Richard Strauss: Till Eulenspiegels lustige Streiche; nach alter Schelmenweise in Rondeauform; für großes Orchester gesetzt. Tondichtung op. 28, TrV 171

  • Richard Strauss: Till Eulenspiegels lustige Streiche; nach alter Schelmenweise in Rondeauform; für großes Orchester gesetzt. Tondichtung op. 28, TrV 171

    Beim Lesen des Wikipedia-Eintrags zur Figur des Till Eulenspiegel hatte ich bei manchen ihm zugeschriebenen Eigenschaften den Eindruck, da sei Richard Strauss beschrieben. Vielleicht habe ich von dem Komponisten ja das falsche Bild, aber die Überzeugung von der eigenen Geisteskraft, Mitmenschen überlegen zu sein, die Neigung dazu, Unzulänglichkeiten der anderen bloßzustellen, eine zusammenfassend „anarchische Unangepasstheit“, dies alles sehe ich auch bei Strauss, sei es in der Wahl des Zarathustra-Sujets, sei es in der Darstellung seiner Kritiker im Heldenleben, sei es in der Komposition einer ganzen Symphonie über das eigene Familienleben. Angenehm empfinde ich dabei die humoristische, sicher auch selbstironische Note.

    „‘Ich sehe nicht ein, warum ich keine Sinfonie auf mich selbst machen sollte. Ich finde mich ebenso interessant wie Napoleon oder Alexander.‘ Aussprüche dieser Art vereinen das Selbstbewusstsein des Genies mit trocken-direktem bayerischen Humor – eine nicht leicht verdauliche Mischung, die Strauss zu eigen ist.“, heißt es auf richardstrauss.at.

    Ob Strauss sich auch selbst porträtierte, als er nach ursprünglichen Plänen für eine Eulenspiegel-Oper 1895 auf die Komposition der uns bekannten Tondichtung umschwenkte, weiß ich nicht. In jedem Fall ist es nach dem tragischen Macbeth und dem leidenschaftlich kraftstrotzenden Don Juan sein erstes derartiges Werk mit einem Antihelden-Protagonisten. Nach meinem Kenntnisstand ist es auch die erste symphonische Dichtung überhaupt, die überwiegend fröhliche und burleske Züge hat.

    Das Episodische der Abenteuer des Schelmen findet formal in der Anlage als Rondo seine Entsprechung. Strauss hat einen Ablauf des Programms skizziert, der z. B. auf der Wikipedia-Seite zum Werkwiedergegeben ist. Wir begleiten Till über eine gute Viertelstunde bei seinen zunehmend dreisteren Possen, die in die Katastrophe, nämlich seine Hinrichtung, münden. Am Ende hat er dann aber doch die Nase vorn. Kurz, knackig, komprimiert.

    Bei jedem Hören des Werks bewundere ich die Orchestermitglieder, zumal den Solo-Hornisten, der das Till-Thema vorstellt. Auch ansonsten klingen die kapriolenhaften, teils sehr kleinteilig-hektischen Wendungen, die es da bspw. auch bei den Holzbläsern zu meistern gilt, nach einer Menge Arbeit. Gute Aufnahmen gibt es natürlich haufenweise.

    Auf Eure Rückmeldungen zu diesem immer wieder erfrischenden Stück Musik bin ich gespannt.

  • Das finde ich prima und angemessen, dass für solche Meisterstücke separte Thread aufgemacht werden - Danke Braccio.

    Kommen wir gleich zu den Aufnahmen:
    Ich habe mind. 6-8 verschiedene Aufnahmen.

    Mein Erstzugang war Karajan / Wiener PH (Decca - damals noch auf LP), die ich auch heute noch zu den Spitzeninterpreatationen zählen würde. Auf jeden Fall finde ich diese alten 60er-Karajan-Aufnahme(n), gerade bei Till Eulenspiegel besser als die Späteren auf DG (die auch ein hohes Niveau haben !); aber beim Till erreicht er bei DG nicht den Spielwitz - zu harmlos.
    *** Meine Lieblinge sind aber der feurige Solti / CSO (DECCA), der auch durch die glänzende Decca-Soundtechnik den Hörspass perfekt macht und Maazel / Wiener PH (Decca).

