Operntelegramm Saison 2019/20

  • Tristan und Isolde in Hildesheim

    Gestern Abend war ich mal wieder in Tristan und Isolde - und das in Hildesheim! Ich war schon häufiger dort im Theater, ziehe aber Braunschweig und Hannover wegen der Qualität durchaus dem kleinen Haus vor. Eigentlich habe ich ein Fiasko erwartet, aber - und da war meine Begleitung der gleichen Meinung - besser als der Tristan von Katharina Wagner in Bayreuth war es alle Mal - abgesehen von Rene Papes Marke sowie Christian Thielemanns überirdisches Dirigat!
    Es war schon erstaunlich, was dieses kleine Haus auf die Beine stellen konnte. Aufgrund des defekten Orchestergrabens musste das Orchester auf der Bühne spielen, die Bühnenwand fiel deshalb weg. Dennoch wurde es ein ganz guter Abend.
    GMD Florian Ziemen, der laut Programmheft mit 53 Musikern die originale Orchesterstärke ins Theater holte, lieferte einen guten Job, fiel durch zügige Tempi und einer sehr sängerfreundlichen Orchesterführung auf. Er verlor sich nicht in großen Rubati (die ich dennoch manchmal vermisste), sondern drängte stets nach vorne, ließ das Orchester auch klangvoll ausbrechen. Mit Hugo Mallet als Tristan wurde jedoch ein Totalausfall geholt - stimmlich im letzten Akt absolut überfordert, seine Vorderzungenvokale unkultiviert artikulierend, fiel der Applaus für ihn auch sehr schwach aus. Julia Borcherts Isolde war zwar noch keine Isolde in Perfektion, doch strebt ihre Stimme zum Dramatischen hin. Sehr gute Diktion sowie eine strahlende Höhe machten ihre fast nicht vorhandene Tiefe wett. Auch Levente György als Kurwenal konnte ein stimmlich solides Porträt abliefern. Sein stählender, etwas unflexibler Klang, manchmal mit zuviel Vibrato versehen, passte gut zu dem naiven Tristan-Verehrer. Hoch anzurechnen ist auch die zu 100% vorhandene Textverständlichkeit. Uwe Tobias Hieronimi stellte König Marke dar. Eine sehr voluminöser Bass mit dünner Höhe - da habe ich mir doch noch Rene Papes Bayreuth-Auftritt zurückgewünscht. Aber schlecht war er nicht!
    Das Highlight, sowie die Überraschung der Aufführung war die Brangäne von Neele Kramer, einer hübschen jungen Dame, von der man sicher noch einiges hören wird - es würde mich nicht wundern, wenn sie in einer der kommenden Aufführungen als Rollenvertreterin entdeckt wird. Perfekte Diktion, strahlende Höhe, absolute Textverständlichkeit sowie der typische Wagnerklang in der wohlgeformten Mittellage als auch in dramatischen Höhenausbrüchen, machte sie zum Publikumsliebling des Abends! In weiteren Rollen fiel Jesper Mikkelsen in den 4-Takten des Steuermanns positiv auf. Der Männerchor - einstudiert von Joachim Falkhausen - meisterte die Bühnenmusik sehr gut. Lediglich das Finale zum ersten Akt mießriet völlig. Schade. Ansonsten bin ich mit einen sehr positiven Eindruck, besonders aufgrund der wirklich guten Textverständlichkeit - aus der gut besuchten Vorstellung gegangen. Die Regie und Personenführung von Tobias Heyder war belanglos, langweilig und teils auf Slapstick ausgelegt. Mein Fall war es nicht!

  • Bei mir letzte Woche (also eher: "Wo wir so hingingen"):

    Le nozze di Figaro

    die Neuinszenierung an der Stuttgarter Oper.

