Was ist Expressionismus - in Literatur, Malerei, Musik ...

  • Zitat von putto

    Ich fange an, mich zu ärgern. Die Zwölftonmusik ist quasi der Gegenentwurf zum Expressionismus. Im anderen Thread wurde das auch dauernd verwechselt. Mustergültig ist Schönberg 1909-11. Kurze, formlose, frei atonale Stücke. Der Sacre gehört nach MGG nicht zum Expressionismus sondern zum Barbarismus - eigentlich logisch. Die Zwölftonmusik ist großteils der Form nach neoklassizistisch. Weder Sacre noch Überlebender sind expressionistische Musterbeispiele sondern eher Grenzfälle.

    Ich kann genau so gut sagen und bestens begründen, dass die Zwölftonmusik die letzte große Erweiterung der Romantik darstellt. Der Sacre gehört zum Barbarismus? Ja, und? Welche Relevanz hat dieser Begriff? Ist das ein Gegenkonzept zum Expressionismus oder auch nur irgendetwas anderes als eine begrenzte Unterkategorie des Expressionismus? Zwölftonmusik und Expressionismus wiederum sind doch Begriffe auf verschiedenen Ebenen. Du schreibst doch selber, dass Ismen Behelfe sind, und immer wieder absolute Not-Behelfe - jedenfalls alles andere als unumstößliche Weisheiten.

    Böse Menschen streiten ja über die Relevanz etwa der katholischen oder protestantischen wissenschaftlichen Lehrstühle. Bräuchte es eine Literaturwissenschaft, wenn alles so klar und eindeutig wäre?

    Ganz ernsthaft und eigentlich nicht meine Art mich wichtig zu machen: Versuche bitte mal meinen obigen letzten Beitrag nachzuvollziehen!

    Und bitte nichts für ungut, wenn hier schon wieder die Schwächen von Internet-Kommunikation zugeschlagen haben sollten und ich Dich missverstehe. Aber Du hast angefangen, Dich zu ärgern, Worüber eigentlich? Wie wär's, wenn ich mich jetzt ärgere?

    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Warum ich mich ärgere? Du schriebst:

    Zitat

    Die Frühlingsweihe ist mustergültiger Expressionismus. Bei Schönberg fällt mir zunächst der Überlebende aus Warschau ein. Steht der exemplarisch für Zwölftonmusik, wenn er denn welche ist, was ich, ohne nachzusehen, nicht beschwören möchte?

    Es ging die ganze Zeit nicht um Zwölftonmusik. Ob der Überlebende exemplarisch für Zwölftonmusik ist, hat doch mit dem Expressionismus nichts zu tun. So wie das dasteht, wird schon wieder Schönberg und Zwölftonmusik quasi synonym gesetzt und das ganze Thema ad absurdum geführt.

    Die nächste Frage ist, was am Sacre mustergültig für den Expressionismus sei. Wie schon berichtet, wird er im MGG-Artikel nicht zum Expressionismus gezählt. Mustergültig wird er also kaum sein. Das Thema ist es eher nicht. Musikalisch die grellen Dissonanzen und die Aufhebung der Hierarchie der Tonhöhenorganisation über den Rhtyhmus sowie dessen Befreiung aus Konventionen. Ansonsten ist der Barbarismus nicht unbedingt expressionisten-spezifisch. Picasso und Gontscharowa interessierten sich ebenso für die Primitiven wie die Brücke-Maler.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Ich muss mich korrigieren, den "Barbarismus" habe ich mir jetzt eingebildet, den gibt's im MGG nicht. Bzgl. Strawinsky wird im Expressionismus-Artikel ein Einfluss auf ihn erwähnt, er wird aber nicht inkludiert. Im Strawinsky-Artikel findet sich weder das Suchwort "Expressionismus" noch "expressionistisch" - ebenso im grove.

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  • Der Sacre gehört nach MGG nicht zum Expressionismus sondern zum Barbarismus - eigentlich logisch.

    widerspricht sich das wirklich? wir haben in der Schule die frühen Ballette Strawinskys als typischen Expressionismus vorgesetzt bekommen. vielleicht muss man bei diesen Begriffen mit gewissen Überschneidungen und Unschärfen leben...

