Béla Bartók: Streichquartett Nr. 5 Sz. 102 (1934)

  • Béla Bartók: Streichquartett Nr. 5 Sz. 102 (1934)

    Binnen eines Monats komponierte Béla Bartók vom 6. August bis zum 6. September 1934 sein fünftes Streichquartett. Das Werk war von der US-amerikanischen Mäzenin Elizabeth Sprague Coolidge über die Library of Congress in Washington in Auftrag gegeben worden, über deren Stiftung an Streichquartetten auch das erste von Britten, das erste von Prokofjew, die Quartette Nr. 3 und 4 von Schoenberg und das Quartett von Webern finanziert wurden.

    Beruflich befand sich Bartók zu diesem Zeitpunkt gerade in einer Umbruchphase. Er beendete seine Tätigkeit als Klavierdozent an der Musikakademie, um sich gemäß Beschluss des ungarischen Kultusministeriums zusammen mit Zoltán Kodály der Gesamtausgabe ungarischer Volkslieder zu widmen.

    Wie bereits im vierten Quartett und in mehreren Orchesterwerken entschied sich Bartók beim fünften Streichquartett für eine Anlage in Bogenform, diesmal mit zwei schnellen Ecksätzen und zwei langsamen Sätzen um ein zentrales Scherzo. In seiner eigenen Beschreibung der Form stellte er sogar eine Auffassung als siebenteilige Form zur Diskussion mit dann dem Trio des Scherzos als Kern.

    Der I. Satz (Allegro) ist ein Sonatensatz, der II. (Adagio molto) wie der IV. (Andante) sind in Liedform mit verkürztem A’-Teil angelegt, den III. Satz (Scherzo. Alla bulgarese, vivace) bezeichnete Bartók als “Scherzo in Liedform”. “Bulgarese” leitet sich aus dem rhythmischen Muster (4 + 2 + 3 oder 3 + 2 + 2 + 3 Achtel) ab, das Bartók hier anwendet. Der V. Satz (Allegro vivace) ist ein Rondo.

    I. und V. wie auch II. und IV. Satz verwenden jeweils gemeinsames motivisches Material. Durch die Änderung der Reihenfolge der Themen und durch Umkehrungen in den wiederkehrenden Abschnitten (Reprise des ersten Satzes, A’-Abschnitte der dreiteiligen Sätze) ergeben sich zudem “Binnenrahmen” innerhalb der Sätze.

    Bartók geht in seiner Analyse auch auf die tonale Organisation ein. Der Mittelteil des Scherzos und die beiden Ecksätze stehen in einer Tritonus-Beziehung (B-E-B). Die Tonartenreihenfolge der Abschnitte des ersten Satzes ergibt eine Ganztonskala über B.

    Schon dieser grobe und unvollständige Überblick über die Architektur des Quartetts könnte die Erwartung wecken, es handle sich da um ein akademisch kalkuliertes Werk, intellektuell überfrachtet, emotional unterdimensioniert. Ich nehme an, dass derlei Vorurteile schon beim ersten Hören des Werkes aus dem Weg geräumt werden. Bartók wartet hier mit einer breiten Palette an Stimmungen, Kontrasten und Farben auf. Mitreißende Rhythmen, spannungsgeladene kontrapunktische Steigerungen, starke Dynamik in den Ecksätzen, expansive Steigerungen in den langsamen Sätzen, die volksmusikalischen Elemente des Scherzos - diese Mischung sollte bei vielen Hörern gut ankommen.

    Sehr eigenartig - Humor? Ironie? Selbstdistanz? - für das insgesamt ja doch sehr ernste Werk ist der Abschnitt “Allegretto, con indifferenza” ab Takt 699 im V. Satz. Hier präsentiert Bartók die volksliedhafte Urgestalt des motivischen Kernmaterials des Werkes. Das Lied wird dann noch im Stile einer rhythmisch und harmonisch auseinander fallenden Straßenmusikanten-Kombo verfremdet.

    Das Quartett wurde am 08.04.1935 durch das Kolisch-Quartett in New York uraufgeführt und ist Elizabeth Sprague Coolidge gewidmet. Mag es auch bei ähnlicher übergeordneter Konstruktion insbesondere harmonisch eingängiger als das vierte Quartett und damit “rückschrittlich” wirken, ist vielleicht andererseits die Synthese zwischen architektonischer Akribie und potentiell breiter Publikumswirksamkeit doch gerade eine besondere Qualität dieser Musik. Ich jedenfalls höre sie sehr gern.

    Quelle: Studienpartitur der Universal Edition mit dem Vorwort von Ferenc Bónis (2009)

  • Meine derzeitige Lieblingsaufnahme der Nr. 5. Eine All-Star-Formation (A. Weithaas, D. Sepec, T. Zimmermann, J.-G. Queyras), die in einem festen Quartett zusammen spielt. Für mich im gelungenen Gesamtergebnis aus Tempowahl, Dynamik, Ensembleklang und Stuhlkanten-Feeling bei auch bester Aufnahmequalität immer wieder ein Erlebnis.

  • Bartók: Streichquartett Nr. 5

    Schon lange nicht mehr gehört. Ich habe es zuerst mit dem Vermeer Quartett probiert, kam mir aber irgendwie zu weichgezeichnet vor. Dann ist mir eingefallen, dass ich noch eine zweite Aufnahme habe:

    Mit dieser Aufnahme bin ich ursprünglich nicht so warm geworden. Jetzt habe ich verblüfft festgestellt, dass ich die Aufnahme richtig gut finde. Da wird klanglich gut differenziert und mit Feuer musiziert.

    Allerdings tue ich mich mit der Komposition immer noch ziemlich schwer. Bei aller Bewunderung, die ich für die originellen Klänge und Rhythmen habe, finde ich die Musik anstrengend (ein Gefühl das sich sonst beim Musikhören bei mir nur selten einstellt). Es gibt zwar viele gute Momente (deswegen höre ich mir das ja auch an), andere Stellen finde ich überspannt.
    Seht ihr das komplett anders oder habt ihr schon ähnliche Erfahrungen mit dieser Musik gemacht?

    Anstrengend fand ich das Quartett eigentlich nie. Bei den ersten Begegnungen hatte ich null Peil, was mich - obwohl ein häufiger Zustand - immer ein bisschen nervös macht. Inzwischen hat sich das zum Glück etwas gebessert. Von den sechs Bartók-Quartetten finde ich die Nr. 5 nach der Nr. 6 am zugänglichsten. Und ich mag das Werk ganz unabhängig von seinen kompositorischen Qualitäten auch unter rein hedonistischen Aspekten nach wie vor sehr.
    Danke für den Impuls, das Stück demnächst wieder zu hören.

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