    "Besetzung
    Musikalische Leitung Roland Kluttig
    Regie Christiane Pohle
    Bühne Natascha von Steiger
    Kostüme Sara Kittelmann
    Video Anna-Sofie Lugmeier
    Licht Reinhard Traub
    Chor Bernhard Moncado
    Dramaturgie Ingo Gerlach
    Graf Almaviva Johannes Kammler
    Gräfin Almaviva Sarah-Jane Brandon
    Susanna Esther Dierkes
    Figaro Michael Nagl
    Cherubino Diana Haller
    Marcellina Helene Schneiderman
    Basilio Heinz Göhrig
    Don Curzio Christopher Sokolowski
    Bartolo Friedemann Röhlig
    Antonio Matthew Anchel
    Barbarina Claudia Muschio
    Staatsopernchor Stuttgart, Staatsorchester Stuttgart"

    Licht und Schatten. Das Orchester war stark, einige Solisten ebenso. Johannes Kammler als Graf, Sarah-Jane Brandon als Gräfin und Diana Haller als weiblicher (!) Cherubino hatten einen sehr guten Auftritt. Michael Nagl, der in den Kritiken sehr gut wegkam, gefliel mir weniger. Er ging stellenweise regelrecht unter im Orchester.

    Ganz und gar grauenhaft und völlig uninspiriert war das Bühnenbild: die Bettenabteilung im IKEA-Einrichtungshaus, deren Einzelbilder komplett wirr auf der Bühne hin und her geschoben wurden. Völlig sinnlos, je weiter die Oper voranschritt, desto planloser wirkte das. Figaro maß das Bett aus statt das Zimmer, Komparsen lagen überall in den Betten Probe, die späteren Szenen wirkten noch viel bizarrer und deplatzierter in dieser Kulisse. Ich fand die Inszenierung ernüchternd.

    @Wieland Falls Du vorhast, diesen Figaro anzuschauen, würde ich mich freuen zu lesen, welche Eindrücke bei Dir haften blieben.

    :wink:

  • Oper Frankfurt - Gabriel Fauré: Pénélope

    Mittwoch, 11.12.2019, 19:30 Uhr
    Oper Frankfurt

    Gabriel Fauré: Pénélope
    Poème lyrique in drei Akten
    Text von René Fauchois nach Homer

    Inszenierung: Corinna Tetzel
    Bühnenbild: Rifail Ajdarpasic
    Kostüme: Raphaela Rose
    Licht: Jan Hartmann
    Video: Bibi Abel
    Chor. Markus Ehmann
    Dramaturgie: Stephanie Schulze

    Pénélope. Paula Murrihy
    Ulysse: Eric Laporte
    Euryclée: Joanna Motulewicz
    Eumée: Božidar Smiljanić
    Antinous: Peter Marsh
    Eurymaque. Sebastian Geyer
    Léodès: Ralf Simon
    Ctésippe: Dietrich Volle
    Pisandre: Danylo Matviienko
    Cléone: Nina Tarandek
    Mélantho: Angela Vallone
    Alkandre: Bianca Andrew
    Phylo: Julia Moorman
    Lydie: Monika Buczkowska
    Eurynome: Julia Katharina Heße
    Ein Hirte: Anna Sophia Beller
    Chor der Oper Frankfurt
    Frankfurter Opern- und Museumsorchester
    Musikalische Leitung: Joana Mallwitz

    Ich war in der 3. Vorstellung; Premiere war am 1.12.2019.

    Zur Inszenierung gleich vorweg: Ich verstand kaum, worauf die Regie hinauswollte (hatte auch vorab nichts darüber gelesen); vieles war mir schlicht unklar. Dessen ungeachtet: Diese Inszenierung hat mich schwer beeindruckt und am Schluß gerührt. Das Geschehen war auf dem Dach eines Hochhauses angesiedelt, soviel ließ sich ahnen: Es gab drei Abgänge, alle Wege führten nach unten. Die 5 Freier konnte man sich als min die weiße Rosen bzw. Pfeile gesteckt wurden. Die Bogenprobe fiel aus, d. h. die Fehlversuche der Freier fielen aus: die erstarrten mehr oder weniger, während der Boden sich spaltete und eine zickzack geformte Schlucht auftauchte. Ulysses' Überlegenheit und Kraft zeigte sich nicht darin, daß er Pfeil und Bogen beherrschte, sondern Pénélope in die Arme nahm: Er war als Liebender überlegen. Aber dann verschwand er in der Schlucht und sie blieb zurück.

    Das mag für Leser/innen, die nicht dabei waren, merkwürdig, vielleicht überdreht erscheinen, doch ich hatte den Eindruck einer vollkommenen Stimmigkeit, auch bei Details, deren Sinn mir nicht einleuchtete. Die Personenregie fand ich gelkungen, das wirkte alles sehr durchdacht.