    Nur allgemein zu weiteren R.Strauss-Aufnahmen:
    Die Fritz Reiner-R. Strauss - Box (RCA) hatte ich mir erst vor zwei Jahren zugelegt um nicht auf Einzelkäufe der Sinf.Dichtungen angewiesen zu sein ... egal was Reiner bei R.Strauss anpackt = Megaklasse. Freilich - auf Grund des Aufnahmedatums nicht so ausgewogen natürlich, wie Solti, aber von der Int mind. ebenbürtig.
    Leider ist Till Eulenspiegel aber mit Reiner gar nicht dabei !!!

    Keine Frage, dass auch hier Rudolf Kempe mit der Staatskapelle Dresden (EMI-Aufnahmen/Brillant.. heute auch bei Warner) glänzt ! Aber dennoch - meine Lieblinge stehen unten.


    - hier die CD-Auswahl meiner Favoriten -


    - ich habe noch die alte Decca-OVATION-Ausgabe auf CD -
    Decca, 1959, ADD



    - diese alleine würde mir reichen ! -
    Decca, 1975, ADD



    - Till Eulenspiegel in der Box mit Maazel -
    Decca, 1993, DDD

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • Vielen Dank für diesen schönen Thread, lieber Braccio !

    Ich persönlich schätze sehr die Aufnahme mit Herbert Blomstedt und dem San Francisco Symphony Orchestrra auf Decca. Auf aufnahmetechnisch toll!

    Für uns Kammermusikfreunde möchte ich darauf hinweisen, dass es auf Darginghaus und Grimm (mdg) mit dem Ensemble Villa Musica auch eine großartige (für Bläser arrangierte) Kammermusikversion des Werkes zu hören gibt, auch diese spricht mich sehr an!

    Herzliche Grüße

    Gerhard

  • Danke für die Hörtipps, lieber Wolfgang. Mit Soltis Aufnahme bin ich für das Stück sozialisiert worden. Finde sie nach wie vor blendend. Das Werk verlangt ja auch nicht unbedingt nach sensibler Zurückhaltung :D

    Kammermusikversion des Werkes

    Die ASIN der Aufnahme: B01KBHYLB0

    Danke für den Hinweis, lieber Gerhard. Ich kenne die Kammermusikversion nicht. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass eine Kleinbesetzung beim Till funktioniert. Die Aufnahme ist derzeit kein Schnäppchen, kommt aber mal auf die Merkliste.

  • Danke an Braccio für diesen interessanten Thread.

    Nur allgemein zu weiteren R.Strauss-Aufnahmen:
    Die Fritz Reiner-R. Strauss - Box (RCA) hatte ich mir erst vor zwei Jahren zugelegt um nicht auf Einzelkäufe der Sinf.Dichtungen angewiesen zu sein ... egal was Reiner bei R.Strauss anpackt = Megaklasse. Freilich - auf Grund des Aufnahmedatums nicht so ausgewogen natürlich, wie Solti, aber von der Int mind. ebenbürtig.
    Leider ist Till Eulenspiegel aber mit Reiner gar nicht dabei !!!

    Wenn man Fritz Reiner mit Till Eulenspiegel haben möchte, dann empfehle ich diese Aufnahmen:
    bzw. bzw.
    (AD: 04. - 07. September 1956 [Strauss] & 12./13./16./19. Juni 1960 [Brahms & Dvorak], Sofiensaal, Wien)

    Wiener Philharmoniker, Fritz Reiner

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Ein Hinweis am Rande : Der Komponist hat die Tondichtung auch persönlich konserviert . Einmal mit der Staatskapelle Berlin in den Zwanzigern (DG) und dann mit den Wiener Philharmonikern 1944 (Preiser).

    Mein Favorit ist Otto Klemperer , von dem es min. 7 Aufnahmen aus dem Zeitraum 1929 - 1960 gibt . Ich mag die späte EMI , u.a. hier enthalten :



    Und merke : Bei Strauss denk stets an Krauss !

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Die gezeigten und empfohlenen Aufnahmen mit Klemperer und Solti habe ich mir jetzt mal wieder angehört. Ich finde beide nicht ideal. Solti und das CSO, wie zu erwarten, hypervirtuos, die Temposteigerungen sehr schnell angehend (Steigerung des Hornthemas am Anfang, Liebesszene), pointiert, wirbelnd, überdreht, aber oft auch sehr laut. Beim Prozess gegen Till nimmt Solti das Tempo raus und lässt das schwere Blech dröhnend aufspielen wie zum Jüngsten Gericht. Klemperer ist hier partiturgetreuer, spitzt auch sonst die Tempo nicht so zu, setzt aber oft pointierte instrumentale Gags. Trotzdem ist mir das eine Spur zu verwaschen und dynamisch nicht übermäßig differenziert.

