Offenbach: Les Contes d’Hoffmann – La Monnaie, Brüssel, 14.12.2019
Die Aufführung liegt schon eine knappe Woche zurück, aber ich komme erst jetzt zu einem Bericht. Ich beginne mit dem Positiven, der musikalischen Seite. Ein wunderbares Dirigat von Alain Altinoglu, der das Werk als Oper ernst nahm und nicht als Quasi-Operette spielen ließ. Der amerikanische Tenor Eric Cutler meisterte die Partie des Hofmann auf beeindruckende Weise und lotete sängerisch wie darstellerisch die Extreme dieser Figur aus. Ebenso überzeugend fand ich Gábor Bretz in den Verkörperungen des Teufels, und Michèle Losier als Nicklausse / Muse wurde nach leichten Anlaufschwierigkeiten fast zum Star des Abends. Der eigentliche Star war aber natürlich Patricia Petibon, die zum ersten Mal in ihrer Karriere alle drei von Hoffmann begehrten Frauen plus Stella sang. Dramaturgisch macht es sehr viel Sinn, dass dieselbe Sängerin diese vier Rollen singt, gilt doch: „Trois femmes dans la même femme“. Die Herausforderungen sind jedoch immens. Und obwohl ich vor allem nach Brüssel gereist war, um Patricia Petibon zu hören (ich oute mich hiermit als großer Bewunderer dieser Sängerin), hinterließ sie einen zwiespältigen Eindruck bei mir. Am besten gelang ihr m.E. die Olympia, deren virtuos-artifizieller Gesang ihr, teils an der Grenze zur Parodie, ganz großartig gelang. Für die Antonia und die Giulietta fand ich hingegen ihre Stimme nicht wirklich passend. Dennoch gelangen ihr beeindruckende Rollenportraits, was sicher auch an ihrer unglaublichen Bühnenpräsenz liegt. Ohnehin stand sie im Mittelpunkt der ganzen Inszenierung.
Und damit komme ich zur Schwachpunkt dieser Produktion, und der heißt leider Krzysztof Warlikowski. Eine Rezension in einer belgischen Zeitung begann mit den Worten: „Es gibt gute Inszenierungen von Warlikowski, schlechte Inszenierungen und sehr schlechte Inszenierungen. 'Les Contes d’Hoffmann' ist irgendwo zwischen den letzteren beiden anzusiedeln.“ Dem schließe ich mich an. Im Sommer musste ich bereits seine verkopfte „Salome“ bei den Münchner Opernfestspielen ertragen, die mit unzähligen Bezügen auf literarische und filmische Werke überfrachtet war, welche sich erst nach intensiver Lektüre des Programmbuchs halbwegs erschlossen, ohne dabei neue Aufschlüsse über das Stück zu vermitteln. Hat aber dort wenigstens die von ihm der Oper aufgezwängte neue Handlung halbwegs Sinn gemacht, kann man vom Warlikowski-„Hoffmann“ nicht einmal das sagen. Die neu erdachte Rahmenhandlung beginnt damit, dass der Poet als abgewrackter, dem Suff ergebener und an einer krankhaften Mysophobie (eine Anspielung auf Howard Hughes / den Film „Aviator“?) leidender Ex-Star auf seiner privaten Leinwand Filmsequenzen mit seiner Traumfrau Stella betrachtet. Nicklausse versucht vergeblich, ihn aus seiner heruntergekommenen Wohnung herauszuholen, und die eigentliche Oper beginnt. Sowohl die Eingangsszene in der Weinstube von Lutter & Wegner als auch die drei Erzählungen finden in einer Art von Studio statt, in der die Couplets bei leuchtenden On Air-Zeichen in Mikrophone aus den 50er Jahren gesungen werden, während Hoffmann im Hintergrund die Tonbänder mitlaufen lässt und die Produktion steuert. Im Laufe der Zeit wird klar, dass hier offenbar der Filmklassiker „A Star is Born“ Pate stand: Hoffmann ist der alternde Filmstar, der seine beste Zeit hinter sich hat und die auf dem Weg zum Starruhm befindliche Stella / Olympia / Antonia / Giulietta ausnutzen will, um seine Karriere wieder in Gang zu bringen. Das ganze kulminiert in der aus dem Film entnommenen Szene, in der Hoffmann während der Oscar-Verleihung an Stella betrunken ihre Dankesrede unterbricht und die versammelte Filmwelt anfleht, ihm doch wieder eine Rolle zu geben. Diese gesprochene Szene - von Cutler grandios umgesetzt - wurde in den Epilog eingefügt, was so kurz vor Schluss nach einem ohnehin schon langen Abend nicht nur meine Geduld arg strapaziert hat. Wie üblich ist die Inszenierung voller weiterer Details und Anspielungen, es laufen Filmsequenzen auf der Leinwand (immer wieder die Petibon), teils wird auch von Kameras direkt auf der Bühne gefilmt und projiziert. Wieder einmal kommt es mir so vor, als ob das alles dem Stück aufgezwungen ist, allenfalls im Antonia-Akt machte das Konzept für mich Sinn, wo Hoffmann die kranke Antonia singen lässt und heimlich mitschneidet, um mit den Aufnahmen ihren Ruhm zu sichern und davon auch selbst zu profitieren. Insgesamt hat mich die Inszenierung aber nicht überzeugt. Szenenfotos findet man hier, und wer sich die Aufführung auf Video anschauen möchte, hat ab dem 6.4.2020 in der Mediathek von La Monnaie die Gelegenheit dazu.
Eine Kuriosität am Ende: Während des starken und lang andauernden Schlussapplauses hatte es ein älterer Herr in der ersten Reihe auf Alain Altinoglu abgesehen, bei jedem Auftritt bedachte er ihn mit laut gebrüllten "Buhs" und "Awful"-Rufen und weiteren bösen Kommentaren, was diesen sichtlich verstörte, zumal in diesem Opernhaus die erste Reihe sehr dicht am Orchestergraben platziert ist und er den Unmut dieses Herrn somit hautnah mitbekam. Ich fand dieses Verhalten peinlich und in keiner Weise zu rechtfertigen, selbst wenn das Dirigat grottenschlecht gewesen wäre.