    Auch sängerisch bewegte sich alles auf hohem Niveau, besonders in den beiden Hauptparten: lyrisch, schön, gut eingefügt in den Orchesterklang. Hier fremdelte ich zunächst ein wenig, denn ich hatte gerade diese Tage die spätromantisch-herbstliche schwelgende Aufnahme mit Charles Dutoit gehört. Joana Mallwitz dagegen betonte die Konturen, fast scharf und klar strukturiert, mit einem Orchester, das auch diesmal wieder sein hohes Niveau bewies. Gerade zum Schluß hin steigerte sich das Expressive. Hier erinnerte mich die Musik überraschenderweise etwas an Szymanowskis Król Roger, eine Oper, die ich erst vor wenigen Monaten kennengelernt und ebenfalls in Frankfurt erlebt habe. Fauré offenbarte in Mallwitz' Lesart auffallend moderne Züge, die über die Romantik hinauswiesen.

    Im Dezember und Januar gibt es noch weitere Aufführungen: Unbedingt empfehlenswert!

    https://oper-frankfurt.de/de/spielplan/p…/?id_datum=1775

    :wink:

    PS: Ich habe ein paar kritische Besprechungen gelesen: Offensichtlich gibt es da auch sonst Verständnisschwierigkeiten, die dann (wie ich finde, zu Unrecht) der Regie angelastet werden. Dagegen gibt diese Besprechung meine Eindrücke ungefähr wieder: https://www.fr.de/kultur/theater…k-13264579.html.

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Danke für die Infos! Tristan teils auf Slapstik ausgelegt?! Auf die Idee muss man auch einmal kommen, meiner Meinung nach ist der Tristan ungefähr das Werk, das sich am wenigsten dafür eignet...

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Fr., 13. Dezember 2019: WIEN (Staatsoper): Wolfgang Amadé Mozart, Die Zauberflöte

    Ich bin ja nicht gerade als großer Mozart-Liebhaber bekannt. Die Zauberflöte hingegen hör‘ ich mir ab und zu aber gern mal an (das Stück ist viel besser als man auf den ersten Blick denken könnte), und die heutige Besetzung ließ einen interessanten Abend erwarten. Nun denn!

    Im Mittelpunkt meines Interesses stand Andreas Schager als Tamino (!). Schager hat im Dezember 2017 als Apollo an der Staatsoper debütiert (als er mehrmals zwischen Wien/Apollo und Berlin/Tannhäuser hin- und herpendelte, das allein ist schon ein Irrsinn) und konnte damals einen Sensationserfolg für sich verbuchen – man meinte schon, einen Sänger gefunden zu haben, der Johan Botha (mit dem der Apollo in dieser Produktion auf ewig verbunden bleiben wird und der wohl auch für jene Serie geplant gewesen war) das Wasser reichen könne. Nun, Schager kann das jedenfalls nicht: Sein Max ein paar Monate später war dann nicht mehr das Gelbe vom Ei, sein Lohengrin eine Saison später gar nicht mehr überzeugend, und sein Kaiser unlängst soll ja ganz furchtbar gewesen sein (da war ich aber nicht drinnen). Sein Problem ist immer dasselbe: Das Stimmmaterial ist ja wirklich prachtvoll (ein Naturtenor mit Metall in der Stimme), aber wie er damit umgeht, passt gar nicht: Auffallende Schlampigkeit hinsichtlich der richtigen Töne mischt sich mit mangelhafter Technik, und zumindest letztere war heute zu merken (besonders deutlich in der Bildnisarie und Kieckser bei „Vielleicht sah er Paminen schon, vielleicht eilt sie…“). Man darf den Tamino nicht unterschätzen, der hat es zumindest vor der Pause schon in sich. Des weiteren: Manchmal hat er sich ja wirklich bemüht, angemessen zu singen, aber generell ist sein Gesang stilistisch ziemlich daneben (Jung-Siegfried als Tamino), wenngleich es eine willkommene Abwechslung war, einen Tamino zu hören, der zu viel statt zu wenig gibt. Dennoch war Benjamin Bernheim letztes Jahr um Welten besser. Andreas Schager ist halt so wie Hubschrauberfliegen im Wohnzimmer: kann man mögen, muss man nicht.

