Symphonien - was sind sie, was müssen sie bieten und weshalb lieben wir sie so?

  • Symphonien - was sind sie, was müssen sie bieten und weshalb lieben wir sie so?

    Sozusagen begleitend zum jetzigen Rankingthread hielte ich eine Diskussion für interessant, was wir genau unter einer Symphonie verstehen und warum sie im Musikleben so eine große Rolle spielt? Symphonien - ursprünglich natürlich Sinfonia, also Orchesterstück im weiteren Sinne - nehmen den Löwenanteil des Orchesterrepertoires ein und sind - jedenfalls aus heutiger Sicht - sozusagen die Krone der Instrumentalmusik. Ich denke, dass das aud Beethoven zurückgeht, während noch zu Haydns Zeiten, die Symphonie keineswegs diese Rolle hatte. Sie galt wohl schon als etwas Festliches (daher in Paris und London so beliebt), aber keinesfalls als Maß aller Dinge. CPE Bach, ein sehr produktiver und bedeutender Komponist, schrieb auch nur verhältnismäßig wenige Syphonien. Mit Beethoven bekam die Symphonie eine außermusikalische Dimension (allerspätestens ab der 9.), die richtungsgebend für spätere Generationen werden sollte. Demenstprechend stellt sich mir die Frage: kann man die Symphonie Haydns mit der Mahlers wirklich auf eine Stufe stellen oder handelt es sich um zwei unterschiedliche Genres?

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Hier ein paar Beiträge zum Thema aus oben zitiertem Thread:


    was ich total schwierig finde, ist, zu bestimmen, wo (bzw wann) eigentlich der Übergang stattgefunden hat: beim späten Mozart (und Haydn?) finden sich schon "monumentale" Züge, aber ich kann auch Beethovens 8. noch als Erinnerung an die unterhaltende Tradition hören...
    Mozarts emotionale Aufladung spielt sicher eine Rolle, und dann natürlich das Beispiel von Beethoven 3., 5. und 9., die das "Grenzensprengen" und die "Botschaft an die Menschheit" (zumindest wurde eine solche vernommen) quasi zum Standard für bestimmte Charaktere von Komponisten werden ließen.. von daher stimme ich FM zu, wenn er zwischen Haydn und Mahler von verschiedenen Genres schreibt - oder ich bleibe dabei, daß zum Begriff der Symphonie eben Beides gehört, auch wenn die frühere, eher unterhaltsame Variante im späten 19.Jh. nicht so gepflegt wurde: dafür kam sie ja im Neoklassizismus wieder zum Zug.

    Hmm, ja, das hat schon was. Ich schrieb ja auch von der "weltanschaulichen Aufladung" der Symphonie. Allerdings haben mMn die Dimensionen den größeren Anteil (Haydns Sturm und Drang Symphonien sind ja durchaus ernste Werke, die Nr. 44 hat z.B. den Populärnamen "Trauer"). Aus diesem Grund wird es als seltsam angesehen, so viele Haydnsymphonien hier zu nennen, wie ich es getan habe. Diese Werke werden - um Wagner zu paraphrasieren - als Symphonienembryos wahrgenommen.

    Spielt sicher eine Rolle. Andererseits tut die Konzentration (und damit Kürze) im 1.Satz von Beethovens 5. dem Eindruck von "Größe" keinen Abbruch. Wenn ich darüber sinne, wieso mir immer die 34 von Mozart einfällt - die ich für schwer unterschätzt halte -, komme ich auf die Idee, daß die "weltanschauliche Aufladung" die Erbin dessen sein könnte, was man früher den "repräsentativen Stil" nannte - die großen Gesten, die einst dem Fürsten zukamen, brauchten im bürgerlichen Zeitalter neuen Inhalt...

    Brägen schmeisst sich mal ins Zeug für lange Sinfonie-Chosen (von mir aus ooch ellen-lange Versequälerei wie 4 Quartets T.S. Eliots oder Spät-Gedichte Erich Arendts). Menno. Lange Sinfonie-Chose stänkert doch damit gewissermaßen gegen "Geiz=geil"-Attitüde, gegen fiese Ego-Inkrustierung, -Fixierung und - Knausrigkeit an. Sinfonie-Chose a la Mahler, Spät-Bruckner verströmt sich großzügig, mäandernd ... gilt auch für geile Quartette mit vergleichweise langer Spieldauer: Nono, Ferneyhough, Juan-Manuel Chavez, Furrer, Beethoven, Schubert, Pomarico, Philippe Schoeller, Feldman..... zeit-fetzige Luxusschlagseite könnte u.U. sogar etwas von erforderlicher Distanz ausgleichen, die sich quasi mehr oder weniger hermetisch a la Leopard 2 aufpanzerte, zurüstete...

