfache Aufgabe. Das Stück konnte keine seichte commedia sein. Berio hat eine Episode aus dem Roman herausgenommen, wo die Burleske nicht zu offenkundig ist und hat sie reichlich ausgeschmückt. Er hat auch Namen geändert. Ricciardetto hat dabei seinen Deminutiv eingebüßt und ist zu Ricciardo befördert worden. Forteguerris Vorliebe für exotische Länder ist geblieben. Man fragt sich, was die Ritter Karls des Großen in Nubien zu suchen hatten, dazu wird uns erzählt, dass Ircano asiatischer Herkunft ist.

    Wie bei Otello muss man aber feststellen, dass Berios Theatersprache noch reichlich metastasianisch geblieben ist und bedauern, dass Berio nicht der geborene Theaterautor war - im Unterschied etwa zum späteren Arrigo Boito. Die Handlung ist verworren, die Personen bleiben schematisch, der Ausdruck schablonenhaft (ganze Sätze sind wohl im Copy-Paste-Verfahren entstanden). Viele Anspielungen, die damals herausgedeutet oder vermutet waren (erst in den 1870ern wurde der Roman entschlüsselt, aber selbstverständlich liefen die Spekulationen auf Hochtouren), sind für uns irrelevant oder unzugänglich. Immerhin hatte sich König Ferdinand nach dem Tod seiner Frau 1814 mit seiner Mätresse morganatisch vermählt und ihm wurden unterschiedliche Liebesaffären zugedichtet (u.a. mit Isabella Colbran, der prima donna des San Carlo). Die eigentliche Hauptfigur der Oper ist Agorante, der genauso erfolgreich im Krieg wie unbeständig in der Liebe ist.

    Glücklicherweise war Rossini mit der Komposition anvertraut und er konnte hier seiner Experimentierfreude freien Lauf lassen. Vorhin hatte er bereits einen Ritter-Epos vertont (Armida) aber auch schon Erfolge in der Kombination vom Ernsten und Komischen gehabt (La Cenerentola, La gazza ladra, beide im Jahr 1817).

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ricciardo e Zoraide 3 - die Musik

    Rossini sah sich vor eine besondere Aufgabe gestellt: eine Opera seria, die auf einem satirischen Text basiert. Zwar war die Vorlage behutsam entschärft worden, aber, genauso wie man bei Armida davon ausgehen konnte, dass das Publikum mit Tasso vertraut war, so konnte man hier davon ausgehen, das Forteguerri bekannt war.
    Die traditionelle opera seria mit Rittergeschichten und herbeigezaubertem lieto fine hatte 1818 in Neapel schon etwas von einem Auslaufmodell. Rossini hat's kräftig updated.
    Es fängt mit der Ouvertüre an.
    Sie beginnt langsam, majestätisch in c-moll. Eine Überleitung an der Flöte führt zu einem Marsch, der dem Marsch der Armida-Ouvertüre verwandt ist (die andere Rittergeschichte). Allerdings wird dieser Marsch von der banda sul palco gespielt! Von der Blaskapelle hinter dem Vorhang. Nicht nur diese Spatialisierung der Musik ist neu, auch die Tatsache, dass die Kapelle das Thema bringt und das Orchester echo-mäßig antwortet. Als hätte die Oper bereits hinter dem Vorhang angefangen und das Orchester würde sich hineinschleichen. Es kommt dann eine Pantomime für Horn, Klarinette und Flöte, eine Art instrumentale Konversation, bis der Marsch mit voller Kraft zurückkommt und übergangslos in den ersten Chor einmündet.

    Die Spatialisierung der Musik wird man in der Oper wiederholt erleben: die Banda sul palco wird zum ersten Mal so intensiv in eine Oper eingesetzt. Dazu ist der Chor mehrmals unterteilt mit Distanz-Effekten.
    Auch die Klanggestaltung ist sogar für Rossini extrem raffiniert. Oft kommentieren Solo-Instrumente das Geschehen, wie man es schon in Armida bemerkt hat und es in buffa-Opern auch geschah.

