Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg - Bayreuth 2019

  • Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg - Bayreuth 2019

    Die folgenden Beiträge wurden aus dem Faden zu den Meistersingern 2017 in einen eigenen Thread umgewandelt. Braccio für die Moderation

    Bayreuth, 27. August. 2019 - Die Meistersinger von Nürnberg

    Knapp 30° vor dem Festspielhaus, drinnen entsprechend mehr. Warum männliche Zuschauer noch ein Jackett tragen, wenn sie es weder vor noch während der Aufführung benutzen, ist eigentlich unerfindlich. ^^

    Wir saßen Loge ganz rechts und hatten von daher schon ein bisschen mehr Beinfreiheit, aber irgendwann goutieren die müden Knochen auch das nicht mehr. Trotzdem fast ein idealer Platz, verglichen mit dem dichten Gedränge vor uns. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Musik hier doch ein wenig gedämpft ankam.

    Langsames Dunkelwerden, gespannte Erwartung, leider von den üblichen Hustern gestört. Aber statt des Erklingens des Vorspiels aus 'mystischen Dunkel' öffnen des Vorhangs und schriftliche Mitteilungen auf einem Gaze-Vorhang. Schade eigentlich, aber zu dieser Inszenierung passend. So gilt also hier ein 'Entweder-Oder'. Und dann verzichte ich lieber auf den Effekt, denn die Regiearbeit von Barry Kosky ist wirklich fantastisch. Einerseits verfolgt er ja den Strang, dass hier die 'Meistersinger' mit dem ganzen Drum und Dran eben eine Wagnersche Kopfgeburt sind, andererseits stellt er das Thema der Beurteilung und Verurteilung von Kunst zur Diskussion. Und beides ist (fast) konsequent durchgespielt, passend zu Geschichte und Musik. Einzig auf der Festwiese empfand ich beim angestrengten 'Herumgehampel' des Chores oftmals einen gewissen Mangel an Inspiration.

    Kosky hat v.a. den II. Akt sehr gegenüber der Premiere verändert. Wo zunächst eine grüne Wiese den Bühnenboden schmückte, sind es nun Versatzstücke, sprich Mobiliar, aus 'Wahnfried'. Das fand ich konsequenter durchdacht. Aber es ist v.a. der Schluss dieses Aktes, der mich immer wieder zutiefst erschüttert.

    https://www.youtube.com/watch?v=gCGZJdCuFIQ

    (ab 53.30)

    Nun mal zur musikalischen Seite. Der Dirigent Philippe Jordan dehnte mir manchmal zu sehr die Tempi, was aber sicherlich auch der Inszenierung geschuldet war. Ansonsten habe ich die unaufgeregte, jedes Pathos vermeidende Lesart sehr genossen, v.a. auch sein differenziertes, feinfühliges Musizieren.

    Bei den Sänger will ich mal mit denjenigen anfangen, die mich weniger begeistert haben. (Wobei ich ein Problem habe. Ich habe den aktuellen Besetzungszettel verloren und bin mir bei manchen Sängern nicht sicher, ob die im Programmheft ausgedruckten auch wirklich gesungen haben. :S )

    Die Meistersinger fand ich vokal nicht unbedingt überzeugend, im Spiel dagegen schon. Egal wer's war, die Magdalene gefiel mir nicht. Zu grobschlächtig und irgendwie nicht auf Festspielniveau. Daniel Schmutzhard als Fritz Kothner allerdings durchaus, der gute und überzeugende Momente hatte.

    Veit Pogner war Günther Groissböck, der schönklingend sang, mir allerdings manchmal zu wenig prägnant erschien.

    Daniel Behle war erneut David. Leider brauchte er einige Zeit, um sich richtig freizusingen, aber auch dann entsprach er nicht dem, was ich von einem David vokal erwarte. Gerade das Erreichen der Höhe empfand ich als prekär. Da würde ich mir 'voix mixte' vorstellen oder sogar Kopfstimme. So ging einerseits die Jugendlichkeit der Person verloren, aber auch eine vokale Raffinesse.