    Zwei Abschnitte, die beide Dirigenten m.E. zum Teil verschenken: die "Es war einmal"-Einleitung und der entsprechende Epilog. Zu märchenonkelhaft gemütlich im Mezzoforte, zu wenig raffiniert, reflektiert oder wie immer man das nennen will. Und dann nach der Philisterepisode die kurze Passage "Schnell und schattenhaft" (an letztere Vortragsbezeichnung wird sich Mahler noch in seiner siebten und neunten Sinfonie erinnern): schattenhaft klingt da wenig, dafür ist hier schon wieder die Dynamik in beiden Aufnahmen zu einheitlich im mittleren Bereich.

    :wink:

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  • Ich finde beide nicht ideal.

    Ich habe das Stück ehrlich gesagt in letzter Zeit gar nicht gehört, wurde aber heute morgen durch die mit dem Don Quixote kompilierte Kempe-Einspielung aus Berlin von 1958 zum Thread motiviert. Von der habe ich aber nur den Beginn hören können und kann nichts zum Verlauf sagen.

    Hast Du denn einen klaren Favoriten für den Till?

  • Hast Du denn einen klaren Favoriten für den Till?

    Meine Vorlieben wechseln zu oft und dann purzeln alte Referenzen ;) , ist mir in letzter Zeit öfters passiert. Ich habe das Stück zum erstenmal in der Kempe-Aufnahme von einer Eterna-LP gehört, die mir mein Vater ca. 1981 als Geschenk aus der DDR mitgebracht hatte... Vielleicht lege ich das gute Stück heute mal wieder auf den Plattenteller. Sonst fliegen hier noch ein paar Aufnahmen rum, die ich hören könnte. Geht ja schneller als bei der Götterdämmerung...

    Wobei die Kürze und Konzentriertheit des Stücks schon imponiert, fast noch mehr als bei Don Juan.

    :wink:

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  • Meine Vorlieben wechseln zu oft und dann purzeln alte Referenzen

    Kenne ich anderswo auch. Komischer Weise und trotz guter Gegenargumente bleibt aber in diesem Fall die Solti-Scheibe für alle drei Stücke (Zarathustra, Till, Don Juan) weiterhin mein Favorit. Da bin ich unbelehrbar

    Wobei die Kürze und Konzentriertheit des Stücks schon imponiert, fast noch mehr als bei Don Juan.

    Absolut. Da gibt's keine Längen

  • trotz guter Gegenargumente bleibt aber in diesem Fall die Solti-Scheibe für alle drei Stücke (Zarathustra, Till, Don Juan) weiterhin mein Favorit. Da bin ich unbelehrbar

    Das gilt für mich auch, die Solti - CD ist der Hammer in jeder Beziehung und genau so will ich diese drei tollen R.Strauss-Werke hören !
    Ich habe trotz der in Beitrag 2 abgebildeten Decca-DOPPEL-CD auch die ursprügliche Decca-Einzel-CD (von der Du schreibst) behalten ... so wichtig sind mit diese Solti-Aufnahmen.

    [Blockierte Grafik: https://images-na.ssl-images-amazon.com/images/I/91osrRiktML._SL300_.jpg] =>
    Decca, 1977-1979, ADD

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • Kempe fand ich beim Wiederhören sehr gut: pointiert und bissig, aber auch elegant. Keine lautstarke Effektparade wie bei Solti, sondern überlegt aufgebaut und gesteigert, z.B. in der Philisterszene oder der langen, programmatisch nicht näher definierten Episode vor der Gerichtsszene. Nicht jedes Forte wird zum Fortissimo. Die "schattenhafte" Episode klingt durch zurückgenommenes Vibrato der Streicher angemessen fahl, der Anfang des Epilogs wird anders, etwas zurückhaltender phrasiert als der Beginn des Prologs. Bei der Gerichtsszene nimmt die Aufnahme eine Position zwischen Klemperer und Solti ein: leicht zurückgenommenes Tempo, markig, aber nicht knallig, ausgezeichnet die "entstellte" D-Klarinette. Kempe bindet instrumentale Effekte mehr ein, selten auch so - und das ist m.E. ein kleines Manko - dass man sie kaum noch hört (wie die Flatterzunge der Trompeten in der Marktszene). Eher trockener, heller Klang.


