• Denis Kozhukhin

    Denis Kozhukhin habe ich im Februar dieses Jahres live in der Elbphilharmonie erlebt. Er spielte Prokofiews Klavierkonzert Nr. 5 zusammen mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Mirga Gražinytė-Tyla. Ein Pianist der Generation 30 +, der nach meinem ersten Eindruck zwar nicht ganz in der (einsamen) Liga einer Yuja Wang spielt, obwohl er sogar knapp ein Jahr älter ist als sie. Aber gleichwohl ist er ein bestaunenswerter Pianist der absoluten Spitzenklasse. Dieser Eindruck bestätigte sich auch bei seiner herrlichen Mendelssohn-Zugabe.

    Es gibt, bedingt durch das Verbier Festival, bei dem beide regelmäßig auftreten, sogar eine Zusammenarbeit zwischen Denis Kozhukhin und Yuja Wang als Klavierduo, nämlich die Paganini-Variationen für zwei Klaviere von Lutoslawski. Leider nur als Trailer (nicht das komplette Werk) abrufbar bei YouTube, aber lohnenswert anzusehen:
    https://www.youtube.com/watch?v=NFtBs9JD_pw

    Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Yuja Wang und Denis Kozhukhin am selben Klavier vierhändig spielten, als Rossinis Ouvertüre zu "Wilhelm Tell" beim Verbier Festival an vier Klavieren zu sechzehn Händen aufgeführt wurde, nämlich von Seong-Jin Cho, Jewgenij Kissin, Mikhail Pletnjew, András Schiff, Sergej Babayan, Daniil Trifonov sowie eben Yuja Wang und Denis Kozhukhin:
    https://www.youtube.com/watch?v=b1XkpXh_lks

    Denis Kozhukhin wurde am 2. Juli 1986 in Nischni Nowgorod (Russland) geboren. Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er mit vier Jahren von seiner Mutter, einer Profimusikerin. Schon als Kind besuchte er die Balakirev School of Music, wo er von Natalia Fish unterrichtet wurde. Von 2000 bis 2007 studierte er in Madrid an der Escuela Superior de Música Reina Sofia bei Dimitri Bashkirov und Claudio Martinez-Mehner und schloss als Jahrgangsbester ab. Weiteren Unterreicht erhielt er bei Kirill Gerstein in Stuttgart sowie im Rahmen von Akademien u.a. von Fou Ts'ong, Menahem Pressler, Boris Berman, Charles Rosen und Andreas Staier.

    2006, also noch während seines Studiums in Madrid, gewann Denis Kozhukhin den 3. Preis beim Internationalen Klavierwettbewerb in Leeds. 2009 gewann er den Ersten Preis beim Vendôme-Prize in Lissabon. 2010 gelang ihm schließlich durch den Gewinn des Ersten Preises beim Concours Reine Elisabeth in Brüssel, einem der weltweit bedeutendsten Musikwettbewerbe, der Durchbruch.

    Dies sind die mit Denis Kozhukhin erhältlichen CD-Einspielungen:
                 

    Und zum Abschluss der Hinweis auf die Homepage des Pianisten:
    http://deniskozhukhin.com/

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

    Einmal editiert, zuletzt von music lover (29. April 2022 um 21:07)

  • Für das Jahr 2020 sind diese beiden Neuerscheinungen von Denis Kozhukhin nachzutragen:
     

    Webers Grand Duo concertant für Klarinette und Klavier Es-Dur op. 48 in der Besetzung Jörg Widman/Denis Kozhukhin ermöglicht den interessanten Vergleich mit der Aufnahme von Andreas Ottensamer/Yuja Wang, die ebenfalls erst kürzlich erschien:

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Dieses Konzertprogramm morgen im Kleinen Saal der Elbphilharmonie ist ein schöner Anlass, den Faden über Denis Kozhukhin mal wieder hochzuspülen:

    Franz Schubert

    Sonate B-Dur D 960

    Franz Liszt

    Sonate h-Moll S 178

    Do, 7.12.2023 19:30 Uhr Denis Kozhukhin / Klavierabend
    Veranstaltungen, Abonnements, die Saison im Überblick: Jetzt im Veranstaltungskalender von Elbphilharmonie und Laeiszhalle stöbern, Tickets direkt buchen.
    www.elbphilharmonie.de

    Ich werde da sein :jaja1:

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

    Einmal editiert, zuletzt von music lover (8. Dezember 2023 um 15:04)

  • Alle Achtung, da fehlt als Zugabe nur noch op. 111 ;)

    Oder wenigstens die Diabelli-Variationen...

    Sollte es gewünscht sein, berichte ich gern davon, welche Zugaben Kozhukhin gab.

    Wenn man allerdings in Betracht zieht, mit welchem Zugaben-Marathon Yuja Wang gerade China auf ihrer dortigen Recital-Tour dem Vernehmen nach überzieht, dann fragt man sich schon, welcher Pianist das noch toppen soll.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

    Einmal editiert, zuletzt von music lover (8. Dezember 2023 um 21:39)

  • 2010 gelang ihm schließlich durch den Gewinn des Ersten Preises beim Concours Reine Elisabeth in Brüssel, einem der weltweit bedeutendsten Musikwettbewerbe, der Durchbruch.

