Joachim Kaiser - Großer alter Mann der Kulturkritik oder Auslaufmodell?

  • Lieber AlexanderK,

    das Buch ist entstanden aus Fragen von Musik-Interessierten, di ezwischen 2009 und 2011 Fragen an die redaktion der Süddeutschen geschickt haben, die Kaiser in einem Video-Blog beantwortete. Das Auswahlkriterium für das Buch war ein möglichst vielfältiges Themenspektrum vorzustellen. In der Einleitung steht ein Satz, der mir sehr gefällt, auch weil er mein Bestreben in diesem Forum kennzeichnet

    Zitat

    Schon immer war mein Ziel, andere Menschen für das zu begeistern, was mich begeistert. Schon immer wollte ich versuchen, Lust auf Musik zu machen.

    Das ist ein Ziel, das man mE auch bei einer kritischen Tätigkeit nicht aus dem Auge verlieren darf. Es kann nicht darum gehen, anderen Musik oder eine Art von Musik oder einzelne Komponisten mies zu machen. Erst recht nicht, wennman erfährt, dass sie für Mitleser etwas bedeuten. Deshalb finde ich, dass jede Kritik ihrer Grenze, ihrer Relativität bewusst sein muss. Sprüche wie "... esse delendam" zeigen nicht den Kunstliebhaber, sondern den Kunstfanatiker. Kunstliebe sagt immer viel über einen selbst aus. Der Respekt vor dem Empfinden des anderen sollte uns mit Globalurteilen (zwischen 1750-70 war nix) vorsichtig umgehen lassen. Der Vielfalt des Lebens entspricht die Vielfältigkeit der Kunst - und die Vielfalt der Interpretation. Noch einmal Kaiser

    Zitat

    Wenn Sie sich durch die Lektüre nicht nur gut informiert und unterhalten fühlen, sondern vielleicht sogar die eine oder andere Aufnahme in den CD-Spieler legen, Lust auf einen Opern- oder Konzertbesuch bekommen, sich selber an ein Musikinstrument setzen - dann hätte ich mein Ziel erreicht.

    An welches Musikinstrument setzt man sich schon? ;+) Aber das sei dem Kenner der Klaviermusik verziehen, der uns dieses schöne Buch über Beethovens Klaviersonaten schenkte, das zerlesen bei mir im Regal steht (als Kindle-Buch würde ich mir das umgehend wieder erwerben). Ob nun als E-book oder Druckerzeugnis, bei mir weckt diese Einleitung eine freudige Erwartung. Wie es weiter geht, werde ich berichten - und schön wäre es, wenn es Forumsmitglieder gäbe, die da mitlesen.

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Vielen Dank lieber Peter, Du sprichst mir mit jedem Wort aus der Seele.
    Die Videokolumne habe ich mit großem Interesse verfolgt.
    Ich werde das Buch nächste Woche (in Buchform) kaufen und bin schon sehr gespannt darauf.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Wolfram Goertz hat das Buch in der RP auch gut besprochen, bemäkelt hat er nur eine gut durchhörbare Eitelkeit des Autoren (typisch dafür das name-dropping). Ich habe für so etwas meinen internen Filter, mich stört das wenig - erst recht, wenn die Eitelkeit dazu berechtigt ist. Der erste Artikel über das AT und NT der Klavierliteratur (Goldstein-Variationen/Diabelli-Variationen) hat mich gleich mal die Noten herauskramen lassen. Eine Aufnahme mit Korstick (Rundfunkmitschnitt) wartete sowieso - das intensive Hören fiel mir bei dem Stück nicht eben leicht, einige Variationen habe ich mir gleich mehrfach angehört, aber die Bilanz: meinen Dank an Joachim Kaiser, dass er mich wieder auf das Stück gestoßen hat. Die Goldberg-Variaitonen hatte ich in letzter Zeit sowieso mehrfach laufen (zwingende Folge meiner Anschaffungspolitik, bei Leonhardt und bei Suzuki waren sie in der Box)

    Ich freue mich auf weitere Anregungen

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Joachim Kaiser wurde gestern im Deutschlandradio Kultur geehrt:

    "http://www.deutschlandradiokultur.de/radio-koryphae…ticle_id=272062"

    Ich habe es leider (noch) nicht gehört.

