Operntelegramm Saison 2019/20

  • Carmen mag ich eigentlich aus verschiedenen Gründen sehr gerne, auch wenn sie meistens leider eher als Anhäufung von Spanien-Klischees denn als intelligente Opéra comique gegeben wird, und schwache Oper ist das sicherlich keine. Aber Nabucco wäre tatsächlich die Oper meiner Wahl, die ich einem Opern-Neuling empfehlen würde, wenn ich sicherstellen wollte, dass der die nächsten zwanzig Jahre kein Opernhaus mehr von innen sehen will.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Ich finde die Einstellung, man gebe sich als unintelligent zu erkennen, wenn man in einem konkreten Punkt anderer Meinung als Nietzsche ist, wirklich komplett absurd. Über diese Autoritätsgläubigkeit sollten wir schon längst hinaus sein. Man kann zu nahezu JEDER Meinung irgendeine Autorität zitieren. Hat aber null Aussagewert.
    Ansonsten respektiere ich natürlich den Geschmack jedes anderen vollkommen, und es wäre langweilig, wenn wir alle gleich empfänden. Geschrieben habe ich nur meine persönliche Meinung, und die ist eben, dass es ungefähr auf das gleiche hinausläuft, Carmen und Nabucco für (im Vergleich) gelungene Opern zu halten wie "Für Elise" und die "Wut über den verlorenen Groschen" für (im Vergleich) gelungene Beethoven-Werke zu halten.
    Das alles soll nicht der geringste Grund für zwei User sein, jemanden persönlich anzugreifen (was mittlerweile entfernt wurde). Manche brauchen halt eine permanente künstliche Aufregung.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Lieber Sadko, noch einmal zum Mitschreiben:

    Nietzsche hat geschrieben: "Endlich: diese Musik nimmt den Zuhörer als intelligent, selbst als Musiker."
    Und ich habe kommentiert: Soll sich "das opernaffine Publikum, dessen Horizont über Mozart, Verdi und Wagner hinausgeht" weigern, als intelligent genommen zu werden? Ich glaube es kaum.

    Nix mit "man gebe sich als unintelligent zu erkennen, wenn man in einem konkreten Punkt anderer Meinung als Nietzsche ist,"

    Immerhin, wenn ich die Wahl hätte, mein Urteil nach Nietzsche oder nach Sadko zu richten, würde ich nicht lange schwanken. Obwohl ich Nietzschens Weltanschauung nicht immer teile, kann ich ihm seine Intelligenz nicht abstreiten.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Man kann zu nahezu JEDER Meinung irgendeine Autorität zitieren. Hat aber null Aussagewert.

    nun ja, mindestens denselben Aussagewert wie die Meinung, gegen die die zitierte gestellt wurde, insofern letztere relativierend (wobei ich bekanntlich sehr gegen die Tendenz bin, die Relativierung der eigenen Meinung immer schon selbst vornehmen zu sollen).

    Überdies charakterisiert Nietzsche die Carmen auf bemerkenswerte Weise, die ich durchaus nachvollziehen kann.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Überdies charakterisiert Nietzsche die Carmen auf bemerkenswerte Weise, die ich durchaus nachvollziehen kann.

    So ist es. Nietzsches berühmter Satz, Carmen schwitze nicht, ist auch als Spitze gegen Wagner gesetzt: An Carmen fand er alldas, was er an Parsifal verabscheute. Davon abgesehen, finde ich seine feine Charakterisierung von Bizets Musik durchaus treffend.

    Ich denke, Carmen verdiente einen eigenen Thread. Zwar gibt es bereits zwei davon zu den Aufnahmen, aber keinen zum Werk selbst.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Dann würde ich vorschlagen, die Beiträge ab #37 in einen Carmen-Thread zu verschieben, damit sich die Carmen-Diskussion und die Opernberichte nicht gegenseitig im selben Thread behindern?

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  • Do., 19. Dezember 2019: WIEN (Theater an der Wien): Stanisław Moniuszko, Halka

    Heute war ich zum zweitenmal in der Halka und habe einen insgesamt positiveren Eindruck mitgenommen, hauptsächlich deshalb, weil sich die Sänger in einer durchwegs verbesserten Verfassung präsentierten (was mich nicht wundert, denn jetzt war die Premierennervosität weg), in erster Linie Piotr Beczała hat mir heute (zu meinem Erstaunen) ausgezeichnet gefallen! Das muss ihm mal einer nachmachen! Zumal ich heute einen besseren Stehplatz hatte, kann ich auch was zur Inszenierung schreiben: Sie wirkt in sich schlüssig und ist nie langweilig (die Bühne ist in ständiger Bewegung, was jedoch auch nicht übertrieben wirkt), gleichwohl erschließt sich mir der Sinn der zeitlichen Verlegung nicht, und - schlimmer - die Charakterzeichnung bleibt an der Oberfläche (Janusz mit Alkoholproblem, ein Geld zählender Stolnik, ...). Die Musik hat mir beim zweitenmal genausowenig gefallen (es handelt sich quasi hauptsächlich um Verdi, teilweise auch um Tschaikowski und Dvořák - ich konnte keine spezifische Moniuszko-Musiksprache wahrnehmen), allerdings habe ich den vierten Akt als besser als am Sonntag, die ersten drei Akte hingehen als schlechter wahrgenommen. - Den Dirigenten habe ich am Sonntag vergessen zu erwähnen: Łukasz Borowicz war's.