    Raumeffekt gleich nach der ersten Szene: dem Jubelchor der Krieger folgt der intime Chor der Hofdamen um Zoraide, vom sonnigen Heldenplatz kommt man direkt ins verdunkelte Innere des Palastes.

    Weitere Neuigkeit im ersten Duett. Es fängt ganz traditionell an, Sopran und Alt werfen sich gegenseitig Unannehmlichkeiten an den Kopf. Da kommt eine modulierende Überleitung, an die sich Bellini erinnern wird, als er im Duett Romeo-Giulietta von der gesellschaftlichen Rivalität zur Intimität der Gefühle übergehen wird. Diese schöne Modulation bringt tatsächlich ein Liebesduett reinsten Wassers mit eingeflochtenen Holzbläsern. Nur dass beide Damen sich gar nicht versöhnt haben, sondern von "arrogantem Hochmut" und Mißtrauen singen! Ein Distanzierungseffekt (die Melodieführung macht sicher, dass die Worte beider Damen verständlich sind), den Rossini von Mozart hätte übernehmen können.

    Das folgende Terzett, Cruda sorte, amor tiranno (Berio hat diese Worte aus L'Italiana in Algeri kopiert, Bequemlichkeit oder ironischer Wink?) bringt ein weiteres Buffa-Element, das damals der italienischen opera seria fremd war: die Fragmentierung des Diskurses. Eine musikalische Phrase wird über die drei Protagonisten verteilt: die Konversation findet innerhalb des musikalischen Duktus statt (und Solo-Instrumente mischen sich ein, wie in bekannten Buffa-Finali).

    Die Musik erzählt ihre eigene Geschichte. Dazu gehören die sorgfältig ausgearbeiteten Rezitative, dazu gehören auch die Schattierungen der Harmonie. Es ist für Rossini eine Art zu zeigen, dass man das ganze nicht allzu ernst nehmen soll. Etwas Ähnliches hatte er schon in Torvaldo e Dorliska gemacht. Dort aber ging es um eine deklarierte opera semiseria mit offenen Buffo-Momenten; dazu hatte er damals weder Sänger noch Instrumentisten vom Kaliber des San Carlo-Ensembles. In Ricciardo e Zoraide bleibt alles formell eine höchst virtuose opera seria. Es gibt zwar nur 4 Solo-Arien - darunter eine aria di sorbetto für Zomira; die Rolle war damals von Rosmonda Pisaroni gesungen, die noch nicht ganz in die Truppe integriert war - aber sie sind wie gewohnt sehr anspruchsvoll, wie auch die Ensembles. Keine komischen Effekte, nur eine leicht amüsierte Verfremdung.

    Mozart begegnet uns hier und wieder: Der Chor der Krieger (Nr 8), der Agorantes Mut preist, hat etwas von Non più andrai farfallone amoroso (Dort die Stelle Delle belle turbando il riposo - ich tendiere zu glauben, dass es nicht zufällig ist). Das erste Finale beginnt mit einer Tenor-Melodie (cessi ormai questo rigore, die bei Bellini zu A te, o cara werden sollte), die zu einem "falschen Kanon" à la Così fan tutte entwickelt wird - und dann weiter zu einem mehrstimmigen "Rossini-Ensemble", wie z.B. das Nonett in Ermione, das auch eine Buffa-Vergangenheit hat. In confusa, smarrita höre ich eine Antwort auf Tradito, schernito - aber hier würde ich dafür meine Hand nicht ins Feuer legen.

