Orson Welles - das zerstörte Genie
* 6. Mai 1915 in Wisconsin - + 10. Oktober 1985 in LA, Kalifornien
Orson Welles gehört mit Sicherheit zu den herausragendsten und individuellsten Filmemachern in dieser Grenzregion von 'Hollywood' und 'Indepentend'. Nach seinen Erfolgen am 'Mercury Theatre' und mit der legendären Radioproduktion 'The War of the Worlds' von der RKO mit einer 'Carte blanche' für seinen Erstlingsfilm (der gar nicht sein Erstling war) ausgestattet, geriet er in den folgenden Jahrzehnten immer wieder in Konflikt mit der Hollywood-Maschinerie, so dass er später kaum einen noch einen Film dort realisieren konnte, der nicht in irgendeiner Form 'bearbeitet' wurde.
'Citizen Kane' steht am Anfang seiner Hollywood-Karriere. Ein Film, der von vielen als der beste Film aller Zeiten gewertet wird (American Film Institute, Cahiers du cinéma). Die Briten allerdings (British Film Institute) scherte auch da schon aus und hoben nach 2012 'Vertigo' auf die Spitzenposition.
Heute als ein künstlerischer Meilenstein anerkannt, war der Film damals an der Kasse ein Flop. Das lag mit Sicherheit auch an der Anti-Kampagne der Hearst-Presse, dessen Herausgeber ziemlich deutlich in dem Film porträtiert wurde.
Der Flop (trotz Oscar-Nominierungen und Verleihung für das beste Drehbuch) führte dazu, dass schon Welles' zweiter Film 'The Magnificient Ambersons' ziemlich unbarmherzig vom Studio gekürzt wurde. Das selbe Schicksal traf dann u.a. auch 'The Lady from Shanghai' mit seiner damaligen Ehefrau Rita Hayworth, während 'The Stranger' unbehelligt durchging (laut Welles eigener Aussage sein schwächster, allerdings an der Kasse erfolgreichster Film). 'Macbeth', litt zunächst am geringen Budgets (produziert von Republic-Pictures, einem damaligen B-Studio), weist aber dadurch eine interessante Mischung von Shakespeare, Frankenstein und Pappe auf (weit entfernt von seiner nur mit afro-amerikanischen Darstellern besetzten Produktion am Mercury). Erst 10 Jahre später (1958) konnte Welles erneut in Hollywood drehen ('Touch of Evil'), allerdings wiederum nicht ohne Eingriffe seitens der Produzenten.
Alle anderen seiner 19 mehr oder weniger vollständigen Filme realisierte Welles v.a. in Europa, oftmals über Jahre hinaus, wobei er vielfach das Geld dafür durch seine Schauspielertätigkeit in durchaus manchmal obskuren Filmen ('Ein Kampf um Rom' - Robert Siodmak 1968/69) verdiente.
Man solle sich bekreuzigen, bevor man seinen Namen ausspreche, sagte einst die Dietrich. Was ist nun das Außergewöhnliche, das Genialische an Orson Welles?
Welles hat schon mit seinem 'Erstling' 'Citizen Kane' die Filmsprache in unglaublicher Weise erweitert. Dinge, die eigentlich für den Zuschauer von heute völlig normal sind, kamen 1941 quasi einer Revolution gleich, wobei gesagt werden muss, dass Welles sie nicht unbedingt erfand, sondern sie nur perfektionierte bzw. in Verbindung mit anderen ungewohnten Techniken setzte. Dazu gehören die berühmte Tiefenschärfe (Kamera: Gregg Toland), die Untersicht, der Schnitt, die Abwendung von einer chronologischen Erzählweise, der durch das Zeigen einer Decke geschlossene, bedrückende Raum, der spezielle Ton, Überblendungen, Ort- und Zeitsprünge usw. Kurzum, er erfand oder er fand in 'Citizen Kane' eine völlig neuartige Filmsprache, in dem er alle bekannten und unbekannten Stilmittel konsequent und gemeinsam anwendete. Nicht zu vergessen die Plansequenz, die er v.a. in 'Touch of Evil' zur Meisterschaft brachte.
Alle seine weiteren Filme zeichnen sich durch die Benutzung dieser besonderen Filmsprache aus, wobei man manchmal schon den Eindruck hat, dass er sich doch zu sehr einem selbst auferlegten Standard verpflichtet fühlen würde. Aber das ist selten und kann eigentlich auch vernachlässigt werden. Gerade in seinen großen Filmen stimmen Stil und Inhalt immer überein und erzielen in dieser Mischung aus ganz persönlichem Gebrauch filmischer Mittel und individueller Erzählweise Ergebnisse, die zu den bedeutendsten der gesamten Filmgeschichte zu zählen sind.
Selbst in ihrer durch 'Hollywood' kastrierten Form bleiben sie Meisterwerke und man kann eigentlich nur 'Trauer tragen', bedenkt man, was hätte sein können, wenn...
Was würde ich nun empfehlen von diesem wahrlich 'barocken' Künstler? Zunächst einmal ALLES!!!
Speziell aber dann:
Citizen Kane
The Magnificient Ambersons
The Lady from Shanghai
Macbeth
Othello
Mr Arkadin
Touch of Evil
Le procès
Chimes at Midnight
The Immortal Story
F from Fake
Und natürlich Welles als Schauspieler entweder im Film oder im Hörspiel. Mit seiner Stimme, mit seiner Präsenz auf der Leinwand ist er (fast) immer ein Genuss.
Welles war ebenso wie Stroheim ein Opfer der Hollywood-Gesetze. Ein unabhängiger Geist, der sich in die 'Höhle des Löwen' begeben hat. Und ebenso wie dieser ist er darin untergegangen. Man kann nur erahnen, was er der Filmwelt hätte schenken können, wenn nicht... Aber ebenso wie bei Stroheim ist das 'kastrierte Etwas', das überlebt hat, etwas zum Niederknien.
Wolfram