"Es gibt ja keine großen Stimmen mehr!" - Operngesang seit Mitte des 20. Jahrhunderts

  • Nein, großes Singen ist das für mich nicht.

    Technische Perfektion ist die eine Sache, unbedingter, schonungsloser Ausdruckswille die andere, keine reicht allein für idealen Operngesang.

    Mir ist aber dann doch der Begriff 'große Stimmen', so wie ihn die Gesprächspartner von Diskursprodukt eingeführt haben, zu unklar. Ist damit das Volumen gemeint, die technische Brillanz, der Ausdruck, die Persönlichkeit oder eine Kombination aus allem? Sie sprechen ja eben nicht von 'großem Singen' wie ich es getan habe, noch von 'idealem Operngesang'. Sie meinen wohl dann doch die Melange, das Gesamtpaket und da versuchte ich nur zu erklären, warum bestimmte Sänger auch heute noch als 'große Stimme' im Umlauf sind, obwohl die technische Qualität oftmals weit von 'Perfektion' entfernt war.

    Jeder, der in eines der vielen kleinen oder mittleren Opernhäuser hier in Deutschland geht und sich für klassiche Musik interessiert, hat Jonas Kaufmann im Fernsehen gesehen, oder Anna Netrebko oder Elina Garanca und kann das Live-Erlebnis damit vergleichen.

    Wenn es um 'jeden' geht, dann wird mit Sicherheit nicht nur mit der aktuellen Szene verglichen. Ihren Pavarotti oder ihre Callas haben sie mit Sicherheit dann auch im Plattenschrank. ;)

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Hm... will ich das glauben? Nö. Heutige Tenöre z.B. singen deutlich baritonaler als die früher.

    Ich bin mir nicht sicher, ob man das so pauschal sagen kann. Für die schweren Wagner-Partien gilt das aber wohl nicht. Hier hört man doch eher Tenöre, die über diese baritonal gefärbte Mittellage nicht verfügen.

    Ähnliches empfinde ich übrigens, wenn ich, ganz anderes Gebiet, deutsche Synchronsprecher/innen höre. Hier fehlt mir häufig, beim sogenannten Durchschnitt, eine wirkliche Mittellage, gerade bei den Frauen. Oftmals empfinde ich sie zu sehr als (ich übertreibe) piepsig und kleinmädchenhaft und auch durchaus austauschbar. Aber vielleicht ist die Sache mit der Bruststimme eben auch eine Zeit- bzw. Modeerscheinung.

    Apropos 'austauschbar'. Wie empfindet ihr die Sache mit dem unverwechselbaren Timbre? Gehört das mit zur 'großen Stimme'? Hat sich da etwas verändert? Ich kenne auch solche Aussagen wie 'Früher konnte man jeden Sänger, jede Sängerin sofort erkennen.'. Gibt es da einen Unterschied zu heute? War das vielleicht nur richtig aufgrund von Gewohnheit?

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Eben. dem ist nichts hinzuzusetzen. Und auch früher waren die Flagstads und Björlings die Ausnahme. Was fällt uns denn aus dem Stand, ohne nachzudenken, an Weltspitzensängern z.B. aus den 70ern ein? Doch auch kaum mehr als ein Dutzend je Stimmlage. Die, die auf jeder Schallplatte zu finden waren.

    Aus den 80igern allerdings auch 'ne ganze Reihe von Spitzensängern, die eben kaum Schallplattenaufnahmen machen konnten. Was es davor übrigens auch schon gab. Da sprang, wenn sie Glück hatten, der Rundfunk ein.

    Es gab immer die Superstars, die aufnehmen konnten, was sie wollten und dann die, die nur in wenigen Partien überliefert sind und zum Schluss solche, die mal ein paar (Schellack-) Platten aufnehmen durften. Und trotzdem kennt man sehr häufig noch ihre Namen.

    War jetzt nur 'ne Antwort auf das Zitat und hat mit dem eigentlichen Thema weniger zu tun. ;)

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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  • Zitat von Wolfram

    Apropos 'austauschbar'. Wie empfindet ihr die Sache mit dem unverwechselbaren Timbre? Gehört das mit zur 'großen Stimme'? Hat sich da etwas verändert? Ich kenne auch solche Aussagen wie 'Früher konnte man jeden Sänger, jede Sängerin sofort erkennen.'. Gibt es da einen Unterschied zu heute? War das vielleicht nur richtig aufgrund von Gewohnheit?

