Gibt es schlechte Musik (/Kunst)?

  • Andererseits haben die McDonald's-Freunde nur eine beschränkte Relevanz. Michelin-Tester haben einen größeren Einfluss.

    Auf welcher Grundlage kann man diese Behauptung aufrecht erhalten? Relevanz bzw. Einfluss bei wem? Und wie messen wir diese?

    Es klingt für mich so, als ob wir die Nichtmessbarkeit künstlerischer Qualität durch die Nichtmessbarkeit von Relevanz ersetzen. Was wöre damit gewonnen?

    Aber ich lasse mich gerne überzeugen.

    Was die genannten Musiker betrifft: Wer wirklich gut ist, wird auch aufgeführt.

    Hm. Was Mahler also bis in die 1970er hinein nicht "wirklich gut", danach aber schon?

    Bei welchen Musikern gibt es heute eine Diskrepanz zwischen ihrer Qualität (die erst durch zukünftige Aufführungszahlen erweislich wird) und ihren heutigen Aufführungszahlen?

    Genie allein reicht nicht. Man muss auch die Fähigkeit haben, seine Erkenntnisse so aufzubereiten, dass sie beim Rezipienten ankommen. Ansonsten sind die wertlos.

    Das heißt, die Qualität von Musik hinge vom Rezipienten ab? Genauer: Von der Qualität der Rezipienten?

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Das heißt, die Qualität von Musik hinge vom Rezipienten ab? Genauer: Von der Qualität der Rezipienten?

    Der Rezipient ist integraler Bestandteil von Kunst. Töne, die nicht wahrgenommen werden können, sind physikalisch existent, künstlerisch aber nicht. Bei einer Komposition ist nur das Niedergeschriebene Teil des Kunstwerks. Zusätzliche Notenzeilen, die anschließend vernichtet wurden, zählen nicht dazu. Selbst wenn es sich um einen Unfall handeln würde. Es zählt nur das, was ankommt.

    Das liegt daran, dass Kunst grundsätzlich und immer die Absicht hat, etwas zu bewirken. Man hat also gar keine andere Wahl, als auf die Wirkung zu achten. Du kannst übrigens getrost davon ausgehen, dass es Millionen von "unverstandenen" Künstlern gibt. Solange sie nicht verstanden werden, wirken sie auch nicht. Sie werden relevant, sobald sie verstanden werden. Falls nicht, dann halt nicht.

    Dass die Rezpienten unterschiedlich gewichtet werden müssen, habe ich mit dem McDonald's-Michelin-Beispiel schon erwähnt.

    Aber zur Sicherheit: Es gibt keine objektiv "richtige" Methode, die Relevanz von Kunst zu messen. Z.B. könnte man bei Opern die Zahl der Aufführungen nehmen. Aber in welchen Ländern? Ist die Mailänder Scala relevanter als das Stadttheater Bielefeld? Wie bewertet man eine Oper, die als herausragend eingestuft wird, aber aus Kostengründen kaum aufgeführt wird?

    Man muss sich für ein paar Kriterien entscheiden, diese offenlegen und dann entsprechend auswerten. Und sich dann überlegen, ob das Ergebnis "passt", und wenn es nicht passt, woran das liegt. Anschließend passt man seine Kriterien an und wiederholt die Auswertung. Oder aber man sieht ein, dass manche Werke über- oder unterschätzt werden.

    Ich mache das übrigens mit Restaurants regelmäßig. Ist allein schon deswegen sinnvoll, weil man bei Fehleinschätzungen der Leidtragende ist. Und reizvoll, weil man seine "Rangliste" anschließend direkt per Restaurantbesuch überprüfen kann. Ist außerhalb von Europa recht schwierig, da es da keine etablierten Restaurantführer gibt. Reiseführer sind unzuverlässig. TripAdvisor ist besser als nichts. Dann diverse private Webseiten. Demnächst auch ChatGPT.

    Man könnte übrigens meinen, dass in ferner Zukunft ChatGPT "weiß", welches die besten Opern sind. Die Annahme ist aber falsch. ChatGPT macht nämlich auch nichts anderes als wir: Er sammelt Daten, gewichtet sie und wertet dann aus. Im Gegensatz zu uns kann er aber nicht einschätzen, ob seine Ergebnisse sinnvoll sind. Er kann weder Musik hören noch Speisen zu sich nehmen.

  • Es gibt keine objektiv "richtige" Methode, die Relevanz von Kunst zu messen.

    Ah, vielen Dank für die Klarstellung! Zwischenzeitlich hatte ich den Eindruck gewonnen, Du meintest etwas anderes.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Töne, die nicht wahrgenommen werden können, sind physikalisch existent, künstlerisch aber nicht.

    "künsterisch" würde solche Chose doch irgendwie rüberkommen, wenn auch nicht "physikalisch", nämlich (ohne h) beim Lesen der Notenquälerei ...

    oder ... zu Beginn vom Allegretto in Schuberts letzter Sonate D 960 knallt sofort eine Oktave in die Lauscherchen. Die Kahlheit, Aussparung dieses Beginns lässt fehlende Töne (welche diesen Satz vermutlich gleichsam versöhnlerisch ausdünnen würden) quasi "negativ" rüberwachsen ...

    oder ... 12-Ton-Strukturen bleiben i.d. R. von Löffeln unnachvollzogen, sind dennoch künstlerischer Bestandteil von Notenquälereien ...

    Pausen werden ebenfalls nicht als Töne reingezogen, sind aber künsterisch existent ...

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Auch das könnte man lesen:

    https://www.amazon.de/-/en/Claudia-M…aps%2C81&sr=8-3

    Gut oder schlecht?: Urteil und Werturteil in der Musik (Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft)

    >>Gut oder schlecht? – Die Frage nach dem Werturteil in der Kunst und insbesondere in der Musik steht im Zentrum des Sammelbandes. Die Befähigung zum Urteil war das ausschlaggebende Argument für die Etablierung einer deutschsprachigen Musikwissenschaft im späten 19. Jahrhundert. Der Impuls des Menschen zum Werturteil ist allerdings auch in späteren Generationen nicht einfach aus Musik und Musikwissenschaft verschwunden: Davon legen die ideologisch aufgeladenen Debatten der Nachkriegszeit ebenso Zeugnis ab wie die impliziten und expliziten Werturteile der Fachliteratur bis heute. In den Beiträgen des Bandes wird der Bogen von methodischen Überlegungen über historische Fallbeispiele bis hin zum Umgang mit zeitgenössischer Kunst gespannt.<<

    Einfach einen möglichst doofen Maßstab zu erfinden, und daraus schließen, dass es keine Qualität gibt, ist natürlich einfacher.

    In dem Band gibt es das Kapitel

    " 'Schlecht' oder schlecht? Verständnisprobleme"

    Grins1

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

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