Sängerschicksale

  • Lieber Waldi!
    Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich letzte Nacht so hart reagiert habe und mich Dir gegenüber womöglich im Ton vergriffen habe. Es war nicht böse gemeint, ich kenne Dich ja gar nicht und bin froh darüber, dass auch andere Wiener hier im Forum sind! Wenn es unfreundlich gewirkt hat, tut es mir leid, und ich bitte Dich, die Entschuldigung anzunehmen. Meine Aggression bezog sich nicht auf Dich, sondern auf die Mechanismen des Kulturbetriebs, die diese - in meinen Augen - ganz groben Fehlentwicklungen ermöglichen.
    Ich weiß nicht, Meyer hat manche Ensemblestützen (Markus Eiche!) ziehen lassen, wobei er gleichzeitig auch manche wirklich guten Leute geholt hat (zum Beispiel Bruns, Ernst, Park, Vörös). Ich denke auch, dass Holender - dem man bestimmt viel nachsagen kann - Ahnung von Stimmen hat. Wir werden sehen, was das Jahr 2020 bringt, bis jetzt weiß man ja von der Einrichtung eines Opernstudios, das finde ich super! Und es hält sich das Gerücht, Holender habe Roščić die erste Spielzeit durchgeplant. Wir werden sehen, was passiert, ich blicke jedenfalls gespannt in die Zukunft!

    An Mauerblümchen: Wenn das von mir Geschriebene tatsächlich den Tatbestand der üblen Verleumdung erfüllt, dann fress ich einen Besen; außerdem ist mir der Unterschied zwischen Vibrato und Tremolo/Scheppern wohlbekannt. Darüber hinaus erfolgte meine Beurteilung nicht aufgrund des Hörens von 10 Sekunden, sondern ich habe sie seit 2011 regelmäßig in der Wiener Staatsoper gehört/erlitten.

    Ja, bei Vorsingen spielt die Ausstrahlung etc leider eine viel größere Rolle, als sie meiner Meinung nach spielen sollte..

    Besonderen Dank an Dich, Quasimodo, für die Zusammenstellung der Aufnahmen und für das genaue Zuhören und Kommentieren! Deine Analyse ist interessant zu lesen. Ich finde es sehr ergiebig, über konkrete Leistungen zu diskutieren, und ich habe vor, hier in nächster Zeit ein paar eher unbekannte Sänger vorzustellen (samt Youtubelinks), die ich aber ausgezeichnet finde. Über erfreuliche Sachen zu schreiben macht mir ja auch mehr Freude als zu schimpfen oder mich aufzuregen.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Es ist leider das Pech das heute junge Sänger "verheizt" werden, auch bei Partien die ihnen noch nicht liegen.

    Früher wurden Sänger zuerst in kleineren Partien versucht und dann in größere "zugelassen", jede Stimme wird natürlich wachsen und nicht durch Zwang gewisser, und oft "gewissenloser" Gesangslehrer.
    Es gab das zu jeder Zeit und ist heute keine Mode-Erscheinung, das gab es auch zu "meiner Zeit" schon.

    Das heute Karrieren kürzer sind ist dem zuzuschreiben und das dann manche GesangslehrerInnen werden ist das 2. Pech. Sie geben das weiter was sie gehört und ruiniert haben, leider.

    Liebe Grüße von Eurem Streiferl / Peter aus Wien. :wink: :wink:

  • Gastbeitrag.

    normalerweise überfliege ich solche Themmen wie hier nur, wil einfach zu weit außerhalb meines Gesichtskreises.

    Aber wegen der gleichzeitigen Diskussion im Kritik-Faden hab ich informationshalber mir mal in die Mond-links angehört, und muß sagen, daß ich die Diskussion auf "Kritik" jetzt besser verstehe. Ich hatte mich immer gewundert, warum es da so sehr um das "Können" statt um Konzept geht.

