Was wollen Dirigenten im Konzert?

  • Was wollen Dirigenten im Konzert?

    "Savall will wohl den Hörer erreichen, ihn anrühren", schrieb jemand von uns (mir geht es um die Sache, daher möchte ich das Thema entpersonalisieren) im Thread in Bezug auf Savall. Ironisch wurde dazu angemerkt, dass es sich dabei um ein Alleinstellungsmerkmal gerade dieses Dirigenten handelt. Unausgesprochen wurde diese Bemerkung von der Auffassung getragen, dass jeder Dirigent den Hörer erreichen will. Ist das so, frage ich mich. Wollen Dirigenten nicht womöglich ganz unterschiedliches?

    Am Beispiel Savall, den ich einige Male im Konzert erleben durfte: Er nahm sich nach meinem Eindruck jedes Mal als Person sehr zurück und trat im Kreis seiner Musikerkollegen mit ihnen gemeinsam auf, um die Musik möglichst schön in ihrer spezifischen Klangfarbe, gerade die Freude an besonderen Klängen ist wesentlicher Teil der Alten Musik-Szene, erklingen zu lassen und so dem Publikum darzureichen.

    Am Beispiel Bernstein: Er, den ich leider nicht live erleben durfte, aber in Videoaufnahmen oft gesehen habe, spielt die Musik in erster Linie für sich. Er durchlebt die Musik aufs Intensivste, dabei wirkt es auf mich immer, als spielt er für sich. Das Publikum darf "nur" dabei sein und sich an seinem extrovertierten Musikerleben erfreuen. Es ist der Moment des Umdrehens nach dem letzten Ton, der das veranschaulicht. Die Spannung fällt ab. Jetzt erst Kontakt mit dem Publikum, zurück ins Leben. Davor waren nur er er und die Musik.

    Am Beispiel Herreweghe: Er liebt die Musik und hat große Freude an ihr, die er mit seinen Musikern gemeinsam auch dem Publikum vermitteln möchte. Dabei schätzt er die große Breite der musikalischen Entwicklung, stellt dem Publikum immer wieder neue Werke aus der Alten Musik, teils auch aus der Neuen vor, in der Hoffnung, das Publikum nimmt sein Angebot an. Er ist dabei freundich und sympatisch, teilweise sogar schüchtern.

    Wollen diese Dirgenten Unterschiedliches? Geht es dem einen, um die Schönheit des Klanges, dem nächsten um sein eigenes Musikerleben, dem Dritten um den pädagogischen Auftrag? Wollen alle drei das Publikum erreichen? Auf dieselbe Weise?

    Was wollen Dirigenten?

  • Sehr gute Frage! Ich bin ziemlich sicher, dass etwa Mahler als Dirigent am Publikum nicht übermäßig interessiert war, oder eher im wagnerschen Sinne als dankbar zu Läuternde. Bei Currentzis könnte es ähnlich sein (weiß ich allerdings nicht). Hingegen würde ich z.B. Rattle, Norrington oder auch Savall eine andere Herangehensweise unterstellen: das Publikum wird als kritische Zuhörer, die es zu überzeugen gilt, gesehen.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Der Versuch, von dem, was die Augen von jemandes Tätigkeit sehen und was die Ohren davon hören, darauf zurückzuschließen, was dieser jemand wollte und was ihn dazu trieb, das zu tun, was die Augen sahen und die Ohren hörten, ist der Grund für viel Unfrieden in der Welt.

    Den Klassiker beschrieb Schulz von Thun unübertrefflich:
    Er, auf dem Beifahrersitz: "Es ist grün."
    Sie, auf dem Fahrersitz: "Wenn Du meinst, ich könne nicht fahren, dann mach's doch selber!"

    Will sagen: Wenn jemand davon, was er sieht und hört, darauf zurückschließt, warum der Beobachtete so handelte, wie er handelte, dann erzählt er mindestens so viel von sich selbst wie von dem Beobachteten.