    Sobald ich mich an ihn erinnere, tauchen einige sinngemäße Zitate von ihm vor mir auf und bringen mich zum lachen:

    Zu Maazel `der kann soviel, man meint immer, der langweilt sich beim dirigieren etwas, dem sollte man ein Seil spannen daß er beim dirigieren noch balancieren muss`.

    Zu Bernstein `also, der hat mal einen Fidelio gemacht, der war sooooo toll. Und dann habe ich ihn mit einem Fidelio gehört, der war auch gut, aber nicht soooo gut. Nach der Vorstellung bin ich in seine Garderobe, er kam mir in einem tollen Bademantel mit Tränen in den Augen entgegen und sagte `I didn`t reach it`. Na, da konnte ich sagen `sooooo schlimm war es nun auch nicht`.`

    Ich schätze sein Buch "Leben mit Wagner" und habe mir einige Zeitungsartikel über Theater und Musik, seinen Nachruf in der SZ vom 13.6.1995 zum Tod von Arturo Benedetti Michelangeli, aufgehoben. Auf seine Aufsätze zu Feiertagen in der SZ war ich ganz versessen. Schon die Überschriften reichen für eine philosophische Runde ;+) :

    Pfingsten 2001 (SZ 2./3./4. Juni 2001)
    Beschriebene Musik ist wie ein erzähltes Essen
    Macht der Klänge, Ohnmacht der Sprache - Über die Schwierigkeit, Symphonien, Sonaten und Opern literarisch in Worte zu fassen

    Weihnachten 2001 (SZ 24./25./26. Dezember 2001)
    Weihnachtsbitte um Passion
    Warum geistige Leidenschaft durch nichts zu ersetzen ist

    Als er damals einen Verriss über die Stuttgarter "Götterdämmerung" verfaßt hat, sind ein paar seiner Artikel im Altpapier verschwunden :D .

  • Als er damals einen Verriss über die Stuttgarter "Götterdämmerung" verfaßt hat, sind ein paar seiner Artikel im Altpapier verschwunden :D .

    Was das Musiktheater angeht, ist er ziemlich konservativ gestrickt, das lässt ihn hin und wieder gegen das "Regietheater" ausholen.

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Joachim Kaiser: Mozart und die Welt der Oper

    Seit dem 5. Januar 2014 wiederholt Bayern Alpha in der sonntäglichen Sendestrecke "Die Fernsehtruhe" von 21:45 - 22:30 Uhr Kaisers 13teilige Sendereihe aus dem Jahr 1966.

    Die ersten 3 Sendungen mit den Titeln

    • Problem des Opernhaften
    • Opera seria und ihr leises Pathos
    • Frauentypen - die trauernden Schönen


    waren quasi Längsschnitte, von den frühen zu den späten Opern hin.

    Ab der 4. Sendung am 26. Jan., heute also, beginnt sozusagen der Querschnitt, d.h. eine nach der anderen Oper wird analysiert.

    Mal mit dem Skript in der Hand, mal vom Klavier aus gelingt Kaiser eine - zumindest für mich - fesselnde, lehrreiche und anschauliche Untersuchung des mozartischen Opernschaffens.

    Darüber hinaus werden Einspielungen aus Opernproduktionen einer damaligen "heilen" Theaterlandschaft mit größtenteils prächtigen Stimmen, wie Pilar Lorengar, Hilde Güden (als superbe Figaro-Gräfin), Leopold Simoneau, Erich Kunz, Gottlob Frick u.v.m. in z.T. längeren Passagen eingeblendet.

    Reinschauen lohnt sich!