    Aber wenn das "Können" schon so elementar strittig ist, wie man hier erfahren kann, ja dann ... das hatte ich mir so nicht vorgestellt.

    ich muß Sadko 100% recht geben, der 1. Link mit Nafornita ist ja vom 1. Ton an schaurig. Dieses Urteil kann ich auch nicht wegen eigener mangelnder Erfahrung (jeder Diskussionteilnehmer hier übertrifft mich da um Längen) sowie Unkenntnis technischer Diagnostik realtivieren. Ein bischen Singen hab ich schon auch gehört. Schuld ist natürlich nicht die Sängerin, sondern die, die sie lassen. Man kann Frau Nafornita nur wünschen, daß sie den Übergang zu einem andern befriedigenden Lebensinhalt schafft.

    Die Abstufungen, die bei den andern Links gemacht wurden, kann ich nachvollziehen, muß aber sagen daß mir überall die Defizite sich noch vor den Dvorak drängen, und ich den eigentlich nicht höre.

    Hier wäre das dann schon anders (ganz zufällig als nächster yt-Vorschlag herausgefischt, eine Olena Tokar singt):

    https://www.youtube.com/watch?v=j4NKXDojZHQ

    obwohl die Stimme m.E. noch durchaus schlichter klimgen könnte, aber das geht vielleicht schon ins Konzeptionelle.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Lieber Peter!
    Ich gebe Dir vollkommen recht, dass es das Verheizen von Sängern immer schon gegeben hat, leider. Ein wesentlicher Unterschied besteht meiner Meinung nach aber darin, dass man früher jemanden, der an der Wiener Staatsoper (!!) Hauptrollen (!!!!) so singt wie die Frau Naforniță in dem Video, mit nassen Fetzen davongejagt hätte. Ich schwöre Dir, dass sich das Publikum so etwas nicht bieten gelassen hätte.
    Und was ist heute? Frau Naforniță wird von vielen Kritikern und von den Seitenblicken gelobt sowie vom großteils nicht-opernaffinen Publikum der Wiener Staatsoper bejubelt (nach ihrer Wiener Pamina hab ich sie einmal ausgebuht, aber das kann man ja auch nicht immer machen - aber andere Möglichkeiten, gegen den Verfall des Gesanges zu protestieren, gibt es ja nicht, und die Pamina war wirklich abenteuerlich). Und wieso sollte der Operndirektor besser besetzen, wenn ja ohnehin seine Besetzungen akklamiert werden? Die jeweilige Sängerin ist eine der Leidtragenden, denn in ein paar Jahren ist sie verheizt, und dann kommt die nächste..
    Außerdem sprichst du sehr richtig das Problem der Gesangslehrer an. Ich halte das für ein sehr schwer zu lösendes Problem. Am besten wäre wohl, wenn sehr gute Sänger neben ihrem Beruf an Hochschulen unterrichten, aber dafür ist sicher nicht immer Zeit. Generell müsste aber auf die Vermittlung von Gesangstechnik mehr Wert gelegt werden, und - vor allem - die Besetzungen müssten von Fachleuten getroffen werden.

    Danke, Zabki, für das Anhören der Links und für das Festhalten Deiner Eindrücke. Auch wenn man sich hinsichtlich Gesang nicht so supertoll auskennt, kann (und soll!!) man sich ja trotzdem äußern, das Bauchgefühl gibt den richtigen Weg.
    Das Olena-Tokar-Video höre ich mir daheim an, denn jetzt im Zug will ich das den anderen Mitreisenden nicht zumuten. :D

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Sag mal, lieber Sadko, ist da ein Link aus Deinem Beitrag (#16) verschwunden? Meine Worte zur Darbietung von Frau Nafornita bezogen sich auf diese Aufnahme https://www.youtube.com/watch?v=GH5ZV3wX0pU , die ich von Deinem Beitrag aus erreichte, jetzt aber nicht mehr darin finden kann und stattdessen die Chronik meines Browsers bemühen musste.

    Spannend.