    Im zweiten Akt versucht der verkleidete Ricciardo Agorante davon zu überzeugen, dass er (R.) mit Zoraide sprechen muss, um sie von der Falschheit Ricciardos in Kenntnis zu setzen, damit sie sich endgültig der reinen Liebe Agorantes wenden kann. Eine fast Barbiere-ähnliche Situation, die Rossini mit einer leidenschaftlichen Tenor-Melodie für Agorante darstellt, die noch leidenschaftlicher von Ricciardo übernommen wird, was zu einem Duett führt, wo Liebe, Männerfreundschaft und Zuversicht Höhepunkte feiern, deren Intensität von Posa-Carlos oder Nadir-Zurga in den Perlenfischern nicht übersteigert wird. Der Zuschauer weiß aber, dass alles auf einem Betrug beruht und dass Ricciardo sich nur anbiedert - auch melodisch.

    Die Primadonna hat ihr heroisches Glanzstück am Ende, zu dem die anderen Protagonisten beimischen, was zum klassischen Vaudeville- lieto fine führt. Man fühlt sich etwas an das Finale von Tancredi erinnert (in der ersten, happy end Fassung). Etwas von Tancredi war auch bereits in der Kerker-Szene zu spüren. In Tancredi war Amenaide fälschlicherweise beschuldigt und ihr sich verschmäht glaubender Geliebter verteidigte - verkleidet - ihre Ehre im Duell gegen den Bösen, den sie heiraten sollte. Hier ist der Verteidiger Zoraides ihr verkleideter Vater und sein Gegner ist der Geliebte Ricciardo, eine lose-lose Situation, die sowieso derart verstrickt ist, dass nur die Musik die Geschichte erzählen kann, was sie brillant macht (mit schönen Choreffekten).

    So dass am Ende man sozusagen einen Blick hinter die Kulissen des Theaters geworfen hat und die Mechanismen der opera seria beobachten konnte. Das virtuose lieto fine quittiert man mit dem Lächeln des Eingeweihten.

    Ricciardo e Zoraide ist eine mehrschichtige Oper: gleichzeitig ein Belcanto-Fest, ein nostalgischer Blick zurück auf alte Rittergeschichten, ein musikalisches Trompe-l'oeil, ein Spiegelkabinett.

    Die Rezeption

    Wegen Fußschmerzen der Primadonna, dann Krankheit des Königs musste die für Ende Oktober 1818 vorgesehene Premiere auf den 3. Dezember verschoben worden. Es wurde ein großer Erfolg.
    Die berühmten Tenöre Nozzari, David, Ciccimarra waren resp. Agorante, Ricciardo, Ernesto. Zoraide war selbstverständlich Isabella Colbran und Ircano der ehemalige Mosè Michele Benedetti. Die neu gekommene Benedetta Rosmunda Pisaroni war Zomira.

    Das Giornale delle due Sicilie druckte einen Brief vom seligen Domenico Cimarosa, in dem er sich aus den elysischen Gefilden äußerte, um Rossini dafür zu loben, dass er die "modernen musikalischen Ausschweifungen verlassen" habe und "zur echten Verehrung der Divinität, die der Musik vorsteht" zurückgekommen sei. Er sollte sich nur ein bißchen weiter anstrengen, um sie aus der Dekadenz zu holen.

    Ricciardo e Zoraide wurde auch ihn anderen Theatern Italiens zum Erfolg, teilweise in einer einaktiger Fassung. Sie eroberte auch die Bühnen Europas - 1822 in Wien unter Rossinis Leitung. Ihre letzte dokumentierte Aufführung ist von 1846 an der Scala. Erst 1990 kam sie wieder in Pesaro zur Aufführung in einer Produktion, die 1996 wiederaufgenommen wurde. 2013 wurde sie in Wildbad konzertant aufgeführt, 2018 in einer Neuproduktion wieder in Pesaro.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ricciardo e Zoraide 4 - die Aufnahmen

    Ein Stück, das so selten aufgeführt wird, wird auch nicht oft aufgenommen.
    Es gibt 2 offizielle CD-Aufnahmen, 1 DVD-Ausgabe und wenige live-Aufzeichnungen (1 Audio, 1 Video).

