Willem (Joseph Wilhelm) Mengelberg - der Vergessene?
Wilhelm Mengelberg * 28.03.1871 Utrecht, + 22.03.1949 in Zuort, Schweiz
Mengelbergs Eltern waren gebürtige Deutsche, wenige Jahre vor seiner Geburt in die Niederlande gezogen. Zunächst studierte Mengelberg in Köln, übernahm dann die GMD-Position in Luzern 1892 und wurde bereits 1895 Leiter des Concertgebouw im Amsterdam, eine Position, die er bis 1945 innehatte. Dazwischen war er auch über viele Jahre Leiter in Frankfurt und Musikdirektor des New York Philharmonic Orchestra, dort allerdings als Konkurrent von Toscanini, der diese Position ihm gegenüber behaupten konnte.
Ab 1940, die Niederlande waren von Nazi-Deutschland besetzt, verbandelte sich Mengelberg immer wieder und immer stärker mit den Nazis, so dass er nach 1945 mit einem Auftrittsverbot in den Niederlanden belegt, seine ihm verliehenen Ehrungen und seine Pension eingezogen wurden.
Mengelberg hat eine relativ reichhaltige Diskographie hinterlassen. Namentlich möchte ich hier seinen Beethovenzyklus mit dem Concertgebouw erwähnen, aber auch seine Matthäus-Passion und v.a. seine 4. Sinfonie von Gustav Mahler.
Mengelberg kannte Mahler noch persönlich, studierte mit ihm die Partituren und trug dessen Angaben Takt für Takt in seine Ausgabe ein. Von daher ist seine Interpretation der 4. Sinfonie (das einzig erhaltene Mahler-Dirigat neben dem Adagietto aus der 5. und den Liedern eines fahrenden Gesellen) von ganz besonderem Interesse.
Ich habe Mengelberg immer als jemand erfahren, der sehr subjektiv mit dem Notentext umging, jedenfalls für unsere heutigen Verhältnisse, als jemand, der oftmals recht klassisch romantisch dirigierte, der aber immer wieder zu ganz persönlichen, überraschenden Ergebnisse kam. Das Leidenschaftlich-Berstende eines Toscanini finde ich bei ihm nicht, eher eine Verwandtschaft zu dem 'Fluss', den Furtwängler anstrebte. Trotzdem hat er immer eine ganz eigene Note, gerade auch in der Tempogestaltung, in der Betonung, in einer Art 'Fiebrigkeit'. Ich kann das nicht anders und besser erklären, aber bei Mengelberg spüre ich eben immer auch eine gewisse Aufgeregtheit, Nervosität.
Das gerade schätze ich an ihm und dass er, so empfinde ich ihn jedenfalls, so exzentrisch, so anders in seinen Lösungen war. Und trotzdem stimmt es. In diesem Moment und für dieses Werk.
Vergessen? Ich weiß es nicht, habe aber das Gefühl, gerade seine Haltung im Nationalsozialismus hat ihm viel von seiner Reputation gekostet. Vielleicht wurde er auch zwischen den Polen Toscanini und Furtwängler 'aufgerieben' und damit vergessen. Möglicherweise ist er das aber auch gar nicht. Aber wer denkt heute noch zunächst an Mengelberg? Dabei ist er es durchaus Wert.
Wolfram