• Was mich im Nachhinein übrigens noch beschäftigt hat: Ich frage mich, wie sich Miles Davis wohl entwickelt hätte, wenn er 1949 - nicht - von Paris aus in die USA zurückgekehrt wäre. In Paris lernte er ja Juliette Gréco kennen. Sie waren ja sehr verliebt ineinander (er meinte ja, dass er das, was er für sie empfand, noch nie zuvor empfunden hatte). Hinzu kommt, dass er, kaum in den USA angekommen, in eine Depression rutschte, die auch dadurch bedingt war, dass er in Paris als gleichwertiger Mensch lebte bzw. seine Hautfarbe dort keinerlei Bedeutung hatte. Daraufhin betäubte er sich ja mit Drogen ... Das ist alles so traurig: Trennung von der Frau, die er liebte bzw. in der er zu mindestens verliebt war - und die harte Realität der Rassentrennung. :/

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)



  • Was mich im Nachhinein übrigens noch beschäftigt hat: Ich frage mich, wie sich Miles Davis wohl entwickelt hätte, wenn er 1949 - nicht - von Paris aus in die USA zurückgekehrt wäre.

    Die Frage ist nicht zu beantworten. Es sind ja einige in Europa geblieben, bzw. später dort hin gegangen : Bill Coleman, Arthur Briggs, Sidney Bechet, Kenny Clarke, Oscar Pettiford, Idress Sulieman, Roy Eldridge, Buck Clayton, Herb Geller, Leo Wright oder Kenny Drew lebten längere Zeit dort.

    Bitte verkläre Miles nicht, denn er war bereits an der Nadel, als er 1949 in Europa war mit Charlie Parker. Fakt ist, dass rund 90 % der Musiker, die mit Charlie Parker längere Zeit spielten drogenabhängig wurden, obwohl dieser die Kollegen immer davor warnte es NICHT zu probieren. Parkers drei Trompeter hießen Miles Davis, Red Rodney und Kenny Dorham - alle drei wurden abhängig. Rodney und Dorham konnten sich mit viel Mühe aus dem Sumpf ziehen, was aber viele Jahre dauerte. Rodney war übrigens ein weißer Jude gewesen, es alleine auf die Hautfarbe zu schieben wäre zu billig gewesen.

    Hier übrigens DIE Miles Davis-Biographie in deutscher Sprache

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Was mich im Nachhinein übrigens noch beschäftigt hat: Ich frage mich, wie sich Miles Davis wohl entwickelt hätte, wenn er 1949 - nicht - von Paris aus in die USA zurückgekehrt wäre.

    Um den Faden weiter zu spinnen einige Anmerkungen zur Zeit um 1949/50. In den USA machte sich die Islamisierung auf eine recht ungewöhnliche Art Fortschritte. Musiker wie Kenny Clarke, Art Blakey, Leonard Graham oder Edmund Gregory galten nicht mehr als "Schwarze", wenn sie einen islamischen Namen trugen. Das mag verrückt klingen, war aber so gewesen. Während Du Kenny Clarke oder Art Blakey dem Namen nach kennen dürftest, sagen Dir die beiden anderen Namen nichts. Das dürfte den Usern, die sich hier im Jazzbereich aufhalten nicht anders ergehen.

    Kenny Clarke hieß nach der Entlassung aus der Armee dann Liaquat Ali Salaam, doch unter diesem Namen kennt ihn kein Mensch mehr. Ich musste den Namen auch neu googlen, da er mir nicht geläufig war. Art Blakeys Name kenne ich tatsächlich noch, doch zum niederschreiben auch hier: Ohne Google wird das nix. Abdullah Ibn Buhaina. Unter diesem Namen trat er immer mal wieder auch auf. Auch Blakey wurde dogenabhängig, weil er im Umfeld von Parker, Fats Navaro (der 1950 an einer Überdosis Heroin gestorben war noch keine 30 Jahre alt).

