Gibt es schlechte Musik (/Kunst)?

  • garnicht mit ästhetischen Kategorien deckt.
    Ich sage nur (mal wieder): Wagner.
    Hat vermutlich auf die bildungsaffine Schicht seiner Zeit (und der nachfolgenden Genrationen) fataler gewirkt, als es die Helene Fischers aller Epochen je konnten. Aber trotzdem nach dem Urteil selbst der größten Gegner keine "schlechte Musik", ganz im Gegenteil - es gibt also zwischen "gut für den Geist und für die, nun ja, Menschheitsgeschichte" und "im musikalischen Sinne gut" keine so eindeutige Korrelation.

    Eine eindeutige "fatale Wirkung" Wagners halte ich für einen Mythos.
    Und die Wirkung von Helene Fischer ist noch nicht abzusehen. Im von Adorno und Co unterstellten Sinne (Ruhigstellung der Massen durch Plastikparadiese usw.) funktioniert die Kulturindustrie jedenfalls seit ca. 80 Jahren ziemlich gut. Wie positiv oder fatal man das findet, kommt vermutlich drauf an. ;)

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Qualität (im Sinne von Güte) lässt sich immer messen, auch bei der Kunst. Voraussetzung ist, wie in allen Gebieten, dass entsprechende Kriterien formuliert werden. Sobald man diese hat, muss man nur noch die Evaluierung durchführen.

    Die Frage muss also lauten: Was sind sinnvolle Kriterien zur Bewertung von Kunst?

    Mein Vorschlag: Die "Wirkmächtigkeit", und sonst gar nichts.

    Nach was kann man Kunst messen? Indem man eben irgendwelche Punkte vergibt, gewichtet nach den bereits genannten Kriterien.

    Und genau das ist das Problem: Das Finden von geeigneten Kriterien. Und "Wirkmächtigkeit" würde ich ausschließen: Das bedeutet, daß Kunst nach plebiszitären oder populistischen Kriterien bewertet wird. OK: Dann fällt der gesamte Klassikbereich schon mal als wenig wirkmächtig aus. Jazz im engeren Sinne auch... und die "Entartete Kunst" mag ich gar nicht anführen. Ist nämlich als Phänomen in der Geschichte kein Einzelfall. Vielleicht ersatzweise das, was man in den USA nach dem Krieg als "unamerikanische Kunst" aus den Museen geräumt hat? Oder der Scheiterhaufen der Eitelkeiten im Florenz Savonarolas?

    Ich würde sagen, Bach fällt eher aus seiner Zeit, weil er komplexitätsmäßig immer noch einen drauf gesetzt hat.

    komplexitätsmäßig? Nicht wegen seiner überdurchschnittlichen Verwendung kontrapunktischer Techniken, die er virtuos beherrscht hat? Das war zumindest das Argument von Forkel.

    Haydn war mit 31 weniger bekannt als Bohlen. Künstlerisch zwar weiter (ca. 15 von insgesamt 107 Sinfonien geschrieben), aber wenn er sich nicht weiterentwickelt hätte, würde heute kein Hahn mehr nach ihm krähen.

    Bekanntheit hat weniger mit der Qualität der Arbeit zu tun, als mit biographischen Details.

    Mir ist natürlich klar, dass die Analogie zur Gesundheit überspitzt ist. Ich bringe die hauptsächlich, weil das eben ein Gebiet ist, auf dem wir ein relativ gutes Verständnis vom Unterschied zwischen "fühlt sich gut an" und "ist gut für mich" haben. Das reicht m.E. zur Widerlegung der Idee, dass etwas gut und wertvoll ist, sofern es irgendjemandem Spaß macht. (Sadismus ist ein zu plattes Gegenbeispiel; die Ernährung ist ja deswegen interessanter, weil Nutella durchaus nährstoffreich ist, kein Gift. Es kommt auf die Dosis und Balance an.)

    Eben: die Dosis. Man kann sich auch mit Äpfeln einseitig ernähren... ;)
    Und wenn ich mir jetzt überlege, was die Ernährungsspezialisten und Ärzte schon alles für "gesund" oder "schädlich" erklärt haben, was sich dann später als Irrtum erwiesen hat - dann wären wir wieder mitten in der was-ist-gute/schlechte Kunst-Debatte...
    (Ich habe übrigens lange Jahre Leistungssport betrieben. Nutella war da Grundnahrungsmittel. Ganz ohne schädliche Nebenwirkungen...)