    Camilla Nylund gab die Eva. Auch hier wieder schöne Momente, aber insgesamt fehlten mir hier das Zarte und Jugendliche. Ein gewisser Hauch von Matronenhaftigkeit umwehte sie. Aber immerhin sang sie den Triller auf der Festwiese, schön und korrekt eingeleitet. Und der ist so wichtig!

    Kommen wir zu Klaus Florian Vogt. Er war nie mein Fall und ist auch heute noch nicht. Allerdings habe ich ihn auch noch nie so gut gehört. Die Stimme hat sich verändert. Sie ist in der Zwischenzeit kerniger und männlicher geworden. Gefallen tut sie mir immer noch nicht, aber immerhin. Vogt konnte man eigentlich immer sehr gut verstehen (nicht ganz unwesentlich bei den Meistersingern, aber vorgestern keine Selbstverständlichkeit). Trotzdem habe ich immer das Gefühl, dass er nicht immer unbedingt die richtigen Töne trifft, dass es im bei der nötigen Emphase z.B. im dritten Vers des Preisliedes fehlt.

    Als Beckmesser sprang kurzfristig Martin Gantner ein und ihn fand ich richtig gut. Mit deutlicher Diktion, gut geführter Stimme, sicherer Höhe, engagiertem Spiel war er wirklich mehr als nur ein Ersatz.

    Und dann Michael Volle als Hans Sachs. Ich muss ja sagen, er begeisterte mich schon im Video und der Eindruck hat sich live voll bestätigt. Solch ein kluges und überzeugendes Spielen und Singen! Volle legt den Sachs sehr lyrisch an, war mir manchmal in der Phrasierung vielleicht zu umständlich und langsam, was aber durch die Regie kommt, sang aber sehr gut verständlich und ausdrucksvoll, bildete die Höhen gut und schaffte es auch noch, den Schlussmonolog mit allen vokalen Schwierigkeiten voll auszusingen. Einen einzigen Moment der Schwäche gab es, als er Stolzing als 'meine Jungfer' anstatt 'mein Junker' ansprach, was natürlich eher komisch war und nur für seine Kondition und kluge Rolleneinteilung spricht. Denn wenn das die einzige Schwäche war...

    Fazit:

    Musikalisch keine 'astreine' Aufführung, aber durch die Inszenierung und natürlich auch durch die Gesamtatmosphäre auf dem Grünen Hügel eigentlich ein toller Abend. Leider wurden wir durch das Hauspersonal nach Schluss des Beifalls sofort und ziemlich vehement aus dem Haus getrieben. Das Aufbauen des Tristan war da wichtiger als dem Zuschauer nochmal die Zeit für ein gewisses Nachklingen zu lassen.

    :wink: Wolfram

    PS: Zum Schlussapplaus erschienen auch sämtliche Bühnenarbeiter. Was für eine tolle Geste, denn die hatten ihn wirklich verdient.

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Daniel Behle war erneut David. Leider brauchte er einige Zeit, um sich richtig freizusingen, aber auch dann entsprach er nicht dem, was ich von einem David vokal erwarte. Gerade das Erreichen der Höhe empfand ich als prekär. Da würde ich mir 'Voix mix' vorstellen oder sogar Kopfstimme. So ging einerseits die Jugendlichkeit der Person verloren, aber auch eine vokale Raffinesse.

    Auf früheren Lieder-Aufnahmen war mir aufgefallen, daß Behle ziemlich früh ins Kopfregister wechselt, so daß er die hohen Töne beinahe im Falsett singen muß. Anscheinend hat er seine Technik umgestellt.

    Übrigens und nur am Rande: es heißt voix mixte.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Egal wer's war, die Magdalene gefiel mir nicht.