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  • So., 22. Dezember 2019: GRAZ (Opernhaus): Engelbert Humperdinck, Königskinder

    Allenthalben wird um die Weihnachtszeit Humperdincks Hänsel und Gretel gespielt (wieso eigentlich? das Stück hat mit Weihnachten nichts zu tun), weswegen gern übersehen wird, dass Humperdinck auch noch andere Werke geschaffen hat. Heute durfte ich seine mir vorher vollkommen unbekannte Oper Königskinder kennenlernen und hatte einen sehr positiven Eindruck. Das Stück sollte man unbedingt öfter spielen und dafür ein paar Hänsel-und-Gretel-Aufführungen streichen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber ich blicke meinem zweiten Königskinder-Besuch im März mit Vorfreude entgegen. Und ich kann nur raten, sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen und, sofern es sich einrichten lässt, ebenfalls dafür nach Graz zu fahren!

    Das Werk ist im besten Sinne spätromantisch mit Wagner-Anklängen, ohne diese jedoch überzustrapazieren (Humperdinck ist KEIN Wagner-Epigone, sondern ein eigenständiger, ernstzunehmender Komponist); die Handlung des Kunstmärchens ist auf den ersten Blick nicht leicht durchschaubar, wird aber im Verlaufe der Vorstellung klarer; die Ereignisse sind tragisch (bis zum Tode der Königskinder im Schnee), werden aber gebracht ohne künstlich auf die Tränendrüse zu drücken. Mehrere Hänsel-und-Gretel-Zitate sind auch auszumachen, aber insgesamt sind die Königskinder in jeder Hinsicht meilenweit besser als Hänsel und Gretel, wobei die Schwäche beider Werke eindeutig die dumm-dämliche sprachliche Gestaltung des jeweiligen Librettos ist! WAS gesagt wird, passt ja, aber nicht, WIE es gesagt wird – es ist ein Jammer, dass Humperdinck keine ernstzunehmenden Librettisten zur Verfügung hatte: So muss man in den Königskindern 2½ Stunden lang Reime erdulden auf dem Niveau von „Nein, zum König taugen nicht junge Knaben, einen langen Bart muss der König haben!“ oder „Einer Königin warst du mitgenommen, eine Gänsemagd mag dich bekommen. Gabst du dein grün’ Gewind dem Königssohne, so schenkt er dem Bettelkind seine rote Krone.“ oder „Hei, hei Tandaradei! Da fand er das Hahnenei!“. Naja. In dieser Hinsicht fast so schlimm wie Webers Oberon (aber insgesamt sind die Königskinder natürlich viel besser).

    Sehr stark gewonnen hat die Aufführung durch die fabelhafte Inszenierung von Frank Hilbrich (Bühne von Volker Thiele, Kostüme von Gabriele Rupprecht), die mit sparsamen Mitteln beeindruckende und gleichzeitig sängerfreundliche Bilder erschuf. Gegen diese Inszenierung habe ich nur einen einzigen Einwand (siehe das Ende dieses Absatzes); es handelt sich um eine ausgezeichnete Arbeit, die auch durch Detailarbeit hervorsticht (beispielsweise verbindet sich der Spielmann gut sichtbar die Wunde, und es gibt gut durchdachte Interaktionen in den Massenszenen). Das Märchen wird märchenhaft erzählt, mit sparsamen Kulissen, die genau die richtige Wirkung erzielen, und nicht ohne einen Ausblick auf die sehr wohl vorhandene tiefere Bedeutung dieser Erzählung zu geben! Hervorragend! Dass ein wesentlicher Aspekt der Handlung (die charakterliche und sexuelle Entwicklung der beiden Königskinder) meiner Beobachtung nach vom Regisseur ignoriert worden war, hat mich nicht gestört - das hätte man allerdings noch herausarbeiten können (oder es ist von mir unbemerkt ohnedies geschehen).