    In der Aufnahme mit dem verbliebenen Link aus der Wiener Staatsoper finde ich ihren EInsatz der Gestaltungsmittel tatsächlich deutlich weniger gelungen als in der anderen Aufnahme. Ihr Vibrato nervt mich und streift nicht nur die Grenze zum Meckern, was manche nicht ganz korrekt mit "Tremolo" bezeichnen. Aber auch hier "sitzt" die Stimme mMn gut.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ich beziehe mich auf das Rusalka-Lied mit Valentina Nafornita.

    [NACHTRAG: Und zwar in dieser Aufnahme: https://www.youtube.com/watch?v=GH5ZV3wX0pU

    Der Link dazu war vor Kurzem mMn noch in Sadkos Beitrag enthalten, jetzt - 5. Juli 2019, 16:03 MESZ - finde ich ihn nicht mehr.]

    Sag mal, lieber Sadko, ist da ein Link aus Deinem Beitrag (#16) verschwunden? Meine Worte zur Darbietung von Frau Nafornita bezogen sich auf diese Aufnahme https://www.youtube.com/watch?v=GH5ZV3wX0pU , die ich von Deinem Beitrag aus erreichte, jetzt aber nicht mehr darin finden kann und stattdessen die Chronik meines Browsers bemühen musste.

    Spannend.

    In der Aufnahme mit dem verbliebenen Link aus der Wiener Staatsoper finde ich ihren EInsatz der Gestaltungsmittel tatsächlich deutlich weniger gelungen als in der anderen Aufnahme. Ihr Vibrato nervt mich und streift nicht nur die Grenze zum Meckern, was manche nicht ganz korrekt mit "Tremolo" bezeichnen. Aber auch hier "sitzt" die Stimme mMn gut.

    Gruß
    MB

    :wink:

    Ich schwöre, dass ich keinen Link in meinem Beitrag entfernt oder besser versteckt oder ausgetauscht oder auf eine andere Art geändert habe. Keine Ahnung, ich kann mir nicht erklären, wie Du den anderen Link von meinem Beitrag aus erreicht hast. Ich habe wirklich nichts geändert. (Änderungen, die wichtigeres als Tippfehler betreffen, mache ich normalerweise kenntlich.)

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Sorry, dass ich mich erst jetzt einmische, aber es ist halt Urlaubssaison. ^^

    Ich bleib dabei, es läuft viel falsch in der Opernwelt, und es sind nicht die besten, die Karriere machen.

    Ich befürchte, dass hat es immer gegeben, bzw. die Alternativversion, dass eben bedeutende Stimmen keine große Karriere gemacht haben. Man musste immer den richtigen Agenten haben (Schwarzkopf ;) ), zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, dem Verständnis von Dirigenten oder Regisseuren oder auch dem Publikum entsprechen, ein entsprechendes Label finden usw. Vom Können mal schlicht zu schweigen. Es spielten eben immer auch ganz viele außermusikalische Aspekte eine Rolle. Was womöglich heute anders ist, ist die Frage der Figur.

    Willkürliches Beispiel: Giulia Grisi debütierte mit 17 in Rossinis "Zelmira", war mit 20 die Adalgisa in der Uraufführung von "Norma", mit 24 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere in den starglänzenden Pariser Uraufführungen von "I Puritani" und "Marino Faliero", ihre letzte Große Uraufführung war Donizettis "Don Pasquale" - da war sie 31.

    Ich kenne mich zu wenig mit der Biographie der Grisi aus, um genau zu sagen, warum genau sie so früh aufgehört hat, zu singen. Womöglich spielten da auch außermusikalische Beweggründe eine Rolle. Andererseits scheint es mir klar zu sein, dass jemand, der so früh solche Partien singt, dass es eben nicht ewig machen kann. (Callas ist ein ähnliches Beispiel.)

    Wilhelmine Schröder-Devrient war mit 16 Pamina, mit 17 Leonore - heute undenkbar!