    :wink: Wolfram

    ich finde: ja. Früher war mehr Individualität in der Stimme, vor allem bei denjenigen, die ihre Ausbildung noch vor dem Krieg hatten, oder allenfalls noch in den 50ern. Ich glaube, das liegt daran, dass in der Mitte des 20. Jhs. Tonträger in ausreichender Qualität permanent verfügbar wurden, womit eine Orientierung an einem als „vorbildlich“ empfunden Stimmklang möglich wurde, was in der Folge zu einer gewissen Standardisierung des Klanges geführt hat. Ähnlicher Effekt, wie bei der Verbreitung des Streichervibratos ein paar Jahrzehnte früher.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Ich bin mir nicht sicher, ob man das so pauschal sagen kann. Für die schweren Wagner-Partien gilt das aber wohl nicht. Hier hört man doch eher Tenöre, die über diese baritonal gefärbte Mittellage nicht verfügen.

    Ok, Korrektur: Heutige Tenöre z.B. singen fast alle deutlich baritonaler als die früher.
    Ich meine damit allerdings nicht die Mittellage, sondern den Klang. Und das geht nur mit mehr „Brust“. Die singen ganz sicher nicht kopfiger als früher, das wäre ein komplett anderer Klang.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Mir ist aber dann doch der Begriff 'große Stimmen', so wie ihn die Gesprächspartner von Diskursprodukt eingeführt haben, zu unklar.

    Naja: Im Altagsgebrauch synonym für "ganz, ganz toller Sänger".
    Als terminus technicus Gegenteil zu "leichter Stimme" - Lastwagen vs. Sportwagen. Kraftvoll und belastbar vs. schnell und wendig. Der Versuch, mit einer größeren Stimme (mit mehr Kraft) singen zu wollen, als die Konstitution hergibt, führt dann irgendwann früher oder später zu Stimmproblemen. Oder vorzeitiger Stimmermüdung. Auch bei ganz, ganz tollen Sängern. Die Versuchung dazu ist groß. Namen dazu fallen sicher jedem selber ein.
    In der Diskussion (nicht nur hier!) werden die Begrifflichkeiten gerne durcheinander geworfen. Wär' nicht schlecht, sich festzulegen, was hier gemeint ist. Das ist aber schon mehrfach angemerkt worden.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Aus den 80igern allerdings auch 'ne ganze Reihe von Spitzensängern, die eben kaum Schallplattenaufnahmen machen konnten. Was es davor übrigens auch schon gab. Da sprang, wenn sie Glück hatten, der Rundfunk ein.

    trotzdem bleibt es aber im allgemeinen Bewußtsein jeweils nur eine überschaubare Handvoll...

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Ähnliches empfinde ich übrigens, wenn ich, ganz anderes Gebiet, deutsche Synchronsprecher/innen höre. Hier fehlt mir häufig, beim sogenannten Durchschnitt, eine wirkliche Mittellage, gerade bei den Frauen. Oftmals empfinde ich sie zu sehr als (ich übertreibe) piepsig und kleinmädchenhaft und auch durchaus austauschbar. Aber vielleicht ist die Sache mit der Bruststimme eben auch eine Zeit- bzw. Modeerscheinung.

    Ich fürchte, daß das auch nur Einbildung ist - man muß sich klarmachen, daß es auch auf das ankommt, was synchronisiert wird. Heutzutage gibt es viele Zeichentrickfilme oder Komödien, die einen deutlich anderen Charakter haben als früher. Sie wirken zumeist jugendlicher, aufgedrehter. Das erfordert auch einen anderen Stimmcharakter.

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Heutzutage gibt es viele Zeichentrickfilme oder Komödien, die einen deutlich anderen Charakter haben als früher. Sie wirken zumeist jugendlicher, aufgedrehter. Das erfordert auch einen anderen Stimmcharakter.

    Sorry, aber die meine ich nicht, weil ich die gar nicht sehe. Mir fiel es zuletzt aber nicht zum ersten Mal bei 'Vera' auf, einer englischen Krimi-Serie, die ich teilweise in der Synchronfassung sah, weil ich dann doch Probleme mit dem englischen Dialekt aus dieser Region habe.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • ich finde: ja. Früher war mehr Individualität in der Stimme,

    womit eine Orientierung an einem als „vorbildlich“ empfunden Stimmklang möglich wurde, was in der Folge zu einer gewissen Standardisierung des Klanges geführt hat.

    Aber kann man seine eigene Persönlichkeit, die sich ja im Stimmklang auch ausdrückt, so standardisieren? Gibt es da nicht noch andere Gründe?

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Mir fiel es zuletzt aber nicht zum ersten Mal bei 'Vera' auf, einer englischen Krimi-Serie, die ich teilweise in der Synchronfassung sah, weil ich dann doch Probleme mit dem englischen Dialekt aus dieser Region habe.