    Hingegen sind meine Einwände gegen die Sänger nicht wenige. Sieglinde Feldhofer sprang als Gänsemagd ein und hinterließ einen im großen und ganzen positiven Eindruck. Der Ansage vor Beginn war zu entnehmen, dass sie zwar als Cover vorgesehen war, aber erst am Freitag (vorgestern) von ihrem Einsatz erfahren hat und seitdem die Rolle angeblich Tag und Nacht durchgelernt hat. Unter diesen Umständen eine sehr gute Leistung; unter „normalen“ Umständen würde ich anmerken, dass sich ihre Stimmfarbe in der Höhe zu stark veränderte. Trotzdem war sie die beste Titelrollensängerin, denn Maximilian Schmitt als Königssohn erinnert mich stimmlich (und optisch) an Mauro Peter (der von manchen Gehörlosen ja sogar als zweiter Fritz Wunderlich gepriesen wird): Seine Stimme ist ja durchaus schön, aber was nützt das, wenn sie in der oberen Lage quasi nicht mehr vorhanden ist? Die Töne müssen dann irgendwie seltsam fahl produziert werden, außerdem hat er viel zu wenig Durchschlagskraft. Zu meiner Überraschung ein Totalausfall war der ansonsten verlässliche Markus Butter als Spielmann (die wahre Hauptrolle dieser Oper). Zunächst vermutete ich eine nicht angesagte Indisposition, allerdings gewann ich im Laufe des Abends immer mehr den Eindruck, dass die Stimme im wesentlichen schon ruiniert ist (wahrscheinlich bedingt durch das Thomas-Hampson-Syndrom, das heißt: längere Zeit mit einer nicht perfekten Technik zu schwierige Rollen gesungen zu haben): Die Stimme ist fahl, kernlos, viel zu leise, und generell hatte ich den Eindruck, dass er die ganze Zeit, anstatt frei zu singen, so seltsam in sich hineinsingt (und das rächt sich jetzt); viele wichtige Stellen wie beispielsweise „Willst du ein Königskind dich heißen, musst du eigen den Zauber zerreißen. Tapfer, wer nimmer der Furcht empfunden; tapferer, wer die Furcht überwunden.“ waren so, als ob sie gar nicht gewesen wären. Schade! (Ich höre gerade Hermann Prey mit „Verdorben! Gestorben!“ auf Youtube, der war ein ganz anderes Kaliber!) Sozusagen rollendeckend war Christina Baader als Hexe: Eigentlich kann man ihr nichts vorwerfen, außer dass ich mir Ausdruck und Dämonie gewünscht hätte. Das kann aber noch kommen, die Sängerin ist ja noch recht jung. (Iris Vermillion wäre DIE Interpretin!) Unter den Nebenrollen fiel Wilfried Zelinka als Holzhacker positiv auf, die übrigen Sänger bewegten sich im halbwegs akzeptablen Bereich. Ganz besonders positiv hervorheben muss ich noch Victoria Legart, die mit einer ausgezeichneten Kinderstimme die zahlreichen Solo-Stellen der des Besenbinders Tochter zum Besten gab (ich hoffe, dass man in den nächsten fünfzehn Jahren nichts von ihr hört und sich in dieser Zeit ihre Stimme behutsam entwickeln kann!). Überhaupt war der gesamte Kinderchor super, verglichen mit den oftmals katastrophalen Leistungen des Kinderchors der Wiener Staatsoper! Chor,Orchester und dem Dirigenten Marius Burkert kann ich nur ein Pauschallob aussprechen, da ich das Werk eben nicht kannte – allerdings hat mir die Orchesterleistung ausgezeichnet gefallen.

    Insgesamt war es den zahlreichen gesanglichen Mängeln zum Trotze eine beeindruckende Vorstellung mit einem zu Unrecht so selten gespielten Werk. Nicht verpassen! Wichtiger Hinweis für alle, die mit dem Zug kommen: Ende um 18:12 bei einem Beginn um 15:00.

    Für mich bleibt nur die Frage, wieso an der Wiener Staatsoper Hänsel und Gretel in einer völlig nichtssagenden Inszenierung 2015 gebracht werden musste, wenn es das Werk ohnehin an der Wiener Volksoper gibt (wo die beiden Produktionen seitdem mehr oder minder parallel aufgeführt werden)?! Noch dazu an der Staatsoper mit irgendwelchen Ensemblesängern, wenn man auch DEN Besenbinder engagieren hätte können (nämlich Franz Grundheber; jeder andere in Wahrheit undenkbar). Stattdessen wäre das doch angebracht gewesen, Humperdincks Königskindern zur LÄNGST überfälligen Erstaufführung an der Wiener Staatsoper zu verhelfen! DIESES Werk gehört dorthin (und zwar z.B. mit Florian Boesch als Spielmann), nicht das nur bedingt ernstzunehmende Hänsel und Gretel. Aber naja, diese Einfallslosigkeit ist man vom Wiener Staatsoperndirektor schon gewohnt. Glücklicherweise sind wir ihn bald los, denn es kann wirklich nur mehr besser werden!

    Übrigens: 2020/21 kommt in Linz La Juive von Halévy!

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Ob für Opernfreaks der Nachsatz auch unterschreibenswürdig ist, wage ich allderdings zu bezweifeln. Als jemand, der etwa 250 verschiedene Opern gesehen (!) hat, maße ich mir nicht an zu beurteilen, ob Nabucco oder Carmen schwache Werke (Zitat: "Es gibt viel bessere") sind.

    Na ja, doch lieber Michael. Da gibt es die Aida, wo der Triumpf Marsch immer wieder im Radio, Seinerzeit, so oft gebracht wurde das sogar Leute sich die Oper nur wegen dem anschauten, anhören weniger.
    Na und der Gefangenchor im Nabucco war doch auch ein Ohrwurm, gell. :D Und was Du hast nur etwa 250 Opern gehört und gesehen - das ist eindeutig zu wenig, Du musst Dich 2020 bessern, sagt Dir Dein Opernfreund Peter.