    Was weiß die Katze davon, warum ihr Mensch täglich Dosen öffnet? Sie lässt sich daran genügen. Sie überlegt nur, ob ihr das dargereichte Futter genehm sei oder ob sie sich lieber ein Mäuschen fängt. Recht hat sie.

    Wissen die Dirigenten eigentlich selbst, was sie auf die Bühne treibt und was sie dazu bringt, das Risiko einer Aufführung einzugehen? Hat da jeder den Mut gehabt, in die eigenen Abgründe zu schauen und die Motivlage zu klären?

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Früher saß ich oft in Kiel auf der Chorempore und konnte den Aufführenden damit von vorne sehen.
    Es ist bemerkenswert wie stark mit Blicken gearbeitet wird, was man im Publikum natürlich nicht sieht.
    Leon Fleisher fühlte sich von Szells "Blue Eyes" geradezu aufgespiesst, nachzuhören und sehen hier:
    https://www.youtube.com/watch?v=nwEbObtRP_M.
    Celibidache, den ich beim SHMF mehrfach ebenfalls von vorne sehen konnte, verwandelte sein Gesicht in dutzende Grimassen von säuerlich bis angenehm berührt und dann dazu diese Blicke!
    Nee ihr Lieben, das Rumgehampel ist oft als Zuschauershow gedacht oder entsteht aus Selbstvergessenheit (Furtwängler ?), die eigentliche Arbeit wird mit Gesten und Blicken erledigt.
    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Noch zwingender wird das Problem von Blake Edwards in einem Clouseau-Film beschrieben:

    Er, auf dem Beifahrersitz: "Es ist grün."
    Clouseau: "Ja, ja, der Frühling."

    Ich gehe mal einfach davon aus, dass die meisten Dirigenten die Partitur lesen können, lesen und sich dazu Gedanken machen. Das Ergebnis wird dann in Proben mit dem Orchester umgesetzt. Im Konzert wird das dann nachvollzogen (mit entsprechenden Gesten und Blicken) und manchmal in der besonderen Atmosphäre mit Publikum übertroffen.

    Gruß, Frank

    Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.

  • Hm. Das Thema ist - und da muss ich Mauerblümchen zustimmen - schwierig.
    Da muss man sich natürlich mal in einen Dirigenten hineinversetzen. Er muss das Musikstück sehr gut kennen, geistig durchdrungen haben, die Partitur auf Anhieb lesen ( = innerlich hören) können. Er muss mit Schlagtechnik und Ensembleleitung vertraut sein, muss zumindest Klavier spielen können, sollte auch einigermaßen singen können. Etc etc etc. Und auf Basis dieses Wissens leitet er das Konzert, wobei die eigentliche Arbeit natürlich nicht im Konzert gemacht wird (der Auftakt ist wichtig, aber sonst könnte das Orchester teils allein spielen), sondern in der Vorbereitung (Proben).
    Unter den Dirigenten gab und gibt es viele ernsthafte Künstler und manche Blender / Selbst-Vermarkter (zB den unsäglichen Currentzis, der einfach kein Dirigent ist).

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Also wenn der Dirigent glaubt, er hätte "das Stück" verstanden wird er mit seinen Musikern proben, bis sich seine Vorstellungen mit dem Höreindruck mehr oder weniger decken. Dann wird auch der Aufführungstermin in unmittelbarer Nähe sein. Während der Aufführung werden Dirigent, Musiker, Zuhörer und Kritiker ihre Erwartungen mit dem Gehörten vergleichen und mehr oder weniger zufrieden sein. Evt. wird der Kritiker das "verstanden" in Frage stellen, dann gibt's nen Verriss in der Zeitung. Oder die Zuhörer sind mehrheitlich unzufrieden, dann wird der Applaus eher mager ausfallen + Verriss. Im schlimmsten Fall wird man verschweigen, das man dabei war und nie wieder mit dem Dirigenten zusammen arbeiten (auch schon erlebt).
    Zuhörer braucht man damit Geld in die Kasse kommt und möglicherweise irgendwer von dem Ereignis Kenntnis nimmt (sonst ists kein Ereignis).
    Ansonsten ists ganz schön, wenn man vorne steht.
    Außerdem schließt ein Grund nicht aus, das noch 20 andere Gründe auch wichtig sind.

