Phantasy for Violin with Piano Accompaniment, Op. 47 (1949) - Arnold Schoenbergs Spätstil
Werkeinführung
Die Phantasy für Geige mit Klavierbegleitung wurde auf Anliegen des Geigers Adolph Koldofsky komponiert, der sie (anscheinend mit alternativem Schluss) auch uraufführte (und der für Schoenberg den idealen Interpret darstellte).
Schoenberg komponierte erst komplett die Geigenstimme, dann im Nachhinein die Klavierbegleitung, was sich auch im Titel niederschlug (wobei ich glaube, dass man das nicht unbedingt hört, so man es nicht eh schon weiß).
Sehr erhellend (wie fast immer) die Schoenberg-Website:
Zitat von Therese MuxenederDie Werkgattung Fantasie rangierte in Schönbergs Lehrbuch „Formbildende Tendenzen der Harmonie“ unter den "sogenannten freien Formen", bestimmt durch opulentes Figurenwerk, instrumentale Improvisation und spontanen Ausdruck. Mit den klassischen und nachklassischen Genreusancen hat Schönbergs dodekaphone Fantasie insoviel gemein, als die Virtuosität der spielerischen Anlage durchaus mit Schuberts Violinfantasie C-Dur und die formale Disposition mit Mozarts Fantasie c-Moll KV 475 verglichen werden kann. Wie in der Forschung bereits ausgeführt wurde, ist die kaleidoskopartige Abfolge der sich wechselseitig unterbrechenden Teile in Mozarts Fantasie gleichsam als Folie auf Schönbergs Werk applizierbar. Die architektonische Anlage und auf dodekaphoner Grundlage basierende harmonische Regionen lassen in Schönbergs Fantasie denn auch ein originär Dur-Moll-tonales Denken vermuten, worauf auch die Gewichtung rhythmisch-metrischer Satzbestandteile hindeutet, zudem werden Umrisse einer einsätzigen Reprisenstruktur innerhalb eines Sonatenzyklus’ ablesbar.
Die Fantasie ist grobschematisch in vier Teile gegliedert: ein motivbildender Bereich mit Überleitung (der Hauptgedanke des Werks ist sechstaktig), ein mit dem langsamen Satz einer Sonate vergleichbaren Lento-Abschnitt, Scherzando und Coda (jeweils mit Überleitung). Einen klassischen Wienerischen Ton kann die Fantasie keinesfalls verleugnen, wird doch die Ausdrucksästhetik des Werks stellenweise etwa durch tänzerische Dreier-Rhythmik genährt, wie sie im Geigenklang vergleichbarer Satzpartien von Schubert bis Mahler aufscheint. Die spieltechnische Vielfalt des fragilen Satzgefüges reicht von Doppelgriffen in äußerst weitem Ambitus, Glissando-, Pizzicato-, Flageolett- bis zu diffizilen Tremolo-Effekten und dynamisch differenzierten Akkord-Arpeggien.
Schoenbergs Spätstil
Aus dem Thread zum Trio für Geige, Bratsche und Cello (1946):
wie würdest du die Violinfantasie in diesem Kontext einstufen?
Gute Frage.
Die Phantasie ist 1949 entstanden und ist Schoenbergs letzte vollständige Original-Komposition mit Opusnummer. Die Drei Lieder für tiefe Stimme, Op. 48 wurden schon 1933 komponiert; Opus 49 (1948) sind Drei Volksliedbearbeitungen für gemischten Chor, a cappella; Opus 50 ist in drei Chorstücke A (1949), B (1950) und C (1950) aufgeteilt, von denen C unvollendet blieb. 1951 starb Schoenberg.
Zwischen dem Streichtrio (1946) und der Phantasie ist Schoenbergs einziges Opus die Kantate A Survivor from Warsaw für Sprecher, Männerchor und Orchester, Op. 46 (1947), wahrscheinlich eine seiner bekanntesten Kompositionen (wenn nicht gar "die"? ... nach der Verklärten Nacht?).
Ich würde sagen, dass mit dem Streichtrio (das mit zwanzig Minuten Dauer übrigens die längste aller genannten Kompositionen darstellt!) Schoenbergs "ultra-abstrakte" Spätphase anfängt. Das vorherige Opus, Prelude für gemischten Chor und Orchester, Op. 44 (1945) ist ein zwölftöniges Präludium mit Fuge, also noch mit einer sehr deutlichen "thematischen" Komponente. (Ist übrigens in meiner Schoenberg-Top-10 - leider nur sehr selten aufgeführt und/oder eingespielt. Dauert nur knapp über fünf Minuten.)
Beim Streichtrio fällt es mir schon sehr schwer, "Themen" auszumachen. Das ist alles fragmentiert, kleinstmotivisch, in Fetzen gerissen - "abstrakt" eben.
Hab mir eben die Phantasie mit Partiturvideo auf YouTube reingezogen, Oliver Colbentson (Geige) und Erich Appel (Klavier): https://www.youtube.com/watch?v=63wGrqg0v7M
Die Phantasie ist irgendwie immer "abstrakter", als ich sie in Erinnerung hab. Ich glaube, das liegt auch daran, dass Schoenberg hier (gefühlt) viel mehr "versehentliche" Konsonanzen zulässt als im Streichtrio. Schon in Takt 15/16 der Phantasie gibt es eine Stelle, die ich einfach wunderschön finde. Der langsame Teil ab Takt 40 ist für mich eine der "klangwirksamsten" Stellen bei Schoenberg überhaupt.
Nichtsdestotrotz gibt es aber jede Menge "brutale", "abstrakte", Motivfetzen um sich schleudernde Stellen, beispielsweise gleich der Anfang. Die Abschnitte im 9/6- bzw. 6/8-Takt erinnern mich an entsprechende Abschnitte im Streichtrio - da klingt die Musik irgendwie "neutral", weder brutal zerfetzt noch expressiv-zart. Zwar auch nicht wirklich "thematisch", aber da hört man, finde ich, noch am ehesten den Schoenberg der Mittelphase heraus (vgl. bspw. das Intermezzo im III. Streichquartett (1927)).
Formal ist die Phantasie "trotz" ihres Titels (siehe Therese-Muxeneder-Zitat oben) jedenfalls deutlicher "klassisch" gegliedert als das Streichtrio. Man hört die Abschnitte in der Phantasie sehr gut (während ich sie im Streichtrio nur anhand der Partiturvermerke erkennen kann) - und das, obwohl die Phantasie mit circa neun Minuten nicht mal halb so lange dauert!
Mein Fazit: Streichtrio auf jeden Fall schon nochmal ne Ecke "schwieriger", die Phantasie aber auch nicht ohne und ein würdiges sogutwie-letztes Werk für Schoenbergs späte Schaffensphase. (Wobei mir schon klar ist, warum das Streichtrio Amfortas noch deutlich mehr "fetzt"...)
Aufnahmen
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