Heinz Winbeck Die Symphonien

  • Heinz Winbeck Die Symphonien

    Heinz Winbeck (1946-2019) war ein deutscher Komponist und Hochschullehrer, der im März dieses Jahr verstorben ist. Winbeck studierte in München, u.a. bei Harald Genzmer und Günter Bialas. Seit 1988 war er Professor für Komposition an der Hochschule für Musik Würzburg.

    Winbeck hinterliess fünf großangelegte Sinfonien, die erfreulicherweise wenige Monate nach seinem Tod als Box verfügbar werden.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Vielen Dank, Meister Wieland, für diesen Tipp! :thumbup:

    Ich kenne bislang die erste Sinfonie, finde sie äußerst interessant, bin bloß heute (noch) nicht in der Stimmung, mich genauer auszulassen - könnte vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt passieren, wenn mir nicht (gerne) jemand zuvorkommt.

    Es gab aktuell meines Wissens keine weitere Einspielung der Winbeck-Sinfonik auf Tonträger

    :( Kleiner möglicher Wermutstropfen: Der Meister wird wohl wieder einmal erst versterben haben müssen ... (wunderschöne Grammatik: || )

    Hier zumindest das Cover der bislang erhältlichen Einspielung der Sinfonie Tu solus. Gewiss eine saubere Sache, dynamisch schon differenziert .- was mir sehr wichtig erscheint -, aber auf zu geringem Basislevel. Ob man für die Integrale hier wohl manipuliert hat?

    Auf der CD findet sich noch das sehr griffige und ebenfalls wirklich interessante zweite Streichquartett - "im alten Stil", würde ich mal sagen.

    B01G4C5BN8

    EDIT: Das ist die Bestellnummer beim Partner mit dem Flussnamen. Den Rest krieg ich nicht hin. Aber OK - preistechnisch kann man sich jetzt eigentlich gleich die Integrale zulegen.

    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • [...]
    Hier zumindest das Cover der bislang erhältlichen Einspielung der Sinfonie Tu solus. Gewiss eine saubere Sache, dynamisch schon differenziert .- was mir sehr wichtig erscheint -, aber auf zu geringem Basislevel. Ob man für die Integrale hier wohl manipuliert hat?

    Auf der CD findet sich noch das sehr griffige und ebenfalls wirklich interessante zweite Streichquartett - "im alten Stil", würde ich mal sagen.

    B01G4C5BN8

    EDIT: Das ist die Bestellnummer beim Partner mit dem Flussnamen. Den Rest krieg ich nicht hin. Aber OK - preistechnisch kann man sich jetzt eigentlich gleich die Integrale zulegen.
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    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Danke schön, Lionel! Wie Du das immer machst ... :verbeugung2:

    PS: Die von mir gefundene, aber nur mit Bestellnummer versehene Scheibe war wesentlich teurer als die von Lionel verlinkte mit einer anderen Nummer. Das Suchsystem beim Partner ist wirklich schwach - keine neue Erkenntnis für mich freilich.

    :) Wolfgang

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  • Die 3. Symphonie für Alt, Sprecher und Orchester von Heinz Winbeck entstand 1987/88. Sie trägt den Beinamen "Grodek", was sich auf einen Ort in der heutigen Ukraine bezieht, wo Anfang des 1. Weltkrieges eine grauenhafte Schlacht zwischen österreichischen und russischen Truppen stattfand, die der Dichter Georg Trakl als Sanitätsoffizier miterlebte und in Verse goss. Das Gedicht trägt den gleichen Namen. Die Erlebnisse dieser Tage führte zu einem Nervenzusammenbruch des Dichters, der kurz darauf mit einem Selbstmord durch Kokain endete.

    Die Symphonie umfasst vier Sätze, die aber ineinander übergehen. Die Musik Winbecks und speziell dieser 3. Symphonie steht in einer Traditionslinie, die von Bruckner und Mahler, über Berg und Hartmann bis zu Winbeck reicht. Eher geräuschartige Teile wechseln sich mit spätromantischen und expressionistischen ab und das Altsolo, das weite Teile des Werkes mit bestimmt, bewegt sich irgendwo zwischen Mahlerliedern und Berg/Schönberg-Expressionismus. Das ist Ausdrucksmusik pur und zwar eine düstere und packende, die einen soghaft mit sich nimmt, wenn man sich denn darauf einlässt.
    Die Einspielung unter der Leitung von Mathias Husmann ist wohl mustergültig und der Beitrag von Christel Borchers zutiefst bewegend. Die an einer Stelle von Udo Samel gesprochenen Verse sind geschickt über die Klänge gelegt. Einziger Wermutstropfen: Im umfangreichen Booklet sind die verwendeten Gedichttexte nicht abgedruckt.

