Ihr als Regisseure - wie Ihr bestimmte Opern inszenieren würdet
Liebe Opernfans!
Die Idee zu diesem Thread hat sich vor ein paar Tagen im Gespräch mit Wolfram entwickelt:
Wir sollten gemeinsam Opern inszenieren oder zumindest - falls es niemand finanzieren möchte, auch der Capriccio-Trägerverein nicht - einen Thread eröffnen: "Wie ich bestimmte Opern inszenieren würde"
Ganz im Ernst, wäre für einen Satirebereich gar nicht mal schlecht.
Jaaa, genau daran habe ich gedacht Vor einem Jahr habe ich übrigens ein ganz ernsthaftes Rusalka-Konzept überlegt, in dem Rusalka eine junge Frau ist, die sozusagen in ein falsches Milieu kommt, der Wassermann ein alkoholsüchtiger Kriegsflüchtling und die Fremde Fürstin eine Undercover-Kriminalagentin. War total ernst gemeint, für mich funktioniert das gut. Aber ich hab den Entwurf meinen Freunden gezeigt, die darüber den Kopf geschüttelt haben und ihn für Mist befunden haben. Also vielleicht doch fürs Satire-Forum
Vielleicht wäre auch ein Thread 'Wie würdet ihr XY inszenieren' gar nicht schlecht.
Wer sich gerne Opern anschaut, wird sich wohl auch Gedanken machen, was man an einer bestimmten Inszenierung verbessern könnte. Vielleicht macht man sich auch Gedanken, wie generell ein bestimmtes Stück inszeniert werden könnte. Das Schöne am Musiktheater ist ja unter anderem, dass die Vorgaben relativ gering sind und der Regisseur das Publikum mit seiner persönlichen Sicht, die sich nicht mit der üblichen decken muss, überraschen kann. Und selbst bei sehr klassischen Inszenierungen sind untereinander große Abweichungen möglich.
In diesem Thread sollen persönliche Inszenierungsideen vorgestellt werden. Wer eine Idee hat, wie man ein bestimmtes Stück auf die Bühne bringen kann (vielleicht teilweise von einer selbst gesehenen Inszenierung beeinflusst), ist herzlich eingeladen, seine Ideen hier zu posten und die Texte der anderen zu kommentieren. Es kann sich dabei um ein ganz konkretes Konzept handeln oder nur um eine Idee zu einem Bühnenbild oder einer bestimmten Personenregie, da ist alles möglich. Zudem ist die Auswahl nicht nur auf Opern beschränkt, es können selbstverständlich auch Musicals, szenische Oratorien, Operetten etc. genannt werden. (Der Thread steht übrigens mit Absicht im Forum "Aufführungspraxis" und nicht im Forum für Satire.)
Lediglich zwei Bitten:
- Bitte geht respektvoll mit den Ideen anderer um. Kritik ist sehr willkommen, aber bitte sachlich und nicht persönlich. Optimal wäre es, wenn sich in Diskussionen über eine fiktive Inszenierung gemeinsam ein tieferes Verständnis dieses Werks ergäbe.
- Ich bitte, hier von Grundsatzdiskussionen über die Aufführungspraxis abzusehen, denn der Thread soll nicht unübersichtlich werden. Für Grundlegendes bitte auf diesen Thread ausweichen. Danke!
Ich beginne und stelle das Rusalka-Konzept vor, das ich vor genau einen Jahr spontan aufgeschrieben habe:
Ort und Zeit: Jahr 2018, in einer Stadt etwa von der Größe Wiener Neustadts
gestrichen: Ballett, die Szenen mit Heger und Küchenjunge
Vorgeschichte:
Der Vater hat im Irakkrieg seine Frau verloren und ist Hals über Kopf mit seinen vier kleinen Töchtern nach Österreich geflüchtet und hat versucht, sich hier ein neues Leben aufzubauen. Die Kriegserlebnisse sind an ihm nicht spurlos vorübergegangen, der gelernte Handwerker ist alkoholabhängig geworden, spricht nur schlecht Deutsch und gilt in seiner Umgebung als Sonderling.
1. Akt:
Die schüchterne 16jährige Rusalka interessiert sich im Gegensatz zu ihren drei Schwestern nicht für Mode und Fashion, sondern liest gern und schreibt selbst Geschichten. Sie fühlt sich in ihrer Umgebung mit den oberflächlichen Schwestern und dem alkoholkranken Vater unwohl und will dringend weg, weiß aber nicht, wie und wohin. Am Bahnhof hat sie eine Clique älterer Jugendlicher beobachtet mit einem Gruppenanführer, dessen Äußeres und dessen Anerkennung in seiner Gruppe sie sofort begeistern. Sie wird jedoch von ihm nicht beachtet, außerdem passt sie mit ihren schönen langen Haaren gar nicht zu ihm und seiner Umgebung. Sie erzählt dem Vater davon, er will sie nicht gehen lassen, denn in sie setzt er seine Hoffnungen: Sie soll studieren und erreichen, was er nicht geschafft hat und wozu ihre Schwestern zu dumm sind (er möchte, dass sie so wird wie seine im Krieg ermordete Frau). Dennoch kann er sie nicht zurückhalten.