    Wagner, der sie, glaube ich, später gehört hat, sprach von ihr als jemand, die überhaupt nicht singen, aber wunderbar mit dem Atem umgehen konnte. Das habe ich immer so verstanden, dass sie ihre Ausdrucksfähigkeit nicht verloren hat, wie es so vielen früh 'ruinierten' Stimmen geht.

    Ich hoffe, dass Terfel einen Gesangslehrer hat, wie ihn jeder professionelle Sänger haben sollte. Aber genau das ist ja das Problem; sobald man einen gewissen Status erreicht hat (nicht nur bei Terfel, sondern generell), traut sich keiner mehr zu sagen: "Heast, das war jetzt wirklich schlecht. Ändere diese Sachen: ...".

    Nun hat Terfel immerhin eine wirklich jahrzehntelange Karriere hingelegt. Und irgendwann neigt sich auch jede Stimme mal dem Ende entgegen. :)

    Ich habe die Staatsoperngala natürlich nicht gesehen, weil mich solche Events nicht die Bohne interessieren (einzelne Musikstücke - wie zum Beispiel das Rusalka-LIED (keine Arie!!!) - aus ihrem Kontext zu reißen, mag ich nicht), aber ich habe soeben auf Youtube genau diese Aufnahme des Rusalka-Liedes gefunden. Kann man hier abrufen.
    Und was soll ich sagen? SCHAUDERHAFT!

    Bzgl. Valentina Nafornita würde ich vielleicht das Wort 'schauderhaft' nicht verwenden und manches auch anders formulieren, sie allerdings auch nicht an die 'Staatsoper' verpflichten. ^^ Ich kannte sie vorher überhaupt nicht, habe mir nun einige Sachen angehört und muss sagen, dass ich ihre Stimme v.a. völlig uninteressant finde, technische Probleme mal außenvorgelassen. Weder im 'Pasquale' noch in der 'Rusalka' kommt für mich irgendetwas rüber. Das ist nett, bemüht, aber doch bitte nicht auf dem Niveau einer Wiener Staatsoper. (Oder habe ich da was falsch verstanden und sie singt da gar nicht.)

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Kein Problem, ich hoffe, Du hast einen schönen Urlaub hinter Dir!


    Ich befürchte, dass hat es immer gegeben, bzw. die Alternativversion, dass eben bedeutende Stimmen keine große Karriere gemacht haben. Man musste immer den richtigen Agenten haben (Schwarzkopf ;) ), zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, dem Verständnis von Dirigenten oder Regisseuren oder auch dem Publikum entsprechen, ein entsprechendes Label finden usw. Vom Können mal schlicht zu schweigen. Es spielten eben immer auch ganz viele außermusikalische Aspekte eine Rolle. Was womöglich heute anders ist, ist die Frage der Figur.


    Jaa, da stimme ich natürlich (leider) zu! Aber auch wenn es Strukturen, die ich als Missstände bezeichne, auch früher gegeben hat, finde ich, dass sie erwähnt und kritisiert werden sollen. Außerdem vermute ich - kann das jetzt aber nicht belegen -, dass sich die Situation zugespitzt hat. Das hat aber natürlich auch damit zu tun, dass mittlerweile fast alles toleriert wird, das sich auf unseren Bühnen abspielt. Das Opernpublikum ist toleranter, langweiliger und leidenschaftloser geworden.


    Nun hat Terfel immerhin eine wirklich jahrzehntelange Karriere hingelegt. Und irgendwann neigt sich auch jede Stimme mal dem Ende entgegen. :)


    Ja, der Zahn der Zeit nagt an allem und jedem.. Aber Terfel ist derzeit erst 53, also vor allem in seiner Stimmlage kein Alter. Da würde ich erwarten, dass er gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere und seiner stimmlichen Entwicklung steht. Dass der Höhepunkt schon vorüber ist, macht mich etwas traurig und deutet meiner Meinung nach darauf hin, dass der Sänger nicht sorgsam genug mit seinen Resourcen umgegangen ist. Nichtsdestoweniger halte ich ihn für einen hervorragenden Sänger!