    Die Symphonik des kürzlich verstorbenen Komponisten gilt es noch zu entdecken und die 3. Symphonie ist sicher ein guter Ausgangspunkt.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Anmerkung zur Nummer eins

    Irgendwo wird empfohlen, die Sinfonien der Reihe nach zu hören. Das will ich demnächst fortsetzen, denn noch immer bin ich bei der Nummer eins hängengeblieben.

    Nicht ganz klar ist mir bei dieser ersten Sinfonie die Frage der Versionen. Es sind zwei - für mich sogar drei, aber andererseits könnte dies auf eine reine Interpretationsfrage hinauslaufen. Im Booklet heißt es, die Donaueschinger Uraufführung von 1983, zurückgehend auf einen Auftrag des Südwestfunks, besitze einen "fragmentarisch auslaufenden Schluss, mit dem der Komponist aber von Anfang an nicht zufrieden war". Vermutlich ist diese Uraufführung nicht bzw. nicht mehr als Band oder per Tonträger zugänglich, aber das habe ich nur auf die Schnelle eruiert.

    Die Neufassung besitzt laut Booklet nicht nur, aber vor allem einen stark veränderten Schlussteil.

    Und was heißt "fragmentarisch"?

    Die (in der Einspielung mit Davies) seit Langem auf CD zugängliche Neufassung - oben von Lionel verlinkt - datiert von 1985. Dennis Russel Davies leitet das Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken. Sie dauert mit über 44 Minuten Spielzeit gute fünf Minuten länger als die Fassung aus der neuen Sinfonien-Integrale - mit dem Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks unter der Stabführung von Muhai Tang, einem Live-Mitschnitt vom April eben dieses Jahres. Sind die beiden Realisationen der Neufassung tendenziell identisch, was den Notentext anbelangt? Schwer zu sagen, wenn man jeweils die Anfänge mit den Schlüssen vergleicht. Anders erscheint nämlich, was eine gewisse dynamische und atmosphärische Stringenz und Radikalität anbelangt, der Rückbezug auf die jeweils einleitetenden Paukenschläge. Er erscheint bei Davies verhaltener, quasi vereinsamter - oder eben "fragmentarischer" -, die Generalpausen sind länger als bei Tang. Nach einmaligem Hören bin ich mir zudem keineswegs sicher, dass der Notentext wirklich der gleiche ist.

    Ansonsten geht Tang das Werk im Tempo sofort deutlich beherzter an als Davies. Weitere und wohl kleinere Veränderungen dürften keine entscheidende Rolle spielen. Ich könnte sie auch (noch) nicht benennen. Schade im Übrigen, dass man nicht oder nicht bequem die Veränderungen gegenüber der Uraufführung in Erwägung ziehen kann

    @ Wieland: Vielleicht hast Du ebenfalls Lust, beide Fassungen vergleichend zu hören. Meines Wissens besitzt Du die alte Einspielung ebenso. Im Zweifelsfall helfe ich gerne nach. ;)

    Besten Gruß von Wolfgang.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Irgendwo wird empfohlen, die Sinfonien der Reihe nach zu hören.

    Lieber Wolfgang
    das habe ich bisher auch befolgt, allerdings habe ich über die 1. und 2. Symphonie nicht sofort etwas zu Papier gebracht und müsste sie jetzt dafür erst noch einmal hören, weil das schon einige Wochen her ist und ich zwischendurch zwei Kurzurlaube geniessen durfte.


    @ Wieland: Vielleicht hast Du ebenfalls Lust, beide Fassungen vergleichend zu hören. Meines Wissens besitzt Du die alte Einspielung ebenso.

    Dank eines geschätzten Forummitglied ;) habe ich tatsächlich beide Aufnahmen verfügbar, vergleichend gehört habe ich sie aber bisher nicht. Aber das werde ich zeitnah nachholen. Nur interessiert mich derzeit noch mehr, was die 4. und die 5. zu bieten haben. Also es wird vielleicht ein bisschen dauern. Aber ich habe jetzt etwas mehr Zeit, denn seit 1.10. darf ich mich als Ruheständler fühlen. :cincinsekt:

    Diese Kurzrezension im Verein mit den Beiträgen von Wieland - das macht Appetit!

