Marlene Dietrich - der preußische Felsen
Bedingt durch einen Stromausfall in meinem neuen Domizil hatte ich heute ganz viel Zeit mich 'archaischeren' Dingen zu widmen und hing also die letzten Bilder auf, die noch übriggeblieben waren. Darunter war dann auch ein Autogrammfoto der Dietrich aus dem Film 'Seven Sinners' von Tay Garnett von 1940.
Die Dietrich umrahmt von mehreren amerikanischen Soldaten der Navy in weißer Ausgehuniform, angeführt vom schmucken John Wayne. Sie selbst dabei, ebenfalls weiß gekleidet, nimmt die Huldigung leicht ironisch, ohne Augenkontakt, entgegen.
Irgendwie dachte ich heute beim Betrachten dieses Bildes, dass das genau die Dietrich ist. Im Mittelpunkt stehend, immer leicht ironisch die eigene Rolle betrachtend, Aufmerksamkeit genießend, stets eine Grenze ziehend, von einem Geheimnis umgeben, dieses Geheimnis, diese Distanz aufrechterhaltend und trotzdem möglichste Nähe vermittelnd.
Und gleichzeitig ist das natürlich nur das Bild, ein Bild, das sie als Schauspielerin, als Ikone von sich selber produziert hat und dann immer wieder auch durchbrochen hat. Die Dietrich - ein immerwährendes Rätsel?
Maria Magdalene Dietrich 1901 in Berlin geboren, 1992 in Paris gestorben. Dazwischen ein Leben voller Disziplin, Arbeit, Hingabe, Kontrolle, aber auch der Hemmungslosigkeit. Hemmungslos im Gebrauch von Männern und Frauen, im Lebensentwurf, im Anspruch, im Kampf gegen das Vergessen oder anders ausgedrückt im Kampf für die eigene Legende.
Die Stationen sind bekannt. Fußfassen wollen in Berlin der Zwanziger mit Theater und einige Stummfilme. Entdeckung durch Sternberg und 'Blauer Engel'. Am Premierenabend schon Aufbruch nach Hollywood. Dann Sternberg und immer wieder Sternberg bis der Reiz für's Publikum verblasst. Einige andere Filme, dann Kassengift. Grandioses Comeback mit 'Destry Rides Again' (1939) einer Westernkomödie mit einer völlig neuen Dietrich. Weitere Filme, meistens filmhistorisch relativ unbedeutend bis zum Kriegseintritt der USA. Teilnahme am II. WK und als Truppenbetreuerin immer wieder vorne an der Front. (Wenn schon, denn schon. Die Dietrich im 2. Glied - undenkbar.) In den 50igern weitere Filme, interessantere Rollen, auch schauspielerisch sich entwickelnd. Dann erste Auftritte als Chansonsängerin in London und v.a. auch Las Vegas. Kampf gegen das Alter. 60iger Jahre immer weniger Filme, aber dafür intensivere, bessere Angebote und die Rolle als Sängerin immer stärker ausbauend. Rückkehr nach Deutschland - heftig umstritten seitens des Publikums und der Medien. 70iger Jahre dann letzte Filmrolle, Sturz von der Bühne, Rückzug ins Private, Matratzengruft in Paris. Kontakt haltend mit der Welt via Telefon (und sie sprach quasi mit jedem, der sie anrief), ansonsten völliger Rückzug, völliges öffentliches Verschwinden. Und der Tod 1992.
Dazwischen natürlich Fotos, Fotos, Fotos neben all den Filmen, den öffentlichen Auftritten. Immer und immer und immer das Arbeiten an der Legende, nie sich gehenlassen in der Öffentlichkeit, immer Haltung bewahren, immer ewige Schönheit darstellend im Kampf gegen die Natur. Und als das nicht mehr ging, radikaler und konsequenter Rückzug. Ein Leben für das Image, für das Bild, für den Versuch Ewigkeit zu erlangen.
Die Dietrich ist zweifelsohne der größte Weltstar, den Deutschland je hervorbrachte. Sie hat eine ganze Reihe unnachahmlicher Filme produziert, hat die Filmgeschichte mitgeprägt, ist ein Teil, ein Mythos unseres (?) kulturellen Gedächtnisses geworden. Das klassische Hollywood, das so wirkungsmächtig in den meisten von uns ist, woraus besteht es, welche Ikonen beherrschen es? Monroe, James Dean, Bogart, Mickey Mouse, Garbo und eben Dietrich.
Aber gilt das eigentlich immer noch? Für die Monroe ohne Frage. Auch Mickey Mouse und damit Disney bleiben weiterhin ein gigantischer Teil im Bewusstsein auch jüngerer Generationen. Aber Dietrich? War all die Arbeit an der und für die eigene Legende nicht umsonst? Ich habe das Gefühl, dass sie heute bei Jüngeren immer mehr verblasst bzw. gar nicht mehr bekannt ist. Und wenn dem so ist, welch eine Tragik. Ein so langes Leben immer und immer wieder danach ausgerichtet, Ewigkeitsstatus zu erlangen und dann geht die 'Geschichte' so schnell und so gnadenlos über sie hinweg. Was hätte sie leben können, wenn sie sich nicht diesem einzigen Ziel im Leben unterworfen hätte?
Aber unabhängig davon bleiben eine ganze Reihe toller Filme, bleiben Fotos einer Frau von unglaublicher Schönheit, bleibt vielleicht auch eine Vision. Und es bleiben Chansons, die auch heute noch berühren. Und es bleibt die Faszination eines Traums, einer Idee, einer Göttin, die herabgestiegen ist um die Menschen zu berühren, zu beglücken. Und wenn nichts anderes bleibt, so hat sie damit genau ihre Aufgabe erfüllt. Denn damit ist sie ganz Hollywood, ganz eins mit dieser Vision, die wir Hollywood nennen. Der Stern, der Gestalt annimmt und den Menschen entführt. Wohin auch immer. Die Dietrich ist klassisches Hollywood und hat damit ikonographisch fast ein Jahrhundert mit geprägt.
Wolfram