    Die unproblematische Grundbedeutung von "gut" ist wohl instrumentell: "gut für ein bestimmtes Ziel", wie etwa den funktionalen Bestzustand des Körpers. Sobald man davon zu weit abstrahiert, wird es schwierig. Das ist bei der Musik genauso. "gut zum Paartanz", "gut zum Reigentanz", "gut zum Marschieren" u.ä. funktionale Einordnungen von Musik sind relativ unproblematisch und nicht so schwer bzg. ihrer Zweckerfüllung zu bewerten. Das Problem ist natürlich, dass sich Kunstmusik diesen Zwecken weitgehend entzogen hat. Und dass wir, wenn wir auf den eigentlich ästhetischen, "interesselosen" Rezeptionsmodus "schalten", jegliche Musik frei von diesen Zwecken betrachten können. Damit entfallen alle von Zwecken abgeleiteten Bewertungsmaßstäbe.

    Die Tauglichkeit für den beabsichtigten Zweck ist, soviel ich weiß, die bislang einzige wirklich taugliche Definition für "Qualität" (Diese Frage ist ja nicht nur im Kunst-Umfeld ineressant, sondern auch ganz banal in der Wirtschaft). Wenn jetzt Kunst als a priori zweckfrei angesehen wird (das ist doch die gegenwärtige Meinung dazu?), dann versagt auf dieser Basis selbstverständlich jegliche Qualitätsüberlegung. Da hat sich die Kunstmusik nicht "entzogen", sondern das ist ein prinzipielles Problem von zweckfreier Kunst. Damit wären wir aber wieder bei der reinen Konvention, was denn Kunst wäre und wie sie zu bewerten wäre.

    Mein Vorschlag wäre, dass der Quasi-Zweck von Kunstmusik ist, besonders gut für die zweckfreie, interesselose ästhetische Kontemplation geeignet zu sein.

    Also: der Zweck wäre, zweckfrei zu sein..?
    Ist das nicht ein Muster eines Paradoxons? Meditationsmusik ist ja wohl nicht gemeint?
    Läßt sich das denn bewerten? ich glaube nicht. Interesselose ästhetische Kontemplation ist etwas durch und durch Subjektives. Letztlich ist dafür alles gleichermaßen geeignet, das hängt nur an der Person, was sie dafür als Hilfsmittel heranzieht.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • komplexitätsmäßig? Nicht wegen seiner überdurchschnittlichen Verwendung kontrapunktischer Techniken, die er virtuos beherrscht hat? Das war zumindest das Argument von Forkel.

    genau. Komplexität durch Kontrapunkt, z.B.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht


  • Und genau das ist das Problem: Das Finden von geeigneten Kriterien. Und "Wirkmächtigkeit" würde ich ausschließen: Das bedeutet, daß Kunst nach plebiszitären oder populistischen Kriterien bewertet wird. OK: Dann fällt der gesamte Klassikbereich schon mal als wenig wirkmächtig aus. Jazz im engeren Sinne auch... und die "Entartete Kunst" mag ich gar nicht anführen.


    Das Gegenteil ist richtig. Klassik ist überhaupt die wirkmächtigste Musik die es gibt. Gefolgt von Jazz. Der ganze Rest ist kurzlebig.

    Und natürlich ist das nicht plebiszitär, sondern elitär. Die Eliten legen fest was gut ist. Sie schreiben Bücher, Lexikoneinträge, lehren an Universitäten, bauen und betreiben Konzerthäuser. Entsprechend belegen Bach, Mozart und Beethoven die ersten 3 Plätze, und nicht etwa Michael Jackson oder ein US-Rapper. Wie oft ist heute Abend irgendwo auf der Welt Michael Jackson ("größter Popmusiker aller Zeiten") erklungen? Wie oft Mozart? Eben.