    Wiebke Lehmkuhl war das. Zumindest vier Tage vorher, als ich die Meistersinger sah. Ich fand sie sehr passabel. Sie ist auch eine eine wunderbare Liedsängerin: vor wenigen Monaten war sie mit Currentzis und MusicAeterna unterwegs, da hat sie (u.a. in Dortmund) Brahms' Rhapsodie für Altstimme und Orchester gegeben.

    Als Beckmesser sprang kurzfristig Martin Gantner ein und ihn fand ich richtig gut. Mit deutlicher Diktion, gut geführter Stimme, sicherer Höhe, engagiertem Spiel war er wirklich mehr als nur ein Ersatz.

    Das stimmt. Gantner war auch einige Tage zuvor großartig. Nicht nur musikalisch, sondern auch enorm spielfreudig, was bei Einspringern ja nun alles andere als selbstverständlich ist.

    ...auf Pfaden, die kein Sünder findet...

  • Wiebke Lehmkuhl war das. Zumindest vier Tage vorher,

    Das kann gut sein, in Erinnerung habe ich aber einen anderen Namen, den ich mir nicht merken konnte. Aber das kann ich erst in ein paar Tagen sagen, wenn ich eine Kopie des Besetzungszettels bekomme.

    Was Gantner betrifft, hätte ich mir für ihn übrigens mehr Beifall gewünscht. Der war, für mein Empfinden, hinsichtlich seiner Leistung als Einspringer doch recht lau.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Camilla Nylund gab die Eva. Auch hier wieder schöne Momente, aber insgesamt fehlten mir hier das Zarte und Jugendliche. Ein gewisser Hauch von Matronenhaftigkeit umwehte sie. Aber immerhin sang sie den Triller auf der Festwiese, schön und korrekt eingeleitet. Und der ist so wichtig!

    Camilla Nylund schätze ich sehr, gerade auch als Wagner-Sängerin, aber die Dame ist inzwischen über fünfzig, seit über zwanzig Jahren im jugendlich-dramatischen Fach im Geschäft und steuert vorsichtig aufs dramatische Fach zu, ich glaube, da ist die Eva einfach die völlig falsche Rolle. Für kaum eine andere Wagner-Rolle ist ein junger, sympathischer, mädchenhafter Klang so wichtig für Eva, keine Frauenfigur bei Wagner ist un-dramatischer. Da kann Nylund noch so gut singen, das kann sie mit ihrer Stimme und Persönlichkeit einfach nicht leisten.

    Ich weiß allerdings nicht, inwieweit der Eindruck der Matronenhaftigkeit auch an der Inszenierung liegen kann, denn er wurde, wenn ich mich recht erinnere, auch schon Anne Schwanewilms in der Premierenserie und Emily Magee im letzten Sommer gemacht (die allerdings, habe ich gerade nachgesehen, fast gleichaltrig mit Nylund und beide auch schon in ihren Fünfzigern sind). Da wurde schon diskutiert, vielleicht sogar hier im Forum, ob es Absicht sein könnte, Cosima/Eva mit einer älteren Sängerin zu besetzen und matronenhaft wirken und klingen zu lassen.

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Camilla Nylund schätze ich sehr, gerade auch als Wagner-Sängerin, aber die Dame ist inzwischen über fünfzig,

    Ich weiß allerdings nicht, inwieweit der Eindruck der Matronenhaftigkeit auch an der Inszenierung liegen kann,

    Ich wusste nicht, dass die Nylund schon dieses Alter erreicht hat. Ich hatte aber den Eindruck, dass sie als Cosima perfekt war, als Eva für den Stolzing von Vogt nur halt viel zu alt. Irgendwie 'baggerte' er seine Tante an. ;) Aber da schlägt möglicherweise die Inszenierung durch.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Ich habe gerade mal auf der Internetseite der Festspiele nachgeguckt und auch dort wird als Magdalene nur Wiebke Lehmkuhl genannt, während bei Sixtus Beckmesser, Hermann Ortel und Pogners ihrem Evchen Einspringer bzw. Umbesetzungen bei einzelnen Aufführungen vermerkt sind. Es wäre also merkwürdig, wenn man dann in einem Fall eine Umbesetzung unter den Tisch fallen lässt.