    Meinst du im Vergleich zur englischen Sprachfassung? Tut mir leid, aber diesen Vergleich würde ich per se nicht gelten lassen. Es ist nämlich nicht immer so, daß die deutsche Synchronstimme das passende Timbre zur originalen Stimme hat. Da gibt es auch sprachliche Differenzen, die sich in Stimmhöhe niederschlagen.

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

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  • Meinst du im Vergleich zur englischen Sprachfassung?

    Sorry, wieder nein. Die Originalfassung habe ich mir bei den letzten Staffeln überhaupt nicht mehr angesehen, weil eh hoffnungslos.

    Wie häufig höre ich Kinotipps im Radio, logischerweise immer synchronisiert, bei denen ich a) die Originalstimme nicht kenne und b) immer zusammenzucke ob des 'piepsigen' Tonfalls.

    Zufällig hörte ich heute gerade ein Hörspiel von 1954

    Natürlich klingen dort z.B. junge Mädchen wie junge Mädchen, aber selbst Edith Heerdegen, die ja eine recht hohe Stimme hatte, verfügt über wesentlich Bruststimme als viele heutige Sprecher. Von den Männern ganz zu schweigen.

    Wie gesagt, vielleicht ist das alles auch sehr subjektiv. Aber mir fällt es halt auf. :)

    :wink: Wolfram

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  • GNTM-Effekt? Mir dreht‘s bei den Stimmchen dort die Zehennägel auf... Piepsige Stimme als Kennzeichen von Jugendlichkeit. Models, Filmsternchen et alias sind da vielleicht keine repräsentative Gruppe.
    Es gibt irgendwo eine Studie zur Sprechhoehe. Derzufolge sollen Frauen in leitenden Positionen deutlich tiefer reden als der Durchschnitt...
    Stellt sich hier wie dort die Frage nach Ursache und Wirkung. Stimme ist formbar.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • zum Thema möchte ich folgende Radiosendungen von Jürgen Kesting empfehlen:

    https://www.youtube.com/watch?v=LivLgiH07wE
    https://www.youtube.com/watch?v=y47B9uVHNr0
    https://www.youtube.com/watch?v=OQlpJixXcVl

    Folge 1 ist leider gesperrt.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • GNTM-Effekt? Mir dreht‘s bei den Stimmchen dort die Zehennägel auf...

    Was du alles guckst... :D :D :D

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Ja, gell? Bin immer für Überraschungen gut... :schnaps1:

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Was du alles guckst... :D :D :D

    Meine Güte und ich dachte, das wäre 'was Wissenschaftliches. Jetzt habe ich erst kapiert, worum es geht. :herrje1: :D

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Oh nee....
    Habe das erst mal googlen müssen....

    Was hat, bitte, Germanys next Top Model, dieser frauenfeindliche Sch... mit Operngesang zu tun?
    Was da für "Stimmen" unterwegs sind, will ich gar nicht wissen...

    :versteck2: :wink: :wink:

    Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren (Bert Brecht)

    ACHTUNG, hier spricht Käpt´n Niveau: WIR SINKEN!! :murg: (Postkartenspruch)

  • Saach ich doch: piepsiche...

    Ernsthaft: hohe Stimme als Kennzeichen von Jugendlichkeit gibt es schon in der Barockmusik. Ist wohl irgendwo evolutionär verankert. Deswegen versuchen die Mädels und auch die älteren Semester bei GNTM und in anderen einschlägigen Kollektiven vermutlich alle hoch zu reden. Höher als sie von Haus aus sind: Piepsig halt. Auch bei manchen Männern habe ich manchmal diesen Eindruck. Tiefe Stimme ist dagegen ein Zeichen von Dominanz. Haben wir auch schon in der Barockmusik. Stimmlage der Könige und Generäle. Und in Führungsetagen...

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Gerade was das oft beklagte Fehlen herausragender dramatischer Stimmen betrifft, gibt es in den letzten Jahren meiner Wahrnehmung nach eine Gegenbewegung: Ich habe in letzter Zeit Manuela Uhl, Aile Asszonyi und Magdalena Hinterdobler live gehört, Catherine Foster, Lise Davidsen und mehrfach Asmik Grigorian in Liveübertragungen - alles wirkliche Spitzenleistungen im dramatischen Fach, mit strahlenden Höhen, leuchtender Mittellage, herausragender Diktion, kein Wobble, keine Ermüdungserscheinungen, keine Intonationsschwierigkeiten. Auch den 1960ern hätte das gefallen. (Ich hab letzthin auch Ausrine Stundyté live gehört, über die man solches Lob an diesem Abend nicht ausgießen kann, aber Ausnahmen bestätigen ja die Regel.)

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

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