    Bei der "entarteten Kunst" bestätigt sich das. Die kunsthistorische Bedeutung dieser Kampagne ist gleich null. Und das gilt für alle Versuche diverser totalitärer Regimes, die Kunstgeschichte zu beeinflussen. Sie amputieren sich selbst, und die Kunstgeschichte wird dann woanders geschrieben.


    Thomas

  • Damit sind wir doch aber von meinem Eingangsposting noch keinen Schritt weiter gekommen, oder? Mir stellte sich da jedenfalls nach wie vor die Frage, auf WEN die Musik positiv wirken muss, um als "gut" beschrieben werden zu können. Auf den individuellen Hörer? Auf eine Generation? Auf die Menschheitsgeschichte? :wink:

    Letzteres. Im Sinne von: Auf die Summer aller Menschen zu allen Zeiten.

    Und doch bleibt es elitär, wie in einem anderen Beitrag geschrieben. Der Mozart-Hörer hört nicht deswegen Mozart, weil er systematisch tausende Komponisten und Musikstile verglichen hat und Mozart am besten findet. Er hört Mozart, weil die Elite (=gewichtete Summe des Weltwissens) eine enstprechende Vorauswahl getroffen hat.

    Allerdings übt der einzelne Mozart-Hörer eine gewisse Kontrollfunktion aus. Wenn niemand mehr Mozart hört, kann die Elite schreiben was sie will. Die Elite kann nicht gegen die Mehrheit anschreiben, auch wenn das in diversen totalitären Staaten immer wieder versucht wird.


    Thomas

  • Letzteres. Im Sinne von: Auf die Summer aller Menschen zu allen Zeiten.

    Und doch bleibt es elitär, wie in einem anderen Beitrag geschrieben. Der Mozart-Hörer hört nicht deswegen Mozart, weil er systematisch tausende Komponisten und Musikstile verglichen hat und Mozart am besten findet. Er hört Mozart, weil die Elite (=gewichtete Summe des Weltwissens) eine enstprechende Vorauswahl getroffen hat.

    Allerdings übt der einzelne Mozart-Hörer eine gewisse Kontrollfunktion aus. Wenn niemand mehr Mozart hört, kann die Elite schreiben was sie will. Die Elite kann nicht gegen die Mehrheit anschreiben, auch wenn das in diversen totalitären Staaten immer wieder versucht wird.


    Thomas

    Dem kann ich mich anschließen! :)

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Bei der "entarteten Kunst" bestätigt sich das. Die kunsthistorische Bedeutung dieser Kampagne ist gleich null. Und das gilt für alle Versuche diverser totalitärer Regimes, die Kunstgeschichte zu beeinflussen.

    Mir scheint es doch etwas komplizierter zu sein.
    Die Versuche in der stalinistischen Kulturpolitik, die Musik für die "Arbeiter" verständlich zu halten, haben zu Musik geführt, die einen Schlingerkurs zwischen romantischer Verständlichkeit und kreativen Brüchen fährt - und ich behaupte mal, daß auf der Welt mehr Schostakowitsch gehört wird als Boulez - nicht zuletzt in diesem Forum kann man das beobachten.

    Daß die "Versuche diverser totalitärer Regimes" nicht 1:1 Erfolg hatten, ist klar, aber sie haben doch Wirkungen gezeitigt und die Kreativität mit beeinflusst. Daß die menschliche Kreativität immer Wege findet, irgendwie was großartiges draus zu machen, macht sie aus.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht


  • Ich habe mich getraut.

    Als Hintergrundsgeräusch ist das Gedudel durchaus ein paar Minuten auszuhalten. Länger nicht oder nur sehr schwer. Die CD kann also ganz nützlich sein, etwa um unwillkommene Besucher zu einem frühen Abschied zu bringen.

    Angeblich wurde Ravels "Bolero" mitunter als Berieselungs-Foltermittel benützt. Den halte ich aber stundenlang aus. Rondo V. wäre hingegen das Mittel meiner Wahl, wäre ich der zuständige Torturgehilfe. :schwitz1:


    gerade diese amazon-rezension gefunden:

    Zitat

    Ronde Veneziano ist für mich der Inbegriff einer fröhlichen klassischen Musik mit hohem Anspruch.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)


  • Dem kann ich mich anschließen! :)

    :wink: Wolfgang


    Ich bin in 2 Punkten unsicher: 1) Hat Monteverdi bis Dato tatsächlich mehr Menschen erreicht als Dieter Bohlen? 2) Nimmt die Elite tatsächlich Rücksicht darauf, ob auch jemand außerhalb ihres elitären Kreises die ausgezeichnete Musik hört?