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Bzgl. Valentina Nafornita würde ich vielleicht das Wort 'schauderhaft' nicht verwenden und manches auch anders formulieren, sie allerdings auch nicht an die 'Staatsoper' verpflichten. ^^ Ich kannte sie vorher überhaupt nicht, habe mir nun einige Sachen angehört und muss sagen, dass ich ihre Stimme v.a. völlig uninteressant finde, technische Probleme mal außenvorgelassen. Weder im 'Pasquale' noch in der 'Rusalka' kommt für mich irgendetwas rüber. Das ist nett, bemüht, aber doch bitte nicht auf dem Niveau einer Wiener Staatsoper. (Oder habe ich da was falsch verstanden und sie singt da gar nicht.)

    Ich würde da auch Wolfram zustimmen, Valentina Nafornita singt definitiv besser als meine Oma, aber genauso definitiv nicht auf dem Niveau, das ich mir in Hauptrollen an der Wiener Staatsoper erwarten würde. Die Stimme schwingt nicht frei, auch wenn sie vermutlich für heutige popgewöhnte Ohren "schön" klingt. Über technische Probleme mag ich mich sonst nicht detailliert äußern, weil ich da auch ein Laie bin, aber irgendwie wundert es mich nicht bzw. passt es für mich irgendwo ins Bild, dass jemand, dessen Stimme so klingt, gern mit Microport singt. :whistling: Fast noch schwerwiegender finde ich, dass sie anscheinend so viel Energie darauf verwenden muss, den Notentext einigermaßen zu reproduzieren, dass für Gestaltung während des Singens keine Kapazitäten mehr bleiben (sehr auffällig in der von Glöckner-Bernd verlinkten, nahezu hingerichteten Norina-Arie, da singt sie entweder oder gestaltet, aber beides gleichzeitig funktioniert offenbar nicht).

    Was die von Philbert erwähnte Alexia Cousin betrifft, finde ich es sehr schade, dass sie sich gezwungen gefühlt hat, ihre künstlerische Karriere aufzugeben. Die Frau hatte wirklich viel Talent und ich hätte sie gerne noch lange in französischer Oper gehört. Stimmliche Probleme kann ich in den verfügbaren Mitschnitten eigentlich keine hören (bin aber, wie gesagt, Laie), aber vielleicht war es einfach auch der Stress - sie hat mit 26 Jahren wirklich schon sehr viel und an vielen Orten gesungen -, der sie zu diesem Schritt bewogen hat. Von ihr stammt jedenfalls die nach meinem Kenntnisstand beste existierende Aufnahme der Arie "Dis-moi que je suis belle" aus Massenets "Thais": https://www.youtube.com/watch?v=6uVzSp2UYRU Mittlerweile scheint sie - nach einigen Jahren völliger Stille um sie - Gesangsunterricht zu geben: https://www.alexiacousin.com

    Auch Marina Poplavskaya hat ja leider vor nicht allzulanger Zeit ihre Karriere nach ein paar Jahren großer Erfolge relativ plötzlich beendet - da waren zwar sehr wohl stimmliche Einschränkungen zu hören, vor allem in der Höhe, die nie so richtig leicht angesprochen hat, aber in den Partien, mit denen sie berühmt wurde (Desdemona in Salzburg, Maria Boccanegra in Covent Garden, Liù und Elisabetta an der Met), war sie ganz ausgezeichnet, mit intelligent gestalteten Interpretationen und großer Bühnenpräsenz. Sie war vielleicht selbstkritisch genug (oder sogar zu selbstkritisch), sich rechtzeitig zurückzuziehen, als sie merkte, die von ihr zweifellos gewünschte Perfektion nicht mehr vollumfänglich abliefern zu können. Sie arbeitet jetzt in der Immobilienbranche.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Was die von Philbert erwähnte Alexia Cousin betrifft, finde ich es sehr schade, dass sie sich gezwungen gefühlt hat, ihre künstlerische Karriere aufzugeben.