    Die beste gesangliche Leistung kam von der mir vorher völlig unbekannten und kurzfristig eingesprungenen Hausdebütantin Federica Guida als Königin der Nacht, und vor ihr kann man nur den Hut ziehen. In der ersten Arie war stellenweise noch Unsicherheit zu merken, wenngleich alle Töne vorhanden waren, aber die zweite Arie war hervorragend, und viel mehr hat die Königin der Nacht ja nicht zu tun. Ebenfalls erfreulich war Andrea Carroll als eine Pamina mit zwar leiser, aber schöner und ordentlich geführter Stimme. Eher enttäuschend hingegen Jongmin Park als Sarastro: Erstens sind die Vokalverfärbungen („Stöh auf, örheitrö düch, o Lübe“, …) zum Davonlaufen, und zweitens hat er für diese Rolle zu wenig Tiefe, basta. Er ist ein sehr guter, junger, fleißiger Sänger, aber für den Sarastro geht es sich noch nicht aus. (Wer einen tollen Sarastro erleben möchte, dem sei geraten, nach Bratislava zu fahren und sich zum Beispiel gleich morgen in der dortigen Oper die Zauberflöte mit Peter Mikuláš anzuhören – ein hervorragender Sänger, den aber bei uns keiner kennt, weil er die Karriere großteils in Osteuropa macht / gemacht hat.) Rafael Fingerlos war ein passabler Papageno, allerdings ist mir seine Blödelei auf den Wecker gegangen, und überhaupt geht mir der Papageno in seiner Gesamtheit auf den Wecker – das Stück wäre VIEL besser, wenn man diese schwachsinnigen Papageno-Stellen ersatzlos striche!!!!).

    Die Nebenrollen zeigten sich unerfreulich, abgesehen von der unauffälligen Ileana Tonca als Papagena und dem positiv auffallenden Peter Jelosits in der kleinen Rolle des ersten Priesters. Es ist schlimm, den stimmlichen Niedergang von Adrian Eröd zu beobachten: Von der Stimme, so wie sie war, ist kaum mehr etwas da, das reicht ja nicht einmal mehr für den Sprecher/zweiten Priester (und diese kurze Rolle ist wichtig: Ich bin letztes Jahr 17 Stunden mit dem Nachtbus gefahren, um Franz Grundhebers wohl letzten Opernauftritt zu erleben, und der fand als Zauberflöten-Sprecher in Trier statt). Die drei Damen (Fiona Jopson, Ulrike Helzel und Zoryana Kushpler) klangen allesamt unschön, zu Benedikt Kobel muss man nichts erklären, der Name spricht für sich (wobei der Monostatos zu seinen erträglichen Rollen gehört), und skandalös überhaupt die beiden geharnischte Männer: Herbert Lippert brüllte irgendwas Falsches, wohingehen Ryan Speedo Green akustisch kaum zu vernehmen war. Über die drei Sängerknaben breitet man überhaupt besser den Mantel des Schweigens.

    Dass die Vorstellung (an einem Freitag, dem Dreizehnten) trotzdem erfreulich war, ist zu einem Gutteil Verdienst des Mannes am Pult: James Conlon hat das ganz hervorragend gemacht, ich hätte ihn gern öfters in Wien und auch gleich mit spannendem Repertoire (Zemlinsky!), das er ja auch aufgenommen hat. Orchester und Chor in gewohnt guter Qualität. Ein Wort noch zur Inszenierung: Die Produktion von Moshe Leiser und Patrice Caurier hab‘ ich immer für Schwachsinn gehalten. Das muss ich jetzt teilweise revidieren: Nicht, dass ich die Arbeit gut finde, aber ganz so übel ist sie nicht. Ja, das Bühnenbild ist uninspiriert, die Kostüme sind generell an Einfallslosigkeit kaum zu überbieten, aber immerhin gibt es den Versuch, die Story etwas gegen den Strich zu bürsten: Der Chor als gleichgekleidete, gleichgeschaltete, gehirngewaschene Sektenmitglieder (deren graues Gewand am Ende auch Tamino und Pamina tragen), Sarastro nicht als strahlender Sonnenherrscher, sondern als finster und gewissermaßen brutal (wie er zum Beispiel das tote Tier von seinen Schultern in die Ecke schmeißt). Insgesamt interessante Ansätze, aber trotzdem zu wenig und unter‘m Strich nicht zufriedenstellend. (Ich würde mir eine Produktion wünschen, die viel radikaler vorgeht). Viel los am Stehplatz, unter anderem auch die grauenhaft nervende lautstark wimmernde Frau im Rollstuhl (glücklicherweise war ich auf der anderen Seite; wäre ich daneben gestanden, hätte ich sie ganz bestimmt zum Verlassen der Aufführung bewegt).

