Max Lorenz - 'Er ist die Töne'
Vielleicht ein etwas seltsamer Titel, aber so geäußert von Dietrich Fischer-Dieskau. Aus der Erinnerung sagte er: Ich mag ja den Lorenz. Er hatte so etwas Ursprüngliches. Immer sehr da. Er steigt ein, in dem, was er macht. Er stellt nicht die Töne vor sich hin, sondern er ist die Töne.
Max Lorenz, * 1901 in Düsseldorf als Max Sülzenfuß - + 1975 in Salzburg
Landläufig gilt er neben Lauritz Melchior wohl als der bedeutendste Heldentenor v.a. im Wagnerfach des letzten Jahrhunderts. Beide studierten übrigens zeitweise beim selben Lehrer Ernst Grenzebach in Berlin (wie auch Peter Anders).
Während allerdings Melchior die Konsequenz aus der Nazi-Zeit zog und nach New York ging, um eine grandiose Karriere an der Met zu machen, blieb Lorenz das gesamte 'III. Reich' in Deutschland.
Hier gelang ihm, nach dem Durchbruch in Dresden (noch in der Weimarer Republik) in der extrem schwierigen Tenorpartie des Menelas in der 'Ägyptischen Helena' von Strauss, nach einem festen Engagement an der Preußischen Staatsoper (Unter den Linden), Gastspielen an der Met und ab 1933 in Bayreuth eine beispiellose Karriere als der Heldentenor v.a. im Gebiet des Deutschen Reichs. Berlin, Wien und eben Bayreuth sind hier als Stationen wohl zu nennen.
Nach 1945 setzte er die Karriere als Wagnertenor, nun wieder in aller Welt singend, noch eine Zeitlang fort, wechselte aber immer mehr in das Charakterfach, bis er 1962 seinen Abschied an der Wiener Staatsoper feierte. 'Feierte' ist in diesem Fall übertrieben, da die damalige Intendanz diesen Abschied völlig unbeachtet vorübergehen ließ.
Die letzten Jahre nutzte er v.a für eine Lehrtätigkeit und betreute u.a. James King, Jess Thomas, Jean Cox.
Dies nun die knappen biographischen Details. Aber was ist es, dass seine Stimme und sein Leben so interessant macht? Oder besser gesagt, warum ich so von dieser Stimme fasziniert bin.
Melchior war sicherlich der bessere Techniker und ich liebe diese Stimme über alles. Aber Lorenz war (Fischer-Dieskau: (in etwa) 'Er musste gar nicht viel machen. In seiner Stimme war schon von vornherein Ausdruck.') ist für mich einfach der ausdrucksvollere, durchaus auch exzessivere Sänger, der, der sich auch vergaß, dem misslungene Töne nicht das Wichtigste waren, wenn denn der Ausdruck stimmte.
Melchior, so wunderbar und klangschön und v.a. auch sicher und selbstverständlich er die Wagner-Partien durchstand, empfinde ich immer als einen Hauch zu kalkuliert. Wohlgemerkt nur einen Hauch! Aber das findet man bei Lorenz eigentlich nie. Er ging mit einer stimmlichen Selbstverständlichkeit, mit einer Vehemenz, aber v.a. mit einem hemmungslosen Ausdruckswillen an die großen Wagner-Partien heran, die immer noch Staunen machen. Quasi nie hat man die Angst, dass die stimmliche Expansion endlich sein könnte. Oder eben auch der Wille zur Aufladung jedes Tons, jeder Phrase mit fast existenziellem Ausdruck.
Man höre nur die Fieberfantasien des Tristan aus der Studioaufnahme von 1943 (eine rasende Intensität, wie ich sie sonst nur von der Medea der Callas kenne), die Hemmungslosigkeit des Tannhäuser in der Aufnahme von 1942, das Sterben Siegfrieds in der Götterdämmerung von 1944. Dazu seinen Rienzi (1941), den Stolzing von 1943, die Siegfried-Ausschnitte aus Buenos-Aires (1938) usw.
Nach 1945 ließ die Stimme, für mein Empfinden, doch sehr schnell nach. Den Götterdämmerungs-Siegfried von 1952 aus Bayreuth (Keilberth) gestaltet und singt er noch wunderbar, dazwischen gibt es aber auch immer wieder Momente, in denen man merkt, dass die Spannkraft der frühen Jahre nicht mehr vorhanden war. Das mag ein Zeichen der Zeit, sprich des Alters gewesen sein. Ich habe da allerdings eine andere Erklärung. Lorenz war mindestens bisexuell und mit einer Jüdin verheiratet. Also 2x 'Juhu' im III. Reich und lebte von daher trotz Protektion von Hitler und Göring in einer ständigen Angstsituation. Denn gleichzeitig ließ er sich nie verbiegen, stand immer für seine Frau ein, setzte sich (nach Aussage von Waldemar Kmentt) immer wieder für jüdische Mitmenschen ein und war gleichzeitig an Leib und Leben bedroht. Nun denke ich, dass es gerade diese Bedrohung von außen war, die ihn zu diesen intensiven Leistungen getrieben hat. Ständig in einer lebensbedrohenden Lage singen zu müssen, war sicherlich etwas anderes als die scheinbar sichere Situation der 50iger Jahre. Vielleicht bringt man dann diese Intensität und erforderliche Kraft nicht mehr auf. Ähnliches finde ich übrigens bei Furtwängler.
Warum packt die Stimme mich persönlich nun so? Zunächst ist es ja eine Art des Singens, die (modemäßig) längst nicht mehr aktuell ist. (Wobei die Frage ist, ob das Aktuelle wirklich das Bessere ist. )
Ich bin schon fast süchtig nach diesem Timbre und das hängt sicherlich mit meiner persönlichen Situation 2013 zusammen. Mir ging es ziemlich schlecht, aber im Jubiläumjahr Wagners hörte ich ihn, also Wagner, eigentlich rauf und runter. Und irgendwann kam mir auch eine Aufnahme mit Lorenz unter. Natürlich hatte ich ihn auch schon vorher gehört, aber plötzlich, in dieser Lage, traf mich seine Stimme wie ein Hammer und ich konnte nicht mehr von ihm lassen. Was ich damals nicht erkannte, wohl auch nicht erkennen konnte, war, dass dieses Timbre in seiner persönlichen Kraft und inneren Stärke völlig authentisch war, wie ich es in dieser Intensität vielleicht nur bei der Callas kennengelernt habe. Jenseits aller stimmlichen und gesanglichen Moden tauchte da jemand auf, der (ich verstand es damals nicht) mir von 'Heldentum', von Stärke auch im Privaten, im alltäglichen Leben erzählte. Lorenz sagte wohl mal, wer einen Heldentenor singt, muss auch so handeln. Vielleicht habe ich ein wenig diese Kraft damals gesucht und vielleicht ist es sie immer noch, die mich so unendlich anspricht, dass ich buchstäblich eine Gänsehaut bekomme, wenn ich ihn höre.
Jenseits aller technischen Fragen ist er für mich ein wirklich authentischer Sänger, der aber mit seiner bedingungslosen Hingabe und seiner Ehrlichkeit im Ausdruck nicht nur Maßstäbe gesetzt hat, sondern für mich auch eine Mahnung ist. (Das klingt jetzt vielleicht geschwollen, aber er hat mich wirklich schon zu Dingen getrieben, die ich mir sonst nicht zugetraut hätte. Sorry, ist halt so. )
Wolfram