    Danke für den Hinweis, diese Kritik hatte ich noch nicht gesehen.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Die Symphonien von Heinz Winbeck handeln alle mehr oder weniger vom Tod. Besonders seine 4. Symphonie "De Profundis", ein Requiem auf die sterbende Mutter. Dies ist wohl sein persönlichstes Werk und das von Zeitdauer und "Materialeinsatz" umfangreichste. Wir bewegen uns in Dimensionen, die auch Mahler 8, die Gurrelieder oder Brians Gothische kennzeichnen. Die Partitur ist - laut Booklet - aufgeschlagen 80 cm hoch und 1 m breit. Klanglich bewegen wir uns in einer Welt, die auch Ligeti, Penderecki, Schnittke und Ives gefüllt haben. Das Booklet benötigt 6 eng bedruckte Seiten, um das Werk zu beschreiben. Das kann und will ich jetzt hier nicht alles wiedergeben.

    Beginnen tut das Werk mit der Rezitation wieder eines Gedichtes von Georg Trakl mit Todesthematik, im Hintergrund setzt zunehmend der Chor in Ligeti-Manier (Lux aeternam, Requiem) ein. Alt und Bariton kommen hinzu und repetieren unablässig die ersten Zeilen des Requiems, es wird zunehmend wuchtiger und lauter, viel Geräuschanteile. Diese sehr modernen Klänge durchziehen das ganze Werk, werden aber in verschiedenen Sätzen durch fast tonale Passagen aufgelockert, vor allem im viertelstündigen Lacrimosa, das vermutlich sogar separat existieren könnte. Sehr eindringlich diese tonalen Passagen. Im letzten Satz taucht der Rezitator wieder auf mit einem weiteren düsteren Trakl und abschliessend intonieren Alt und Bariton eine simple Volksweise, die das Werk eindrucksvoll beendet, nach 81 min.

    Das ist ein ziemlicher Brocken, aber ich fand ihn beim ersten Hördurchgang ungemein faszinierend. Weitere werden sicher folgen.

    Warum die Live-Aufnahme vom September 1993 aus der Alten Oper, Frankfurt, 26 Jahre auf ihre Veröffentlichung warten musste, ist mir jedenfalls unverständlich.

    Die Akteure;

    Beethoven Orchester Bonn
    Dennis Russel Davies

    Konzertchor Darmstadt
    Christel Borchers Alt
    Günter Binge Bariton
    Werner Buchin Countertenor
    Wolf Euba Rezitator

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Nun habt ihr es ja geschafft ;) die Box hab ich mir mal bestellt. Wer sich sowohl auf Trakl als auch auf das Bruckner 9 Adagio beruft, dem muß ich diesen Vertrauensvorschuß geben, sonst gäbe es ja so etwas wie Vertrauensvorschuß garnicht mehr.


    Ich harre also nun außerordentlich gespannt der Dinge die da kommen werden und bedanke mich bei dir, lieber Wieland, im Vorfeld schon für die Anregung :)


    LG :)

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)


  • Hab die Box schon seit einigen Wochen. Bisher jeweils zwei Mal gehört die Nrn. 2,3 und 4. Die 1. kenne (und schätze) ich seit langem in der bei WERGO gelabelten Einspielung unter Russel Davis. Die Einspielung in der Box werde ich mir noch etwas aufsparen. Vor der 5. hab ich irgendwie Angst - wegen des Titels und des Bruckner-Bezugs ...

    Winbeck macht es dem Hörer nicht leicht - das sind ziemliche Brocken, nicht nur hinsichtlich der zeitlichen Ausmaße der einzelnen Symphonien, sondern auch aufgrund des immer, immer, immer dringlichen und, ja, existenziellen Gestus. In jedem einzelnen Augenblick geht es hier ums Ganze.

    Schwierig über diese Musik zu schreiben, finde ich (ich finde es ja sowieso zunehmend schwierig, Worte über Musik zu machen). Bei Klassik.Heute ist kürzlich eine Besprechung der Box erschienen, die das mit den Worten zu dieser Musik aber ganz gut macht: http://www.klassik-heute.com/4daction/www_m…inzeln?id=23040

    Dem kann ich mich vollumfänglich anschließen.

