César Franck: Symphonie in d-Moll, FWV 48

  • Gewundert hatte ich mich nur über den einhelligen Zuspruch hier im Thread, weil ich meinte und weiterhin meine, dass mit diesen Stärken Schwächen einhergehen

    Ich kann nicht erkennen, dass Du diese angeblichen Schwächen gezeigt hättest. Wenn man Wiederholungen in einer zyklischen Form als "Schwäche" bezeichnet, könnte man auch einer Fuge ankreiden, dass sie keine Oper ist. Und auch auf Deine Feststellung, dass Orchestrierung oder Spielarten (pizzicato) hier ja nur dazu dienen, dass "auch ja genug Klangfarben ertönen", frage ich zurück: wozu denn sonst? Diese beiden Kritikpunkte sind zudem in sich widersprüchlich: Einerseits kritisierst Du Wiederholungen, andererseits deren klangliche Variation. Überzeugend finde ich das alles nicht. Und Dein Bild von dem Bäcker, der die Torte mit Zutaten überlädt, passt einfach nicht: Die Zutaten dieser Symphonie sind wie gesagt allesamt aus einem einzigen Motiv hergeleitet.

  • Letztlich geht es wohl um die bereits oft erörterte Frage nach musikalischen Qualitätskriterien. Ich mag es, wenn hinter einer Sinfonie ein stimmiges Konzept steht. Das muss keineswegs immer Durch-Nacht-zum-Licht sein. Wenn ich aber zum Beispiel Mahler-Sinfonien zum Vergleich nehme, habe ich zwar auch ein großes Orchester mit viel Lautstärke, dieses ist aber nicht Selbstzweck, sondern die Sinfonien ringen um etwas, Mahler ist auf der künstlerischen Suche, die Musik ist Mittel eines künstlerischen Wollens und Ausdrucks. Auf die Spitze getrieben findet sich so etwas auch in der 6. Sinfonie Tchaikovskys. So etwas muss es nicht geben, damit mir eine Sinfonie gefällt. Diverse großartige Haydnsinfonien sind absolute Musik und auch mit Brahms bin ich seit langem befreundet und bei diesen Sinfonien höre ich gern zu, was passiert, erlebe ich etwas Inhaltliches. Bei Franck erlebe ich das nicht, da folge ich keiner Entwicklung, sondern erlebe ich ein beständiges Wiederholen des Immergleichen, das mich emotional nicht einmal anspricht. Dieser mich alsbald nicht mehr interessierende Inhalt wird durch die handwerklich-orchestralen Tricks nicht besser, sondern schlimmer, weil die Torte dann eben größtenteils aus Garnierung besteht, die Hauptsache, nämlich der künstlerisch-sachliche-Gehalt, das viele Dekor nicht trägt. Anders gesagt: Das Pizzicato und die vielen klangfarblichen Elemente nehme ich nicht als musikalisch motiviert und damit in eine künstlerische Idee eingebunden statt, sondern als Selbstzweck. Das kann sehr schön sein, man denke an klanglich reizvolle Vokalisen. Für eine Sinfonie ist mir das aber zu wenig.

    Sicherlich entgehen mir diverse musiktechnische Details, die mich bei ihrer Kenntnis womöglich zu einem anderen Urteil führen können. Ich kann aber nur das beschreiben, was ich momentan erlebe und wahrnehme. Und ein ganz wenig Hörerfahrung habe ich nun auch.

  • Wenn man Wiederholungen in einer zyklischen Form als "Schwäche" bezeichnet, könnte man auch einer Fuge ankreiden, dass sie keine Oper ist.

    Das ist schön gesagt, betrifft meine Ausführungen aber wenig. Mir ging und geht es noch immer, ich wiederhole das gern, um die Frage, ob anderen die Sinfonie auch weniger gut gefällt, weil ich das so erlebe und mich über den hohen Rang dieses Werks wundere, und ich habe mich gefragt, was die Gründe sind. Ich kreide der Sinfonie nicht an, dass sie eine zyklische Form hat, sondern erläutere, dass mir diese nicht gut gefällt.

    Es wäre vollkommen vermessen, musikalischen Kunstwerken vorzuwerfen, wie sie sind. Das tue ich auch nicht. Stattdessen versuche ich die Gründe für mein Weniger-Mögen herauszufinden und darzustellen. Dass ich diese Gründe dann als - subjektiv empfundene - Schwäche darstelle, ist eine sprachliche Selbstverständlichkeit. Nicht verhehlen möchte ich, dass ich auf eine inhaltliche Diskussion gehofft hatte.