    Die erste ist eine Studio-Produktion

    London 1995 mit

    Ricciardo: William Matteuzzi
    Zoraide: Nelly Miricioiu
    Agorante: Bruce Ford
    Zomira: Della Jones
    Ircano: Alastair Miles
    Ernesto: Paul Nilon
    Fatima: Carol Smith
    Elmira: Alice Coote
    Zamorre: Toby Spence

    Academy of Saint Martin in the Fields
    Leitung: David Parry

    Es ist eine sorgfältige Produktion, die auch die Räumlichkeit der Oper gut wiedergibt.
    Leider nimmt David Parry die Bezeichnung Opera seria viel zu buchstäblich. Es ist alles hier gediegen, getragen, statisch. Parry hat sich auch wohl zu sehr von Richard Osbornes Meinung beeinflussen lassen, wonach Agorante ein reluctant tyrant, more in sorrow than anger, ist. Eine Art Bassa Selim, sozusagen. Sowohl Text und Musik zeigen aber, dass er über eine richtige Dosis Testosteron verfügt.
    Hier wird wohl zu sehr reininterpretiert. Osborne sagt auch, Ricciardo e Zoraide sei an opera which moves the focus back towards the reflexive and the humane, was zu einseitig ist, denn gerade die Vielfalt der Perspektiven ist ein Reiz der Oper.
    Bruce Ford ist eine perfekte Stimme für Nozzari-Rollen und meistert seine Part vortrefflich. Etwas mehr Testosteron, weniger Humanität, würde nicht schaden.
    William Matteuzzi ist wie immer eine Geschmacksfrage. Hier überzeugt er mich nicht so sehr. Eine enge Stimme, die nicht immer gut fokussiert ist und ein undankbares Timbre.
    Nelly Miricioiu ist hingegen eine Vollblut-Colbran, wohl eine Spur zu dramatisch und zu individualistisch in den Ensembles - immerhin, ein Duett Matteuzzi-Miricioiu ist etwas wie das Bündnis des Karpfens mit dem Hasen, wie man in Frankreich sagt.
    Della Jones ist sängerisch perfekt aber ihr Timbre unterscheidet sich zu wenig von dem Miricioius. Es fehlt ihr etwas Schwärze, auch etwas Dämonisches in der Darstellung. Zu ladylike.

    Insgesamt: gut aber nicht berauschend. Man hat den Eindruck, hier hört man viel schöne Musik, aber man wird in der Meinung bestärkt, dass das Libretto doof ist und keine spannende Geschichte macht.


    Die zweite CD_Aufnahme ist ein live aus Wildbad 2013


    mit

    Ricciardo: Maxim Mirinov
    Zoraide: Alessandra Marianelli
    Agorante: Randall Bills
    Zomira: Silvia Beltrami
    Ircano: Nahuel di Pierro
    Ernesto: Artavazd Sargsyan
    Fatima: Diana Mihan
    Elmira: Anna Brull
    Zamorre: Bartosz Zolubak

    Virtuosi Brunensis - Camerata Bach Chor Posen
    Leitung: José Miguel Pérez Sierra

    Menschen, die ein besseres stereophonisches Gehör als ich haben, meinen, die Räumlichkeit sei hier nicht so gut gelungen wie in der Parry-Aufnahme. Ich finde sie überzeugend genug. Dafür hat Pérez-Sierra mehr Sinn für den Fluß der Musik als Parry. Es heißt nicht, dass er ständig flott ist, sondern er hat ein gutes erzählerisches Tempo und kann den Kontrast zwischen Aktion und Reflexion gut darstellen, etwa zwischen Zomiras Rache-Arie und der folgenden Kerkerszene. Da es eine live Aufnahme ist, verzeiht man die Momente, wo die Präzision der Streicher leicht beeinträchtigt ist.
    Randall Bills ist nicht ganz so suverän wie Bruce Ford und braucht etwas Zeit, um voll auf Touren zu kommen. Dann kann er aber als Agorante überzeugen,in sorrow sowie in anger.
    Maxim Mironov ist für David-Rollen wie prädestiniert. Er fürchtet keine Höhenflüge, weiß, die voix mixte gut einzusetzen und überzeugt in der Koloratur. Das Duett Agorante-Ricciardo ist ein echter Genuss!
    Alessandra Marinelli hat eigentlich eine zu leichte Stimme für Zoraide; sie ist das Wermuttröpfchen dieser Aufnahme. Ihr hohes Register hat gelegentlich etwas Schärfe. Allerdings ist sie bei weitem nicht so konstant schwer erträglich wie Matteuzzi mit Parry.
    Silvia Beltrami hat die nötige dunkle Farbe für Zomira, so dass die Ensembles gut balanciert sind. Ihre Rache-Arie ist hier definitiv keine Stelle, wo Rossini moves the focus back towards the reflexive and the humane ;-).

