PUCCINI: Turandot - welches Finale?

  • Dabei ist die Grundidee, dass sich Turandot durch die Liebe Calafs (und Liùs) von einer eiskalten Despotin in eine liebende Frau verwandeln könnte, gar nicht schlecht (eine gewisse Märchenhaftigkeit muss man bei diesem Stoff ja sowieso in Kauf nehmen). Das Problem ist, dass Puccini seiner eigenen Biographie nach zu schließen unter "Liebe" anscheinend in erster Linie mal sexuelle Anziehung und Triebbefriedigung verstand, und das hat ihn wohl veranlasst, den Moment der Verwandlung vor allem im übergriffigen Kuss zu sehen.

    Hier noch eine weitere Ergänzung zu dieser Frage aus einem Interview mit Dame Gwynneth:

    ""Turandot is very vulnerable," she said. "She puts up this icy front to protect herself. When she sees Calaf, she feels something new inside her. She doesn't recognize love. So she tries to scare him. Like a Kabuki lion all puffed up with himself, she tries to mesmerize Calaf with her arms. Eventually she collapses, like a broken bird, trembling all over. After the kiss, one sees the ice melt."

    https://www.nytimes.com/1995/01/29/art…of-revenge.html

    Ich finde, dass man wirklich ein Finale braucht, um all das zuende zu führen.

    Ich werde mir mal das Berio Finale anhören - es ist auf Spotify

  • Sollte es in Deutschland 129 Opernhäuser geben, dann wäre das schön, aber die spielen trotzdem nicht alle regelmäßig Turandot. Luxusproblem.

    So, als ob in Wien regelmäßig Turandot gespielt würde... Du bist wirklich nicht gut informiert.
    Oder ist da jemand leicht auf die Wiener neidisch? Anders kann ich mir Deine Einwürfe nicht erklären; abgesehen davon, dass es keinesfalls konstruktiv ist, in einem Thread namens "PUCCINI: Turandot - welches Finale?" zu schreiben, dass man bitteschön jedes Finale aufnehmen und der Hörer entscheiden soll, welches er bevorzugt.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • So, als ob in Wien regelmäßig Turandot gespielt würde... Du bist wirklich nicht gut informiert.
    Oder ist da jemand leicht auf die Wiener neidisch? Anders kann ich mir Deine Einwürfe nicht erklären; abgesehen davon, dass es keinesfalls konstruktiv ist, in einem Thread namens "PUCCINI: Turandot - welches Finale?" zu schreiben, dass man bitteschön jedes Finale aufnehmen und der Hörer entscheiden soll, welches er bevorzugt.

    Ich bin nicht wirklich neidisch. Man kann nicht alles haben und der Wohnort in Wien dürfte auch seine Schattenseiten haben :) .
    Aber für mich ist das vornehmlich ein aufnahmetechnisches Problem. Ich hab Turandot noch nie gesehen und ich kann im Augenblick nicht sehen, dass sich das in einem überschaubarem Zeitrahmen (wenn überhaupt) ändern wird. Welches Finale wäre mir da erstmal total egal.
    Und für Aufnahmen wäre die Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Fassungen einfach Dienst am Kunden/Musikinteressenten. Der Mehraufwand ist m.E. beim Vorhandensein des ganzen Apparats überschaubar. Es geht schließlich nur um Teile des letzten Akts und nicht um eine neue Oper. Zumindest bei einer Studienproduktion.
    Über das Musikleben in Wien bin ich wahrscheinlich genauso schlecht informiert wie das von Sydney oder New York :D

  • Daß Turandot schon anfangs Kalaf nicht gleichgültig gegenübersteht, bedeutet eine Reminiszenz an den Text von Gozzi/Schiller ("...Noch keiner trat / im Divan auf, der dieses Herz zu rühren / verstanden hätte. Dieser weiß die Kunst."), wo die Prinzessin erst ihren feministischen Stolz überwinden muß, um sich zu ihren Gefühlen zu bekennen. Trotz aller Veränderungen ist dieses Motiv auch in der Oper noch vorhanden und die Wandlung des Verhaltens also keine plötzliche und unvorbereitete. Das hat die Regie in London entsprechend betont.
    Alle derzeit verfügbaren Finali sind für mich persönlich irgendwie unbefriedigend, aber solange nicht ein einfühlsames Genie dieses Dilemma behebt, kann ich mit Alfano II leben, eventuell auch mit anderen, die ich nicht so gut kenne (den Zustand hoffe ich zu beheben). Ich verstehe aber sehr gut, daß die Geschmäcker hier auseinander gehen.

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Ich dachte gerade an den Computer, der die 10. Beethoven zusammenstellen sollte.