  • Das ist schön gesagt, betrifft meine Ausführungen aber wenig. Mir ging und geht es noch immer, ich wiederhole das gern, um die Frage, ob anderen die Sinfonie auch weniger gut gefällt,

    Du springst hin und her zwischen "gefällt mir nicht", "hat Schwächen", "ist kein Meisterwerk" usw., also zwischen Geschmack und Qualität. Wenn ich Deine letzten Erläuterungen richtig verstehe, geht es Dir um ersteres. Damit bin ich aber aus der Diskussion raus, weil mich einfach nicht interessiert, was Dir (oder anderen) gefällt. Du schreibst, Dir gefällt die zyklische Form nicht: Kein Problem, solange Du dann nicht ausgerechnet die Spätwerke von César Franck hören willst...

  • Geschmack und Qualität gehen, wie du weißt, Hand in Hand. Ich versuche mein subjektives Werturteil anhand der objektiven Fakten, mithin anhand der konkreten Eigenheiten dieser Sinfonie, für mich besser zu verstehen und für andere nachvollziehbar zu machen. Notwendigerweise springe ich da hin und her. Das geht doch gar nicht anders. Deshalb interessiere ich mich ja konkret dafür, welches die Besonderheiten dieser Sinfonie sind und ob diese Besonderheiten auch von anderen geschätzt oder eben nicht geschätzt werden. Eigentlich ganz einfach: Ich mag die Sinfonie, weil ... Ich mag die Sinfonie nicht, weil ... Für die jeweiligen Begründungen interessiere ich mich. Nur diese, da sind wir einig, machen das Thema für andere interessant.

    Spätwerk? Eben habe ich mir angesehen, was Franck zuletzt komponiert hat. In meiner Hörpraxis ragt deutlich die Violinsonate in der Fassung mit Cello heraus. Die vielen Choräle und Lieder kenne ich ebensowenig wie die Oper Ghiselle. Diese Werke passen aber ohnehin nicht wirklich. Meine Argumentation betrifft ja spezifische die Sinfonie als großorchestrales Werk, welche es im Spätwerk neben der hier diskutieren Sinfonie nicht gibt. Den von mir herausgestellten Bombast findest du auch nicht im Streichquartett. Dass die zyklische Forme für Lieder etc. gut geeignet ist, besagt für die Eignung als Sinfonie nichts.

  • Deshalb interessiere ich mich ja konkret dafür, welches die Besonderheiten dieser Sinfonie sind


    ich habe für mich persönlich nicht den Eindruck, dass dieser Aspekt und die auch die weiteren, die du im gleichen Abschnitt aufzählst, weiterhelfen um ein Werk schätzen zu lernen. Auf viele der Besonderheiten hat Christian ja schon zur Genüge hingewiesen. Eben diese Besonderheiten könnten genauso gut dafür verantwortlich sein, dass du mit dem Werk nichts anfangen kannst.
    Für mich waren sie jedenfalls nicht der Grund, weshalb ich mich noch als Jugendlicher in das Werk verliebt habe. Allenfalls der Grund, weshalb sich meine Faszination mit dem tieferen Kennenlernen und Eindringen in die Komposition immer weiter gesteigert hat.

    Wenn ich alle Besonderheiten auf einen Nenner bringen wollte, dann: in ihrer Art ist die Sinfonie einmalig, unübertroffen und keiner Steigerung fähig. Da hilft kein Vergleich mit Dvorak oder Mahler.
    Wenn jemand diese Art nicht mag, dann ist das in Ordnung und vielleicht nicht zu ändern.

    Ich mag zum Beispiel keine Wagner Opern. Es würde mir nicht helfen, wenn mir jemand erklären würde, worin die Besonderheiten oder die Genialität der Werke besteht. Das weiß ich zum großen Teil schon und kann es sogar anerkennen. Nur nicht über längere Zeit anhören. Selbst gegen das Siegfried-Idyll, mit dem ich mich mal eine zeitlang beschäftigen musste, habe ich eine richtige Aversion entwickelt. Also wohl nichts zu machen und für mich o.k., es gibt ja genügend andere Musik.