    Selbst Leute die ansonsten nur "Das alte Försterhaus" liebten gingen in die Oper, heute schauen sie sich das am Samstag Abend an und bewundern die Stimme von DJ Ötzi und den "Edelsopran" von Helene Fischer]
    Aber es gibt Opern, wie "Die Weiden" wo man recht gut dabei schlafen kann und von den Weiden die Palmkatzerl holen kann. :clap:
    Nicht Nabucco oder Carmen, sondern sie gemeinsam, gemischt an einem Abend aufführen wäre doch der Hit. :versteck2: Carmen im Nabucco Flair, ganz was Neues.

    [Alles nur ein Scherz, Du kennst mich ja lieber Michael].

    Liebe Grüße von Peter. :wink:

  • Mi., 25. Dezember 2019: WIEN (Volksoper): Engelbert Humperdinck, Hänsel und Gretel

    Hänsel und Gretel am Christtag in der Volksoper um 17:00 – das ist natürlich eine Kindervorstellung: Ganz kleine Kindern, die noch nicht sprechen können, in die Oper mitzunehmen, ist natürlich Schwachsinn, aber allgemein war auch heute zu merken, dass sich die Erwachsenen deutlich lästiger als die Kinder zu verhalten pflegen (ich habe tatsächlich zwei ca- 25 bis 30jährige gesehen, die ein Selfie WÄHREND der Aufführung machten). Wie auch immer, wenn man sich einen Stehplatz sucht, von dem man nur einen Teil des Zuschauerraums sieht, ist auch eine Kindervorstellung trotz dem Lärmpegel erträglich (übrigens: „trotz“ steht mit Dativ und nur mit Dativ, auch wenn mir das einige nicht glauben).

    Hänsel und Gretel wird an der Volksoper (wohin das Stück auch gehört, nämlich nicht in die Staatsoper) seit 1985 in der Inszenierung von Karl Dönch (Bühnenbild und Kostüme von Toni Businger) gezeigt, und auch als Nicht-Fan traditioneller Produktionen muss ich einräumen, dass die Arbeit handwerklich sehr gut gemacht ist. Wenn man eine konservative Produktion sehen möchte, ist man mit der Dönchschen sehr gut beraten. Die Produktion kann, wenn es nach mir ginge, noch die nächsten 50 Jahre am Spielplan stehen, denn sie erfüllt ihren Zweck. Irritierend finde ich, dass die Hexe beim Zauberspruch elektronisch verstärkt/verzerrt wurde, aber das ist sicher nicht dem schon längst verstorbenen Regisseur anzulasten.

    Der große Pluspunkt der Aufführung war das Volksopernorchester unter der Leitung Christof Prick, das heute deutlich besser als üblich klang. Anita Götz hat mir als Gretel sehr gut gefallen, für diese Rolle an diesem Haus passt ihr heller Sopran. Elvira Soukop war allerdings kein guter Hänsel, denn ihre Stimme klingt in jeder Lage anders bzw. hört sich permanent irgendwie verkrampft an (soweit ich es mit bloßem Auge erspähen konnte, sperrte sie auch beim Singen den Mund fast dauernd auf). Elisabeth Flechl war eine sehr gute Mutter, während Morten Frank Larsen auch in der recht kurzen Rolle des Besenbinders zeigte, dass die Stimme schon fast komplett ruiniert ist (wie immer ging es genau zehn Minuten lang gut, dann hatte er große Stimmprobleme, vor allem am Schluss). Ulrike Steinsky ist als Knusperhexe genau richtig eingesetzt, auch wenn ihre Stimme von Jahr zu Jahr weniger wird. Für mich am spannendsten waren die Sängerinnen zweier Nebenrollen, weil ich diese noch nicht gehört hatte: Ghazal Kazemi (Sandmännchen) war ausgezeichnet und ist ein Gewinn fürs Ensemble, was ich von Lauren Urquhart (Taumännchen) nicht sagen kann: Laut Homepage ist sie „mit 22 Jahren eine der jüngsten Sängerinnen, die je fix ins Ensemble der Volksoper Wien aufgenommen wurden“, und die Stimme klingt in der Höhe noch unausgebildet. Soweit ich es von heute beurteilen kann, wäre es für sie sehr ratsam, die Technik zu verbessern und dann mit 25 wiederzukommen.

    Insgesamt hat mir‘s im großen und ganzen gefallen. Trotzdem ärgerlich, dass von Humperdinck so gut wie nur Hänsel und Gretel aufgeführt wird und man die (viel besseren) Königskinder mit der Lupe suchen muss.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Hänsel und Gretel am Christtag in der Volksoper um 17:00 – das ist natürlich eine Kindervorstellung: Ganz kleine Kindern, die noch nicht sprechen können, in die Oper mitzunehmen, ist natürlich Schwachsinn, aber allgemein war auch heute zu merken, dass sich die Erwachsenen deutlich lästiger als die Kinder zu verhalten pflegen (ich habe tatsächlich zwei ca- 25 bis 30jährige gesehen, die ein Selfie WÄHREND der Aufführung machten). Wie auch immer, wenn man sich einen Stehplatz sucht, von dem man nur einen Teil des Zuschauerraums sieht, ist auch eine Kindervorstellung trotz dem Lärmpegel erträglich (übrigens: „trotz“ steht mit Dativ und nur mit Dativ, auch wenn mir das einige nicht glauben).