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Zitat von cf. putto

    Ronde Veneziano ist für mich der Inbegriff einer fröhlichen klassischen Musik mit hohem Anspruch.

    Wie sagt der Franke: Gschmarri, saubleedes.

    :D Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Zitat von putto

    Ich bin in 2 Punkten unsicher: 1) Hat Monteverdi bis Dato tatsächlich mehr Menschen erreicht als Dieter Bohlen? 2) Nimmt die Elite tatsächlich Rücksicht darauf, ob auch jemand außerhalb ihres elitären Kreises die ausgezeichnete Musik hört?

    1) Ich will es halt nicht streng quantitativ, sondern über die Zeiten hinweg verstehen wollen, womit wir wieder bei der simplen These wären, dass Monteverdi nach Jahrhunderten wohl mehr gehört wird als je zuvor und auch dadurch zu klassischer Musik wird. Bezüglich Bohlen müssen wir zwecks Verifizierung noch arg lange warten ... Indes: Wo der Verstand nicht hinreicht, muss die Hoffnung her.

    2) Da wirst Du Recht haben. Meinerseits habe ich ohnehin Probleme mit solchen Pauschalbegriffen wie dem der Elite. Was soll das eigentlich sein? Das 19. Jahrhundert unterschied erstmals zwischen Bildungs- und Besitzbürgertum. Selten genug, dass diese sich auch nur ernsthaft überlappten. Und heute? Wie ich soeben in der Zeitung gelesen habe, hält sich der russische Oligarch neuerdings gerne einen jungen Löwen als Haustier.

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Meinerseits habe ich ohnehin Probleme mit solchen Pauschalbegriffen wie dem der Elite. Was soll das eigentlich sein?

    Es ging ja konkret um Musikgeschichtsschreibung und Lexika. Die Elite sind hier die Uni-Professoren, deren Karriere es ihnen ermöglicht, die Definitionen und Urteile mitzugestalten und an Orten abzulegen, wo sie auch wahrgenommen werden (Lehrwerke, Lexika). Es ist ja nicht so, dass jeder die Möglichkeit hätte, einen grove-Artikel umzuschreiben. Diese Elite fällt das Urteil, das sich von der Meinung der Elite des Musikbetriebes durchaus unterscheiden kann (der Wissenschaftler unterscheidet sich in seinem Geschmack offenbar doch merklich vom Musiker). Ob die Zeitungsschreiber noch eine Relevanz haben, kann ich nicht beurteilen.

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    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Wie sagt der Franke: Gschmarri, saubleedes.

    :D Wolfgang

    Nun, die jüngst häufig erwähnte Elite - in diesem Fall nicht auf Franken beschränkt (obwohl meine Vorfahren teils von dort stammen) - ist halt bedauerlicherweise von elitärem Stolz und snobistischem Vorurteil, Pride & Prejudice also, geprägt. Mit fortschreitender Altersdemenz werde vielleicht auch ich davon lassen können und mein harsches Urteil revidieren, klassischen Anspruch fröhlich begreifen und vom hohen Stockerl fallen, wenn R.V. ans ertaubende Ohr schallt. ape3

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

  • Das Gegenteil ist richtig. Klassik ist überhaupt die wirkmächtigste Musik die es gibt. Gefolgt von Jazz. Der ganze Rest ist kurzlebig.


    Also wirkmächtig = langlebig?
    Ich glaube, wir sollten uns vorab auf eine Definition einigen....

    Und natürlich ist das nicht plebiszitär, sondern elitär. Die Eliten legen fest was gut ist.