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Beim (deutschen literarischen) Expressionismus i.e.S. funktioniert die Abgrenzung nach hinten erstaunlich gut übrigens; aber das ist eher die Ausnahme als die Regel.

    Das würde mich jetzt interessieren und es gehört ja auch in den Thread: Warum geht das dort besonders gut und wo sind die Grenzen? Bspw. bei Döblin, Kaiser, Benn, Werfel, Toller und Jahnn? Ist das wirklich so viel deutlicher als bei Schönberg (dessen Zwölftonerfindung ja normalerweise so eine Art möglicher Grenzstein ist: Die Zwölftonmusik gehört nicht mehr ins Kerngebiet).

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  • widerspricht sich das wirklich? wir haben in der Schule die frühen Ballette Strawinskys als typischen Expressionismus vorgesetzt bekommen. vielleicht muss man bei diesen Begriffen mit gewissen Überschneidungen und Unschärfen leben...

    Nein, das widerspricht sich nicht (und außerdem stand es gar nicht so dort ...) - aber - es hat mich selbst gewundert - in den beiden renommiertesten Musiklexika, MGG und grove, wird Strawinskys russische Phase nicht als typischer Expressionismus präsentiert. Der "Barbarismus" (frei nach Bartoks allegro barbaro, kein wirklicher Terminus, aber es kommt vor) ist also nicht zwingend Expressionismus, ist keine "Untergruppe" davon. Das passt aber auch zu den anderen Künsten: Interesse für "Negerplastik" gab es nicht nur bei den Expressionisten.

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  • Das würde mich jetzt interessieren und es gehört ja auch in den Thread: Warum geht das dort besonders gut und wo sind die Grenzen? Bspw. bei Döblin, Kaiser, Benn, Werfel, Toller und Jahnn? Ist das wirklich so viel deutlicher als bei Schönberg (dessen Zwölftonerfindung ja normalerweise so eine Art möglicher Grenzstein ist: Die Zwölftonmusik gehört nicht mehr ins Kerngebiet).

    Mit "hinten" meine ich den Beginn des Expressionismus. Und den kann man nach eigenem Bekunden der Literaten etwa an einem Gedicht wie Weltende von Jakob van Hoddis, an diversen Zeitschriften und Anthologien festmachen. Die Expressionisten hatten sich von Beginn an als solche verstanden. Es ist kein ad-hoc-Konzept. Umgekehrt ist das Ende des Expressionismus (im engeren Sinne) schwer zu fassen. Aber das wurde ja bereits diskutiert.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Nein, das widerspricht sich nicht (und außerdem stand es gar nicht so dort ...) - aber - es hat mich selbst gewundert - in den beiden renommiertesten Musiklexika, MGG und grove, wird Strawinskys russische Phase nicht als typischer Expressionismus präsentiert. Der "Barbarismus" (frei nach Bartoks allegro barbaro, kein wirklicher Terminus, aber es kommt vor) ist also nicht zwingend Expressionismus, ist keine "Untergruppe" davon. Das passt aber auch zu den anderen Künsten: Interesse für "Negerplastik" gab es nicht nur bei den Expressionisten.

    Philmus hat da schon Recht und ich habe mich weiter oben dazu doch schon ausführlich geäußert. Sobald ich im Kontext von Stilen und Epochen mit Begriffen, gar mit den berüchtigten Ismen arbeite, bewege ich mich in einem derart komplexen Gewebe, dass ich bestimmte Tendenzen in der ganzen Kulturgeschichte wiederfinde und dass ich umgekehrt Abweichler, Individuen antreffe, die ganz für sich hochbedeutend waren. Von Überschneidungen und Unschärfen zu sprechen, wie Philmus es tut, ist da durchaus dezent formuliert. ;) :) ... Ist Janacek ein Romantiker, ein Expressionist, ein Moderner, ein Folklorist, ein Sprachmelodiker (das auf jeden Fall, nur ist das kein Stilbegriff im mittelweiten Sinne ;) )? ... Gar ein Naturalist? Wenn es nur einen einzigen Komponisten gibt, den ich als solchen bezeichnen würde, dann ist es Janacek. Und was ist mit den Veristen, fragt die Opernfraktion. Und was haben die wiederum mit Janacek zu tun? So würde ich dann zurückfragen.