    Auch gehört habe ich Böhm mit den Berliner Philharmonikern (1963):

    Ähnlicher Ansatz wie bei Kempe, aber flacher, fast wie nicht zu Ende geprobt, zudem klanglich mäßig. Seltsam, dass Böhm, der doch in Aufnahmen der Opern oft als exzellenter Strauss-Dirigent erscheint, mich bei den Tondichtungen bisher immer enttäuscht.

    :wink:

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  • Angeregt durch diesen Thread höre ich mich derzeit durch ein paar Aufnahmen und bin zunehmend genervt. Was für uninteressante Musik! Diverse Episoden werden tonmalerisch aneinandergefügt, das handwerklich meisterhaft, und aufgepappt wird mich nicht amüsierender Klamauk.

    Die Frage beantwortend, weshalb mir das Werk keine Freude bringt, läuft es wohl darauf hinaus, dass die Musik für mich auf eine bloße musikalische Bebilderung von sehr schlichten Handlungsfetzen hinausläuft.„Es ist mir unmöglich, ein Programm zum Eulenspiegel zu geben: In Worte gekleidet, was ich mir bei den einzelnen Teilen gedacht habe, würde sich verflucht komisch ausnehmen und vielen Anstoß erregen…“, heißt es in dem oben verlinkten Wikipedia-Artikel. Treffender wäre es meines Erachtens, „komisch“ durch „banal“ zu ersetzen. Anstoß erregen? Vielleicht ja in die von mir gedachte Richtung des zu Schlichten, des im negativen Sinne nur Filmmusik-Mäßigen.

    Diese, meine persönliche, qualitative Einordnung des Werks spricht erst einmal nicht gegen das Werk. Es gehört so gesehen eben zur Gruppe der Werke wie Peter und der Wolf oder Brittens Guide, ist wunderbar geeignete Musik, um Kinder an die Welt der Klassik heranzuführen. Wenn man nicht mehr erwartet, ist alles bestens.

    Von meinen Aufnahmen gefallen mir übrigens die mit Ancerl aus 1964, mit Jansons aus 2009 und mit Honeck aus 2012 am besten; die letztgenannte kann als Gegenentwurf zu Solti gehört werden, sie ist im besonderen Maße klanglich ausdifferenziert – und müsste dir, Zwielicht, daher besonders zusagen. Solti ist mir ebenfalls zu drastisch. Wenn man die Musik allerdings als Vertonung eines mittelalterlichen Schelmenromans versteht und ein entsprechend handfestes Mittelalterverständnis hat, mag es angehen.

    Edit: Habe jetzt noch in weitere Aufnahmen hineingehört. Münch/Munch 1961 ist noch erwähnenswert, Maaze ist wirklich klasse. Ach, eigentlich ist es egal, wen man hört. Überall ganz viel Hörenswertes.

  • Die Frage beantwortend, weshalb mir das Werk keine Freude bringt, läuft es wohl darauf hinaus, dass die Musik für mich auf eine bloße musikalische Bebilderung von sehr schlichten Handlungsfetzen hinausläuft

    Das ist ja einer der gebräuchlichsten und auch ältesten Vorwürfe gegen Strauss' Symphonische Dichtungen. Ich stimme ihm aus zwei Gründen nicht zu.