    Dann wird sie das auch gewesen sein. Wie gesagt, es war halt nur so ein Eindruck, es wäre ein anderer Name gewesen.

    Wiebke Lehmkuhl kenne ich rundum solide Konzertsängerin, endlich mal ein echter voluminöser Alt, kann mir aber ansonsten keine Meinung zu ihr erlauben.

    Über ihre sonstigen Leistungen kann ich nichts sagen, mir gefiel sie halt in der Partie nicht besonders. Wobei ich gar nicht einmal sagen kann, woran das lag. Eher solch ein unbestimmtes Gefühl.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Ich weiß allerdings nicht, inwieweit der Eindruck der Matronenhaftigkeit auch an der Inszenierung liegen kann, denn er wurde, wenn ich mich recht erinnere, auch schon Anne Schwanewilms in der Premierenserie und Emily Magee im letzten Sommer gemacht (die allerdings, habe ich gerade nachgesehen, fast gleichaltrig mit Nylund und beide auch schon in ihren Fünfzigern sind). Da wurde schon diskutiert, vielleicht sogar hier im Forum, ob es Absicht sein könnte, Cosima/Eva mit einer älteren Sängerin zu besetzen und matronenhaft wirken und klingen zu lassen.

    Ich kenne die Inszenierung (leider) nur per Video, hatte aber auch von Anfang an das Gefühl, dass es von Kosky so gemeint und gewünscht war: Wenn Richard im Vorspiel die Rollen an die Anwesenden verteilt und dabei die Eva an Cosima vergibt, geschieht das gegen deren deutlichen Widerstand. Im Laufe der Handlung drückt sich Cosimas "Widerwillen" gegen die Ihr aufdrückte Besetzung in einem trotzigen Wechsel aus Verweigerung und Chargieren aus. (Aus den Tagebüchern kennt man ja Cosimas grundsätzlich problematisches Verhältnis zu Sängerinnen und Sängern.) Dass diese - von mir angenommene - Anlage der Rolle durch Kosky in den Kritiken kaum erwähnt wurde, deutet vielleicht (ebenso wie die mehrfachen Umbesetzungen) darauf hin, dass das eine der wenigen Ideen Koskys war, die in dieser Inszenierung nicht ganz aufgegangen sind.

  • Beim Auseinanderdividieren scheint ein kurzer Text von mir verloren gegangen zu sein. ;)

    Ich habe jetzt übrigens den Besetzungszettel wiederbekommen und ihr habt recht. Wiebke Lehmkuhl sang die Magdalene auch am 27.08.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Aus "Eben gehört und geguckt" thematisch passend hierher verschoben. Braccio

    Genial.

    Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg

    Hans Sachs - Michael Volle
    Veit Pogner - Günther Groissböck
    Sixtus Beckmesser - Johannes Martin Kränzle
    Walther von Stolzing - Klaus Florian Vogt
    David - Daniel Behle
    Eva - Anne Schwanewilms
    Magdalene - Wiebke Lehmkuhl

    Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele

    Philippe Jordan

    Inszenierung und Regie: Barrie Kosky

    Großartig gesungen. Der Hammer ist aber die Inszenierung. Von Kosky gibt es dazu einen sehr lesenswerten Text im Beiheft. Nur ein paar Gedanken: Nürnberg ist in Wagners Oper kein realer Ort. Es ist geboren aus seiner Sehnsucht und seinem Verlangen nach einem Paradies auf Erden.

    Die Ouvertüre ist inszeniert - Richard Wagner tritt darin auf, dazu Frau Cosima und Schwiegervater Liszt, die Söhne und Kapellmeister Levi. Der erste Aufzug spielt - wie das Vorspiel - in Wagners Wohnzimmer zu Wahnfried. Wagner wird zu Sachs, Levi zu Beckmesser, Cosima zu Eva, ein Sohn zu Walther, eine Bedienstete zu Magdalena, Liszt zu Pogner ... und es funktioniert - und wie! (Wagner selbst unterschrieb Briefe an Cosima mit "Hans" und nannte sie "Eva".)