    Leonard Graham wurde zu Idrees Sulieman, und blieb es bis zu seinem Lebensende 2002 mit knapp 79 Jahren. In Europa hatte er einen sehr guten Ruf, etwa in der Francy Boland/Kenny Clarke-Bigband, Er war ein Schwarzer, einer der ersten Bop-Trompeter, der NICHT im Drogensumpf verschwand, aber mit Leuten wie Earl Hines, Count Basie, Lionel Hampton, Dizzy Gillespie, Thelonious Monk (1947 Aufnahmen) oder Illnois Jacquet arbeitete. Das sind auch keine Kirmes-Bands gewesen.

    Edmund Gregory wurde zu Sahib Shihab, spielte Alt, aber vor allem Baritonsax, später auch Flöte und Sopransax und saß in den Bigbands von Fletcher Henderson, Roy Eldridge, Thelonious Monk, in der Dizzy Gillespie-Bigband Ende der 1940-er Jahre, Tadd Damaron, Art Blakey, Illinois Jacquet und später dann Quincy Jones und ebenfalls bei Francy Boland/Kenny Clarke.

    Ich möchte damit aufzeigen, dass eine anders laufende Karriere damals möglich war, trotz der ganzen Einschränkungen als Schwarzer. Doch Miles war ein völlig anderer Mensch. Daher wäre er in Europa am Ende niemals zu dem Miles Davis geworden, der er noch werden sollte. Es gibt im Verhältnis nur sehr wenige Musiker aus den Staaten, die damals in Europa wirklich stilbildend Einfluss hatten auf die Jazz-Szene. Lee Konitz, Gerry Mulligan, Oscar Pettfiford Kenny Clarke, Tony Scott (ein weißer Klarinettist, der ein Vorreiter der Weltmusik werden sollte, auch in Afrika und Fernost arbeitete und lebte) und Sidbey Bechet waren damals fast sowas wie Exoten gewesen.

    Diese Zeit ist für uns heute so weit weg wie die Sprache von Goethe oder Schiller.

    Miles war 1949 in Europa nur wenig bekannt. Er war selbst in den USA erst ca. 5 Jahre "auf der Szene" gewesen, das sollte man immer wieder mal bedenken. Heute ein Zeitraum, der geradezu lächerlich ist, damals ein halbes Leben.

    In Europa gab es nach dem Kriege nur in England, Frankreich und Schweden eine recht aktive Jazzszene, alle anderen Länder waren noch durch den Krieg erst am Wiederaufbau, mussten sich das Ganze erst wieder aufbauen. Daher liefen auch dort die Fäden aller Stilrichtungen quasi parallel nebenher. Alter Jazz, der in den USA gerade wieder neu im Kommen war, dazu Bop und selbst der Cool Jazz liefen gleichzeitig dort ab. Es gab Musiker, die das ganze Umfeld irgendwie abdeckten, weil sie von der neuen Musik völlig mitgerissen wurden. Dazu gehörten bald auch Musiker wie die Mangelsdorff-Brüder, Fatty George (den heute kein Mensch mehr kennen dürfte), Erwin Lehn, Kurt Edelhagen oder Hans Koller , aber auch die hier schon mal erwähnte Jutta Hipp, Rolf Kühn - alles Namen, die in Europa langsam Karriere machten, Max Greger und selbst ein James Last (der ein recht guter Bassist war vor seiner Karriere als "Happy Sound-Band Leader, und unter dem Namen Hans Last aktiv war).....

    Das mal so im Zusammenhang zur Zeit um 1949 bis vielleicht 1955 herum, also jener Zeit, die für Miles Davis selbst noch "Entwicklungszeit" werden sollte.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Die OP war deutlich früher: irgendwann in den 50ern. Er hat anschließend wohl seine Stimme nicht ausreichend geschont (sich aufgeregt, etc. ...). Ich melde mich am frühen Abend mal erneut dazu ...

    Informationen aus einem anderen Forum:

  • Braccio :
    Oh, vielen Dank! 8) Ja, im Film hat man (ebenfalls) behauptet, er hätte sich über etwas bzw. jemanden aufgeregt, obwohl er seine Stimme noch hätte schonen müssen ... Ich kann ja die Tage noch mal reinhören, wer das genau war ... ich meine, da fiel ein Name.


