Vincer se stesso è la maggior vittoria - Göttinger Händelfestspiele 2019
Hallo zusammen,
auch diesmal habe ich mit einer Gruppe ähnlich Begeisterter den Göttinger Händelfestspielen einen Besuch abgestattet. Leider hat es für uns nur für drei Vorstellungen dieses Jahr gereicht, aber dafür war die Anzahl der Einschränkungen von einem perfekten musikalischen Eindruck dieses Jahr besonders gering.
Walter Sutcliffe Regie
Dorota Karolczak Bühnenbild und Kostüme
Susanne Reinhardt Licht
Erica Eloff, Sopran – Rodrigo
Fflur Wyn, Sopran – Esilena
Anna Dennis, Sopran – Florinda
Jorge Navarro Colorado, Tenor – Giuliano
Russell Harcourt, Countertenor – Evanco
Leandro Marziotte, Countertenor – Fernando
FestspielOrchester Göttingen
Laurence Cummings, Musikalische Leitung
Freitag Abend wurden die Festspiele mit der live von NDR Kultur übertragenenen szenischen Opernaufführung des 'Rodrigo' HWV 5 eröffnet. Diese im Herbst 1707 in Florenz im heute Teatro Niccolini genannten Theater
uraufgeführte Oper gilt als schwaches Werk, das erste große Opernwerk des jungen Hallensers in Italien. Angeblich hatte Gian Gastone de’ Medici, der spätere letzte Großherzog der Toskana aus dem Hause Medici, Handel schon von Hamburg aus eingeladen, in Florenz unter guten Bedingungen auftreten zu können. Abgesehen von den Sängern der Uraufführung sind nur wenige Details der ersten Aufführungsserie bekannt.
Die Göttinger Inszenierung ist von Walter Sutcliffe vorgenommen worden, er orientiert sich bei der Bühnenaufbereitung dieser im Jahr 711 in Südspanien spielenden Geschichte sehr an den gewalttätigen Charakteren,
am Niedergang (hier des westgotischen Reiches). Das wird durch das morbide Bühnenbild und die immer stärker vermüllte Bühne, in der am Schluss ein Hund gebraten wird, überdeutlich. Das sind alles Aspekte, die
im Text der Oper und in den vielen Rache-erfüllten Arien angelegt sind. Für die Handlung verweise ich auf den recht gut informierten wikipedia-Artikel, hier ist der deutsche recht gut gelungen.
Wie bei vielen anderen der in den vergangenen Jahren in Göttingen aufgeführten Opern ist dieser sehr gewalttätige Text sicher eine Ursache dafür, dass das Stück nicht so gerne rezipiert worden ist, wie die Qualität
des Stücks es erfordern würde. Nach einer Ouvertüre und vielen Tanzstücken, zu denen der Vorhang bereits geöffnet worden ist, steigt die vorhandene Musik bereits mitten im Drama ein: Florinda hat ein Kind von Rodrigo
und überzieht ihn wieder mit Vorwürfen, warum er ihr immer noch seine kinderlose Gattin Esilena vorzieht. Rodrigo, hiermit ungemein machohaft-modern wirkend, gibt zurück, dass sie sich ihm ja mehr oder minder an
den Hals geworfen hat, sie solle ihm vom Halse bleiben, er werde sie ja eh nicht heiraten. Florinda kocht vor Wut.
Dieser Einstieg ist symptomatisch für das Libretto: es gibt kein Drumrum-Reden, Konflikte werden direkt angegangen, mindestens vier der sechs dramatis personae sind ausgemachte Hitzköpfe, die alle mit kurzem Zünder
sofort hochgehen, das wird auch in den Arientexten deutlich, ich zähle hier nur die handlungsauslösenden Worte im ersten Akt auf: 'pugneran' (erste Arie der Florinda), 'Agitata' (erste Arie des Fernando), 'fortezza'
(erste Arie des Evanco), 'stragi, morti, sangue ed armi' (zweite Arie des Guiliano), usw. Den Hauptgegensatz zu diesen Alphawesen bildet Esilena, die Gattin des Titelhelden, sie dringt immer wieder auf Vergebung,
Ausgleich, mithin auf Beruhigung. Das schlägt sich natürlich auch in den Arien musikalisch nieder, die krasse Gegenüberstellung von widerstrebenden Emotionen sind ja die Stärke Handels bis zum Ende seines Komponistenlebens.