    Hänsel und Gretel wird an der Volksoper (wohin das Stück auch gehört, nämlich nicht in die Staatsoper) seit 1985 in der Inszenierung von Karl Dönch (Bühnenbild und Kostüme von Toni Businger) gezeigt, und auch als Nicht-Fan traditioneller Produktionen muss ich einräumen, dass die Arbeit handwerklich sehr gut gemacht ist. Wenn man eine konservative Produktion sehen möchte, ist man mit der Dönchschen sehr gut beraten. Die Produktion kann, wenn es nach mir ginge, noch die nächsten 50 Jahre am Spielplan stehen, denn sie erfüllt ihren Zweck. Irritierend finde ich, dass die Hexe beim Zauberspruch elektronisch verstärkt/verzerrt wurde, aber das ist sicher nicht dem schon längst verstorbenen Regisseur anzulasten.

    Der große Pluspunkt der Aufführung war das Volksopernorchester unter der Leitung Christof Prick, das heute deutlich besser als üblich klang. Anita Götz hat mir als Gretel sehr gut gefallen, für diese Rolle an diesem Haus passt ihr heller Sopran. Elvira Soukop war allerdings kein guter Hänsel, denn ihre Stimme klingt in jeder Lage anders bzw. hört sich permanent irgendwie verkrampft an (soweit ich es mit bloßem Auge erspähen konnte, sperrte sie auch beim Singen den Mund fast dauernd auf). Elisabeth Flechl war eine sehr gute Mutter, während Morten Frank Larsen auch in der recht kurzen Rolle des Besenbinders zeigte, dass die Stimme schon fast komplett ruiniert ist (wie immer ging es genau zehn Minuten lang gut, dann hatte er große Stimmprobleme, vor allem am Schluss). Ulrike Steinsky ist als Knusperhexe genau richtig eingesetzt, auch wenn ihre Stimme von Jahr zu Jahr weniger wird. Für mich am spannendsten waren die Sängerinnen zweier Nebenrollen, weil ich diese noch nicht gehört hatte: Ghazal Kazemi (Sandmännchen) war ausgezeichnet und ist ein Gewinn fürs Ensemble, was ich von Lauren Urquhart (Taumännchen) nicht sagen kann: Laut Homepage ist sie „mit 22 Jahren eine der jüngsten Sängerinnen, die je fix ins Ensemble der Volksoper Wien aufgenommen wurden“, und die Stimme klingt in der Höhe noch unausgebildet. Soweit ich es von heute beurteilen kann, wäre es für sie sehr ratsam, die Technik zu verbessern und dann mit 25 wiederzukommen.

    Insgesamt hat mir‘s im großen und ganzen gefallen. Trotzdem ärgerlich, dass von Humperdinck so gut wie nur Hänsel und Gretel aufgeführt wird und man die (viel besseren) Königskinder mit der Lupe suchen muss.

    Ich habe "Hänsel und Gretel" in der VOP letzten Donnerstag (19.12.) mit teilweise anderer Besetzung gesehen, stimme aber Deiner Bewertung von Morten Frank Larsen voll zu. Wenn ich da an Mathias Hausmann im Gärtnerplatztheater denke, da liegen Welten dazwischen. Und ebenso stimme ich Dir zu, was Ghazak Kazemi betrifft - ich habe sie schon als Idamante und Publio gehört und denke, dass sie bei guter Beratung durchaus Karriere machen kann. Mein Hänsel war Manuela Lenonhartsberger, die für diese Rolle nahezu eine Idealbesetzung ist und für dren Stimme es an der Volksoper leider zu wenige Rollen gibt. Und eine annähernd ideale Mutter war in meiner Aufführung Melba Ramos (was ich, ich gestehe, niemals erwartet hätte).
    Und ja, jeder kommende Direktor ist gut beraten, diese Inszenierung noch viele Jahre am Spielplan zu belassen.

    Ein kleines PS und - zugegeben - abseits von "Hänsel und Gretel": damit zu einem früheren Posting keine falsche Interpretation aufkommt - ich habe in meinem Leben nicht 250 Opernaufführungen besucht (ich habe nie nachgezählt, wie viele es waren), sondern gut 250 verschiedene Opern ( = Werke) gesehen.

  • Lieber Brunello! Danke für Deine Antwort!
    Was Michaela Leonhartsberger betrifft, sind wir ganz einer Meinung. Ich halte sie für eine ausgezeichnete Sängerin, die es nur leider verständlicherweise nicht lange am Haus halten wird, wie ich prophezeie...
    Ramos als Mutter hätte mich tatsächlich interessiert, Stimme hat sie ja. Und der Larsen ist mittlerweile nur mehr traurig, obwohl ich ihn früher gerne gehört habe. (mein Ideal-Besenbinder ist wenig überraschend Franz Grundheber, aber Hausmann kann ich mir in dieser Rolle auch sehr gut vorstellen!)
    Dein PS habe ich damals übrigens genauso verstanden, wie Du es gemeint hast. Über 250 Opernbesuche habe ich schon laaange hinter mir, und Du sicherlich auch.