    Maurice:
    Oh, lieben Dank für deine ausführlichen Infos! Von dir kann man ja immer wieder viel lernen ... 8)

    Und nein, ich verkläre ihn nicht; dafür hat der Film schon gesorgt. Dennoch sehe ich ihn nun mit anderen Augen und habe einfach mehr Verständnis für seine, sagen wir mal, dunklen Seiten. Im Nachhinein hat er ja auch so Einiges bereut ... Aber ich muss ganz ehrlich zu geben: ich habe mich vorgestern noch gefragt, ob ich mir nicht ein Miles Davis Poster ins Wohnzimmer hängen soll. ^^ Na ja, wäre ja aber sicherlich übertrieben, da ich längst noch nicht alles von ihm habe und noch kein "großer" Fan bin. Na ja, ich habe halt vor einigen Wochen mein Wohnzimmer renoviert und werde im nächsten Monat (erst) die Bilder aufhängen, also nachdem meine Couchgarnitur angeliefert wird. Sorry, offtopic ... na, jedenfalls habe ich bis dahin noch etwas Bedenkzeit, was das Poster bzw. Bild anbelangt. :D Es gibt ja doch auch tolle und ausdrucksstarke Fotos von ihm. :thumbup: Wie kam ich jetzt darauf? Ach, ja: Stichwort "Verklärung" ... :versteck1: ^^

    In Europa gab es nach dem Kriege nur in England, Frankreich und Schweden eine recht aktive Jazzszene, alle anderen Länder waren noch durch den Krieg erst am Wiederaufbau, mussten sich das Ganze erst wieder aufbauen. Daher liefen auch dort die Fäden aller Stilrichtungen quasi parallel nebenher. Alter Jazz, der in den USA gerade wieder neu im Kommen war, dazu Bop und selbst der Cool Jazz liefen gleichzeitig dort ab.


    Ah, das ist sehr interessant ... :thumbup:

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)



  • Maurice:
    Oh, lieben Dank für deine ausführlichen Infos! Von dir kann man ja immer wieder viel lernen ..

    Danke. Nicht von mir, aus den Büchern, die richtig gute Leute lange vor meinem Erscheinen hier geschrieben haben. Außerdem hatte ich das Glück, den ein oder anderen Veteranen des deutschen Nachkriegs-Jazz noch live zu erleben, aber auch noch von dessen Erzählungen so manches Detail zu behalten. Mehr nicht.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Braccio :
    So, habe nun doch noch mal reingeschaut:

    Es fiel zwar kein Name, aber Cortez McCoy, ein Freund von Miles Davis, meinte Folgendes (bezugnehmend auf die Zeit nach der OP): "One week went by and he was in pretty good shape. The second week, he couldn‘ t keep his mouth shut. Everybody was „a sack full of motherfuckers". And that was it. He got that rasp and it never healed.

    ... Außerdem hatte ich das Glück, den ein oder anderen Veteranen des deutschen Nachkriegs-Jazz noch live zu erleben, aber auch noch von dessen Erzählungen so manches Detail zu behalten. Mehr nicht.

    :thumbup:

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  • Ach, kurz noch:
    Was mir an der "Miles Davis"-Doku weniger gefällt, ist die Tatsache, dass alle Zitate von Miles Davis vom Schauspieler und Synchronsprecher Carl Lumbly gesprochen werden und dies nur zu Beginn ganz kurz eingeblendet wird.

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  • Habe mir heute mal erneut dieses Live-Album von Miles Davis angehört:

    Miles Davis Quintet: Live at the Monterey Jazz Festival (1963)

    Miles Davis (tp)
    Herbie Hancock (p)
    George Coleman (ts)
    Tony Williams (dr)
    Ron Carter (kb)

    Nachdem ich mir auf Youtube auch weitere Live-Versionen von "So What" angehört habe, gefällt mir diese nun - mit Abstand - am besten. Was bzw. wie Miles Davis da in den ersten (knapp) 4 Minuten spielt, gefällt mir wahnsinnig gut (vor allem dieses "Trillern" ,,, wobei ich nicht weiß, ob sich diese Technik nun doch anders nennt ...). :verbeugung1: Wow! Wobei ich George Coleman ebenfalls großartig fand. :thumbup: Je öfter ich dieses Live-Album höre, desto besser gefällt es mir.