    Der Anfang des ersten Akts (Arie des Agorante und Duett Zoraide-Zomira) ist noch nicht ganz justiert; danach aber macht die Aufnahme richtig Freude. Auch wenn man nicht so sehr auf den Text achtet, hat man immer den Eindruck, eine spannende Geschichte zu verfolgen. Und virtuose Köstlichkeiten sind auch dabei, ohne dass man wie bei Parry den Eindruck hat, dass der Dirigent den Sänger/die Sängerin zügelt.

    Ich muss gestehen, dass ich die Parry-Aufnahme seit langem habe, aber nie richtig Lust hatte, sie wieder zu hören. Erst mit der Wildbad-Aufnahme habe ich Lust auf Ricciardo e Zoraide bekommen.

    Die Video-Aufnahme ist live von Pesaro 2018, zum 200sten Jubiläum der Uraufführung und 150sten Todesjahr Rossinis


    mit

    Ricciardo: Juan Diego Flórez
    Zoraide: Pretty Yende
    Agorante: Sergey Romanovsky
    Zomira: Victoria Yarovaya
    Ircano: Nicola Ulivieri
    Ernesto: Xaber Anduaga
    Fatima: Sofia Mchedlishvili
    Elmira: Matiniana Antonie
    Zamorre: Ruzil Gatin
    Ochestra Sinfonica Nazionale della RAI - Coro del Teatro Ventidio Basso (Ascoli Piscena)
    Leitung: Giacomo Sagripanti

    Regie: Marshall Pynkovsky
    Choreographie: Jeannette Lajeunesse Zingg
    Bühnenbild: Gerard Gauci
    Kostüme: Michael Gianfrancesco

    Statt im real existierenden Nubien wird die Oper in einem Fantasie-Orient inszeniert. Bühnenbild und Kostüme sind prächtig. Diese Inszenierung wurde kritisiert, teilweise scharf. Ich gestehe ohne Umschweifen, dass sie mir gefällt. Es wird einfach eine Art 1001 Nacht-Geschichte erzählt. Keine Abgründe tun sich auf, das ganze ist kurzweilig. Agorante ist hier klar testoterongesteuert, Zoraide eine Gefangene, die ihr Schicksal mit Würde trägt, Ricciardo ein junger Liebhaber, einfallsreich, etwas übereilig (er muss von Ernesto, der hier als Kardinal erscheint, gebändigt werden), Zomira die Königin, die ihre Demütigung nicht kampflos hinnimmt. Ein orientalisches Märchen halt und es wird uns klar gemacht, dass es ein Märchen ist und dass es teilweise zum Schmunzeln ist.

    Die Idee, Ballett-Tänzer einzusetzen, fand ich gut. Nicht, dass sie notwendig gewesen wären (trotzdem, die Darstellung des finales Kampfes zwischen Ernestos und Agorantes Truppen als Tanz darzustellen, ist eine pfiffige Idee), aber es ermöglicht, die instrumentalen Zwischenspiele, die damals für den Szenenwechsel nötig waren, mit einem optischen Element zu untermalen, das zur Musik und zur Märchen-Atmosphäre passt. Besser, als irgendeine Aktion zu erfinden, die von den Sängern halbherzig mimiert wird.
    Schauspielerisch passen die Sänger in dieses Konzept. Es wird von denen nichts abverlangt, was sie nicht leisten können, aber ein reines Rampensingen ist es nicht.