    Von der Cousin habe ich mir nun neben der 'Thais-Arie' auch die der Elisabeth aus dem 'Tannhäuser' (2002) und die aus 'Ernani' angehört. Bei der Elisabeth fällt mir zunächst eine 'verschwommene' Diktion auf und auch doch ein Mangel an Persönlichkeit. Letzteres gilt auch für den Ernani, die mir insgesamt zu lyrisch ist. Aber (!!!), wir reden hier über eine Sängerin zu Beginn und in der Mitte ihrer zwanziger Jahre. Welches Talent deutete sich da an! Schade, dass sie sich zurückgezogen hat. Wobei die Gründe dafür ja vielfältig sein können und in der Regel auch sind. Vielleicht hatte sie schlichtweg Probleme mit dem Dauerstress einer internationalen Karriere. Wer könnte ihr das verdenken? Aber das ist pure Spekulation.

    Von ihr stammt jedenfalls die nach meinem Kenntnisstand beste existierende Aufnahme der Arie "Dis-moi que je suis belle" aus Massenets "Thais":

    Ich weiß nicht, wann die Aufnahme entstanden ist. Jung war sie zu der Zeit wohl allemal. Mir fällt nur auf, dass sie höhere Töne immer wieder ein wenig 'anschleift', will sagen, dass sie nicht sofort den richtigen Ton trifft, sondern sich 'hocharbeitet'.
    Aber, wie oben schon gesagt, was für ein Talent!

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Was Marina Poplavskaya angeht habe ich sie nun in zwei kurzen Ausschnitten aus 'Traviata' und 'Turandot' gehört. Was mich bei ihr v.a. irritiert, ist ihre Neigung, Phrasen kurz abzuhacken. Mir fehlt der lange Atem, die lange, durchgesungene Linie, ein wirklich durchgehaltenes und ausdrucksvolles Legato. Insgesamt finde ich ihre Stimme relativ uniinteressant und ich würde viel lieber viel mehr von der Cousin hören. ^^

    Aber letztlich geht es darum in diesem Thread ja nicht. Fakt ist wohl, dass auch sie ihre Karriere aufgegeben hat und das, obwohl sie bereits an den großen Opernhäusern gesungen hat.

    Nun bin ich immer vorsichtig ob der Selbstkritik von Menschen, wenn andererseits die Verlockungen von Ruhm (und Geld) da sind. Manchmal sind es einfach auch schlichte, durchaus brutale Faktoren (z.B. heftige Stimmkrisen), die zum Aufgeben zwingen, ob man will oder nicht.

    Ohne genauere Informationen bin ich bei ihr der Meinung, dass sie eine von den vielen Fällen ist, die mit nicht ausreichender Technik zu früh in das internationale Geschäft geworfen wurde (und sich wohl auch hat werfen lassen). Ein längerer Lernprozess in der Provinz wäre da vielleicht besser gewesen. Aber vielleicht liege ich auch völlig falsch. ;)

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Lieber Sadko,

    Ich war im Ausland und offline, daher mein Schweigen, daß keinesfalls eine Mißstimmung suggerieren sollte. Ich fühlte mich durch deine Antwort keineswegs irgendwie unfair angegriffen, sondern schätze die Nafornita-Diskussion als sehr spannend und interessant ein. Die Wiedergabetechnik scheint in diesem Fall besonders für unterschiedliche Eindrücke verantwortlich zu sein. Aber bei Holender und Meyer tun wir uns mit unseren Übereinstimmungen offenbar leichter. Wenn H. tatsächlich für den nächsten Direktor mitplant (irgendwie kommt mir das fast unwirklich vor, aber möglich ist alles), kann das spannend werden (ich hoffe nur, daß sich H. im Fall des Falles aufs Musikalische beschränkt - bei den Regisseuren hat er manchmal grausam daneben gegriffen...).
    :wink: Waldi