    Zur Vervollständigung der Kozhukhin-Diskografie: Es liegt eine 3 CD-Box mit Aufnahmen von der 2010er Ausgabe dieses Wettbewerbs vor:

    Kozhukhin als der Gewinner dürfte in dieser Box, zu welcher mir leider keine näheren diskografischen Angaben vorliegen, reichlich vertreten sein.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Sollte es gewünscht sein, berichte ich gern davon, welche Zugaben Kozhukhin gab.

    Nicht nur über die Zugaben, bitte!

    Denis Kozhukhin gab gestern Abend drei Zugaben: Das Prélude cis-moll op. 3 Nr. 2 von Rachmaninow, dann "An den Frühling" aus den Lyrischen Stücken op. 43 von Grieg und abschließend "A l'eglise" e-moll aus dem Kinderalbum (24 pièces faciles à la Schumann) op. 39 von Tschaikowsky. Die ersten beiden Stücke habe ich erkannt, das dritte sagte mir nichts, aber ich tippte auf Tschaikowsky. Zum Glück lag ich richtig, wie ich heute der Homepage der Elbphilharmonie entnahm. Der von diesem Haus gebotene Service, dass man am Tag nach dem Konzert eine Auflistung der Zugaben auf der jeweiligen Veranstaltungsseite vorfindet, dürfte wirklich einzigartig sein (oder gibt es das irgendwo sonst?).

    Kozhukhin ließ gestern keinen Zweifel daran, dass er das Zeug zu einem absoluten Spitzenpianisten hat. Er spielt so unglaublich kraftvoll, dass ich mich fragte, ob ich jemals zuvor schon solch ein lautes Klavierrecital gehört habe. Den Schubert im ersten Teil habe ich noch auf meinem "angestammten" Sitzplatz in der 12. Reihe links des Kleinen Saals verfolgt, aber da in den vordersten Reihen auf der rechten Seite eine Vielzahl von Plätzen freigeblieben waren, setzte ich mich nach der Pause einfach dort in den rechten Teil der Reihenmitte. Und dort flutete wirklich ein Orkan über die Zuhörerinnen und Zuhörer hinweg. Seine Lesart der Liszt-Sonate war hochvirtuos, es ging ihm offenbar darum, sein immenses Können zu demonstrieren. Soweit, so gut. Aber wieso passiert ihm ein Lesefehler? Im ersten Drittel der Sonate spielte er eine (zugegebenermaßen kurze) Passage lang nur Salat, guckte urplötzlich sehr angestrengt in die Noten (von meinem Platz in der rechten Mitte der 3. Reihe konnte ich ihm direkt in die Augen sehen) und fing sich wieder. Er hatte keine Papiernoten vor sich, sondern ein Tablet, bei welchem er mit dem linken Fuß per Pedal die Seiten umblätterte. Die meisten anderen Pianisten spielen diese Sonate auswendig (im Februar werde ich Yulianna Avdeeva im selben Saal mit demselben Werk hören; sie wird die Liszt-Sonate, die geradezu ihr Leib- und Magenstück ist, sicher auswendig spielen).

    All das wäre an sich nicht weiter schlimm, wäre ihm nicht bei der Schubert-Sonate im 1. Satz genau dasselbe passiert. Er hat die Noten per Tablet vor sich. Nur warum spielt er dann nicht das, was in den Noten steht, sondern irrlichtert eine kurze Passage vor sich hin, bis er sich wieder fängt? Bei jemandem, der auswendig spielt, kann man das mit einem Gedächtnisaussetzer erklären, aber so? Ich habe im September Cyprien Katsaris live erlebt mit dem Klaviersextett D-Dur op. 110 von Mendelssohn. Er hatte Noten vor und eine Notenumblätterin neben sich, für welche es sich bei dem Irrsinnstempo, das die Musikerinnen und Musiker an den Tag legten, kaum lohnte, sich einen kurzen Moment hinzusetzen. Aber mit welch einer gestochen scharfen Präzision meisterte Katsaris den hochvirtuosen Klavierpart trotz stark angezogener Tempi. Da war nicht eine einzige falsche Note, und das bei einem inzwischen 72-jährigen Pianisten. Der 37-jährige Kozhukhin hat die Noten ebenfalls vor sich, schwächelt aber bei der Umsetzung dessen, was in den Noten steht.