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Sie galt wohl schon als etwas Festliches (daher in Paris und London so beliebt), aber keinesfalls als Maß aller Dinge. CPE Bach, ein sehr produktiver und bedeutender Komponist, schrieb auch nur verhältnismäßig wenige Syphonien.

    Brahms schrieb auch nur wenige Symphonien, dagegen hat Sammartini viel mehr produziert - die Anzahl pro Komponist hat im 19. Jahrhundert wohl nicht zugenommen.

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    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Unterschied: Brahms schrieb wenige Symphonien, weil jede eine absolut singuläre Meisterleistung darstellen musste. CPE Bach schrieb wenige, weil er die Gattung für nicht wichtiger hielt als vieles andere, das ihn offensichtlich mehr beschäftigte.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Mit Beethoven bekam die Symphonie eine außermusikalische Dimension (allerspätestens ab der 9.), die richtungsgebend für spätere Generationen werden sollte. Demenstprechend stellt sich mir die Frage: kann man die Symphonie Haydns mit der Mahlers wirklich auf eine Stufe stellen oder handelt es sich um zwei unterschiedliche Genres?

    Außermusikalische Dimensionen im Sinne von Programm gab es schon im 18. Jahrhundert bei Dittersdorf u.a.
    Mahler steht noch klar innerhalb der Linie Wagenseil - Haydn - Beethoven - Bruckner.
    Interessanter, ob die Bezeichnung Sinfonie noch so viel sagt, ist eher die Zeit des späten 20. Jahrhunderts. Und etwa bei Schnebels Sinfonie X sind die Bezüge zur Tradition bei aller Brechung so groß, dass ich ihn auch getrost an diese Linie anhängen würde.

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  • Außermusikalische Dimensionen im Sinne von Programm gabe es schon im 18. Jahrhundert bei Dittersdorf u.a.

    Ja, aber als pittoreske Unterhaltung. Schon Beethovens Pastorale soll ja keine Naturdarstellung sein, sondern das wiedergeben, was der Mensch in der Natur fühlt. Die 9. transportiert bereits philosophisches Gedankengut.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Ja, aber als pittoreske Unterhaltung. Schon Beethovens Pastorale soll ja keine Naturdarstellung sein, sondern das wiedergeben, was der Mensch in der Natur fühlt. Die 9. transportiert bereits philosophisches Gedankengut.

    Ich sage ja nicht, dass alles dasselbe sei. Aber eine Sinfonie von Gade ist jetzt auch nicht die große metaphysische Anstrengung sondern "Unterhaltung". Und Honegger pendelt in seinen Sinfonien auch zwischen diesen Polen.

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  • Ok, was ist diese Linie dann eigentlich, außer das die Werke gleich heißen?

    Erstens befindet sich jeder in der Nachfolge des anderen.
    Zweitens folgen die Werke strukturell demselben Muster:
    Auf der Dur-Moll-Tonalität aufbauende mit Kontrasten und Ausgleich arbeitende Dramaturgie in der Form des u.a. Sonatenhauptsatzes (bei Mahlers 6. z.B. immer noch völlig intakt, bei Wagenseil bereits ausgebildet).
    Drittens ist die Besetzung zwar ausgebaut, aber weder auf den Kopf gestellt noch negiert.
    Die größeren Brüche wären nach Mahler, dennoch lebt die Sinfonie ja weiter.
    Die Frage, ob nur noch der Titel gleich ist, stellt sich erst in der Generation nach Henze, oder?

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  • Da das Werk zumeist vom Komponisten als Sinfonie definiert wird, würde ich vielleicht die Frage stellen, ob ein Komponist mit dieser Bezeichnung schon einen Schlüpssel zum Verständnis und zur Interpretation liefern will? ... sei es der orchestrale Zusammenklang, die Struktur oder was auch immer ...
    Außermusikalische Dimensionen, nun ja, die gibt es bei sehr vielen verschiedenen Werkgattungen, oder nicht?