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  • Sa., 14. Dezember 2019: WIEN (Staatsoper): Olga Neuwirth, Orlando

    Spät, aber doch hat Dominique Meyer gemerkt, dass es auch zeitgenössische Opern gibt und es angemessen ist, auch in der Staatsoper diese zu zeigen. Die Produktionen der vergangenen Spielzeit – Die Stauden (eigentlich: „Die Weiden“ von Johannes Maria Staud) und Orest von Trohjan – erwiesen sich beide als große Flops, insofern konnte es mit Olga Neuwirths „Orlando“ nur besser werden.

    Und das wurde es! Es handelt sich im wesentlichen um eine Zeitreise (beginnend mit dem Jahre 1598) ein- und derselben Figur, wobei auch Anleihen in der Musik die jeweiligen Epochen skizzieren; durch die Handlung führt eine Sprecherin, die wirklich viel (auf Englisch) zu sprechen hat, teilweise eindeutig zu viel. Und das ist auch eines meiner Hauptprobleme des Abends: Er dauert einfach viel zu lang (1h17 + 1h24), insbesondere im zweiten Teil, den man locker (!!) um eine halbe Stunde kürzen könnte.

    Dennoch hat sich die Aufführung für mich durchaus ausgezahlt, und zwischen sehr negativen und teilweise positiven Berichten von den beiden vorhergehenden Aufführungen würde ich mich im Mittelfeld einordnen – die Musik, die aus dem Orchestergraben gekommen ist, finde ich recht interessant, ich habe gern zugehört. Die zahlreichen Zitate (Purcell über Stravinsky bis zu „O Tannenbaum“) klangen nicht penetrant oder aufgesetzt, sondern fügten sich in’s Gesamtwerk ein. In der letzten Szene vor der Pause war die Gleichzeitigkeit einer bedrückenden Handlung (Kindesmissbrauch) mit der äußerlichen Fassade (beschauliche Weihnachtszeit) spannend. Das ändert nichts daran, dass mir nach der Pause eindeutig zu viel laute Popmusik gespielt wird.

    Ein Eingehen auf die Künstler erscheint mir nicht sinnvoll, zumal ich das Stück gar nicht kannte und während der Aufführung hauptsächlich damit beschäftigt war herauszufinden, wer wer ist... Jedenfalls habe ich nichts Negatives hinsichtlich der Sänger zu bemerken.

    Fazit: Man kann hingehen, muss aber nicht. Alles in allem teilweise gelungen, aber für wirklich gute Aufführungen wirklich guter zeitgenössische Opern sollte man auf andere Institutionen ausweichen (gemeint ist Kobéras „Neue Oper Wien“ – wobei es natürlich auch dort Blindgänger gibt).

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  • So., 15. Dezember 2019: WIEN (Theater an der Wien): Stanisław Moniuszko, Halka

    Das Theater an der Wien ist ja immer wieder für Raritäten zu haben, und seit heute gibt es dort bis Ende Dezember die hierzulande sogut wie nie gespielte Oper Halka des polnischen Stanisław Moniuszko zu hören. Polnisch ist ja nicht gerade eine Sprache, die mit der Gattung der Oper assoziiert wird, aber zumal ich vor einiger Zeit Szymanowskis Król Roger kennen- und liebengelernt hatte, war ich voller Vorfreude.

    Meine Vorfreude war allerdings teilweise unberechtigt. In Szymanowskis Roger findet man einen Klangteppich farbenreicher, aufwallender, leidenschaftlicher Musik verbunden mit einer sehr guten (Meta-)Handlung, während Moniuszko in polnischer Verdi ist, und das ist nicht positiv gemeint. Ehrlich gesagt: Es klingt für mich tatsächlich wie Verdi (wenn auch nicht ganz so schlimm): das Humptata, die typischen Arien/Duette, Massenszenen etc. Naja, Uraufführung 1858, da darf man keine Musik des 20. Jahrhunderts erwarten. Also nehme ich diese Oper, wie sie ist - ich räume allerdings ein, dass ich ihre Handlung für ziemlich sinnentleert halte. Musikalisch zieht sich insbesondere der vierte Akt.