    Der zweite Aufzug spielt auf einer imaginären Blumenwiese. Der dritte dann im Saal der Nürnberger Prozesse ...

    Sachs' Ansprache "Verachtet mir die Meister nicht ..." ereignet sich vor völlig geleertem Saal, als Rede ans Theaterpublikum. Die schwierige Stelle mit "welschem Dunst und welschem Tand" bleibt interessanterweise ohne weitere Kommentierung, danach fährt allerdings ein Bühnenorchester auf eigenem Podium in den Saal, und Sachs wendet sich um und dirigiert dieses samt Schlusschor - die "Komische Oper in drei Aufzügen" endet als Oratorium auf dem Theater.

    Also, diese Aufführung hätte ich sehr, sehr gerne gesehen; aber auch vom Medium funktioniert sehr viel.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Welche Söhne? Wagner hatte doch nur einen! Oder wer ist da gemeint?

    Guter Punkt! Jedenfalls entstiegen dem Flügel (!!) mehrere augenscheinlich jüngere Menschen, welche Cosima ihre Reverenz erwiesen. Ein Rezensent bezeichnet den ältesten von ihnen, der später zu Walther wird, als Richard selbst in seinen jungen Jahren, dito dann David. Mag sein ... kann sogar gut sein. Passt.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Die Ouvertüre ist inszeniert - Richard Wagner tritt darin auf, dazu Frau Cosima und Schwiegervater Liszt, die Söhne und Kapellmeister Levi. Der erste Aufzug spielt - wie das Vorspiel - in Wagners Wohnzimmer zu Wahnfried. Wagner wird zu Sachs, Levi zu Beckmesser, Cosima zu Eva, ein Sohn zu Walther, eine Bedienstete zu Magdalena, Liszt zu Pogner ... und es funktioniert - und wie! (Wagner selbst unterschrieb Briefe an Cosima mit "Hans" und nannte sie "Eva".)

    Diese Meta-Geschichte funktioniert zu Beginn, wird dann aber einfach folgenlos fallengelassen, weil diese "Idee" eben nicht über das ganze Stück trägt. Überhaupt fehlt es meines Erachtens dieser Inszenierung (die ich vor zwei Jahren in Bayreuth gesehen habe) an einem konsequent entwickelten Konzept. Den plötzlich ganz realistisch erscheinenden Nürnberger Gerichtssaal im dritten Akt könnte man noch als schockierende Folge des Pogroms am Ende des zweiten verstehen (wo die überdimensionale Juden-Karikatur aber auch reichlich plakativ draufgesetzt ist), aber er hat dann einfach keine weiteren Folgen und verschwindet eben wieder. Natürlich sind da gute Ideen, und das ganze ist durchaus unterhaltsam, aber es gibt auch viel Zusammenhanglosigkeit und Inkonsequenz. Ich bezweifle, ob dieses Stück, welches doch sowieso schon auf mehreren Ebenen abläuft, mit einer weiteren Meta-Ebene überhaupt sinnvoll darstellbar ist. Hier war es für mich jedenfalls eher zwiespältig.

  • Diese Meta-Geschichte funktioniert zu Beginn, wird dann aber einfach folgenlos fallengelassen, weil diese "Idee" eben nicht über das ganze Stück trägt. Überhaupt fehlt es meines Erachtens dieser Inszenierung (die ich vor zwei Jahren in Bayreuth gesehen habe) an einem konsequent entwickelten Konzept.

    https://www.google.co.uk/amp/s/amp.theg…er-antisemitism

    „ At the heart of this Meistersinger is an imaginative, subtle and serious staging of a simple question: how far does Wagner’s antisemitism invalidate his artistic achievement?“

    Angeblich soll hier Wagner vor Gericht stehen.