    An dieser Stelle also mal die Frage: nennt sich das "Trillern"?

    https://www.youtube.com/watch?v=2Yp3WPBMTTE

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)



  • n dieser Stelle also mal die Frage: nennt sich das "Trillern"?

    Nein. Das ist ein ganz einfacher Effekt, den man erreicht, indem man diesen Ton (es ist das sog. "Klingende D2) mit dem dritten Ventil spielt, und das Ventill einfach schnell drückt und los lässt. Es klingt ein wenig nach einem Triller, ist aber keiner. Hier wird nur der gleiche Ton gespielt. Das funktioniert auch nur bei wenigen Tönen so und hat was mit der Technik zu tun (bautechnisch gesehen, nicht instrumetentechnisch gesehen).

    Man kann das nur mit dem 3.Ventil übrigens machen, weil es das einzige Ventil ist, dass bei einer B-Trompete als Hilfsgriff bei einigen Tönen genommen werden kann. Sonst hat man beim Drücken eines Ventils immer einen anderen Ton. Nur mit dem 3.Ventil wird eigentlich nur dann agiert, wenn das Instrument irgendwo ein Intonationsproblem hat, aber die alternative Griffweise besser funktioniert. - oder eben als den Showeffekt, den Du angesprochen hast.

    Sorry, das war jetzt sehr technisch gewesen.

    PS: Ein Triller wird normalerweise mit dem direkten Ton ÜBER dem eigentlich zu trillernden Ton gespielt, daher auch hier meine Einschränkung dazu.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Lieben Dank, Maurice! :wink:

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  • Interessant auch, dass man zunehmend herausfindet, wer so im Laufe der Zeit von wem abgekupfert hat ... In der Live-Version von "So What" (siehe Link, den ich gepostet hatte) spielt Herbie Hancock ab min. 08:06 ein kurzes Thema an. Klingt ein wenig "orientalisch" angehaucht. Das hat Michael Wollny bei seinen Live-Konzerten, sowie -Aufnahmen ebenfalls auf sehr ähnliche Art und Weise improvisiert (bei seinem Stück "Nacht"). Vielleilcht stammt es ja aber auch aus einem anderen Werk, das mir unbekannt ist. Wie auch immer: ich frage mich übrigens immer wieder, weshalb Herbie Hancock immer so gehypt wurde/ wird. Hm. Was macht ihn denn so ... "besonders"? *Schulterzuck* Er spielt sehr gut, ja, aber ... nicht außergewöhnlich gut, würde ich mal sagen. Also, ganz ehrlich: ich finde, dass Michael Wollny besser - und origineller - spielt. :versteck1: Aber vielleicht kenne ich ja lediglich zu wenig v. Herbie Hancock, daher auch meine ernstgemeinte Frage. Möchte den Hype um ihn nur (besser) verstehen.

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  • Interessant auch, dass man zunehmend herausfindet, wer so im Laufe der Zeit von wem abgekupfert hat ..

    In der Live-Version von "So What" (siehe Link, den ich gepostet hatte) spielt Herbie Hancock ab min. 08:06 ein kurzes Thema an. Klingt ein wenig "orientalisch" angehaucht. Das hat Michael Wollny bei seinen Live-Konzerten, sowie -Aufnahmen ebenfalls auf sehr ähnliche Art und Weise improvisiert (bei seinem Stück "Nacht").

    Wie auch immer: ich frage mich übrigens immer wieder, weshalb Herbie Hancock immer so gehypt wurde/ wird. Hm. Was macht ihn denn so ... "besonders"? *Schulterzuck*

    Er spielt sehr gut, ja, aber ... nicht außergewöhnlich gut, würde ich mal sagen. Also, ganz ehrlich: ich finde, dass Michael Wollny besser - und origineller - spielt.

    vielleicht kenne ich ja lediglich zu wenig v. Herbie Hancock, daher auch meine ernstgemeinte Frage. Möchte den Hype um ihn nur (besser) verstehen.

    damit hast Du Dir die Frage im Grunde selbst beantwortet.