    Ich bin jedenfalls sehr froh, dass es diese Musik und diese Box gibt.

    Adieu
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Zitat von Algabal

    Winbeck macht es dem Hörer nicht leicht - das sind ziemliche Brocken, nicht nur hinsichtlich der zeitlichen Ausmaße der einzelnen Symphonien, sondern auch aufgrund des immer, immer, immer dringlichen und, ja, existenziellen Gestus. In jedem einzelnen Augenblick geht es hier ums Ganze.

    Kürzlich habe ich in einer Sendung des Bayrischen Rundfunks über Winbeck diverse Ausschnitte aus den Sinfonien 2 mit 5 gehört. Und - ja - noch habe ich mich nicht so recht an diese Werke gewagt, wohl aus genau diesem Grund.

    Das ist auf jeden Fall Musik, die keine Hintergrundsbeschäftigung gestattet, vermutlich auch keine ermöglicht. (Also vice versa, einmal Subjekt, einmal Objekt.)

    Doch die Fünfte gleich nach der ersten hören? Wieland scheint sich auch nicht so wirklich an die korrekte Reihenfolge zu halten. Überdies muss ich gestehen, generell das Werk eines mir bis dorthin unbekannten oder kaum geläufigen Komponisten erst ohne Vokales zu hören, bevor mich dann schon auch das Vokale interessiert.

    Inwiefern, Meister Algabal, scheust Du Bruckner? (Falls denn die Antwort nicht den Rahmen dieses Threads völlig sprengt ...)

    Zitat von Algabal

    Die Einspielung [der ersten Sinfonie] in der Box werde ich mir noch etwas aufsparen.


    :D Auch aus "Angst" oder eher aus einer quasi vorweihnachtlichen Empfindung heraus? In jedem Fall würde mich auch Deine vergleichende Meinung interessieren, so wie ich es oben beschrieben habe und Wieland darum bat.

    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Weil ich mit seiner Musik nix anzufangen weiß, sie mir nix sagen will - und das, obgleich ich immer wieder mal Anläufe unternommen hab, etwas von ihr gesagt zu bekommen und etwas mit ihr anzufangen. Aber meine Ohren sind taub für Bruckner (was sicher an mir liegt). Habe bisher keineswegs alle seiner Symphonien gehört, einigermaßen „kennen“ tue ich nur die 1., 3., 4. und 8. (Versionen würde ich - außer bei der 3. - nicht unterscheiden können). Die 5., 7. und 9. habe ich überhaupt noch nie gehört (dabei habe ich etwa von der 9. mindestens fünf Einspielungen rumstehen [alle ohne ergänztes/rekonstruiertes/neukomponiertes/nachphantasiertes Finale], drei davon im Rahmen von Gesamteinspielungen dieser seltsamen Bruckner-Symphonien). Also müsste ich vor dem Hören von Winbecks 5. vielleicht doch mal Bruckners 9. hören, mich vielleicht sogar mal was intensiver mit ihr beschäftigen, oder? Und davor graut’s mir ... :D

    :D Auch aus "Angst" oder eher aus einer quasi vorweihnachtlichen Empfindung heraus? In jedem Fall würde mich auch Deine vergleichende Meinung interessieren, so wie ich es oben beschrieben habe und Wieland darum bat.

    :cincinbier: Wolfgang


    Nee, nicht aus „Angst“, eher schon aus „vorweihnachtlichem Empfinden“. Wenn ich sie gehört und mit der alten Einspielung vergleichen habe, melde ich Vollzug.

    Adieu
    Algabal, der es jetzt vielleicht doch mal mit Bruckner 9 versuchen wird...

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Zitat von Algabal

    Algabal, der es jetzt vielleicht doch mal mit Bruckner 9 versuchen wird...


    Bruckner 9 ist mir die Liebste. Außerdem habe ich seit (wenigen) Jahren keinen Bruckner mehr gehört. Es geht einfach nicht immer alles gleichzeitig ... :| :(

    NB: Ich habe die seltsame Erfahrung gemacht, dass Randbereiche des Hörrepertoires im Blickfeld bleiben, wenn ich mich mit deren Randbereichen befasse. Also immer abwechselnd quasi Mahagony, die mir aus irgendwelchen Gründen ganz nahesteht, und dann eine ganz andere Oper, solange es keine von Händel ist ... :versteck1: ... und dann wieder länger nichts. Mögliche Conclusio: Warum nicht Bruckner per Winbeck? Es geht auch anders, aber so geht es auch (aus der anderen von Weill). Vielleicht.