    Zum Schubert: Kozhukhin hatte die Tendenz, bei den ersten beiden Sätzen ständig in der linken Hand irgendwelche Nebenstimmen hervorholen zu wollen. Das kann manchmal sehr interessant sein, aber auf die Dauer nervte es mich. Um beim Beispiel Katsaris zu bleiben: Er macht das nicht selten auch (ganz ausgeprägt im Walzer cis-moll op. 64 Nr. 2 von Chopin*), aber erst in den Wiederholungen. Katsaris spielt also eine Passage zuerst "normal" und in der Wiederholung dieser Passage dann "anders", indem er dann das stark hervortreten lässt, was in der linken Hand sowie im Daumen der rechten Hand passiert. Und dann erlebt man plötzlich die kurz zuvor gehörte Passage auf neue Weise. Das kann sehr, sehr spannend sein. Aber gestern war das Gebotene in den ersten beiden Schubert-Sätzen mehr so eine Art "Versuchslabor" mit dem Thema: Wo könnte in dem Werk irgendwo etwas in der linken Hand versteckt sein, was man hervorheben könnte? Um ehrlich zu sein: Ich war froh, dass irgendwann die 40 Minuten Schubert-Sonate um waren und ich in die Pause konnte. Fairerweise muss man aber sagen, dass der 3. und 4. Satz ohne derartige "Mätzchen" gespielt wurden. Der 3. Satz gefiel mir sogar sehr gut.

    Der Liszt und alle drei Zugaben wurden von Kozhukhin insgesamt gesehen - trotz des oben erwähnten Aussetzers in der Sonate - beeindruckend gespielt. Es hat sich gelohnt, in das Konzert zu gehen. Rundum zufrieden war ich aber nicht.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

    Einmal editiert, zuletzt von music lover (8. Dezember 2023 um 21:23)

  • Ich habe oben mal ein Sternchen bei Chopins Walzer cis-moll op. 64 Nr. 2 eingefügt und möchte - ein wenig off topic - gern ergänzen:

    * Hier ist dieser Walzer in der Interpretation von Cyprien Katsaris. Nach dem Mittelteil spielt er den Anfangsteil in seiner Wiederkehr ab 1:37 min. des Videos so dermaßen völlig anders, wie man ihn noch nie zuvor gehört hat. Hochspannend bei einem 3 Minuten-Stück, wie ich finde. Aber zuviel davon könnte ich mir nicht anhören (und zuviel davon macht Katsaris auch nicht).

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

    Schade, klingt doch nach einer eher veräußerlichten Angelegenheit. Was nun wahrlich nicht zu diesem Programm passt.

    Darin stimme ich Dir zu, lieber Braccio. Ich freue mich riesig darauf, die Liszt-Sonate in zwei Monaten im Rahmen eines reinen Liszt-Programms von Yulianna Avdeeva im selben Saal zu hören. Das wird ganz sicher eine sehr viel mehr verinnerlichte, nicht so sehr auf Virtuosität bedachte Aufführung werden. Hier das Programm von Frau Avdeeva:

    La lugubre gondola

    Bagatelle sans tonalité

    Csárdás macabre

    Unstern! Sinistre, disastro

    Légende Nr. 2 »St. François de Paule marchant sur les flots«

    – Pause –

    Sonate h-moll

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Lieber ML,

    vielen Dank für Deine kenntnisreiche, spannende Berichterstattung. Obwohl Kozhukhin-Aficionado, hast Du keine Probleme, erkannte Schwächen bei Deinem Sympathieträger deutlich zu benennen. Das ist schlicht vorbildhaft.

    Liebe Grüße aus Schwerin :wink: :verbeugung2:

    Andreas

  • Danke Dir für Deine Worte, lieber Andreas :cincinbier:

    Obwohl Kozhukhin-Aficionado

    Wollen wir mal so sagen: Ich sah ihn im Februar 2019 in Hamburg mit Prokofiew 5 zusammen mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Mirga Gražinytė-Tyla und war von den Socken. Danach sah ich ihn im Januar 2020 solo im Pierre Boulez-Saal in Berlin (u.a. mit Boulez und Prokofiew) und fand es auch sehr, sehr gut, war sogar backstage in seinem Künstlerzimmer und unterhielt mich mit ihm und seiner Frau. Ich habe aber bereits damals - auch im Eröffnungsbeitrag dieses Threads - die Meinung vertreten, dass er nicht in der (einsamen) Liga einer Yuja Wang oder anderer Weltklassepianisten wie z.B. Pierre-Laurent Aimard, Daniil Trifonov, Marc-André Hamelin oder Víkingur Ólafsson spielt. Etwas fehlt bei ihm, um zur absoluten Spitze gezählt zu werden. Und nun habe ich ihn zum dritten Mal gesehen und beobachtete eher einen Rückschritt als eine Entwicklung nach vorn. Er ist hochbegabt für das Klavier, ohne jeden Zweifel. Er hat das Zeug zur Weltklasse, ist beeindruckend. Aber ich weiß inzwischen nicht mehr, ob ich ihn mir überhaupt ein viertes Mal ansehen würde. Er hat mich während seines Schubert-Vortrags geradezu gelangweilt. Das würde mir in einem Konzert von Yuja Wang oder Víkingur Ólafsson niemals passieren.

    Vielleicht hat mich Prokofiew Nr. 5 in der Elbphilharmonie 2019 ja doch vor allem deswegen so umgehauen, weil Mirga Gražinytė-Tyla einfach herausragend dirigierte? Das ist jetzt als wirkliche Frage gemeint. Ich bin mir seit gestern da nicht mehr schlüssig.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!