    Nicht verstanden? :D

    Okay, dann etwas mehr im Detail was ich meine.

    Wollny mag ein sehr guter Pianist sein, das wird hier niemand abstreiten. Dass er, wie Du ja selbst festgestellt hast, offenbar Herbie Hancock gut studiert hat, hast Du quasi selbst benatwortet, denn Wollny hat ein wenig mit Hancocks Improvisationen selbst gespielt. Anders gesagt, Wollny hat bei Hancock "geklaut". Das klingt böse, ist aber eine völlig normale Sache im Jazz.Die Jungen lernen von den Alten, um dann ihren eigenen Beitrag dazu zu leisten.

    Hancock war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Klar, es wird immer wieder Musiker geben, die von Seiten der Plattenfirmen besonders gefördert werden, das war bei ihm nicht anders. Ich könnte vermutlich locker 50 Musiker auflisten, die eine ähnliche Unterstützung hatten, die aber nicht den Bekanntheitsgrad am Ende hatten.

    Ich bringe Dir ein Gegenbeispiel, was vielleicht noch deutlicher macht, was am Ende zählt: Verkaufte Alben, TOP10-Platzierungen, ausverkaufte Säle.

    Louis Armstrong war auf dem Höhepunkt seiner musikalischen Kunst um die 30 Jahre jung. Geboren 1901, hatte er in der Zeit 1927-1929 seine besten und wichtigsten Aufnahmen gemacht, die wirklich relevant für die Jazzwelt waren. Klar, auch später machte er noch viele tolle Aufnahmen, doch diese kurze Zeit alleine hätte ausgereicht, ihn in jedem Jazz-Lexikon immer wieder zu nennen.

    Armstrongs aber KOMMERZIELL erfolgreichste Zeit machte er erst als ast schon alter Mann, bzw. als alter Mann, nämlich ab 1947 erst. Da waren z.B. zuerst "Blueberry Hill" (1949) , "St.Louis Blues" (1954) , "Mack the Knife" (1955), und vor allem "Hello,Dolly" (Eingespielt Ende 1963, Anfang 1964 auf den Markt gekommen) und natürlich "What a wonderful World" (1967).

    Weder "Hello,Dolly" noch "What a wonderful World" sind Jazzstücke im eigentlichen Sinne, es sind banale Schlager, die aber noch heute mit Armstrong in Verbindung gebracht werden. Am Ende sind es Armstrongs schwache Stücke, die ihn heute noch populär machten. Irre, aber leider die Wahrheit. Seine "Hot Five" und "Hot Seven"-Einspielungen kennen nur noch die Fachleute.

    Zurück zu Herbie Hancock. Dieser schrieb, wie ja alle wissen, einige ebenfalls sehr erfolgreiche Stücke: "Watermelon Man" , einem simplen Blues in F, eben mit einem leichten Rock-Beat untermalen, dann "Cantaloupe Island" und etwa "Maiden Voyage". Alle Stücke sind von Blue Note veröffentlicht worden. Denn genau diese Firma war in der Lage, solche Musiker zu erkennen und zu fördern.

    Seine erste eigene Platte nahm er 1962 mit Musikern wie Dexter Gordon und Freddie Hubbard auf. Darunter war eben auch "Watermelon Man". Man muss sich vorstellen, dass rund 200 Musiker dieses Stück bis heute aufgenommen haben. Für einen modernen Jazzer ist das alleine schon der Ritterschlag gewesen.

    Wie "gut" Hancock wirklich war, kann man daran erkennen, dass er bereits mit 11 Jahren (!!) ein Klavierkonzert von Mozart mit einem Orchester wie dem Chicago Symphony Orchestra aufführen konnte.

