ROSSINI - die Opern für Neapel
Gioachino Rossini wurde 1815 vom Theaterimpresario Domenico Barbaja nach Neapel gerufen; er blieb dort bis Ende 1821.
Neapel war eines der wichtigsten Musikzentren Italiens (für die Napolitaner selbstverständlich das wichtigste überhaupt). Es verfügte über eine reiche Tradition, nicht zuletzt seit der Gründung der vier Konservatorien im 16ten Jahrhundert. Das 1737 erbaute Teatro di San Carlo war damals das größte Opernhaus der Welt.
Unter der Herrschaft der Könige Joseph Bonaparte und Joachim Murat, die bis Mai 1815 dauerte, wurden die Institutionen rationalisiert. Die französische Oper war auch von Komponisten geprägt worden, die aus Italien kamen (Sacchini, Cherubini) und oft eine Verbindung zu Neapel hatten (Paisiello, Spontini) und der französische Einfluß machte sich auch auf die Musik bemerkbar: Ablehnung der Kastraten-Rollen und der recitativi secchi, Abstand zur Praxis des notwendigen lieto fine ... Dazu waren in Neapel grundsätzlich pro Saison wenigstens zwei Opern aus Deutschland oder Frankreich gespielt. Zum Beispiel wurden in keiner anderen italienischen Zeit so viele Mozart-Opern aufgeführt wie in Neapel.
Das Publikum war deswegen aufgeschlossen, dazu konnten die Komponisten mit dem größten Opernorchester Italiens (80 Musiker) und einer hervorragenden Sängertruppe rechnen. Superstar war die Sopranistin Isabella Colbran, deren hohen Register schon angeschlagen war, die aber über eine verblüffende Agilität sowie einen großen Sinn für dramatische Darstellung verfügte. Die Tenöre Andrea Nozzari, Giovanni David, Manuel García, Domenico Donzelli ... waren entweder im festen Ensemble oder regelmäßige Gäste, sowie der Baß Michele Benedetti; der Tenor Giuseppe Ciccimarra war als Charakterdarsteller ein Publikumsliebling.
Was fehlte, war ein Komponist. Paisiello war schon in die Tage gekommen und hatte sich zu sehr auf der Seite Napoleons und seiner Verbündeten engagiert, als daß er bei den restaurierten Bourbonen in Gnade bleiben konnte. Nicola Manfroce, der im Dezember 1812 mit Ecuba eine beeindruckende Talentprobe gegeben hatte, war sechs Monate später 22jährig verstorben. Auf der anderen Seite hatte Rossini in Norditalien brillante Erfolge gefeiert und mit Tancredi und L'Italiana in Algeri die italienische Opernlandschaft revolutioniert; er hatte aber mit Il Turco in Italia und Sigismondo erfahren, daß das norditalienische Publikum nicht bereit war, ihn auf experimentellem Pfad bedingungslos zu begleiten. Das Angebot des geschäftstüchtigen Impresarios Barbaja war für beide Seiten vorteilhaft.
Die Verträge, die Rossini unterschrieb, haben sich nicht erhalten, wohl aber ein Vertrag seines Nachfolgers Pacini. Man kann annehmen, daß es Jahresverträge waren, die regelmäßig erneuert wurden. Als Komponist war Rossini zur Schaffung von wahrscheinlich zwei Opern pro Saison verpflichtet. Sein Verantwortungsgebiet wuchs aber nach und nach und umfaßte ungefähr die Pflichten eines heutigen GMD. Er war für die Einstudierung neuer Werke (nicht nur seiner), für die Verpflichtung neuer Sänger, für die Gestaltung des Spielplans zuständig, Dies alles unter der Kontrolle des Superintendanten der Königlichen Theater, des Herzogs von Noja, der unmittelbar dem Innenminister unterstellt war. Seine Haupttätigkeitsstätte sollte das Teatro San Carlo sein, das der opera seria gewidmet war. Er war aber frei , für andere napolitanische Theater - etwa das Teatro dei Fiorentini. das nicht in staatlicher Regie aber nichtsdestoweniger von Barbaja betrieben war und wo auch opere buffe gegeben wurden - , und auch für Theater in anderen Städten zu komponieren. In seiner napolitanischen Zeit enstanden somit unter anderem Il Barbiere di Siviglia und La Cenerentola für Rom, La Gazza ladra und Bianca e Falliero für Mailand, Eduardo e Cristina für Venedig und sogar Adina für Lissabon.
Die zehn Opern, die Rossini für Neapel komponierten, sind chronologisch die opere serie
Elisabetta, regina d'Inghilterra
Otello
Armida
Mosè in Egitto
Ricciardo e Zoraide
Ermione
La Donna del lago
Maometto secondo
Zelmira
sowie die Buffo-Oper La Gazzetta.
Ziel dieses Threads ist, diese Opern vorzustellen und auch deren Aufnahmen zu besprechen. Da es von den meisten leider nicht so viele offizielle Aufnahmen gibt, wird er nicht zu einer Cover-Parade verkommen. Allerdings kann auch auf Rundfunkaufnahmen verwiesen werden, die mehr oder weniger im Umlauf sind.
Ich verdanke viel dem Buch von Giovanni Carli Ballola
Dort ist, nach einer kurzen aber präzisen Biographie (die das Wiederholen mehr oder weniger wahrheitsgemäßen Anekdoten vermeidet, das leider die Substanz allzuvieler Rossini-Biographien ist), eine Besprechung jeder einzelnen Oper vorhanden. Carli Ballola imponiert durch seine Kenntnis der kulturellen Zusammenhänge und seine scharfe Analysen. Leider nur auch Italienisch vorhanden, aber ich schätze dieses Buch noch höher als das Standardwerk Richard Osbornes.
Wer die biographischen Kenntnisse vertiefen will, dem sei dieses Buch empfohlen:
(warum Amazon die Rückseite zeigt, ist mir rätselhaft, die Vorderseite kann man bei den Amazonen selber sehen). Wieder einmal nur auf Italienisch. Diesmal eine reine Biographie, in welcher man viel über den Menschen Rossini und die Zeitgeschichte erfährt.
Stendhals Vie de Rossini
(gibt's auch in Übersetzung)
ist ein Klassiker. Dort erfährt man viel von einem zeitgenössischen Beobachter und Liebhaber Italiens über die damalige kulturelle Atmosphäre. Die Anekdoten sorgen für eine kurzweilige Lektüre, sind aber mit extremer Vorsicht zu genießen, was deren Wahrheitsgehalt betrifft.
Vermeiden sollte man das Buch Joachim Campes. Er ist zwar mit leichter Feder geschrieben und vermittelt den Eindruck, man würde dort vieles über Rossini und sein Schaffen erfahren. Es ist aber leider ein unkritisches Wiederaufwärmen bekannter und oft überholter Stories und Behauptungen, gepaart mir Überlegungen über das Werk, die dem Nicht-Kenner als tiefgründig erscheinen können, dem Informierten nur beweisen, daß Campe kaum direkte Kenntnis der Werke hat, über die er schreibt.
Ganz im Gegenteil dieses Buch:
Wie viele der Bücher "XXX und seine Zeit" ist es allerdings keine Biographie, sondern eine Analyse von Mensch und Werk aus unterschiedlichen thematischen Sichtrichtungen. Fundiert, einleuchtend, aber eher "Rossini für Fortgeschrittene".