    Musikalisch hingegen bewegte sich die Aufführung auf SEHR hohem Niveau; das war sehr erfreulich. Da ich das Werk nicht gekannt hatte, möchte ich mich zu den einzelnen Darbietungen nur oberflächlich äußern: Es war eine ausgezeichnete Ensembleleistung mit Sängern, die ihre Rollen gut ausfüllten und sich auch in der polnischen Aussprache hörbar wohl fühlten (allerdings spreche ich kein Polnisch). Besonders gut haben mir Tomasz Konieczny als Janusz und Corinne Winters als Halka gefallen. Konieczny halte ich für einen tollen Sänger, ich verstehe nicht, wieso ihn einige überhaupt nicht aushalten. Ich bin kein Fan von Piotr Beczała, denn er stemmt/drückt mir zu viel (als Cavaradossi daher für mich nix - aber warten wir jetzt mal den Lohengrin ab), aber als Jontek war er sehr gut aufgehoben! Ich denke, dass das slavische Repertoire für ihn besser wäre als das italienische, aber mit ersterem kann man halt keine Karriere machen (und ich verstehe, dass er das tut, wenn sich ihm die Gelegenheit bietet). Ebenfalls sehr in Ordnung, wenn auch ein bisschen schwächer waren Alexey Tikhomirov (Stolnik), Natalia Kawałek (Zofia) und Lukas Jakobski (Haushofmeister). Nett das Wiederhören mit Paul Schweinester als Góral (bei dem ich mich aus bestimmten Gründen frage, wieso er aus dem Off singen musste). Orchester (ORF Radio-Symphonieorchester Wien) und Chor (Arnold Schoenberg Chor) haben mir sehr gut gefallen, allerdings habe ich keinen Vergleich. Zur Inszenierung von Mariusz Treliński (Bühne: Boris Kudlička, Kostüme: Dorothée Roqueplo) kann ich kaum etwas schreiben in Anbetracht dessen, dass ich einen Stehplatz mit nur sehr wenig Sicht hatte. Die Handlung ist in die Gegenwart verlegt, was ja generell weder gut, noch schlecht ist.

    Also kurz zusammengefasst: Aufführung top, Werk flop. Trotzdem empfehle ich hinzugehen, denn das Werk hört man demnächst sicher nicht mehr in Wien. Außerdem gibt es andere, sehr positive, Meinungen!

    P.S.: Was soll das überhaupt, dass die THADW-Programmhefte jetzt 4,80 statt 3,80 kosten?! Der reinste Wucher!

    P.P.S: Gerüchtehalber kommen nächste Saison Jenůfa und Porgy+Bess in's Theater an der Wien. Darauf freu ich mich! Und natürlich ganz besonders auf Prokofjevs Feurigen Engel im April 2020!

    P.P.P.S.: In der U-Bahn bin ich nach der Aufführung mit einer mir zuvor unbekannten 73jährigen Frau in's Gespräch gekommen, die kürzlich in Neuwirths Orlando war und mit der ich mich ein paar Stationen lang sehr angenehm über die zeitgenössische Opernszene unterhalten habe. Für mich wieder einmal sehr schön zu sehen, dass auch ältere Besucher neugierig auf Neues sind, eine konkrete Meinung dazu haben und Stammgäste der Neuen Oper Wien sind. Das ist super! Sie zeigte sich auch sehr erfreut, dass auch jemand aus der jüngeren Generation eine ganz ähnliche Einstellung wie sie hat.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Vorausschicken muss ich, dass ich, was Oper angeht, wirklich völlig unbedarft bin. Ich bin auch nur zufällig in diese Oper geraten. Aber es hat mir erstaunlich gut gefallen. Diese knapp drei Stunden vergingen schneller als gedacht. Wir hatten zwar einen ungünstigen Platz maximal weit weg vom Orchester, aber dafür mit guten Blick auf die Bühne und auch der Gesang war gut zu hören.

    und weiß, dass sie letztlich auf verlorenem Posten steht, überzeugt durchaus; es gibt viele Ungereimtheiten in diesem Konzept, die einigermaßen aufstoßen; vor allem ist die Art und Weise ihres letzendlichen Untergangs überhaupt nicht plausibel.