    Und zu Brun, nein, falscher Thread, zu Winbeck melde ich gern auch mal wieder Vollzug.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Die zweite Sinfonie von Heinz Winbeck entstand 1986/1987 und wurde am 31. Mai 1987 in Saarbrücken uraufgeführt. "Das Tagebuch dokumentiert den quälenden Schaffensprozess" bis zu diesem Zeitpunkt (Booklet). In einem Live-Mitschnitt vom Oktober 2001 aus dem Goldenen Saal des Wiener Musikvereins und im Rahmen des Festivals Wien Modern leitet Dennis Russell Davies - der Winbeck-Experte also - das ORF-Radio-Symphonieorchester Wien. Die beinahe einstündige Sinfonie ist wie folgt untergliedert:

    Sospeso, come in ipnosi [20:26]

    Mit vernichtendem Schwung [13:49]

    Sospeso, come in ipnosi (sehr, sehr ruhig im Tempo und durchwegs so leise wie möglich) [21:30]

    Der Artikel im Booklet erscheint sehr anschaulich und informativ, was nicht bedeutet, dass man die vom Komponisten insinuierten Zeitbezüge zwangsläufig nachvollziehen können muss. Er sagt bezüglich des Unglücks von Tchernobyl: "Was rechtfertigt es, Sinfonien zu komponieren? Müsste ich nicht vor die Bauzäune der Todesfabriken?" Gewiss wird man solche Worte aus einer gewissen Distanz betrachten dürfen, artikulieren sie doch einen Künstler-Topos schlechthin. Ein weiteres den Komponisten prägendes Ereignis dieser Tage waren Luftangriffe der USA auf Libyen.

    Erster und dritter Satz sind sich nur scheinbar ähnlich im Sinne einer "seufzenden" Haltung und im Sinne einer Unterwerfung des Bewusstseins unter die Macht der apokalyptischen Weltläufte. Denn während der erste Satz den Ausbruch des zweiten durch die hektische Kurzatmigkeit rhythmischer Kleinpartikel bei meist sehr geringer Dynamik vorbereitet, hat der Finalsatz den Charakter eines Mahler-Adagios mit Bruckner-Einwürfen der Blechbläser. Der Wunsch nach Frieden kommt unmissverständlich zum Ausdruck, leise, gleichförmige Trommelfiguren stören aber die Idylle, verdrängen sie in dynamischer Hinsicht allmählich, bleiben zuletzt allein übrig. Obwohl diese Figurationen die Sinfonie markant beschließen und damit eine Parallele zur ersten Sinfonie erkennen lassen, ist doch der Gesamteindruck ein keineswegs chaotischer, sondern bis zuletzt geordnet, nicht direkt einem Jazz-Schlagzeugsolo vergleichbar, aber meines Erachtens auch eben nicht apokalyptisch. Diesbezüglich gestehe ich den Pauken am Ende der ersten Sinfonie in ihrer bewegungstechnisch geringeren Ausprägung zugunsten starker Kraftentfaltung einen weitaus elementareren Charakter zu.

    Der zweite Satz ist in der Tat schwungvoll, er führt das drängende Moment des Kopfsatzes bei größerer Lautstärke weiter und er klingt vielleicht "vernichtend" - vielleicht auch nicht. Ein wenig befremdet hat mich der Hang zu denkbar konventionellen Formeln im Detail. Die vierte Sinfonie von Schostakowitsch geht da allerdings weiter ...

    Winbeck artikuliert mehrfach klassisches Material bis hin zum Zitat - Letzteres aber nur selten. Bei mir kommen Reminiszenzen an Beethovens Neunte auf, an die ersten beiden Sätze, das Booklet spricht davon nicht, nennt indes andere Verweisungen. Das hat einen Wiedererkennungswert, den ich keineswegs problematisieren möchte, der als Methode Gültigkeit besitzt, selbst wenn ein Schnittke damit schärfer, vielleicht auch scharfsinniger hantiert. Dafür ist das Material bei Winbeck viel zwingender integriert in gegebene Kontexte.

