Antonín Dvořák: Streichquartett Nr. 10 Es-Dur op. 51 ("Slawisches")
Angeregt durch die Hörerfahrungen der letzten Zeit möchte ich ein paar Worte über eines der bekannten Streichquartette Dvořáks verlieren. Sicher, es gibt einen Sammelfaden über seine Kammermusik, aber zumindest aus meiner Sicht hat das kompositorische Allroundgenie (wer außer Mozart hat neben Dvořák in den Feldern Symphonik, Kammermusik und Oper gleichermaßen auf so einem gleichbleibend hohen Niveau komponiert?) auch kammermusikalisch dermaßen Hochkarätiges hinterlassen, dass vielleicht doch der eine oder andere spezielle Thread wünschenswert wäre.
Ein Jahr nach dem ernsten Quartett op. 34 in d-Moll und knapp drei Jahre vor dem Quartett op. 61 in C-Dur, mit dem ein vorübergehender Abschied des Komponisten von seinem slawischen Stil seinen Beginn nahm, komponierte Antonín Dvořák Ende 1878 bis Ende März 1879 sein 10. Streichquartett Es-Dur op. 51.
Vom Auftraggeber und Widmungsträger Ján Becker, dem Primarius des damals renommierten Florentiner Streichquartetts, war ausdrücklich ein slawischer Tonfall gefordert worden. In dieser Schaffensphase waren es ohnehin die böhmischen Klänge, die Dvořáks Bekanntheit und wirtschaftlichem Erfolg kräftig Vorschub leisteten. Schon 1877 wuchs die Reputation Dvořáks mit dem durch Brahms und Hanslick betriebenen Künstlerstipendium aus Wien beträchtlich. Mit den Slawischen Rhapsodien und der ersten Gruppe der Slawischen Tänze gelang ihm 1878 dann auch kommerziell der Durchbruch. Der Komponist konnte sich vor Anfragen von Verlagen kaum retten, band sich aber fest an Simrock, die Freundschaft mit dem einflussreichen Dirigenten Hans Richter nahm ihren Anfang. In die gleiche Zeit fallen die Komposition des Streichsextetts und des Violinkonzerts, die ebenfalls stilisierte folkloristische Elemente enthalten.
Op. 51 ist viersätzig aufgebaut: 1. Allegro ma non troppo [Sonatensatz], 2. Dumka (Elegia): Andante con moto [Wechsel aus Dumka und scherzoartigem Furiant-Abschnitt], 3. Romanza: Andante con moto [wird üblicher Weise als Nocturne charakterisiert], 4. Finale: Allegro assai [Sonatensatz; vom Charakter ein Tanzsatz im Zweiertakt, eine sog. Skočná]
Am auffälligsten ist bei dem Werk vielleicht der Verzicht auf einen typischen Scherzosatz, an dessen Stelle sich ja in diesem Fall die Dumka findet. Für mich ist dieser zweite Satz auch der faszinierendste des ganzen Werks. Die Dumka als “a Slavic (specifically Ukrainian) epic ballad … generally thoughtful or melancholic in character” beginnt mit einer entsprechend gedankenvollen und melancholischen “Erzählung” in Violine I und Bratsche über einer gitarrenartigen Akkordbegleitung im Pizzicato durch das Violoncello. Der zweite Gedanke ab T. 40 ist viel fließender und verbindlicher. Motivisch sehr eng verwandt mit dem Dumka-Thema, in Tempo, Tonart (G-Dur statt g-Moll) und durch den Furiantrhythmus (Dreier- und Zweiertakt im Wechsel) jedoch völlig anders, bringt der Mittelabschnitt im Vivace einen starken Kontrast und vom Charakter ein Scherzo-Moment in den Satz.
Melodische Einfallskraft, Abwechslungsreichtum und gleichzeitige innere Geschlossenheit prägen für mich aber nicht nur diesen Satz, sondern das ganze Werk. Der Dvořák-Biograph Otakar Sourek schwärmt über op. 51, wegen der “Schönheit seines musikalischen Inhalts und der handwerklichen Meisterschaft der Komposition” sei es nicht nur eines der besten Werke aus Dvořáks Feder, sondern der Kammermusik überhaupt.
Ergänzungen und Empfehlungen wie immer gewünscht.