    Er studierte dann Elektrotechnik und Komposition. Ersteres sollte ihm später noch gut helfen, als er anfing mit Synthesizern und elektronischen Instrumenten zu experimentieren. Er fing auch an Werbe-Jingles zu schreiben. Durch Miles Davis war er an der Entstehung des Rock-Jazz beteiligt, mit seinen eigenen Aufnahmen machte er den Begriff "Fusion" zu einer Erfolgsformel. Damit war er erneut zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

    Anfang der 1970-er Jahre gründete er ein Sextett, aber DAS wurde z.B. aus finanzieller Sicht ein absoluter Reinfall. Auch das soll es geben bei solchen Leuten. Ende der 1970-er Jahre machte er dann wieder etwas, was parallel zu seinen ganzen elektronischen Bands lief: Er gründete die Band V.S.O. , eine rein akustische Jazzband, die nichts anderes als das Miles Davis-Quintett von 1964-1969 war, aber als Quartett. Freddie Hubbard, und dann Wynton Marsalis waren die Trompeter, Ron Carter und Tony Williams waren die weiteren Bandmitglieder. Nur Wayne Shorter war nicht dabei und wurde auch nicht neu besetzt.

    Auftritte mit Sting, Paul Simon oder Santana taten ihr Übriges, dass er weiterhin populär blieb.

    Es gibt kaum einen Jazzmusiker, der eine ähnliche Popularität erreichte. Joe Zawinul nicht, vielleicht noch Chick Corea. Beide sind sicher auf ihre Art ähnlich gestrickte Musiker, die ebenfalls immer wieder zum akustischen Jazz zurück kamen, aber auch sehr populär wurden.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Zu Hancock: Ob “Hype” der richtige Begriff ist, weiß ich nicht recht. War ein Wunderkind der kleine Herbert und hat als 12jähriger eines der späten Mozart-Klavierkonzerte mit dem CSO aufgeführt. Für einen nicht-weißen Jungen in den USA der Rassentrennung schon eine kleine Sensation. Und dann war er als recht junger Musiker ab den 1960ern an zahlreichen wichtigen Alben von mehreren Hardbop-Größen bei Blue Note beteiligt, hat unter eigenem Namen beim selben Label Platten gemacht, Tunes geschrieben, die zu Quasistandards wurden (eg. watermellon man), hat im zweiten Quartett des groooooooooßen Miles Davis gespielt, durfte bei ihm die RockJazz-Wende mitmachen und hat sich dann diesem Fusion-Scheiß mit den Headhunters verschrieben und sowas wie “Rock it” gemacht. *gusel*

    Außerdem hat zu ner Reihe von Filmen, darunter ein paar ziemlich kultige wie “Blow Up”, den Soundtrack gemacht. Also: irgendwie ist er tatsächlich “wichtig” (gewesen). Aber sein Klavierspiel finde ich auch nicht besonders besonders. In den 60ern war er allerdings schon richtig gut, meine ich.

    Adieu
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • EDIT an Algabal: Was kosten Klavierstunden bei Dir? ;)

    Die sind unbezahlbar! :D

    Wenn jetzt jemand meint, ich meinte, Hancock sei kein exzellenter Pianist, der irrt. Ich mag andere einfach lieber und finde deren Spiel besonders besonders. Paul Bley z.B., wobei ich gar nicht beurteilen kann, ob er rein “technisch” an Hancock heranreichte. Aber die Technik ist ja eigentlich komplett unwichtig...

    Ich könnte es auch so sagen: Hancock hat nie an irgendeiner Platte mitgewirkt, die ich besonders liebe und an allen Jazz-Stilen, in denen er sich irgendwie hervorgetan hat, bin ich nur mäßig interessiert. Bei den in meinen Ohren richtig guten Davis-Platten der 1970er war er auch gar nicht beteiligt.