    Es geht ja bei den Meistersingern um Wagners Kunst. Nun geht es bei Kosky eben darum, ob Wagners Kunst trotz ihres Antisemitismus noch als Kunst angesehen werden kann.

    Dieses Konzept trägt angeblich sehr gekonnt durch die ganze Inszenierung und in der letzten Szene wird dann Koskys Urteil dargestellt.
    Der Wahn Monolog, vorher, stelle auch hier einen Wendepunkt für Wagner/Sachs dar.

    Food for thought.

  • Angeblich soll hier Wagner vor Gericht stehen.

    Tut er aber nicht. Er ist nicht im Saal, und weder Anklage- noch Richterbank sind in irgendeiner Weise in dieses angebliche Konzept eingebunden. Der Gerichtssaal ist bloße und im Grunde plumpe Staffage. Es gibt ein paar nette Ideen wie die rückwärts laufende Uhr oder die Meistersinger, die verzweifelt Beckmessers Lied zu verstehen suchen, indem sie an den Kopfhörern für die Simultanübersetzung rumfummeln usw.. Ganz unterhaltsam, immerhin nicht langweilig, aber doch mehr Stückwerk als großer Wurf. Die geschichtsträchtigen Symbole wie die überdimensionale Juden-Karikatur am Ende des zweiten Aktes und vor allem der Nürnberger Gerichtssaal im dritten werden einfach auf die Bühne gepflanzt, als ob allein das schon irgendwie reichen würde. Es gibt viele Ideen, aber zu wenig Konsequenz.

    Es geht ja bei den Meistersingern um Wagners Kunst. Nun geht es bei Kosky eben darum, ob Wagners Kunst trotz ihres Antisemitismus noch als Kunst angesehen werden kann.

    Diese Frage spielt überhaupt keine Rolle, weder auf der Bühne noch in Koskys Text.

  • Ich kenne die Produktion nicht, aber es scheint mir generell ein Problem vieler Inszenierungen zu sein, zwar bestimmte Ideen zu präsentieren, aber diese dann nur anzureißen anstatt konsequent von Anfang bis Ende durchzuziehen. Mich stört das, da habe ich den Eindruck, dass der Regisseur entweder nicht konsequent sein wollte (weil zu feig oder was auch immer) oder nicht konsequent sein konnte (weil zu unfähig). Beides spricht nicht für ihn.
    (und das Thema Wagner und Antisemitismus ist doch wahrlich schon oft genug debattiert worden, das ist wirklich nichts Neues oder Innovatives mehr, finde ich)

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Grundsätzlich fühlte ich mich durch die Inszenierung ausgezeichnet unterhalten. Für mich eigentlich _DIE_ Grundanforderung an eine Regie. Was hilft es, wenn alles bis zum Ende durchdacht und logisch in sich geschlossen ist, aber langweilt? - Darüber hinaus sind die "Meistersinger" einfach eine meiner liebsten Opern, so dass ich hier sowieso "biased" bin.

    Diese Meta-Geschichte funktioniert zu Beginn, wird dann aber einfach folgenlos fallengelassen, weil diese "Idee" eben nicht über das ganze Stück trägt.


    Der erste Akt war für mich der unterhaltendste, weil die Familiensaga hier funktioniert. Im zweiten Akt hat sie eigentlich keine Bedeutung. Jedoch: Das Altersverhältnis Eva/Magdalene war hier umgekehrt, Eva war die klar ältere, nicht nur optisch, sondern auch stimmlich. (Ich müsste noch mal im Libretto schauen, in wie wie eine ältere Magdalene dadurch gedeckt ist.) Das funktionierte natürlich nur mit der Krücke der Familiensaga, und das auch nur als Notbehelf; transportiert jedoch die Zuneigung Sachs/Eva deutlicher als in manch anderer Inszenierung, wo sie wie eine Onkelehe aussieht.

    Im dritten Akt könnte man sagen, dass Wagner selbst - und nicht Sachs - hier das traditionelle Meistersingertum vor dem Gericht verteidigt, allerdings in erweiterter Form, mit Öffnung für neue Ideen. Hier bleiben für mich viele Fragen offen, z. B. warum Sachs alleine auf der Bühne bleibt.