    Ich habe das ja auch so empfunden. Für mein Gefühl, kam ihr Ende etwas abrupt. Was wiederum meine Frau gar nicht verstehen konnte. Die meinte, es wäre doch absolut logisch gewesen. Was hätte sie denn sonst tun sollen, als sich umzubringen. Soviel zu den verschiedenen Sichtweisen. (Meine Frau hat übrigens mit klassicher Musik und Oper nun gar nichts am Hut)

    Ich fand die Bühnenbilder eher karg, aber durchaus passend. Aber warum ich hier überhaupt etwas schreibe... was ich sehr auffällig fand, dass war das junge Publikum. Deutlich mehr junge Leute (zwischen 20 und 30 Jahren) als in der Philharmonie in Köln. Davon war ich echt beeindruckt und das wird ja nun kaum am Schulchor aus Brühl liegen. ;)

    Viele Grüße, Michael

  • zu: Carmen in Köln

    Ich fand die Bühnenbilder eher karg

    Puh - das ist nun aber eine diesbezüglich ausgesprochen opulent ausgestattete Produktion!

    was ich sehr auffällig fand, dass war das junge Publikum

    Ja, das ist seit einigen Jahren in Köln stärker zu beobachten, selbst in den Premieren. Nicht so extrem wie an der Komischen Oper Berlin, aber schon deutlich.

    Wer hat denn in den Hauptrollen gesungen? Und wie? Ich wollte ja eigentlich wg. Stéphanie d'Oustrac nochmal 'rein, hat aber nicht geklappt.

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Puh - das ist nun aber eine diesbezüglich ausgesprochen opulent ausgestattete Produktion!

    Das mag wohl sein, wie gesagt, ich habe keine Ahung von Opern. Das ist die zweite die ich in meinem Leben je gesehen oder gehört habe. Ich war mal in Aachen vor 20 Jahren in Nabucco... und danach nie wieder. Hat mich nie gereizt. Aber deswegen kann ich auch nichts zur Leistung der Sänger/innen sagen. Das müssen die Profis machen. :)

    Ach so, Die Carmen wurde gesungen von Bastidas-Gamboa.

    Viele Grüße, Michael

  • Hallo Friese/Michael!
    Herzlich willkommen in diesem Thread - ich finde es bereichernd, wenn sich auch jemand zu Wort meldet, der dem Genre sonst eher fernsteht!

    Nur eines: Nimm Nabucco und Carmen bitte nicht als Maßstab für Opern.. Es gibt viel bessere. :thumbup:

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Hallo Sadko,

    danke, aber ich glaube nicht, dass ich im Opern Bereich häufiger unterwegs sein werde. Es gibt noch so viel tolle Musik im Instrumentalbereich, die ich intensiv kennenlernen möchte...da fehlt mir dann auch die Zeit... auch wenn mir Carmen deutlich besser gefallen hat, als ich gedacht hätte.

    Viele Grüße, Michael

  • ich finde es bereichernd, wenn sich auch jemand zu Wort meldet, der dem Genre sonst eher fernsteht!

    Nur eines: Nimm Nabucco und Carmen bitte nicht als Maßstab für Opern.. Es gibt viel bessere. :thumbup:

    Der Anmerkung "ich finde es bereichernd, wenn sich auch jemand zu Wort meldet, der dem Genre sonst eher fernsteht" stimme ich vollinhaltlich zu.
    Ob für Opernfreaks der Nachsatz auch unterschreibenswürdig ist, wage ich allderdings zu bezweifeln. Als jemand, der etwa 250 verschiedene Opern gesehen (!) hat, maße ich mir nicht an zu beurteilen, ob Nabucco oder Carmen schwache Werke (Zitat: "Es gibt viel bessere") sind.

  • Nur eines: Nimm Nabucco und Carmen bitte nicht als Maßstab für Opern.. Es gibt viel bessere.

    Nö, mein eigenes iTunes-Wiedergaben-Ranking zeigt, dass Carmen the-one-and-only ist :thumbup:
    ...und schon gehe ich wieder in der Opern-Tacet-Modus... 8)

    :wink:

  • Es gibt noch so viel tolle Musik im Instrumentalbereich, die ich intensiv kennenlernen möchte

    Das verstehe ich sehr gut, und ich bin der Meinung, dass man viel mehr verpasst, wenn man keine Instrumentalmusik hört, als wenn man keine Opern hört :D

    Ob für Opernfreaks der Nachsatz auch unterschreibenswürdig ist, wage ich allderdings zu bezweifeln. Als jemand, der etwa 250 verschiedene Opern gesehen (!) hat, maße ich mir nicht an zu beurteilen, ob Nabucco oder Carmen schwache Werke (Zitat: "Es gibt viel bessere") sind.