    Adieu
    Algabal

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  • Zu Hancock: Ob “Hype” der richtige Begriff ist, weiß ich nicht recht. War ein Wunderkind der kleine Herbert und hat als 12jähriger eines der späten Mozart-Klavierkonzerte mit dem CSO aufgeführt. Für einen nicht-weißen Jungen in den USA der Rassentrennung schon eine kleine Sensation. Und dann war er als recht junger Musiker ab den 1960ern an zahlreichen wichtigen Alben von mehreren Hardbop-Größen bei Blue Note beteiligt, hat unter eigenem Namen beim selben Label Platten gemacht, Tunes geschrieben, die zu Quasistandards wurden (eg. watermellon man), hat im zweiten Quartett des groooooooooßen Miles Davis gespielt, durfte bei ihm die RockJazz-Wende mitmachen und hat sich dann diesem Fusion-Scheiß mit den Headhunters verschrieben und sowas wie “Rock it” gemacht. *gusel*

    Wir haben zeitgleich im Grunde die gleiche Meinung vertreten.


    Also: irgendwie ist er tatsächlich “wichtig” (gewesen). Aber sein Klavierspiel finde ich auch nicht besonders besonders. In den 60ern war er allerdings schon richtig gut, meine ich.

    Das war er auch später noch, doch man setzt diese ganzen kommerziellen Mätzchen natürlich auch gleich sein Spielen mit herab.Man tat dies bei Harry James auch, aber wenn er (egal ob James oder Hancock) richtig loslegen durfte, dann war das schon Jazz allererster Gütekklasse.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Maurice:
    Danke für die Infos!

    Wollny mag ein sehr guter Pianist sein, das wird hier niemand abstreiten. Dass er, wie Du ja selbst festgestellt hast, offenbar Herbie Hancock gut studiert hat, hast Du quasi selbst benatwortet, denn Wollny hat ein wenig mit Hancocks Improvisationen selbst gespielt. Anders gesagt, Wollny hat bei Hancock "geklaut". Das klingt böse, ist aber eine völlig normale Sache im Jazz.Die Jungen lernen von den Alten, um dann ihren eigenen Beitrag dazu zu leisten.

    Klar kupfert man immer - oder zu mindestens meistens - irgendetwas von seinen Idolen ab, ganz klar. Wollnys Vorbild war allerdings (früher mal) eher Keith Jarrett, aber egal ... hier ging es ja um ein konkretes Beispiel, das ich nannte und das sich halt auf Herbie Hancock bezog. Wie gesagt: Abkupfern ist ja auch nichts Schlimmes, insofern man seinen eigenen Weg geht und findet, was bei Wollny ja 100%ig hingehauen hat. :verbeugung1: Und ja, ich weiß, was hier viele denken: "Die steht doch nur auf Wollny". ^^ Und ja, ich gebe zu, dass ich ihn ziemlich toll finde und für ihn schwärme, :love: weil er zudem gut aussieht und wahnsinnig sympathisch ist, aber ich bin schon noch bei klarem Verstand und würde niemals so sehr für ihn schwärmen, wenn er mich nicht mit seiner Kunst (!) überzeugt hätte. Das wollte ich nur schnell noch erwähnen. ^^ Zurück zum Thema: nein, lieber Maurice, ich finde nicht, dass es "böse" klingt, wenn du von "klauen" sprichst. Alles gut. :thumbup:

    damit hast Du Dir die Frage im Grunde selbst beantwortet.

    Nein, nicht wirklich. Ich schrieb hierzu: "Vielleicht kenne ich ja lediglich zu wenig v. Herbie Hancock, daher auch meine ernstgemeinte Frage. Möchte den Hype um ihn nur (besser) verstehen."
    Das impliziert ja nicht, dass ich, wenn ich mehr von ihm höre, automatisch gleicher Auffassung bin bzw. sein werde wie du. Und, wie gesagt, ich finde ja ebenfalls, dass er sehr gut spielt, aber ich könnte ihn jetzt nicht unbedingt "heraushören" bzw. blind erkennen, dass es sich um ihn handelt. Daher meine Frage nach dem "Besonderen" ...

    Mal abgesehen davon, lieber Maurice: wie viel kennst du den von Michael Wollny? :D :D :D Du, als "Traditionalist", der so neumodisches Zeugs eh nicht hört ... :versteck1: Zudem muss man Michael Wollny ohnehin mal live gehört haben - und zwar nicht nur 1 x, sondern am besten mehrmals, weil er ein Improvisationskünstler ist, der natürlich auch Stimmungsschwankungen unterworfen ist (er ist ohnehin ein sensibler Mensch). Und nein, ich habe bzw. hätte keine Probleme, wenn Michael Wollny kritisiert wird. Darüber stehe ich natürlich, insofern es hier zivilisiert zugeht, was bislang ja der Fall ist.