Die Inszenierung nimmt sich heraus, die gute alte Dreiaktigkeit zu durchbrechen, angesichts der Spielzeit von ca 160 Minuten, ist das verständlich. Die Pause erfolgt nach der vierten Szene im zweiten Akt, nach der großartigen Arie der Florinda 'Fredde ceneri d'amor', einer tollen Bereicherung des Charakters der sonst vor allem sehr exaltierten Rolle der zweiten großen Frauenrolle im Libretto. Das hat auch damit zu tun, dass der dritte Akt deutlich kürzer ist als die beiden ersten (8 statt jeweils 13 Arien bzw. Duette).
Rodrigo ist ein sehr frühes Beispiel für die Entscheidung Händels, nicht die glorreichen Charaktere ins Zentrum seiner Geschichten zu nehmen, sondern die gebrochenen und letztlich nicht erfolgreichen. Während im diesjährigen Oratorium (dazu später mehr) eine an Neid und Paranoia zerbrechende Titelfigur im Zentrum steht, ist Rodrigo in seiner Selbstverliebtheit und Nicht-Zielstrebigkeit eine merkwürdig unklare Titelfigur. Ich empfinde dies jedoch nicht als Schwäche, sondern als Stärke der Partitur.
Musikalisch gibt es eigentlich nur Bestes zu berichten: abgesehen von wenigen wegrutschenden Tönen der hochvirtuosen Passagen in den Violinsoli in Esilenas Arie 'Per dar pregio all'amor mio' am Ende des Ersten Akts
waren Charaktere, Stimmungen, Emotionen dieser überquellenden Partitur großartig getroffen. Im Vorfeld der Aufführung war ich etwas enttäuscht, Fflur Wyn in der weiblichen Hauptrolle angekündigt zu sehen, letztes
Jahr im Galakonzert hatte sie mich als Piacere in 'The Choice of Hercules' nicht überzeugt. Dieses Jahr möchte ich ihr allerdings die Krone für die beste Frauenrolle bei den von mir besuchten Aufführungen geben, ihre
riesige Rolle hat sie mit Glanz und Glorie bestanden. Wobei der Abstand von Erica Eloff in der Titelrolle und Anna Dennis als Florinda wirklich klein war. Bei den Männern gebührt die Krone wie schon beim letzten Mal, als er in der Oper dabei war, Jorge Navarro Colorado. Die Präsenz, die Koloraturenstärke, die schauspielerische Leistung waren überragend. Hier habe ich einen Sänger gefunden, den ich gerne einmal als Bajazet
im Tamerlano sehen möchte ... (für mich bei Handel das Maß aller Dinge). Wobei Russell Harcourt mit seiner unglaublich hohen, hochvirtuosen, aber dunkel gefärbten Stimme für mich das Ideal einer Soprankastraten-Stimme
darstellt. Im Grunde möchte man ihn als Tamerlano hören .... Die Rolle des Fernando ist recht klein, aber Leandro Marziotte hat auch hier alles richtig gemacht.
Laurence Cummings hat musikalisch wahre Wunder vollbracht, dieses etwas sperrige Stück mit einer 'emotionalen' Leerstelle in der Titelrolle zu einem absolut überzeugenden Plädoyer für ein angeblich schwaches
Stück zu machen. Beide Duette von Esilena und Rodrigo im Dritten Akt ('Addio, mio caro bene' am Ende von Szene 2 und 'Prendi l'alma' in Szene würden längst in Händel-Hitparaden auftauchen, wenn sie nicht im
HWV 5 stünden. Das gleiche gilt für die schon genannten Arien der Florinda und der Esilena oder das liebevollste Stück des Giuliano am Beginn des zweiten Akts 'Fra le spine'.
Der Jubel des Publikum war sehr groß, ich denke, dass der NDR den Mitschnitt auch wieder veröffentlichen wird, nur wenige Beifallsunterbrechungen haben den Fluß der Premiere gestört.
Natürlich gehört das Stück nicht in eine Schublade mit den Meisterwerken des Hallensers, dafür sind die Charaktere alle zu gleichermaßen kriegerisch-aggressiv. Eine gute Aufführung sollte man als interessierter Barockhörer aber auf jeden Fall mal gehört haben. Weitere Aufführungen in Göttingen: Mittwoch, 22. Mai 2019, 19.00 Uhr; Samstag, 25. Mai 2019, 15.00 Uhr; Sonntag, 26. Mai 2019, 17.00 Uhr
Oder momentan auch hier verfügbar: https://www.ndr.de/ndrkultur/epg/…dung907976.html
Gruß Benno