    Ich hab soeben tatsächlich nachgezählt und komme auf etwa 220 live gesehene/gehörte Opern in 10 Opernjahren. Und ich gehe jede Wette ein, dass innerhalb des opernaffinen Publikums, dessen Horizont über Mozart, Verdi und Wagner hinausgeht, Carmen und Nabucco als schwache Werke zählen. Allerdings wollte ich nicht schon wieder eine solche Diskussion anzetteln, sondern mein Satz sollte Friese eher auf ein Genre neugierig machen, dem er sich bisher kaum gewidmet hat (denn es sind meiner Meinung nach wirklich viele Opern - zum Beispiel diese 15 - wirklich viel besser als die Allerweltsstücke Carmen und Nabucco...).

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Und ich gehe jede Wette ein, dass innerhalb des opernaffinen Publikums, dessen Horizont über Mozart, Verdi und Wagner hinausgeht, Carmen und Nabucco als schwache Werke zählen.

    Es ist mir schleierhaft, wie man auf so eine skurrile Idee kommen kann.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Da halte ich lieber mit einem gewissen Friedrich Nietzsche, der zu Carmen folgendes zu schreiben wußte:

    Zitat von Friedrich Nietzsche

    Diese Musik scheint mir vollkommen. Sie kommt leicht, biegsam, mit Höflichkeit daher. Sie ist liebenswürdig, sie schwitzt nicht. »Das Gute ist leicht, alles Göttliche läuft auf zarten Füßen«: erster Satz meiner Ästhetik. Diese Musik ist böse, raffiniert, fatalistisch: sie bleibt dabei populär – sie hat das Raffinement einer Rasse, nicht eines einzelnen. Sie ist reich. Sie ist präzis. Sie baut, organisiert, wird fertig: damit macht sie den Gegensatz zum Polypen in der Musik, zur »unendlichen Melodie«. Hat man je schmerzhaftere tragische Akzente auf der Bühne gehört? Und wie werden dieselben erreicht! Ohne Grimasse! Ohne Falschmünzerei! Ohne die Lüge des großen Stils! – Endlich: diese Musik nimmt den Zuhörer als intelligent, selbst als Musiker.

    Soll sich "das opernaffine Publikum, dessen Horizont über Mozart, Verdi und Wagner hinausgeht" weigern, als intelligent genommen zu werden? Ich glaube es kaum.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Und ich gehe jede Wette ein, dass innerhalb des opernaffinen Publikums, dessen Horizont über Mozart, Verdi und Wagner hinausgeht, Carmen und Nabucco als schwache Werke zählen

    ich gehöre nun leider nicht zum "opernaffinen Publikum", daher wird meine Meinung kaum zählen, aber für Carmen möchte ich mich doch stark machen. So ein Geniestreich! Nietzsches Ausführungen sind vielleicht etwas überschwänglich, treffen aber doch ganz gut zu. Adorno meinte allein des Kartenterzetts wegen hätte sich die Erfindung der Gattung Oper schon gelohnt. Also schon mal zwei Zeugen der gewichtigeren Sorte. Schon allein der Text. Man darf allerdings Escamillo und erst recht Michaela nicht unterschätzen, son rutscht er vielleicht wirklich leicht ins Klischeehafte ab. Und die Musik - dieses mitreißende Vorspiel, die verschiedenen Chornummern, diese eigenartig treffendes Tonfälle - der Auftritt der Michaela, wie er angekündigt wird ... usw. usw.


    edit
    ich sehe, Philbert hat den Nietzsche schon zitiert ...

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Nimm Nabucco und Carmen bitte nicht als Maßstab für Opern.. Es gibt viel bessere.

    Wenn ich den letzten Satz etwas umschreibe, könnte ich ihn auch unterschreiben:

    Es gibt viele andere Werke, die denen zumindest ebenbürdig sind.

    Doch letztendlich ist das, was hier als besser, schlechter oder ebenbürdig zählt, doch nur eine Sache des persönlichen Geschmacks.

    Viele Grüße aus Sachsen
    Andrea

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