    Algabal:
    Mit "Hype" meine ich, dass seine Konzerte heute noch ratzfatz ausverkauft sind und er auch bei Nicht-Jazzfans ankommt bzw. ein breites Publikum anspricht. Und genau da liegt auch, denke ich mal, die Begründung dafür, dass ausgerechnet er so berühmt war und ist. Seit den 80ern ist er ja mit seinem "Fusion"-Zeugs bei der breiten Masse berühmt geworden, also einer Mischung aus Jazz, Funk und so ... Ich denke, dass es eher seine Stilrichtungen sind, die ihn so beliebt machen.

    Da muss ich nun an eine Doku denken, die ich neulich zur Geschichte des Jazz sah. Da hieß es, dass Jazz erst dann populär wurde, als man dazu "tanzen" konnte, also im Swing, etc. ... alles, was tanzbar ist, wird auch schnell der breiten Masse zugänglich. Und Herbie Hancock macht halt viel mit Funk-Musik, etc., was ja nun mal eine Menge Menschen hören und wozu man prima tanzen kann.

    Kann es vielleich das sein? Ich weiß nicht ...

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)



  • Mal abgesehen davon, lieber Maurice: wie viel kennst du den von Michael Wollny? Du, als "Traditionalist", der so neumodisches Zeugs eh nicht hört ..

    Wie Du vielleicht inzwischen festgestellt hast, bin ich durchaus in der Lage etwas über Herbie Hancock beizutragen, daher wäre ich vorsichtig, ob das mit dem lieben Michael nicht auch mal passieren könnte. :D :D ;)


    Da hieß es, dass Jazz erst dann populär wurde, als man dazu "tanzen" konnte, also im Swing, etc. ... alles, was tanzbar ist, wird auch schnell der breiten Masse zugänglich. Und Herbie Hancock macht halt viel mit Funk-Musik, etc., was ja nun mal eine Menge Menschen hören und wozu man prima tanzen kann.

    Kann es vielleich das sein? Ich weiß nicht ...

    Hancock war im Grunde der zeitgenössische Glenn Miller gewesen damals. Daher ist es eben genau DAS !! Doch man macht bei solchen Erfolgen auch automatisch etwas Anderes: Man wertet es - teilweise nicht zu Unrecht ab - und damit auch den MUSIKER Hancock. Dass er es auch anders nach wie vor konnte, siehe VSOP .......

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Hab die letzten Tage mal wieder ab und an meine Nase in dieses Buch gesteckt:

    Ekkehard Jost: Europas Jazz, 1960-80, Frankfurt/Main 2015 (zuerst 1987)

    Bei mir in der Hand liegt die 1987er Ausgabe, auf deren Cover Peter Bötzmann sein Tenorsax bebläst.

    Ein sehr gut geschriebenes und anschauliches, zugleich auch sehr (stil)analytisches Buch über die europäische Jazz-Szene - allerdings muss man sagen, dass es (fast) ausschließlich um die Free Jazz-Szene(en) in Europa geht, die länderspezifisch vorgestellt werden (BRD, DDR, GB, NL, F), meist entlang von Porträits zentraler Protagonisten. Hier gibts unendlich viele (Insider)Infos (Jost selbst war als Baritonsaxophonist Teil der Free Jazz-Szene) zu den Leuten, ihrem musikalischen Werdegang, zu ihren Kollaborationen und Bands, vor allem aber zu ihrem je spezifischen Interpretations- und Improvisationsstil, zu Tonbildung, Phasierung, undundund... Außerdem zahllose sehr eindrückliche sw-Fotos. Ein wirklich tolles Buch, hab ich jetzt beim Wiederlesen wieder gedacht. Wenn einen diese Mucke also irgendwie interessiert: unbedingt lesen!

    Adieu
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

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