    Man kann hier unendlich lange diskutieren, je länger, je mehr man sich mit diesen Dingen beschäftigt. Natürlich kann oder muss ich auch auf Lexika rekurrieren, auch auf die Gefahr hin, Widersprüche, Einengungen, problematische und geistreiche Analogien zuhauf zu finden. Noch einmal: Wären alle diese Dinge mathematisch und logisch streng zu fassen, bräuchten wir keine Geisteswissenschaften, bräuchten wir keine Diskussion.

    Noch kurz zum Barbarismus: Ich kenne den Begriff kaum, das will ich gar nicht leugnen, aber nach allem, was hier angeführt wird, handelt es sich um eine Modeerscheinung, die sich quer durch die Strömungen gewisser Zeitläufte zieht, doch gewiss nicht um eine Stilepoche oder auch nur eigene Strömung. Dass Strawinskys Sacre ein Musterbeispiel für Barbarismus sei, will ich doch gar nicht bestreiten. Ebenso aber bestehe ich darauf und könnte das auch genauer begründen, dass es ein Musterbeispiel für den musikalischen Expressionismus darstellt. Und ich wüsste auch nicht, was einer Zuordnung zu beiden Begriffen im Weg steht - ein Lexikonartikel ganz gewiss nicht. Und das - Entschuldigung ...:

    Zitat von putto

    Wie schon berichtet, wird er [der Sacre] im MGG-Artikel nicht zum Expressionismus gezählt. Mustergültig wird er also kaum sein.

    ... ist nun keine Diskussionsgrundlage. Da könnte ich mich auch ärgern, wenn ich wollte,
    :cincinbier: Wolfgang

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  • Warum ich mich ärgere? Du schriebst:

    Es ging die ganze Zeit nicht um Zwölftonmusik. Ob der Überlebende exemplarisch für Zwölftonmusik ist, hat doch mit dem Expressionismus nichts zu tun. So wie das dasteht, wird schon wieder Schönberg und Zwölftonmusik quasi synonym gesetzt und das ganze Thema ad absurdum geführt.

    Du sollst Dich nicht ärgern, ganz bestimmt nicht. Es ist die Art der Kommunikation, das zu schnelle Lesen und das zu schnelle respektive vor allem parasprachfreie Schreiben, welches hier wieder zuschlägt. Und es liegt mir denkbar fern, zu behaupten, ich wäre frei von Sünden. :D

    Natürlich hat die Frage, ob der Überlebende exemplarisch für Zwölftonmusik sei, nichts mit dem Expressionismus zu tun. Und ebenso wenig käme ich auf die Idee, Schönberg und die Dodekaphonie quasi synonym zu setzen. Es mag sein, dass ich aufgrund zu schwammiger Darstellung in der Tat Dodekaphonie und Atonalität gleichgesetzt habe. Dann hängt mein Argument in der Luft und dann bitte ich um Entschuldigung.

    Worum es mir ging - und es ist halt wohl nicht deutlich geworden: Der Überlebende ist ein weiteres Musterbeispiel für expressionistische Musik im weiteren Sinne - ich halte das aufgrund der schockierenden musikalischen Darstellung eines brennend relevanten Sujets für fraglos. Im engeren Sinne stimmt eben die Chronologie nicht. Bösartige Gegenfrage. Wenn das Werk nicht expressionistisch ist, was ist es dann? :P

    Ob es wiederum Zwölftonmusik ist, danach habe ich ernsthaft gefragt. Nun, ich könnte auch nachsehen. Was mir aber gänzlich klar scheint und ich hier wiederhole, ist die Tatsache, dass sich so etwas wie Zwölftonmusik und so etwas wie expressionistische Musik hochgradig überlappen, aber quasi nicht in der Fläche, sondern im Raum. Die Beschreibungsebenen sind verschiedene.