    [...] Das vollständige Posting kann man an entsprechender Stelle im "Blauen Salon" nachlesen.
    Lionel - Für die Moderation -


    P.S: Vielen herzlichen Dank an Lionel für das Verschieben der 30 Beiträge, in denen über meinen obrigen Satz, die Präposotion "trotz" dürfe nur mit dem Dativ verbunden werden, diskutiert wurde! Ich sehe es nicht als selbstverständlich an, dass die Moderatoren ihre Freizeit opfern, um (auch am Feiertag mitten in der Nacht!) hier Beiträge zu verschieben. Dafür möchte ich herzlich bedanken!

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Hallo zusammen,

    nachdem vermutlich mit keinen weiteren Besuchern aus dem Forum zu rechnen ist, verorte ich das mal hier: ich hatte das große Vergnügen, am Montag im Nationaltheater München einer Aufführung einer 2019 uraufgeführten Oper zu lauschen:

    Hans Abrahamsen, The Snow Queen mit Barbara Hannigan in der Hauptrolle der Gerda und dem Bassisten Peter Rose in der Titelrolle. Da ich vermutlich nicht der Einzige bin, der vorher noch nicht Musik von Hans Abrahamsen live begegnet ist: seine Musik (in dieser Oper) zeichnet sich durch überlagernde Klangflächen, repetitive Momente, längere Passagen von stillstehenden Klängen und erstaunlich harmonische Gesangspassagen aus. Seine Oper auf der Basis des Kunstmärchens von Hans-Christian Andersen wurde durch die Regie von Andreas Kriegenburg als Geschichte eines Depressiven (=Kay), der von seiner Partnerin Gerda nach einer Reise durch verschiedene Passagen des Wahns, nicht so positiv interpretiert, obwohl die Musik (und die verwendeten Beleuchtungsfarben und Kleider der Darsteller) in der letzten Szene warme Klangfarben aufweist: am Schluss sind beide in der 'Irrenanstalt' 'zu Gast'.

    Grundsätzlich hatte ich den Eindruck, dass die Aufführung die Mehrheit des Publikums erreicht hat, nur ganz wenige Plätze blieben nach der Pause unbesetzt: das ist ja für ein modernes Stück Musiktheater ja schon eine ganze Menge. Das hat sicher damit zu tun, dass die Musik dieses 'Märchens für Erwachsene' deutlich weniger konfliktbeladen ist als bei anderen modernen Kompositionen. Gut getroffen ist auf jeden Fall die unterkühlte Atmosphäre der Welt der Schneekönigin, gemäß der Inszenierung der Chefarzt des 'Irrenhauses'. Ich hatte mir, wieder einmal, vorgenommen, mich ganz auf den Eindruck des Live-Erlebnisses einzulassen und mich bewusst vorher nicht in das Stück 'eingehört'. Ich kann also keinerlei Vergleiche zu anderen Aufführungen ziehen (z.B. der Uraufführung vor wenigen Wochen in Kopenhagen ...).

    Die Musik der männlichen Hauptrolle Kay ist für Mezzosopran geschrieben, die Inszenierung hat das so gelöst, dass die Figur anfangs gedoppelt auftrat: männlicher Schauspieler und Sängerin Rachael Wilson waren anfänglich gleich gekleidet. Wilson wie alle anderen Ensemblemitglieder und die wenigen Gäste (Hannigan, Rose und der Counter Owen Willetts) waren außerordentlich überzeugend in ihrem Singen und Agieren, sie waren allesamt sehr überzeugt von ihrem Tun. Ebenso überzeugend war in meiner Wahrnehmung Cornelius Meister, der das etwas lustlos agierende Bayrische Staatsorchester sehr souverän durch die ungewohnte Musik geleitet hat. Es ist absolut faszinierend zu sehen, wie sich die Begeisterung der Sänger auf das Publikum übertragen hat, für eine Montagabend-Aufführung mit ganz Neuer Musik gab es sehr anhaltenden Applaus.

    Wer sich selbst einen eigenen Eindruck machen möchte: am Samstag und Montag und am 31. Juli noch einmal live an gleicher Stelle, oder hier der livestream von der Aufführung am 28.12.

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Da ich vermutlich nicht der Einzige bin, der vorher noch nicht Musik von Hans Abrahamsen live begegnet ist:

    Nicht nur, dass ich seiner Musik noch nicht live begegnet bin, ich wusste nicht einmal von der Existenz dieses Komponisten... Danke für die interessante Schilderung! Wenn ich Zeit habe, werde ich in den Stream hineinhören, danke für den Link! (er ist bis zum 29. Jänner verfügbar)

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • < < = =und ich wußte bis zum 26.04.d.v.J nixxx von dessen Existenz; an diesem Abend übertrug D.Radio aus Kopenhagen ein allein seiner Musik gewidmetes Konzert!