    .
    Tun sie das? DIE Elite mit einem homogenen Kulturverständnis gibt es doch schon lange nicht mehr. Das ist ein Kennzeichen pluralistischer Gesellschaften. Eliten sind Menschen mit "Deutungshoheit". Im Zeitalter des Internets und der social media wird es allerdings zunehmend schwieriger, bestimmten Kreisen überhaupt eine Deutungshoheit zuzuweisen. Damit wird der Begriff der Elite aber innhaltsleer und taugt allenfalls noch als politisches Schlagwort. Wenn sich hierzulande nur eine Minderheit von ca. 7% für klassische Musik interessiert (das ist sogar unter den "Gebildeten" eine Minderheit und nicht alle Klassikliebhaber gehören zur oberen Mittelschicht!), kann man gesamtgesellschaftlich nur sehr schwer die Fiktion aufrecht erhalten, daß das irgendwie von Bedeutung wäre. Deutlich wird das z.B. dann, wenn es wieder einmal um Budgetkürzungen von Kultureinrichtungen oder um die Zusammenlegung von Ensebles geht.
    (Nicht dass ich das nicht bedauern würde...!)

    Bei der "entarteten Kunst" bestätigt sich das. Die kunsthistorische Bedeutung dieser Kampagne ist gleich null. Und das gilt für alle Versuche diverser totalitärer Regimes, die Kunstgeschichte zu beeinflussen. Sie amputieren sich selbst, und die Kunstgeschichte wird dann woanders geschrieben.


    Natürlich wird die Kunstgeschichte woanders geschrieben. Trotzdem ist die kunsthistorische Bedeutung derartiger Kampagnen nicht gleich null und sie hinterlassen ihre Spuren. So ist z.B. Heinrich Kaminski, der in der Weimarer Republik noch einer der wichtigeren deutschen Komponisten war (Orff hat nochmal Unterricht bei ihm genommen, obwohl er bereits selbst als Komponist tätig war), in den Jahren von 33-45 komplett in Vergessenheit geraten und dabei ist es geblieben. Wer, ausser irgendwelchen Nerds, kennt heute noch Werke von ihm? Meyerbeer, der vor 33 einen festen Platz im Opernrepertoire hatte, ist auch nach 45 nicht mehr wirklich auf die deutschen Bühnen zurückgekehrt. Umgekehrt: Pfitzner spielt da auch heute noch eine Rolle. Und die zeitgenössische deutsche Musik nach 45 hat dort weitergemacht, wo sie vor 33 aufgehört hat, nicht zuletzt deswegen, weil sie dazwischen keine Möglichkeiten des Austausches hatte. Mittlerweile war die Entwicklung ausserhalb Deutschlands aber weitergegangen, was durchaus Auswirkungen auf die zeitgenössische deutsche Musik nach 45 im Vergleich zur internationalen Musikszene hatte. Nur beispielhaft.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Im Zeitalter des Internets und der social media wird es allerdings zunehmend schwieriger, bestimmten Kreisen überhaupt eine Deutungshoheit zuzuweisen.

    Das sehe ich nicht so. Nur weil man im Internet Kontakte zu mehr Personen haben kann, bekommen diese ja nicht die Deutungshoheit.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Ja doch, schon: Jeder kann heute mit großer Reichweite publizieren, und jeder kann sich aussuchen, welche Meinungen er lesen will. Daraus entsteht Meinungsbildung grundsätzlich anders als früher, als der Zugang zu Publikationsmedien beschränkt war.
    Stichwort: sich selbst regenerierende Meinungsverstärkungen durch entsprechende Algorithmen (triffts nicht genau, aber ist im selben Problemumfeld). Echo chamber effect.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Nun, die jüngst häufig erwähnte Elite - in diesem Fall nicht auf Franken beschränkt (obwohl meine Vorfahren teils von dort stammen) - ist halt bedauerlicherweise von elitärem Stolz und snobistischem Vorurteil, Pride & Prejudice also, geprägt. Mit fortschreitender Altersdemenz werde vielleicht auch ich davon lassen können und mein harsches Urteil revidieren, klassischen Anspruch fröhlich begreifen und vom hohen Stockerl fallen, wenn R.V. ans ertaubende Ohr schallt. ape3

    Noch mangelt es mir am fröhlichen Begreifen. Und meine vor zehn Jahren verstorbene Mutter war auch dement nicht sonderlich witzig drauf. Außer elitärem Stolz bleibt mir wohl nichts ... :P :)

    Einen schönen Gruß nach Wien von Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

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