    :wink:

  • Ich habe nun endlich das berühmte Buch zweimal gelesen und muss sagen, dass ich stellenweise kaum noch Lust hatte, weil mich das Geschwurbel furchtbar aufregte. Es sind sicher auch interessante und richtige Stellen darin, aber mehrheitlich kann die journalistische Herkunft nicht verleugnet werden und das immer mehr sich selbst überbietende hyperbolische Element war mir nicht mehr erträglich. JK ist kein Meister subtiler Wortkunst, das ist alles mächtig gespreizt und überbildert, meist reichlich schräg. Trotzdem natürlich eine spannende Lektüre für den Interessierten. Ich weiß nicht, wie viele CDs ich jetzt schon auf Grund meiner nachvollziehenden Rezeption erstanden habe. Einige Pianisten waren mir gänzlich unbekannt und selbst namhaftere befanden sich nicht aussagekräftig in meiner Sammlung.

  • Der hatte schon was drauf, der Herr Kaiser!

    Hallo,
    J. Kaiser ist seit einiger Zeit verstummt, warum hat F.J. Raddatz in seinen Tagebüchern jüngst (2. Band) veröffentlicht. Raddatz, ein enger Freund von Kaiser, notiert 2 schwere Schlaganfälle in kurzer Abfolge.
    Daher können wir davon ausgehen, dass wir nichts Neues mehr aus Kaisers Hand lesen werden können.
    Es bleibt ein Kritiker, der von Literatur von Musik jede Menge Ahnung hatte, zudem das Leben liebte (Raddatz), aber sicherlich den großen Alten huldigte: Z.B. Goethe, Schiller, Mann, Johnson in der Literatur und Furtwängler, Bernstein und Karajan in der Musik.
    Und der sehr weise und leise die Rezensionen zu Celibidaches Regentschaft in München seinen Kollegen überlies. Nur in einem Satz im Nachruf auf Celi deutete er seinen Ekel vor der Person Celi an, als er schrieb: "Er war vor allem auch ein Manierist."
    Sein eigener Stil war davon wahrlich nicht frei, seine Rezensionen waren immer bemüht am Ende noch das Haar in der Suppe zu beschreiben und zu begründen, warum das Ereignis nun doch nicht so richtig groß war. Seine Beethoven Abende mit Buchbinder waren jedenfalls großartig in ihrer subjektiven Beschreibung, allein durch seine Vortragsmacht, dabei mit leicht ostpreußischem Einschlag..

    Kaiser hat wie kaum ein anderer die Bundesrepublik seit 1947 kritisch in Literatur und Musik begleitet und folgt man Raddatz verstand er im Gegensatz zu "unserem Lautesten" (E. Henscheid) sogar was davon.
    Dass er seit Mitte der 90iger eigentlich "Opas Kritiker" war, merkte man zunehmend, aber seine wenigen Beiträge als "Rezensent im Ruhestand" in der SZ waren meistens formidabel formuliert und fundiert begründet.
    Ich finde seine Bücher lesenswert und als Ergänzung zu anderen Werken immer als Gewinn.
    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Geschmunzelt, das schrieb er immerhin vor über 40 Jahren und mittlerweile sieht es ja noch viel, viel schlimmer aus ... 8+)

    Zitat

    Joachim Kaiser: Große Pianisten in unserer Zeit, München 1989 (dtv), S. 15f.)

    „Es existieren mittlerweile für Interpreten und Musikfreunde Möglichkeiten der Information und der Selbstdarstellung, von denen früher niemand zu träumen wagte, mögen diese Chancen auch infolge unbesonnener Massenproduktion sich zum Alptraum derjenigen verdichtet haben, die verzweifelt fragen, warum die Produzenten Hunderter von Bruckner-, Wagner-, Mahler-, Bach-,Beethoven-Kassetten nicht auch die Lebenszeit produzieren und feilbieten, die nötig wäre, sich durch diese Tonberge hindurchzuarbeiten.“

  • Das ist halt der Fluch der Aufnahmetechnik: die Einspielungen bleiben über Jahrzehnte erhalten. Man muß halt auswählen, heutzutage mehr denn je. Ich sehe das Phänomen bei mir konkret bei Bachs geistlichen Vokalwerken - ich habe von allen vier (WO, MP, JP, h-moll) mehr als genug.