    Nichtsdestotrotz bin ich auf deinen Eindruck zur Herreweghe-Aufnahme gespannt. Claus Peter Flor ist übrigens eher von der opulenten Fraktion mit einem langsamkeitsrekordverdächtigen 1. Satz, und bei dem quäkigen Englischhorn im 2. Satz hätte ich beinahe abgebrochen...
    :wink: Khampan

  • :cincinbier: Habe mir gerade die Bychkov-Aufnahme einströmen lassen. Auch nicht schlecht. Klanglich nicht so schlank wie bei Flor, aber an den leisen Stellen zauberhaft.

    Herreweghe folgt.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Gestern Abend habe ich noch nach der Herreweghe-Aufnahme geschaut. Dabei bin ich auf folgende Kritik aus ClassicsToday gestoßen (https://www.classicstoday.com/review/review-7799):

    "The Franck D minor symphony ... is handsomely played, also on period instruments, which allow this sometimes too-orchestrated work to seem more transparent, more classical. If we miss the echt-Romanticism (and vaguely too-earthy schmaltz present in, say, Leonard Bernstein’s recording on Sony) for which the work is known, there’s a clarity here that makes up for it."

    Umso neugieriger war ich auf die Aufnahme, die ich dann zur Geisterstunde noch gehört habe. Tatsächlich: Treffer! Für meinen Geschmack die deutlich beste der von mir in letzter Zeit gehörten Aufnahmen. Herzlichen Dank, Khampan.

    Die Formulierung "too-earthy schmaltz" gesellt sich sehr schön zu meiner Rede vom Spektakel-Schinken und ließ mich erfreut lächeln. Wunderbar, wie Herreweghe zeigt, dass diese Musik so nicht sein muss. Höre ich demnächst noch mal.

  • Ich bin mir relativ sicher, dass ich die zyklischen Elemente, als ich das Stück vor 25 Jahren oder so zum ersten Mal hörte, kaum oder gar nicht bemerkt habe. Von den vier großen (ich klammere mal aus, ob die Symphonischen Variationen oder Prelude, Choral & Fuge auch noch dazu gehören) späten Instrumentalwerken Francks finde ich, dass die Sinfonie das Zyklische gar nicht so demonstrativ herausstellt bzw. am "natürlichsten" in den mehr oder weniger gängigen Ablauf einer Sinfonie einfügt.
    Ich persönlich mag die Violinsonate und das Quintett vermutlich ein bißchen mehr, v.a. weil ich den Mittelsatz der Sinfonie einfach nicht allzu sehr schätze. Gut gemacht, aber wie oben schonmal geschrieben wirkt die scherzando-Variante auf mich etwas statisch, wie manche Figuralvariationen bei Händel. Könnte es sein, dass die Kombination von Englischhorn und pizz. bzw. Harfe von Marguerites "König von Thule" bei Berlioz beeinflusst ist?
    Das für mich unbefriedigendste Stück ist klar das Streichquartett, weil es quasi mit der Apotheose beginnt und danach für mich eher unattraktiver wird und bei dem für mich die thematische und poetische Entwicklung nicht so schlüssig zusammengehen, wie es bei der Sinfonie am deutlichsten geschieht.

    Die Klemperer-Aufnahme, die ich vorhin gehört habe, ist gar nicht schlecht, sehr typisch, wuchtig, mäßig, aber gar nicht langsam (nur im Finale etwas langsamer als Monteux, aber nicht viel), klanglich transparent, zumal für ca. 1960.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Die Klemperer-Aufnahme, die ich vorhin gehört habe, ist gar nicht schlecht, sehr typisch, wuchtig, mäßig, aber gar nicht langsam