    Winbeck - das wage ich jetzt zu behaupten - hat seinen Personalstil allenthalben gefunden. Die Musik ist sehr ehrlich, unaffektiert, aber emotional aufgeladen. Sie ist der Tradition verhaftet, ohne eklektisch oder allzu romantisierend und rückwärtsgewandt zu erscheinen. Und ich meine auch, aufgrund weniger Ausschnitte aus den späteren Sinfonien, die mir im Rahmen einer Rundfunksendung untergekommen sind, mich auf durchaus Rücksichtsloseres freuen zu dürfen. Wovon die Musik nicht frei ist, das würde ich als eine gewisse Naivität und Plakativität bezeichnen. Den Grad an struktureller Intellektualität zu beurteilen, möchte ich mir nicht (oder noch nicht) anmaßen.

    Leider bin ich nicht ganz glücklich mit der Aufnahmetechnik geworden. Es klingt alles recht weit weg. Es ist vieles zu leise. Hypnotisierung (siehe oben :P ) stellt sich deswegen bei mir leider trotzdem nicht ein. Beim nächsten Mal werde ich zumindest deutlich kräftiger aufdrehen, fürchte aber, dass mich keine pointierte Tiefenstaffelung und keine Detail-Durchhörbarkeit vom Sitz reißen werden.

    Es grüßt Wolfgang.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Heinz Winbecks 5. Symphonie „Jetzt und in der Stunde des Todes“ steht abseits der vier anderen Symphonien und stellt in der gesamten sinfonischen Literatur vermutlich ein Unikum dar. Während bei den Symphonien 1-4 der zeitgenössische Bezug nie in Frage stand auch wenn es tonale Passagen und Zitate gab, so handelt es sich bei der 5. Symphonie um ein Werk, das man beim oberflächlichen Hören (und ein solches gab es unter Kritikern wohl auch) für ein rückwärtsgewandtes noch einmal die Spätromantik zelebrierendes Werk halten könnte. Aber dies war nicht die Intention von Heinz Winbeck und genaues Zuhören macht das auch klar.

    Ausgangspunkt dieses Werkes war die Bitte des Dirigenten Russell Davies anlässlich einer Aufführung von Winbecks 2. Symphonie, ob Winbeck nicht versuchen könnte das Finale von Bruckners 9. Symphonie zu komplettieren. Winbeck hat sich hierauf über mehrere Jahre intensiv mit der 9. beschäftigt und mit den vorliegenden Fragmenten zum Finalsatz und ist zu der Erkenntnis gekommen, dass eine seriöse Rekonstruktion nicht möglich sei. Anhand der Skizzen war er zu der Überzeugung gekommen, dass Bruckner nicht nur nicht genügend Zeit blieb, sondern ihm auch die kompositorische Kraft für einen krönenden Finalsatz fehlte. Eine Situation, die dem Komponisten wohl selbst nicht ganz fremd war.

    Aus diesen Überlegungen heraus schuf Winbeck seine 5. Symphonie, die dieses Scheitern in Musik gefasst hat. Wir hören sozusagen was in Bruckners Kopf kurz vor seinem Tode stattgefunden haben könnte. So hören wir z.B. mehrfach brucknersche Steigerungen, die den Höhepunkt nicht finden und irgendwo im Nichts abbrechen. Oder schon verwendete Themen von ihm oder auch aus Wagners Götterdämmerung (deren Partitur auf Bruckners Klavier lag, während er die 9. komponierte) tauchen wie Nebelgespenster im Kopf immer wieder auf und verhindern den großartigen Abschluss.

    Um dies umzusetzen, klingt diese Symphonie tatsächlich streckenweise wie Bruckner pur, aber der genaue Zuhörer merkt schnell, dass es hier um Musik über Musik geht. Daran erinnert auch das immer wieder auftauchende Totenglöckchen, dass den nahen Tod anzeigt. Die Symphonie endet mit einem eher unbrucknerischen Hymnus, gefolgt von einem ausklingenden Klarinettensolo über verstummende Streicher.

    Ein sehr eigenes Werk, das die Kritiker wohl gespalten hat. Als jemand, der die dreisätzige 9. Symphonie von Anton Bruckner immer schon für musikalisch vollendet hielt, fand ich diese Herangehensweise von Winbeck an die Fragmente zum Finale sehr interessant. Ob ich das Werk langfristig immer wieder hören möchte, kann ich noch nicht sagen.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Ich mache nach mehrmaligem Abhören der beiden erstaunlichen ersten beiden Sinfonien mit Winbeck weiter.