    Andererseits: man hat eine breite Palette an Interpretationsmöglichkeiten zu einzelnen Werken. Auch sehr reizvoll - aber man darf das nicht auf jedes Werk ausweiten, sonst fehlt tatsächlich die Lebenszeit... :D


    jd :wink:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • In den nä. drei Folgen seiner Reihe "Interpretationen" (immer sonntags 15 - 17Uhr) wiederholt DLF.Kultur drei von J. K. moderierte Sendungen . . .

    übermorgen . . . "Magie und Panik - Schuberts Klaviersonate D. 959" (Erstsendung am 02.12.2007)
    am 13.08 . . . "Dem Wahnsinn nahe - Schumanns `Kreisleriana´" (03.02.2008)
    am 20.08. . . . "Durch und durch polnisch - Chopins 2. Klavierkonzert" (04.05.2008)

    n`Morgn 8)

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • In den nä. drei Folgen seiner Reihe "Interpretationen" (immer sonntags 15 - 17Uhr) wiederholt DLF.Kultur drei von J. K. moderierte Sendungen . . .

    übermorgen . . . "Magie und Panik - Schuberts Klaviersonate D. 959" (Erstsendung am 02.12.2007)
    am 13.08 . . . "Dem Wahnsinn nahe - Schumanns `Kreisleriana´" (03.02.2008)
    am 20.08. . . . "Durch und durch polnisch - Chopins 2. Klavierkonzert" (04.05.2008)

    n`Morgn 8)

    An den letzten beiden Sonntagen (29.7. und 5.8.) liefen wiederum Wiederholungen aus dem "Interpretationen"-Archiv mit Joachim Kaiser. Leider habe ich sie verpasst. Hat sie zufällig jemand mitgeschnitten?

  • meine wenige Mächtigkeit hatte die vorletzte Sendung (ging größtenteils über Chopins b-Moll Sonate) mitgeschnitten - um die Aufnahme 2, 3 Tage später mit Hilfe einiger schneller, unvorsichtiger Clicks ins Nirgendwo zu befördern . . .

    der Herbst kann nur besser werden :D

    Ich erinnere mich (halb-) dunkel, dass JoK größere Teile einer Rachmaninow - Aufnahme v. 1930 (nicht deren Schlusssatz allerdings!) für besonders (positiv-) erwähnenswert hielt. Von zwei Horowitz - Einspielungen (1950 u. 62, erinnere ich recht) sei die jüngere klar vorzuziehen: Im Nachhinein sei vermutlich Meister Horowitz selbst die frühere (gar zu?) selbstverliebt - manieristisch geraten. Beim Trauermarsch überzeugte JoK wohl eine Artur Rubinstein Aufnahmen am meisten, den irren - wirren Tonfall des Schlusssatzes hätten ABM und Gilels am besten getroffen.

    In welchen Jahren u./od. Konzertsälen die ihn überzeugendsten Rubinstein-, ABM- und Gilels - Interpretationen jeweils entstanden sind, verriet uns der alte Herr leider nicht. Diese Art von "journalistischer Sorglosigkeit" war mir leider bereits mal beim 60er - Jahre Kaiser aufgefallen (im Rahmen einer Vortragsreihe über Mozart - Opern, die vor einiger Zeit mal bei >damals noch< BR.Alpha wiederholt worden ist)!

    A C H . J A … dass Chopin (vor Niederschrift seiner b-Moll Sonate) Beethovens As-Dur Sonate op.26 gekannt habe, sei wohl ziemlich erwiesen, habe er sie doch selbst einmal (halb?-)öffentlich vorgetragen ("zu brav" allerdings, wie ein damals Anwesender kritisch bemerkt haben soll)!

    :wink:

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

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