    Sängerisch bleiben kaum Wünsche offen. Romanovsky kann zwar keine sovracuti hinschmettern wie seinerzeit ein Chris Merritt, aber die breite Tessitura einer Nozzari-Rolle meistert er mit Bravour. Juan Diego Flórez ist für mich wie immer ein bißchen zu sehr di petto für eine David-Rolle und ich würde ihm Maxim Mironov vorziehen, aber er bleibt einer der versiertesten Rossini-Tenöre unserer Zeit. Pretty Yende ist auch eigentlich zu leicht für eine Colbran-Rolle. Sie forciert aber nicht, leistet sich Verzierungen in alto und bewältigt alles scheinbar mühelos. Als Ermione oder Armida wäre sie nicht unbedingt geeignet, für Zoraide passt es aber. Ihr Duett mit Flórez ist ein hinreißendes Liebesduett (eines der wenigen, die Rossini schrieb, übrigens). Victoria Yarovaya ist auch eher ein Mezzosopran als der geforderte Alt. Dank Yendes leichterer Stimme bleibt der Kontrast zwischen beiden Damen bewahrt und Yarovaya zeigt auch Charakter in ihrer Rache-Arie. Xaber Anduaga war die Entdeckung des Abends als Ernesto.

    Sagripanti ist nicht ganz so energisch als Pérez-Sierra, er weiß aber auch, den Fluß der Musik zu steuern. Es scheint, als wenn alles seine musikalische Logik hätte, wie das "Liebesduett" Zoraide-Zomira, wo der Clou darin besteht, dass es gar keine Liebe zwischen den beiden gibt.

    Man sollte hier nichts suchen, was es nicht gibt. Es ist weder Otello noch Mosè noch Ermione. "Nur" ein leichtes Divertissement, das hier farbenfroh, kurzweilig und mit Stil dargeboten wird. Womöglich haben die Zuschauer im San Carlo 1818 genau so etwas bekommen.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ricciardo e Zoraide 5 - die Lives

    Eine Idee kann man von der Parry Opera Rara Aufnahme hier bekommen:
    https://www.youtube.com/watch?v=KMKDIKWWr_k

    Pesaro 2018 wurde am Fernsehen von der RAI übertragen und findet sich hier:
    https://www.youtube.com/watch?v=XfzYpfL4qRk


    Pesaro 1990 wurde auch von der RAI aufgenommen und ist hier zu finden:
    https://www.youtube.com/watch?v=may-Zvo47IM

    mit
    Agorante: Bruce Ford
    Zoraide: June Anderson
    Ricciardo: William Matteuzzi
    Ircano: Giovanni Furlanetto
    Zomira: Gloria Scalchi
    Ernesto: Jorio Zennaro
    Fatima: Ornella Bonomelli
    Elmira: Antonella Trevisan
    Zamorre: Patrizio Saudelli


    Orchestra del Teatro Comunale di BolognaCoro Filarmonico di Praga
    Dirigent: Riccardo Chailly
    Regie: Luca Ronconi

    Die Oper wird sozusagen in Osbornes Vorstellung gebracht, das heißt die einer eher intimen Oper, wo Agorante eine Art bon sauvage ist, ein Tyrann wider Willen, der in Zoraide herzlich verliebt ist.
    Ich finde das wie gesagt nicht ganz überzeugend, hauptsächlich weil es weder zum Text noch zur Musik richtig passt.

    Man kann Berio vorwerfen, dass seine Verse nicht die höchste Qualität haben und oft abgekupferter Metastasio sind, dumm war er aber überhaupt nicht und er wußte, was er wollte.
    Rossini fand das Libretto gut. Dass das ganze zu einer opera seria mit Schmunzeleffekten wurde, hat sicher mit der Vorlage und mit dem Ruf Forteguerris als Satiriker zu tun. Rossini hat nicht gegen Berio komponiert, sondern beide waren ein Team.