    Überhaupt fehlt es meines Erachtens dieser Inszenierung (die ich vor zwei Jahren in Bayreuth gesehen habe) an einem konsequent entwickelten Konzept. Den plötzlich ganz realistisch erscheinenden Nürnberger Gerichtssaal im dritten Akt könnte man noch als schockierende Folge des Pogroms am Ende des zweiten verstehen (wo die überdimensionale Juden-Karikatur aber auch reichlich plakativ draufgesetzt ist), aber er hat dann einfach keine weiteren Folgen und verschwindet eben wieder.


    Da stimme ich zu. Das historische Bildzitat des Nürnberger Gerichtsaals erfährt keine klare Verankerung in der Story. Jedenfalls habe ich keine erkannt. Die oberflächliche Anbindung durch die Vokabel "Singgericht" aus dem Libretto alleine trägt das ja noch nicht. - In Nürnburg wurde ein Unrechtsregime verurteilt, die industrielle Vernichtung von Millionen von Juden und anderen Minderheiten war dort m. W. eines von mehreren Themen, oder? Wer war nun in der Inszenierung Ankläger, Angeklagter, Verteidiger und Richter?

    Vielleicht - nur ein Gedanke - wollte der Jude Barrie Kosky, übrigens der erste jüdische Regisseur in Bayreuth, auch zeigen, dass die "Verwerflichkeit" der Meistersinger selbst aus jüdischer Sicht nicht eindeutig zu klären ist und lässt daher viele Dinge offen. Dass er keine schlüssige Lösung anbietet, hat er selbst wohl als allererster bemerkt, insofern würde ich diesen Vorwurf nicht erheben. Die Frage ist eher: Warum löst er das nicht auf?

    Auf Wikipedia findet man Ansätze für Erklärungsversuche:

    Zitat

    [... ] Er verstand die Figur des Beckmesser aus den Meistersingern als Verkörperung der Angst vor den assimilierten Juden: »Es war die Angst davor, dass im deutschen Gewand versteckt eine Giftbombe lauert, die das Deutsche vernichten will: Die Juden sehen aus wie wir, sie reden wie wir, aber im Innersten sind sie nicht wie wir, sondern sie wollen unsere Kultur vergiften.« Die Stadt Nürnberg verstand er als deutsche Utopie, ihr wahres Gesicht die Nürnberger Gesetze oder (je nach Interpretation) die Nürnberger Prozesse.

    Immerhin zeigt Kosky die verzerrte Fratze des "hässlichen Juden" aus dem "Völkischen Beobachter".

    Hattest nicht Du selbst in einer Diskussion zur Oper bemerkt, dass die Zuordnung von Beckmesser als Repräsentant der Juden nicht zwingend sei? Kosky hat sie vorgenommen.

    Übrigens sehe ich das Pogrom als relativ harmlos gezeichnet. Konwitschnys Darstellung der Prügelszene in Hamburg ging wesentlich mehr unter die Haut, da wurde die latente Gewaltbereitschaft des "Volkes" unter der dünnen Oberfläche der geordneten Ständegesellschaft spürbar, da wurden Messer gezückt und Stoffbahnen entzwei geschnitten, da brannte es am Ende (was dem Wasserguss einen anderen Sinn gab ...). Physische Gewalt war bei Kosky eher Begleiterscheinung, jedenfalls relativ zur Hamburger Inszenierung. Kosky hob stattdessen die Ausgrenzung hervor.

    Hier war es für mich jedenfalls eher zwiespältig.


    Ja, die Inszenierung stellt mehr Fragen, als sie beantwortet. Ich habe es lieber, wenn eine Inszenierung meine Fragen beantwortet, aber es ist legitim, die Fragen zu stellen.

    Wagner als Dirigent des Schlusschores passt für meine Begriffe schon ...

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

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