    :) Wolfgang

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  • Zitat von putto

    Die Zwölftonmusik ist großteils der Form nach neoklassizistisch.


    :) Da tue ich mich schwer mit dem Nachvollzug, denn für mich spricht mehr gegen diese These als für sie. Vielleicht hast Du noch Lust, werter putto, Dich genauer dazu zu äußern.

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  • in diesem Thread wirbeln momentan 12-Ton-Mucke und Expressionismus eng miteinander rum.
    Schlage vor, beides von einander trennen, denn: "Zwölftonmusik und Expressionismus wiederum sind doch Begriffe auf verschiedenen Ebenen"
    Ich würde auch 12-Ton-Mucke nicht zu sehr mit Neoklassizismus zusammenschmeißen.
    Bergs mega-fetzige Lyrische Suite ist z.Tl. 12-tönig, aber muss man die unbedingt mit Neoklassizismus identifizieren; oder sogar sein Violinkozert ? Diese Vorstellung macht mir Bauchschmerzen...
    ... auch Schönbergs sau-geiles Streichtrio hat doch eigentlich nichts mit Neoklassizismus am Hut.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann


  • Philmus hat da schon Recht und ich habe mich weiter oben dazu doch schon ausführlich geäußert. Sobald ich im Kontext von Stilen und Epochen mit Begriffen, gar mit den berüchtigten Ismen arbeite, bewege ich mich in einem derart komplexen Gewebe, dass ich bestimmte Tendenzen in der ganzen Kulturgeschichte wiederfinde und dass ich umgekehrt Abweichler, Individuen antreffe, die ganz für sich hochbedeutend waren. Von Überschneidungen und Unschärfen zu sprechen, wie Philmus es tut, ist da durchaus dezent formuliert. ;) :) ... Ist Janacek ein Romantiker, ein Expressionist, ein Moderner, ein Folklorist, ein Sprachmelodiker (das auf jeden Fall, nur ist das kein Stilbegriff im mittelweiten Sinne ;) )? ... Gar ein Naturalist? Wenn es nur einen einzigen Komponisten gibt, den ich als solchen bezeichnen würde, dann ist es Janacek. Und was ist mit den Veristen, fragt die Opernfraktion. Und was haben die wiederum mit Janacek zu tun? So würde ich dann zurückfragen.

    Man kann hier unendlich lange diskutieren, je länger, je mehr man sich mit diesen Dingen beschäftigt.

    Hm - mit wem willst Du da diskutieren, wir haben doch alle 3 dasselbe nun in unterschiedlicher Formulierung ausgedrückt, eigentlich setze ich das voraus.

    Zitat

    Natürlich kann oder muss ich auch auf Lexika rekurrieren, auch auf die Gefahr hin, Widersprüche, Einengungen, problematische und geistreiche Analogien zuhauf zu finden. Noch einmal: Wären alle diese Dinge mathematisch und logisch streng zu fassen, bräuchten wir keine Geisteswissenschaften, bräuchten wir keine Diskussion.

    Noch kurz zum Barbarismus: Ich kenne den Begriff kaum, das will ich gar nicht leugnen, aber nach allem, was hier angeführt wird, handelt es sich um eine Modeerscheinung, die sich quer durch die Strömungen gewisser Zeitläufte zieht, doch gewiss nicht um eine Stilepoche oder auch nur eigene Strömung. Dass Strawinskys Sacre ein Musterbeispiel für Barbarismus sei, will ich doch gar nicht bestreiten. Ebenso aber bestehe ich darauf und könnte das auch genauer begründen, dass es ein Musterbeispiel für den musikalischen Expressionismus darstellt. Und ich wüsste auch nicht, was einer Zuordnung zu beiden Begriffen im Weg steht - ein Lexikonartikel ganz gewiss nicht. Und das - Entschuldigung ...:


    ... ist nun keine Diskussionsgrundlage. Da könnte ich mich auch ärgern, wenn ich wollte,