    Sein 20min. Klavierkonzert "Left, Alone" ziert seitdem meine digitale Festplatte - voila https://www.youtube.com/watch?v=QzPsvyTARMg

    >>von (der Solistin) Tamara Stevanovich bin ich eh' ein Fan von, seitdem sie - mit mir im Publikum - mal Pierre Boulez' 2.Klaviersonate derart atemberaubend hingelegt hat, dass mir selbst der Komponist in der anschliessenden Pause leicht irritiert schien...<<

    - - - leicht OT hier, aber die Chefetage wird's mir nachsehen... ;) - - -

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • Janáček - Věc Makropulos. Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, besuchte Aufführung am 04.01.2020

    Janáček - Věc Makropulos. Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, 04.01.2020

    Dieter Richter hat mal wieder eine umwerfende Bühne gebaut! Im ersten Akt (Anwaltskanzlei) ein schon fast kafkaeskes Registraturmonster auf zwei Ebenen, per Verschiebeleiter kann Vítek auch nach oben, zwei Türen, eine oben, eine unten lassen ab und zu einen Blick in die dahinterliegenden Räume zu - noch mehr der immergleichen Registraturkästen! Für den zweiten Akt wird das ganze herumgedreht, und man befindet sich nun im Theater, hinter der Bühne des ersten Aktes. Die Marty verwandelt sich konsequenterweise in die Sängerin Petra Schmidt, jetzt keine aufgetakelte Diva mehr, sondern eine ganz durchschnittliche Frau - dass die Männer ihr reihenweise verfallen, muss wohl einen anderen Grund haben (Kostüme: Nicola Reichert). Das seitlich von beiden Seiten hereingeschobene Hotelzimmer der 20er Jahre ist im Vergleich dazu unspektakulär, aber sehr detailgenau getroffen; die Leuchtreklame im Fensterausblick offenbart, dass wir uns in einem höheren Stockwerk befinden.

    Dietrich Hilsdorf (wenn er keinen Doppelgänger hat, saß er übrigens drei Reihen vor mir) erzählt die krimiartig verwickelte Geschichte sehr genau und überlässt die ständig steigende Spannungskurve der Musik Janáčeks; will sagen: es war eine sehr musikalische Regieführung. Ein paar Hilsdorf-typische Überdrehtheiten erinnern vor allem im ersten Akt daran, dass das zugrundeliegende Schauspiel von Karel Čapek eine Komödie ist; und es läuft auch wieder eine alte Frau, die mit dem Stück eigentlich nichts zu tun hat, einmal quer über die Bühne (das, was die Marty/MacGregor/Montez/Makropulos nicht werden wird/will/soll)?).

    Über die sängerischen Leistungen kann man sich nicht wirklich beschweren, am wenigsten über Petra Schmidt in der Hauptrolle, der vielleicht ein wenig ein Belcanto-Element fehlt, dass sie als die überwältigende Sängerin der Rolle ausweist (was Janáček aber auch nicht wirklich komponiert hat), die aber zu keinem Zeitpunkt vor den nicht geringen Anforderungen der Partie einknickt und überdies großartig spielt. Mit viel Stamina Martin Homrich als Albert Gregor (Schöngesang ist bei dieser Partie auch wenig gefragt, aber der hohen Tessitura muss sich ein Sänger erstmal stellen). Sehr unterkühlt singend und spielend Urban Malmberg als Jaroslav Prus, um so grotesker sein Lotterbett-Auftritt in Sockenhaltern. Auch die anderen nicht zu beanstanden: Joachim G. Maaß (Kolenaty), Timothy Oliver (Vítek), Lina Hoffmann (Krista), Khanyso Gwenxane (Janek Prus) und das schon 83jährige MiR-Urgestein Mario Brell als Hauk-Šendorf. (Auch die Nebenrollen singen prima!)

    Leider müssen alle fast durchgängig forte singen, womit ich beim einzigen Schwachpunkt der Aufführung wäre. Zwar spielt die Neue Philharmonie Westfalen unter Rasmus Baumann tadellos, detailliert und genau, aber leider gelingt es dem Dirigenten nicht, in die ständig dramatisch nach vorne drängende Musik Janáčeks mal ein paar Ruhepunkte zu setzen und verlangt Orchester wie Solisten ein anstrengendes Dauerforte ab.

    Große Begeisterung im mäßig besetzten Haus. Für einen meiner Begleiter war es die erste Begegnung mit Janáček - der war hin und weg!

    Läuft noch bis Anfang Februar. Ich würde sagen: unbedingte Empfehlung! Was meint der andere anwesende Capriccioso?

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Ich würde sagen: unbedingte Empfehlung! Was meint der andere anwesende Capriccioso?