    Die Dritte ist ebenso gnadenlose Ausdrucks- und Bauchmusik wie die ersten beiden auch (insofern kommt mir schon Pettersson in den Kopf, aber auch Schnittke,), sie unterscheidet sich aber von den ersten beiden darin daß sie vokale Elemente enthält. Hier werden Texte von Georg Trakl vertont. Und das paßt auch: der finsteren zerrütteten Lyrik steht ebensolche Musik gegenüber, viel Schlagwerk, eine Mischung aus Spätromantischem und Dissonanten von erschlagender Dringlichkeit...

    Wie hier die Gesangslinien komponiert sind überzeugt mich aber wenig, ich finde das lange nicht so zwingend wie die Orchesterparts, die ich großartig und mitreißend finde. Aber das ist nur ein Ersteindruck.

    Und dann wird auch noch rezitiert. Da mischen sich dann dunkelste Musik, Gesang und gesprochene Texte. Das ist ein Zuviel, das mich allerdings tief eingesogen und berührt hat. Kaum beschreibbar...

    Ich weiß noch nicht wie ich mich irgendwann zu Winbecks Dritter stellen werde, das muß ich häufiger hören. Aber ich werde das auch tun weil es mich insgesamt sehr fesselt. Auch anstrengt. Eine absolute Entdeckung, diese Box, und ich bin noch garnicht zu seiner Brucknerdekonstruktion in der 5. vorgedrungen...

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)

  • Eine weitere, sehr differenzierte Besprechung. Sie ergeht sich nicht in uneingeschränktes oder flachbrüstiges Lob, stellt indes den exzellenten Wert der Veröffentlichung klar heraus.

    Und garcias Bedenken im letzten Beitrag werden übrigens meines Erachtens geteilt. (Ich kann noch nicht mitreden.)

    https://magazin.klassik.com/reviews/review…5430&REID=18650

    :cincinbier: Wolfgang

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  • Jetzt kenne ich auch die Dritte und will aber weder den ausgezeichneten Booklet-Text wiederbeten noch irgendwelche Zweifel an Wielands Beitrag und den diversen Verlinkungen anmelden.

    Es werden außer Grodek nur zwei weitere Gedichte Trakls in quasi verzweifelten kurzen Schüben von der Sängerin anzitiert. Die Texte dürfte man leicht im Netz finden, als Germanist habe ich natürlich meine kritische Trakl-Ausgabe zur Hand ... :versteck1: ... ein dtv-Büchlein reicht dazu allerdings aus ...

    Wie wohl auch bei garcia, ist mein Eindruck von der Einbettung der Gesangsparts bislang ein wenig zweispältig. Andererseits fiele es mir nicht schwer, eine Haltung des Komponisten herauszulesen, die sich mit Schlagworten wie "zerrissen" oder eben "verzweifelt" einkreisen ließe und mit der ich mich dann zurechtfinden oder im negativen Falle abfinden würde. Auch hierzu trifft das Booklet Aussagen. Mir scheint eine merkwürdige Realistik, zumindest eine solche auf psychologischer Ebene gegeben, die aber dem neu-expressionistischen Duktus der Musik entspräche.

    Die deutlich früher geschriebenen Gedichte von Georg Trakl - Grodek ist ja - Vorsicht: Zynismus! - sein finales Spätwerk - heißen: Das Herz und Schwesters Garten.

    Ein beeindruckendes Werk - nicht dass mich Selbiges überrascht hätte. Was mir auch imponiert, ist der demutsvolle Respekt Winbecks vor Trakls Titel-Gedicht. Zumindest liest sich so der Booklet-Text.

    Ich arbeite mich so langsam wie selten zuvor auf die Fünfte hin ... noch gehe ich chronologisch vor. Wahrscheinlich höre ich mir vorher die Dritte noch einmal an - nicht gleich morgen.


    :) Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Der Dirigent Dennis Russel Davies erzählt über seine Begegnungen mit Heinz Winbeck.

    Als Podcast und zum Herunterladen 21 Minuten.

    Folge 11: Heinz Winbeck | MDR.DE
    Dass der Komponist Heinz Winbeck kaum bekannt ist, hat auch damit zu tun, dass Winbeck die große Öffentlichkeit scheute. Er schrieb unter anderem fünf große…
    www.mdr.de


    Gruß

    Josquin

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