    Erstens bewerte ich die zweifellos vorhandene und wichtige programmatische Ebene anders. Eine Formulierung wie "bloße Bebilderung" zeigt wieder nur den altbekannten ikonoklastischen Affekt gegen die illustrative Funktion von Musik, die spätestens seit Monteverdis galoppierenden Pferden und klirrenden Waffen existiert. "Schlichte Handlungsfetzen" benennt die Episodik der Till-Programmatik ("lustige Streiche"), bei der manche Programmpunkte wie der Gassenhauer oder die "schattenhafte" Todesahnung nur wenige Takte ein- und dann wieder ausgeblendet werden. Ich halte das für eine ziemlich moderne Erzähltechnik, die nicht auf eine konsistente Erzählung aus ist, sondern eine Reihe von Gesten (die alle in den Rahmen Individuum vs. Gesellschaft passen, selbst die gescheiterte Liebesbeziehung) aus der nicht ungefährdeten - darauf deuten thematische Verwandtschaften und der Schluss - Distanz eines Erzählers (Prolog und Anfang des Epilogs) präsentiert. Diese Episoden kann man, wenn man sie wörtlich nimmt, überwiegend als "banal" bezeichnen. Das führt aber ebensowenig automatisch zu einer banalen Musik wie hochliterarische Sujets à la Hamlet oder Faust eine besonders wertvolle Musik erzeugen. Außerdem kann man gerade den radikal diesseitigen, anti-metaphysischen, komischen Charakter des Till als bemerkenswerten und innovativen Verstoß gegen die herrschenden, entweder von "absoluter Musik" oder von Wagnerianismus geprägten Strömungen der seinerzeitigen deutsch-österreichischen Musik wertschätzen.

    Zweitens scheint mir das (häufig generell gegen Programmusik) gefällte Urteil falsch, dass sich die musikalische Struktur von Till Eulenspiegels lustige Streiche sich in der Bebilderung eines Programms erschöpfe. Das dem nicht so ist, kann ich hier aus Zeit- und Kompetenzgründen nicht im Detail darlegen. Ich verweise aber auf die Studien von Walter Werbeck (Die Tondichtungen von Richard Strauss, Tutzing 1996) und Mathias Hansen (Richard Strauss. Die Sinfonischen Dichtungen, Kassel 2003) und zitiere Hansen: Die Tondichtung Till Eulenspiegel [...] ist ein Stück, an dem sich etwa erfahren lässt, wie kompositorische Intelligenz letztlich noch jedes programmatische Element, wie immer es gefasst und ausgelegt wird, in den Hintergrund rückt - indem sich bei näherem Hinhören eine konzentrierte, harmonisch und rhythmisch komplexe, thematisch extrem variable und zudem auch über ihren Standort reflektierende Musik zeigt. Bernd Edelmann hat beispielsweise - an Hansen anschließend - im 2014 erschienenen Richard-Strauss-Handbuch (Stuttgart 2014) dargelegt, dass der Till ständig mit dem Tristan-Akkord und Tristan-Motivik spielt, allerdings in einer Musik, die ansonsten dem Tristan so unähnlich ist wie nur irgendwas. Das Ergebnis ist auch eine Art Wagner-Persiflage, die über den eigenen kompositorischen Abschied vom übermächtigen Vorbild reflektiert.

    Bevor ich mich wieder dem Verdacht aussetze, einer subjektiven Missfallenskundgebung auf der falschen Ebene begegnet zu sein: Ja, mich persönlich begeistert der Till, er ist eines meiner Lieblingswerke des Komponisten, den ich in den letzten Jahren nach längerer starker Skepsis wieder für mich entdecke. Die Konzentriertheit, der ungeheure Abwechslungsreichtum, die fast körperliche Präsenz dieser musikalischen Gestik, die Drastik und pointierte Kühnheit mancher Episoden (der Bruitismus der Marktszene, die Dissonanzen in der Philisterszene), die hochgetriebene Instrumentaltechnologie, die in den 1890er Jahren ihresgleichen sucht, auch den oft kritisch beäugten "Schwung" und "Elan" - das kann ich immer wieder mit Freude hören .

    :wink:

    .