    Der stimmt aus vollem Herzen zu. :) Du hast die Stärken und auch die wenigen Schwächen der Aufführung so treffend beschrieben, dass ich kaum noch etwas hinzuzufügen habe. Die sängerischen Leistungen fand ich für ein kleineres Haus wie das MIR wirklich beeindruckend, das Bühnenbild war grandios, und auch die Inszenierung war im großen und ganzen sehr gelungen. Als störend empfunden habe ich lediglich die schon angesprochenen Überdrehtheiten an der einen oder anderen Stelle. So ist zwar klar, dass Emilia Marty in diesem Stück eine starke sexuelle Anziehungskraft auf die Männer ausübt, aber ihre Wirkung auf Albert Gregor, der sie hier mehrere Male mit seiner Körperfülle massiv bedrängte und kurz davor stand, sie zu vergewaltigen, fand ich dann doch etwas übertrieben dargestellt. Zumal Petra Schmidt nun auch nicht unbedingt eine aufreizende Erotik ausstrahlte. Aber das sind nur kleinere Kritikpunkte an einer insgesamt sehr gelungenen Aufführung. Umso bedauerlicher, dass das Haus an einem Samstag Abend nur so spärlich gefüllt war. Vielleicht lesen hier ja ein paar Opernfreunde aus der Region mit und lassen sich noch zu einem Besuch der verbliebenden Aufführungen verlocken (weitere Termine am 12.1., 24.1. und 9.2) - es lohnt sich!

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Für einen meiner Begleiter war es die erste Begegnung mit Janáček - der war hin und weg!

    Sag ich ja, Janáček ist VIEL zu unterrepräsentiert in der Oper UND im Konzertsaal, und insbesondere die Sache Makropulos ist doch ein wirklich faszenierendes Werk!
    Freut mich sehr, dass es sich der Besuch Euch und für andere ausgezahlt hat! :thumbup:

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Giordano - Andrea Chenier. Deutsche Oper Berlin, besuchte Vorstellung am 11.01.20

    Die 25 Jahre alte Inszenierung von John Dew kann man sich durchaus noch angucken: das Bühnenbild (Peter Sykora) besteht im wesentlichen aus einer großen Holzplatte, die von unten bewegt werden kann. Unter ihr wuseln die Vertreter des "vierten Standes" umher, von ihr rutschen am Ende des ersten Aktes die des ancien régime (von José Manuel Vázquez in eine wahre Kostümorgie gekleidet) herunter, im zweiten Akt zeigt sie Auflösungserscheinungen und kippt im dritten, wenn die Revolution ihre Kinder frißt, schließlich auf die andere Seite. Eine etwas gründlichere Wiedereinstudierung wäre aber wünschenswert gewesen, die Personenregie blieb recht steif, vor allem, soweit es die drei Hauptdarsteller betraf.

    Aber das Publikum kam an diesem Abend offenbar weniger, um die drei zu sehen, als um sie zu hören! Roman Burdenko als Gérard konnte noch am ehesten auch darstellerisch punkten und machte die im Libretto doch recht krude angelegte Wandlung vom Saulus zum Paulus plausibel; das gilt vor allem auch für die gesangliche Darstellung. Auch sängerisch bot er eine Prachtvorstellung! Anja Harteros' Darstellung kam über ein paar standardisierte Operngesten kaum hinaus. Sängerisch klang sie im ersten Akt gepresst, ein wenig wie durch ein Tuch singend; das waren offenbar Anlaufprobleme und ab dem zweiten Akt vollständig verschwunden - ebenfalls eine Prachtvorstellung, La mamma morta vielleicht der Höhepunkt der Aufführung! Eine darstellerisch intensivere Leistung bot Martin Muehle in der Titelrolle, auch er mit einer sängerischen Glanzleistung (wenn man mal von ein paar zu hoch angesetzten acuti absieht - die Rolle hat arg viele Spitzentöne); für mich die dritte Live-Begegnung mit dem Sänger: zu hören ist erneut ein völlig frei aussingender Tenor ohne jegliches Forcieren, eine sehr erfreuliche Stimme! Im veristischen Repertoire ist er als typischer italienischer Spinto deutlich besser aufgehoben als z.B. mit dem Don José (Carmen), mit dem ich ihn zuletzt in Köln gehört hatte (s.o.). Besonders Un di all'azzuro spazio gelingt ihm herausragend, da er nicht einfach eine Bravournummer abliefert, sondern die inhaltliche Klage (und die Provokation!) deutlich macht. Dagegen fielen Come un bel di di maggio wie auch das Duett Vicino a te s'acqueta ein wenig ab (im Duett gilt das auch für Harteros), vielleicht nicht zuletzt, weil Roberto Rizzi Brignoli mit dem Orchester der Deutschen Oper einen durchgehenden, unangenehmen Dauerlärm veranstaltete und den Sängern alle Reserven abverlangte. Von einer einfühlsamen Sängerbegleitung konnte auch kaum die Rede sein (eher von Taktschlägerei). Alle Nebenrollen gut besetzt, besonders aufhorchen ließen Padraic Rowan als Roucher und Ronnita Miller als Madelon.

    Das Publikum des Abends freute sich lautstark an seinen Stars - die Applauspausen nach den Highlights waren offenbar einkalkuliert; allerdings ist das ja nun keine Nummernoper, sondern durchkomponiert. Na ja...

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

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