    Jetzt, wo man dank RAI5 die Aufzeichnung in besserer Bildqualität sehen kann, kann man etwas erahnen von der Faszination, die die Regie im Theater hatte. Für Gossett war sie ein Höhepunkt, eine der besten Inszenierungen Ronconis.
    Die nubische Wüste mit ihren unendlichen leeren Weiten unter grellem Sonnenschein.
    Die Nubier sind alle nicht nur black faced sondern gar black painted, dazu mit "ethnischem" Outfit und sogar Gebärden- und Körpersprache.
    Es war wohl damals die Vorstellung eines exotischen Märchens, heute wirkt es schon deplaziert bis zur Peinlichkeit.
    Dazu sind Jorio Zennaro, William Matteuzzi und besonders June Anderson nicht gerade begabte Schauspieler.

    Stimmlich ist Matteuzzi in viel besserer Form als auf der Opera Rara-Aufnahme - oder die Ingenieure der RAI haben seine Stimme besser eingefangen. Immerhin ist diese Aufnahme für ihn auf der Haben-Seite.
    Bruce Ford war hier ein Einspringer, was seine internationale Karriere lancierte, und zwar völlig verdient. Die Konzeption der Rolle beraubt ihn leider etlicher Fassetten, wie bei der Opera Rara Aufnahme.
    June Anderson ist stimmlich tadellos; ihre gewohnte Ausdruckslosigkeit ist hier nicht so störend wie anderswo. Die einzige Gefühlslage, die sie darstellen kann (begossener Pudel) passt irgendwie zur Rolle.
    Gloria Scalchi ist vielleicht die beste aufgenommene Zomira überhaupt; bei ihr passt alles.
    Jorio Zennaro punktet stimmlich wie Xaber Anduaga 2018.

    Chailly dirigiert mit mehr Gefühl als Parry. Man möchte zwar etwas mehr Schwung in den heroischen Momenten; immerhin versteht man, warum Chailly von dieser Oper so begeistert wurde, dass er sie für Decca aufnehmen wollte. Ein Projekt, das sich leider zerschlug.

    Jetzt, wo Bild- und Tonqualität auf gutem Niveau vorhanden sind, kann man dieser Aufnahme schon einiges abgewinnen. Ich ziehe doch nach wie vor Pesaro 2018 vor.

    Die Wiederaufnahme vom Jahre 1996 ist auch als Audio verfügbar; in der Tube als Auszüge,anderswo vollständig.

    Es waren
    Agorante: Charles Workman
    Zoraide: Anna Rita Taliento
    Ricciardo: Gregory Kunde
    Ircano: Umberto Chiummo
    Zomira: Mariana Pentcheva
    Ernesto: Luigi Petroni
    Fatima: Gemma Bertagnolli
    Elmira: Daniela Barcellona
    Zamorre: Enrico Cossutta

    Coro da Camera di Praga
    ORT Orchestra della Toscana
    Leitung David Parry
    Pesaro, 1996

    Hier ist Parry aber noch lahmer als in London. Es kommt und kommt nicht voran. Workman und Kunde sind gut, Anna Rita Taliento engagierter als Anderson (aber gelegentlich mit Schärfen).
    Mehr als eine Kuriosität ist es aber nicht.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Pesaro 2018 wurde auch einmal vom ORF ausgestrahlt und hat mir sehr gut gefallen, nur schien es mir irgendwie mehr als bloß geringfügig gekürzt. Freilich fehlen mir da die nötigen Kenntnisse.

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

  • Vielleicht sind ein paar Rezitative gekürzt worden aber sicher nichts Wesentliches. Die Laufdauer ist 176 Minuten gegen 165 für die Naxos-Aufnahme (der Applaus und Abspann machen wohl den Unterschied). Pesaro 1990 dauert ungefähr das gleiche. Die Opera Rara Aufnahme ist etwas länger, was zum großen Teil Parrys Dirigat zu verdanken ist.

    Alles, wie immer, IMHO.

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