    Natürlich ist gerade der Lexikoneintrag der beiden großen Musiklexika eine Diskussionsgrundlage, es sei denn, jeder arbeitet sich persönlich durch eine repräsentative Auswahl von Primär- und Sekundärquellen. Aus den Lexikoneinträgen zu Expressionismus und zu Strawinsky von MGG und grove folgt erstmal, dass die Fachwelt momentan tendenziell Strawinsky als vom Expressionismus beeinflusst sieht (wobei nichtmal der Sacre als Beispiel genannt wird), bei Strawinsky selbst aber nicht auf die Idee kommt, den Expressionismus zu nennen - in Anbetracht der Berühmtheit von Strawinsky und insbesondere des Sacre ist das zweifellos so zu verstehen, dass der Sacre nicht als Musterbeispiel des Expressionismus geführt wird.

    Nun kannst Du anderer Meinung sein und das argumentieren - was interessant wäre - aber es ist eben nicht vorherrschende Fachmeinung. Es ist etwa so, als würde man Kafkas Prozess als das Musterbeispiel des Expressionismus bezeichnen - wohl, weil das alle kennen ...

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  • :) Da tue ich mich schwer mit dem Nachvollzug, denn für mich spricht mehr gegen diese These als für sie. Vielleicht hast Du noch Lust, werter putto, Dich genauer dazu zu äußern.


    Leider führt das vom Thema weg. Nur ganz kurz: Die expressionistische Phase führte Schönberg in eine Schaffenskrise. Der Weg daraus war durch Korsette möglich: Formal durch alte Formen (Neoklassizismus), im Tonsatz durch die Zwölftontechnik. Schönbergs Neoklassizismus entstand also Hand in Hand mit seiner Zwölftontechnik. Schönbergs erster Zwölftonsatz ist doch die Serenade aus op. 24. In dem Werk gibt es außerdem ein Menuett, einen Marsch. Op. 25 ist eine Suite, op. 26 beginnt mit einem Sonatenhauptsatz. Die Zwölftontechnik kommt Hand in Hand mit einer Restauration der Formen.

    Beim Expressionisten Nr. 2 - Webern - ist es ähnlich. Er hat zwar weniger Krise als Schönberg, hält sich aber an Liedtexten fest, um die Haltlosigkeit der expressionistischen Komponierpraxis zu kompensieren und beginnt etwa zeitgleich, strenge Kanons zu komponieren und Schönbergs Zwölftontechnik zu übernehmen. Später orientiert er sich auch an Renaissancemusik.

    Berg ist in beiden Fällen (Expressionismus und Zwölftonphase) komplexer, eklektizistischer. Aber auch Schönberg lässt in seinen späteren Werken ab und zu den Expressionisten wieder durchscheinen (vor allem im Streichtrio - das aber auch eine Reprise hat als neoklassizistisches Element).

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  • Mit "hinten" meine ich den Beginn des Expressionismus. Und den kann man nach eigenem Bekunden der Literaten etwa an einem Gedicht wie Weltende von Jakob van Hoddis, an diversen Zeitschriften und Anthologien festmachen. Die Expressionisten hatten sich von Beginn an als solche verstanden. Es ist kein ad-hoc-Konzept. Umgekehrt ist das Ende des Expressionismus (im engeren Sinne) schwer zu fassen. Aber das wurde ja bereits diskutiert.

    OK, wegen der Selbstdeklaration also - das heißt aber nicht, dass Vorläufer und Vorwegnehmer die Grenze verunklaren (so wie van Gogh in der Malerei).

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  • Ich frage mich, warum der Sacre gerade im Expressionismus zu Hause sein sollte und nicht im russischen Futurismus. Der Platz dort ist ihm verwehrt, da die Futuristen als solche organisiert waren und Strawinsky nicht dabei war. Aber die Zerstörung der Konventionen gemeinsam mit einer Rückbesinnung auf eine graue Vorzeit in Form greller Archaismen/Primitivismen/Barbarismen ist gerade für den Kubo-Futurismus resp. Zaum typisch, man denke bspw. an Chlebnikow und Gontscharowa. Die russischen futuristischen Komponisten forderten die "primitive Synthese". Nun - Strawinsky war nicht dabei, aber er war auch kein deutscher Expressionist. Innerhalb seines Werkes kann man wohl seine russische Phase als die expressionistische bezeichnen, dass er nicht als Musterbeispiel für den musikalischen Expressionismus herangezogen wird, ist mir aber nachvollziehbar.