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

  • Lieber Waldi!
    Dann ist ja alles in Ordnung, gut! Auch ich war fast zwei Wochen nicht online.
    Holender hat seine Finger noch deutlich im Spiel (graue Eminenz der Kulturszene könnte man fast sagen), ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass sich Roščić von ihm beraten lässt. Was unsere Einschätzungen zu Regisseuren betrifft, sind wir etwas anderer Meinung, denn ich finde, dass Holender spannende Leute geholt hat und (positiv gesagt) Risken eingegangen ist. Natürlich war auch viel Mist dabei, aber das gehört dazu. Bei Meyer erlebe ich fast nur szenische Total-Langeweile. Ich freue mich also schon auf 2020/21 und bin gespannt, was wir in Wien erleben werden. :)

    Und sorry für das off-topic!

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Ich weiß nicht, wann die Aufnahme entstanden ist. Jung war sie zu der Zeit wohl allemal. Mir fällt nur auf, dass sie höhere Töne immer wieder ein wenig 'anschleift', will sagen, dass sie nicht sofort den richtigen Ton trifft, sondern sich 'hocharbeitet'.
    Aber, wie oben schon gesagt, was für ein Talent!

    Eine späte Antwort auch von meiner Seite: Selbst wenn Cousins Interpretation vielleicht nur 99%ig perfekt sein sollte, der Vergleich mit respektablen international erfolgreichen Sängerinnen der jüngeren Zeit macht allemal sicher. "Dis-moi que je suis belle" kann vielleicht den zweifelhaften Ruhm für sich beanspruchen, die am öftesten in öffentlichen Aufführungen und (!) Aufnahmen völlig hingerichtete Arie der Musikgeschichte zu sein, und das, obwohl sie noch nicht einmal besonders häufig gesungen wird.

    Barbara Frittoli (Turin 2008) trifft die Töne nicht nur "nicht sofort", sondern gar nicht, obwohl sie sich eh schon mit Vokalisen behilft, Renée Fleming (Met 2008) legt die Arie eher als Sprechgesang an, Sonya Yoncheva (Zagreb 2017, Konzert) trifft die Töne halbwegs, steht aber völlig neben der Phrasierung (noch ein Glück, dass Salzburg Marina Rebeka als Einspringerin bekommen hat), Nino Machaidze (Liceu 2017) brüllt sich im metallischen Einheitsforte durch das Stück... Die älteren Studioaufnahmen sind wenig erfreulicher: Beverly Sills (1975) tremoliert, dass es einer Zwiebel Tränen in die Augen treiben könnte,und auch Anna Moffo (1974) demonstriert nur noch die ruinösen Reste ihrer Stimme. Die noch älteren französischen Aufnahmen bieten Sopranistinnen mit dem typisch scharfen Timbre, die für weite Teile der Oper wunderbar sind, aber bei dieser lyrischen Arie doch sehr unkulinarisch ausfallen. Von den YouTube-Mitschnitten junger Sängerinnen heißt mich der Welpenschutz zu schweigen; dass die Gesangslehrer da nicht früher eingeschritten sind und von der Arie rechtzeitig abgeraten haben, lässt aber nur auf Bösartigkeit schließen.

    Nein, ich bin wirklich froh über Alexia Cousin und ihre Demonstration, dass man diese Arie tatsächlich singen kann. Und dabei war sie noch so jung!

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Gott, das ist so lange her, ich musste mich erstmal wieder auffrischen. :D

    Ich muss dir zugestehen, wenn man die Arie als rein lyrisches 'Einzelstück' betrachtet und die Cousin zudem mit anderen auf YouTube verfügbaren Versionen vergleicht, hat sie schon einen Punkt.

    Nun kenne ich die Oper zu wenig bzw. kaum, weiß auch wenig über die Aufnahmen, die so existieren. Ich habe mir nur diese einzelne Aufnahme angehört und von daher meine Bemerkung. Dass da ein Riesentalent verstummt ist, steht wohl außer Frage.