Um ihr Äußeres zu verändern, sucht sie eine Friseurin auf, die ihr einen Kurzhaarschnitt verpasst. Diese Friseurin arbeitet aber auch als Bordellbesitzerin und ist immer auf der Suche nach neuen jungen Frauen. In Rusalka findet sie eine passende und stellt sie gleich nebenbei einem Kunden für eine Nacht zur Verfügung. Von diesem Erlebnis an ist Rusalka traumatisiert und kann nicht mehr sprechen.
In ihrem neuen Erscheinungsbild begibt sie sich in die Nähe des Bahnhofes und zieht sofort die Aufmerksamkeit besagter Clique auf sich. Der Gruppenleader bedeutet den anderen, sich zu entfernen, denn er möchte mit dem stummen Mädchen, das ihn sofort begeistert hat, allein sein. Die beiden gehen in den benachbarten Park und Rusalka erlebt ihr "zweites Mal", diesmal wirklich toll. Die Warnrufe des Vaters "Verloren bist du, Rusalka!" hören die beiden nicht oder wollen sie nicht hören.
2. Akt:
Die beiden kennen sich jetzt eine Woche und sind glücklich. Er ist zwar etwas irritiert von ihrem Trauma, das ihre Stimmlosigkeit auslöst, aber es ist kein großes Problem, bis eine neue Frau auftaucht, die den Burschen sofort sehr offensiv umschwärmt. Dieser ist hin- und hergerissen.
Rusalkas Vater hat sich auf den Weg zum Bahnhof gemacht und ist entsetzt, seine so belesene und kluge Tochter in einer Clique, die den ganzen Tag am Bahnhof herumlungert, zu sehen. Erst der Anblick des Vaters lässt sie ihre Stimme wiederfinden, sie klagt ihm, dass ihr Freund sie von Tag zu Tag weniger anschaue und sich der geheimnisvollen Fremden zugewendet habe.
Die beiden beobachten, dass der Freund gemeinsam mit der Fremden von einem Bahnhofsklo zurückkommt. Rusalka wirft ihm zu Recht Untreue vor, er stößt sie von sich. Rusalka möchte sich in die Arme des Vaters flüchten, dieser prügelt im Alkoholrausch auf sie ein und beschimpft auch den Burschen, seine Tochter verführt zu haben. Er nimmt sie mit sich.
Der Bursche wendet sich verzweifelt an die Fremde, die sich aber sofort von ihm abwendet. Ihre Liebe war nur vorgetäuscht, denn sie ist in Wahrheit Polizistin, die undercover versucht hat, einen angeblichen Drogenboss auszuforschen. Der Bursche ist aber nicht der Gesuchte, daher ist er für sie uninteressant. Er bleibt allein zurück und verzweifelt, denn seine "Freunde" gibt es auch nicht mehr.
3. Akt:
Rusalka ist wieder zu Hause, fühlt sich aber noch unwohler als früher. Ihre Schwestern interessieren sich nicht für sie, sie denkt ununterbrochen an den Burschen und sucht heimlich - denn der Vater hat es verboten - die Friseurin/Bordellbesitzerin auf, diese möchte ihr aber auch nicht helfen. Nur die Ermordung des geliebten Burschen würde sie dazu bringen, der kranken Rusalka Geld für notwendige medizinische Versorgung zu geben. Für Rusalka kommt das nicht in Frage.
Den verzweifelten Burschen treibt es wieder in jenen Park nahe des Bahnhofes, in dem er Rusalka kennengelernt hat und zum einzigen Mal in seinem Leben wirklich glücklich war. Dort treffen sich die beiden und erinnern sich an früher (was ja auch durch in der Musik ausgedrückt wird). Alles würde er geben, um der Geliebten ein letztesmal nah sein zu dürfen. Sie warnt ihn vor ihrer unbehandelten Krankkeit, die dem anderen bei Körperkontakt den Tod bringt.
Ihm ist das egal, er möchte nichts anderes mehr. Die beiden küssen sich ein letztesmal, er stirbt. Für Rusalka ist das Leben sinnlos geworden, sie stürzt sich vor den nächstbesten einfahrenden Zug.
Ihr Vater hat das Geschehen aus der Ferne beobachtet und brüllt "Du bist verloren, Rusalka!".
Was sagt Ihr dazu? Kritik ist sehr willkommen. Ich sage nicht, dass man diese Oper so inszenieren muss, aber vor einem Jahr ist mir mein Konzept sehr angemessen vorgekommen. Heute sehe ich manches anders, ich finde meine damalige Idee nur teilweise gut.
Auf interessante Diskussionen und spannende Ideen
Sadko