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  • Schönberg lässt in seinen späteren Werken ab und zu den Expressionisten wieder durchscheinen (vor allem im Streichtrio - das aber auch eine Reprise hat als neoklassizistisches Element).

    an nicht-neoklassizistischen Kompositionen Schönbergs in Zwölftontechnik möchte ich noch erwähnen "Moses und Aron" sowie die Begleitmusik zu einer Lichtspielszene.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Leider führt das vom Thema weg. Nur ganz kurz: Die expressionistische Phase führte Schönberg in eine Schaffenskrise. Der Weg daraus war durch Korsette möglich: Formal durch alte Formen (Neoklassizismus), im Tonsatz durch die Zwölftontechnik. Schönbergs Neoklassizismus entstand also Hand in Hand mit seiner Zwölftontechnik. Schönbergs erster Zwölftonsatz ist doch die Serenade aus op. 24. In dem Werk gibt es außerdem ein Menuett, einen Marsch. Op. 25 ist eine Suite, op. 26 beginnt mit einem Sonatenhauptsatz. Die Zwölftontechnik kommt Hand in Hand mit einer Restauration der Formen.

    Beim Expressionisten Nr. 2 - Webern - ist es ähnlich. Er hat zwar weniger Krise als Schönberg, hält sich aber an Liedtexten fest, um die Haltlosigkeit der expressionistischen Komponierpraxis zu kompensieren und beginnt etwa zeitgleich, strenge Kanons zu komponieren und Schönbergs Zwölftontechnik zu übernehmen. Später orientiert er sich auch an Renaissancemusik.

    Berg ist in beiden Fällen (Expressionismus und Zwölftonphase) komplexer, eklektizistischer. Aber auch Schönberg lässt in seinen späteren Werken ab und zu den Expressionisten wieder durchscheinen (vor allem im Streichtrio - das aber auch eine Reprise hat als neoklassizistisches Element).

    Danke! Meinerseits verstehe ich den Neoklassizismus eher im Sinne des mittleren Schaffens von Strawinsky oder im Sinne eines Poulenc, als formale und klangliche Anverwandlung von Epochenstilen vor der Romantik. Klassizismus deutet ja auf Klassik hin, mit all den den Definitions- und Zuordnungsproblemen, die der Begriff Klassik wiederum beinhaltet. Man kann, wenn berechtigt, auch von Neobarock sprechen (siehe Strawinskys Klavierkonzert) und tut dies bisweilen, oder man tut es eben nicht gesondert. Der Begriff des Neoklassizismus schillert - wie so vieles hier und an anderem Ort. (Ich denke, er schillert auch in der Sekundärliteratur. :) )

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Ja, Schönbergs Bläserquintett wäre wohl auch nicht ein Musterbeispiel des Neoklassizismus - das wäre eher Strawinskys Sinfonie in C - aber in Schönbergs Schaffen ist es neoklassizistisch.

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  • OK, wegen der Selbstdeklaration also - das heißt aber nicht, dass Vorläufer und Vorwegnehmer die Grenze verunklaren (so wie van Gogh in der Malerei).

    Letzteres sehe ich ganz genauso. Dennoch ist es für die Systematisierung bereits ein Glücksfall, wenn eine solche "Selbstdeklaration" (Terminus wird gespeichert :) ) auffällig gegeben ist.

    :wink: Wolfgang

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  • Zitat von putto

    Es ist etwa so, als würde man Kafkas Prozess als das Musterbeispiel des Expressionismus bezeichnen - wohl, weil das alle kennen ...

    Da hätte ich überhaupt kein Problem mit! :D Wenn man denn verzweifelt versucht, das Individuum Kafka in eine Schublade zu stecken - welche sonst sollte es sein? Ich habe überdies den Eindruck, dass nicht wenige Verfasser von Literaturgeschichtswerken es genauso halten.

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