    Was ich übrigens gerade gefunden habe, ist eine Uraltaufnahme mit Mary Lewis von 1924. Manches Aufsteigen in die Höhe würde man heute wohl auch nicht mehr goutieren,, aber insgesamt finde ich es eine sehr ansprechende Alternative. Wobei ich, wohl gemerkt, die Stellung dieser Arie innerhalb der gesamten Oper nicht beurteilen kann.

    https://www.youtube.com/watch?v=g_3YvEITtZ0

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • [offtopic]

    Lieber Wolfram,

    falls du die Oper näher kennenlernen willst, was sich m.E. unbedingt lohnt (ich halte sie für Massenets Meisterwerk, nirgends war der alte Franzose so farbig, melodiös und vielschichtig), gibt es hier einen Thread dazu. Und die insgesamt für den Einstieg überzeugendste Studioaufnahme scheint mir (trotz gewisser Schwächen in der Titelrolle) diese hier zu sein, jetzt auch mit anderen hervorragenden Aufnahmen (Manon und Werther mit de los Angeles/Legay bzw. Gedda, Don Quichotte mit Berganza/van Dam) in einer Massenet-Box zu bekommen:

     

    Die beste französische Old-School-Alternative, bei der man aber in Kauf nehmen muss, dass die Ballettmusik im zweiten Akt um ihren schönsten Teil gekürzt wurde, ist diese hier:

    Liebe Grüße,
    Areios

    [/offtopic]

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Lieber Areios, danke für die Tipps.

    Renée Doria und Co. würde mich, glaube ich, am meisten ansprechen, nur ist die CD derzeit nicht verfügbar. Allerdings finde ich auch die Box verlockend. Da muss ich noch mal in mich gehen. ^^

    Sills könnte ich mir problematisch vorstellen, aber v.a. Sherill Milnes, den ich so gar nicht im französischen Fach sehe.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • [offtopic]

    Sills könnte ich mir problematisch vorstellen, aber v.a. Sherill Milnes, den ich so gar nicht im französischen Fach sehe.

    Sherill Milnes singt aber einen erstaunlich sensiblen, nie forcierenden und dabei jugendlich-feurigen Athanael, gehört definitiv zur Spitzengruppe. Zugegeben, die Aussprache ist bei der Sills besser, aber der einzige nichtfranzösische Athanael auf Aufnahme, der sich in puncto Stilsicherheit mit Milnes messen kann, ist meiner Hörerfahrung nach Michele Pertusi.

    Liebe Grüße,
    Areios

    [/offtopic]

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Was die von Philbert erwähnte Alexia Cousin betrifft, finde ich es sehr schade, dass sie sich gezwungen gefühlt hat, ihre künstlerische Karriere aufzugeben.

    Von der Cousin habe ich mir nun neben der 'Thais-Arie' auch die der Elisabeth aus dem 'Tannhäuser' (2002) und die aus 'Ernani' angehört. Bei der Elisabeth fällt mir zunächst eine 'verschwommene' Diktion auf und auch doch ein Mangel an Persönlichkeit. Letzteres gilt auch für den Ernani, die mir insgesamt zu lyrisch ist. Aber (!!!), wir reden hier über eine Sängerin zu Beginn und in der Mitte ihrer zwanziger Jahre. Welches Talent deutete sich da an! Schade, dass sie sich zurückgezogen hat. Wobei die Gründe dafür ja vielfältig sein können und in der Regel auch sind. Vielleicht hatte sie schlichtweg Probleme mit dem Dauerstress einer internationalen Karriere. Wer könnte ihr das verdenken? Aber das ist pure Spekulation.

    Auf YouTube gibt es jetzt auch noch den Upload einer wunderbaren Desdemona:

    Externer Inhalt www.youtube.com
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    Liebe Grüße,

    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

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