  • Lieber Bernd, es sei dir unbenommen, besonders den Till zu schätzen und in ihm mehr zu sehen, als ich es tue. Sehr oft bleibt am Ende der vieldiskutierten Qualitätsmerkmale von klassischer Musik doch nur der Geschmack. Du betreibst oben einen gewissen argumentativen Aufwand, um die Qualität des Till zu rechtfertigen. Finde ich gut. Genauso könnte ich jetzt eine Widerrede schreiben, die etwas so liefe: In der Tat modern, aber im Sinne von postmodern und damit ein Stück weit beliebig. Ja, Sujet und Bearbeitung müssen nicht zueinander passen. Man kann die Mona Lisa auch bepissen. Oder Pisse argumentativ in den Hochkamm befördern. Anything goes. Vielleicht es aber aber doch so, dass am Ende große Kunst entsteht, wenn Sujet und Umsetzung einander entsprechen? Gerade gestern haben wir auf einer Geburtstagsfeier den ästhetischen Wert einer sehr guten (gemalten) Kopie eines Gemäldes (klassische Große Meister) diskutiert. Handwerklich genauso gut wie xy, sieht genau so aus. Weniger wert? Natürlich, war die vorherrschende Meinung, es fehlt die Kreativität. Wie ist es nun beim Till? Ist da ein weniger Kreativität, weil keine roher Stein behauen wird, sondern die vorgefertigten Bilder handwerklich perfekt, ja, bebildert werden? Ich habe dir zugehört, Bernd. Klar, Strauss macht viel mehr als das. Unbestritten und überzeugend nachweisbar. Nur, was kommt am Ende dabei heraus? (Jetzt sind wir wieder beim Geschmack) Ich meine (mein Geschmack): nicht viel mehr als eine Filmmusik zu einem banalen Zeichentrickfilm, so gekonnt das auch ist. Du meinst (anderer Geschmack). Das ist kompositorisch großartie Musik. Also kommt die Begründungsmaschinerie in Gang und am Ende steht zu lesen, weshalb das so toll ist. Soll mir recht sein. Viel Spaß also weiterhin beim Till. Bei mir kam der Till heute übrigens nach dem Wozzeck. Vielleicht kam er deshalb so schlecht weg. Denn der Wozzeck, der hat eben doch sehr viel mehr Gehalt. Das Beispiel zeigt übrigens, dass meine Argumentation nicht stimmig ist. Denn dort könnte ich ebenfalls behaupten, der Text sei ja vorgegeben und Berg habe nur umgesetzt. Tja, ich guck dann mal Fußball.
    :cincinbier: Thomas

  • Ja, mich persönlich begeistert der Till, er ist eines meiner Lieblingswerke des Komponisten, den ich in den letzten Jahren nach längerer starker Skepsis wieder für mich entdecke.

    Da bist Du in guter Gesellschaft, lieber Zwielicht! Auch Debussy war begeistert und befand 1901, nach einem Pariser Gastspiel der Berliner Philharmoniker, die den Till mit Arthur Nikisch aufführten, "daß das Stück geniale Züge besitzt, vor allem eine außerordentliche Sicherheit in der Orchesterbehandlung und eine unbändige Bewegung, die uns von Anfang bis Ende mitreißt und zwingt, alle Streiche des Helden mitzuerleben."

    Ich stimme Monsieur Croche nicht in allem zu, wohl aber hier. ;)

    Ausführlicheres zum Thema "Debussy über Strauss" findet sich dort: Richard Strauss als Symphoniker: "eines der eigenständigsten Genies unserer Zeit"?.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Danke an Braccio für diesen interessanten Thread.

    Nur das in der Eröffnung fast nichts zur Komposition steht, aber viel über das ewige "Geschnatter" über den ach so eitlen Komponisten Richard Strauss.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Nur das in der Eröffnung fast nichts zur Komposition steht, aber viel über das ewige "Geschnatter" über den ach so eitlen Komponisten Richard Strauss.


    Nanana ... dass im Eröffnungsbeitrag nicht so viel zur Komposition steht, wie Du Dir wünschst, unbenommen, aber "Geschnatter"? Wenn man Wünsche zur Eröffnung eines Threads äußern darf (zweifellos), darf man auch Wünsche zu den Reaktionen äußern?

    Die Fritz Reiner-R. Strauss - Box (RCA) hatte ich mir erst vor zwei Jahren zugelegt um nicht auf Einzelkäufe der Sinf.Dichtungen angewiesen zu sein ... egal was Reiner bei R.Strauss anpackt = Megaklasse. Freilich - auf Grund des Aufnahmedatums nicht so ausgewogen natürlich, wie Solti, aber von der Int mind. ebenbürtig.
    Leider ist Till Eulenspiegel aber mit Reiner gar nicht dabei !!!


    Wieso? Wenn man die "richtige" Strauss-Reiner-Box kauft, dann bekommt man sogar zweimal den Till - von 1950 mit dem RCA Symphony Orchestra und von 1956 mit den Wiener Philharmonikern. Oder man kauft ein gutes Streaming-Abo, dann ist die Box wohl mit dabei.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

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