    Ja, erstaunlich!
    Ich mag diese Aufnahme aus dem Jahre 1966 (Februar) auch sehr gern.
    Klemp war da schon fast 81 Jahre alt (Mai). Er hatte die Sinfonie 1933 in Los Angeles erstmals aufgeführt.
    Es sieht beinahe so aus, als wäre diese Aufnahme mal "dazwischen geschoben" worden, um das Repertoire aufzufüllen.
    Bei Unger fehlt die Aufnahme in der Discographie (chronological), aber immerhin "nach Composer" ist sie da, wie auch bei Heyworth.
    Sie entstand wahrscheinlich in einem "Aufwasch" mit der "Symphony Fantastique", die am 30.gsten Januar live gespielt wurde.
    Diese Sinfonie hat Klemp aber nachweislich häufiger gespielt. Es gibt 4 Aufnahmen.
    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Jetzt habe ich mal wieder Zeit gefunden Francks Symphonie (meine Aufnahme: RSO Berlin unter Maazel) anzuhören und mir hat sie wieder sehr gut gefallen. Allerdings muss ich einräumen, dass für mich die Show nach dem grandiosen ersten Satz ein bisschen vorbei ist. Der zweite Satz kommt mir fast ein bisschen regressiv vor - jedenfalls klingt er mehr nach Schumann als nach Wagner (so wie der erste). Trotzdem, selbst für jemanden wie mich, der spätromantischer Opulenz distanziert gegenübersteht, ist das ein mitreißendes Werk. Gefällt mir viel besser als Strauss z.B.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Ich habe mir angeregt durch diesen Thread die Symphonie auch nochmal vorgenommen (Wiener Philharmoniker / Giulini). Ich fand dabei die Symphonie weniger überzeugend, als ich sie in Erinnerung hatte. Es gibt zwar ein paar tolle melodische Einfälle, aber formal ist mir das zu verwurstelt. Obwohl Frank eigentlich recht ökonomisch mit dem Material umgeht, kommt mir die Symphonie überladen vor - liegt wahrscheinlich an den Ohrwürmern, die er hier so intensiv verarbeitet. Wenn Franck den Themen freieren Lauf gelassen hätte, würde mich das Ganze wahrscheinlich glücklicher machen. Diese Mischung aus emotionaler Ansprache und formalen Kunststücken lässt mich jedenfalls mit gemischten Gefühlen zurück. Wenn ich emotionale Musik hören will, greife ich lieber zu Tschaikowsky. Wenn ich formal gebändigte romantische Musik hören will, lieber zu Brahms.

  • Ich habe mir angeregt durch diesen Thread die Symphonie auch nochmal vorgenommen (Wiener Philharmoniker / Giulini).

    Wohl eines der breitesten Angebote des Marktes.

    Diese Mischung aus emotionaler Ansprache und formalen Kunststücken lässt mich jedenfalls mit gemischten Gefühlen zurück. Wenn ich emotionale Musik hören will, greife ich lieber zu Tschaikowsky. Wenn ich formal gebändigte romantische Musik hören will, lieber zu Brahms.

    Vielleicht verstehe ich, was Du meinst - aber wo gibt es denn subtilere Emotionen als bspw. im dritten Satz von Brahms' dritter Sinfonie? Und hat Tschaikowsky seine Sechste nicht geradezu meisterhaft formal organisiert? Wenn wir uns die Musikwelt simplifizierend - ich sage nicht, dass Du das getan hättest - in "emotionale" und "formal gebändigte" Musik einteilen würden, kämen wir dem Geheimnis von Francks Sinfonie eventuell nicht auf die Schliche, weil es vielleicht jenseits unseres Blickwinkels läge. - Bisher war ich mit denjenigen Aufnahmen des Werks, welche die schwelgerischen Anteile der Emotionen ein wenig gedeckelt halten (Ormandy, Flor) ziemlich glücklich.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ob jemandem diese Symphonie gefällt oder nicht, interessiert mich wie gesagt nicht. Wenn man allerdings Gründe für das Gefallen resp. Nichtgefallen im Werk verortet, müssen diese auch einer Überprüfung standhalten, und da habe ich auch in diesem Fall meine Zweifel. Es geht schon los mit der Feststellung, Franck gehe "eigentlich recht ökonomisch mit dem Material" um: Die gesamte Symphonie ist aus einer Keimzelle entwickelt, die aus ganzen drei Tönen besteht! Das ist nicht "eigentlich recht ökonomisch" sondern an Ökonomie schlechterdings nicht mehr zu übertreffen. Ob einem das gefällt oder nicht, ist eine völlig andere Frage, aber die Tatsache als solche ist nun mal gegeben. Oder die angebliche "Mischung aus emotionaler Ansprache und formalen Kunststücken": Wer so etwas behauptet, hat anscheinend nicht wahrgenommen, dass die formale Dichte selbst Ausdruck von Emotion ist. Er hat möglicherweise auch ganz grundsätzlich die Bedeutung von Form nicht genügend durchdacht (der vermeintliche Gegensatz zwischen dem emotionalen Tschaikowsky und dem "gebändigt romantischen" Brahms deutet meines Erachtens darauf hin). Das ist ja alles nicht weiter schlimm, niemand hört alles, versteht alles, mag alles. Aber wenn es "hohl klingt", muss man schon gut begründen, dass das "im Buche" liegt...

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