  • Ich sage ja nicht, dass alles dasselbe sei. Aber eine Sinfonie von Gade ist jetzt auch nicht die große metaphysische Anstrengung sondern "Unterhaltung".

    Hmm, da wäre aber genau zu klären, wa denn Unterhaltung sein soll (in Wahrheit "unterhalten sich die Leute ja auch bei Mozarts Requiem oder Mahlers 9. - aber das nur am Rande). Gade wäre mit einem reinen "Unterhaltungskonzept" bei Schumann oder Mendelssohn nicht durchgekommen. Da musste ein "seelischer" Mehrwert im romantischen Sinne gegeben sein. Ich glaub, dem dem Dittersdorf war das wurscht.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Felix Meritis will halt darauf hinaus, dass Haydn und Mahler so extrem unterschiedlich sind in ihren Sinfonien. Aus dem Blickwinkel von Palestrina oder von Schnebel sind sie aber sehr ähnlich.

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  • Zur Threadtitelfrage:

    Symphonien - was sind sie, was müssen sie bieten und weshalb lieben wir sie so?
    Es sind Orchesterwerke normalerweise ohne dominierende Gesangsstimmen, daher bieten sie idR mehr verschiedene Farben als Kammermusik und man muss sich um keinen Text Sorgen machen bzw. wird nicht durch die Emotionalität schreiender Sänger genervt, deshalb lieben wir sie so.

    :thumbup:

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  • Erstens befindet sich jeder in der Nachfolge des anderen.
    Zweitens folgen die Werke strukturell demselben Muster:
    Auf der Dur-Moll-Tonalität aufbauende mit Kontrasten und Ausgleich arbeitende Dramaturgie in der Form des u.a. Sonatenhauptsatzes (bei Mahlers 6. z.B. immer noch völlig intakt, bei Wagenseil bereits ausgebildet).

    Das gilt ja wohl für die gesamte Kunstmusik in Mitteleuropa des 18. Jahrhunderts und ist nicht spezifisch für die Symphonie. "Symphonie" kann man natürlich als mehrsätziges Orchesterstück definieren, und tut es auch, aber damit beschreibt man eben nicht die Faszination, die die (spät)romantische Symphonie auf so viele Musikfreunde ausübt. Weder in der Klaviermusik noch in der Kammermusik gibt es einen ähnlichen Unterschied in der Popularität zwischen früheren und späteren Musikstücken, eher im Gegenteil. Die spätromantische Klavier- und Kammermusik ist im Durchschnitt weniger beliebt als die der Klassik und der der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Meine Antwort: es ist die Wucht.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Die Formen der Sinfonie und der Klaviersonaten sind natürlich quasi dieselben, der Unterschied ist dann die Besetzung. Aber "jede Kunstmusik des 18. Jahrhunderts" - dafür ist die Formenwelt der Sinfonie dann doch spezieller, ich habe ja auch explizit den Sonatenhauptsatz genannt.

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  • Die Formen der Sinfonie und der Klaviersonaten sind natürlich quasi dieselben, der Unterschied ist dann die Besetzung. Aber "jede Kunstmusik des 18. Jahrhunderts" - dafür ist die Formenwelt der Sinfonie dann doch spezieller, ich habe ja auch explizit den Sonatenhauptsatz genannt.

    Bei Haydn gibt es sowohl Symphonien als auch Streichquartette, die nicht mit einem Sonatenhauptsatz beginnen.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Bei Haydn gibt es sowohl Symphonien als auch Streichquartette, die nicht mit einem Sonatenhauptsatz beginnen.

    Ach, das ist jetzt aber total überraschend für mich.

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  • Die Frage ist, weshalb Du dann besseren Wissens anderes behauptet hast.

    Wenn Du das glaubst, dann hast Du halt nicht so ganz den Sinn erfasst.

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  • Aber "jede Kunstmusik des 18. Jahrhunderts" - dafür ist die Formenwelt der Sinfonie dann doch spezieller, ich habe ja auch explizit den Sonatenhauptsatz genannt.

    Tatsächlich habe ich diesen Satz nicht anders deuten können, als dass der Sonatenhauptsatz Deiner Meinung nach konstitutiv ist. Es ist manchmal schwer, bei aller Polemik in Deinen Beiträgen die Argumente herauszufischen. Für Hilfe Deinerseits bin ich also dankbar.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

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