    Dazu haben wir übrigens bereits etwas: Beethoven 10. Auch wenns dort zuletzt nicht mehr um Beethoven, sondern um kluge Pflanzen ging.

    :|

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Liebe Capricciosi,

    Marco Uvietta hat 2004 im Cambridge Opera Journal (16, S. 187-238) eine vergleichende Analyse der Puccini-Skizzen sowie der Finali von Alfano und Berio publiziert. Interessant ist, wie viel Skizzen Puccini doch übriggelassen hat, von denen Alfano nur die ausführlichsten verwendet hat, Berio hingegen fast alle. Weite Strecken des Berio-Finales sind somit originaler Puccini, was es in meinen Ohren an diesen Stellen reizvoller macht als Alfanos Neukompositionen, zumal Berio auch sensibler instrumentiert. Trotzdem bin ich auch mit einem Großteil der Passagen, die Berio selbst dazukomponiert hat, nicht glücklich.

    Ich referiere jetzt im Detail, wo Berio sich auf Skizzen stützt und was Eigenkomposition ist:

    • Der erste Teil ("Principessa di morte" - "Il tuo bacio mi dà l'eternità") ist ganz Puccini (Skizze Nr. 1)
    • Vom folgenden Orchesterzwischenspiel ist Beginn und Ende von Puccini (Skizzen 10a, 10b, 10c), der Mittelteil, für den Puccini nur das Stichwort "Tristan" hinterlassen hat, von Berio ergänzt (natürlich mit Tristan-Akkorden). Außerdem verarbeitet Berio in diesem (m.E. zu langen und ein bisschen zu Straussischen) Zwischenspiel die Skizzen 5 und 20). Dafür kürzt er (m.E. zu Recht, Puccini hätte das womöglich auch gemacht und hat jedenfalls dazu keine Skizzen hinterlassen) das Libretto um Turandots Worte "Che fai di me?... Qual brivido!... Perduta!... Lasciami!... No!..." , die in heutigen Ohren zu sehr an einen Rape-Porno erinnern.
    • Der folgende Teil ("Mio fiore mattutino" - "La mia gloria è finita") ist wieder ganz Puccini (Skizze Nr. 2)
    • Es folgt eine kurze Überleitung von Berio, danach unterlegt Berio Calafs Worte ("La tua gloria risplende" - "del primo pianto") der Skizze 11, die von Puccini ohne Text hinterlassen wurde.
    • Der Beginn von Turandots Arie ist wieder ganz von Puccini (Skizze 7, "Del primo pianto" - "la superba certezza"). Leider hat Berio den Arientext gegenüber dem Libretto deutlich gekürzt und Turandot so die Möglichkeit zu einer lyrischen Vignette genommen. Er versucht eher, rasch zum Ende zu kommen, ab dort, wo die Musik dramatisch wird, ist sie von Berio, teils unter Rückgriff aus Musik aus dem zweiten Akt.
    • Die folgenden Worte Calafs ("Il mio mistero" - "Io son Calaf, figlio di Timur") sind wieder ganz Puccini (Skizze Nr. 12)
    • Bis hierher reichten eigentlich Puccinis Skizzen recht weit und man kann sich Puccinis Konzeption des Finales damit ganz gut vorstellen; für das Folgende werden sie aber sehr spärlich. Berio hat deshalb ab hier das Libretto sehr stark gekürzt, um weniger Eigenkomposition in das Werk einbringen zu müssen. Beim folgenden Wortwechsel zwischen Calaf und Turandot sowie der Überleitung zum Marsch hat er noch die kleinen Skizzen 13 ("La mia gloria è il tuo amplesso, la mia vita il tuo bacio"), 15 , 6, 19, 8 und 8a (instrumental) verwendet.
    • Die Reprise des Marsches nimmt Berio wie Alfano aus dem zweiten Akt, der Rest ist Neukomposition Berios nach Motiven der Oper. Ich finde besonders das Orchesternachspiel sehr gelungen und sehr stimmungsvoll.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Lieber @Areios,

    ich habe mir gerade das Berio Finale mehrmals angehört. Ich finde es doch ziemlich unbefriedigend, einmal wegen der Kürzungen.
    Ausserdem wird man ganz fies beraubt! Das Amor in "Il suo nome è...Amor! " ist ein musikalisches Anti Amor. Schrecklich. Was wollte Berio denn damit sagen !
    Das Nachspiel ist dann ein klein wenig verklärt 8| und da hab ich nicht viel Hoffnung auf die Hochzeitsnacht :neenee1: .
    Ausserdem ist das Kusszwischenspiel viel zu lang und seltsam.

    Sorry, nicht meine erste Wahl. (Bloss nicht !)

    :wink:

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