  • Da der Dirigent Künstler ist, wird er das wollen, was Künstler üblicherweise tun: Ein Kunstwerk erschaffen. Sein Werk ist in diesem Fall die Aufführung.

    Allgemein besteht Kunst darin, eine gewisse Sicht der Welt wiederzugeben. Sei es als Botschaft, als Statement, als subjektive Naturbeschreibung (z.B. bei Malern). Der Dirigent beschreibt natürlich nicht die Natur, sondern einen anderen Teil der Welt: Ein musikalisches Werk. Und er beschreibt es nicht mit Worten oder mit dem Pinsel, sondern mit Musikinstrumenten. Die Partitur ist die Niederschrift einer Idee, das Konzert ist eine von mehreren möglichen Umsetzungen.

    Die Rolle des Publikums? Wie üblich: Der Künstler ist der Sender, das Publikum ist der Empfänger. Möchte der Künstler beim Publikum eine bestimmte Wirkung erzielen? Oft ja, aber nicht immer. Manchmal reicht es dem Künstler, wenn das Publikum seine Arbeit erst mal nur zur Kenntnis nimmt. In der Praxis ist es allerdings so, dass große Kunst auch starke Wirkung erzielt, Absicht hin oder her.


    Thomas

  • Wollen diese Dirgenten Unterschiedliches? Geht es dem einen, um die Schönheit des Klanges, dem nächsten um sein eigenes Musikerleben, dem Dritten um den pädagogischen Auftrag? Wollen alle drei das Publikum erreichen? Auf dieselbe Weise?

    Was wollen Dirigenten?

    Mir kommt - bei aller Sympathie für den Eröffner des Threads :) - die Fragestellung etwas befremdlich vor.

    Ich kenne keinen Musiker, der vor Publikum spielt/dirigiert und dieses Publikum nicht erreichen will.

    Und mir ist auf der anderen Seite noch nie ein ernst zu nehmender Musiker/ Dirigent untergekommen, für den das "eigene Musikereleben" bei ernst zu nehmenden Werken zweitrangig war. Das Publikum erreicht man doch nur, indem man die Musik bei der Aufführung für sich selber erst einmal so intensiv wie möglich erlebt - wie denn sonst? Durch irgendwelche jenseits der Musik liegenden Showeffekte? Halt - vielleicht erreicht man das Publikum nicht zuletzt auch damit, aber selbst einem Teodor Currentzis möchte ich nicht unterstellen, dass es ihm, wenn er dirigiert, nicht primär um das eigene Musikerleben geht!

    Das, was man anderen eindringlich vermitteln will, muss man selber noch eindringlicher erlebt haben/erleben. Wenn ich in der Öffentlichkeit eine Solo-Arie in einer Bach-Kantate spiele, versuche ich nach besten Kräften, die Musik so wiederzugeben, wie ich sie (möglicherweise nach einer gewissen theoretisch-gedanklichen Vorarbeit) empfinde - was das Publikum dazu meinen könnte, ist mir im Moment der Aufführung völlig schnurz! Und ich denke, bei jedem Dirigenten mit einem vernünftigen Anspruch verhält es sich nicht anders. Wenn es einem Dirigenten darum geht, durch die "Schönheit des Klanges" das Publikum zu erreichen, geht es ihm am Ende auch um nichts anderes als sein eigenes Musikerleben.

    Anders gesagt: In der Eröffnung des Threads werden ein paar Dinge, die auf verschiedenen Ebenen liegen, ein wenig unlogisch miteinander vermischt.....beziehungsweise einige Gegensätze, die ich nicht als solche wahrnehmen kann, willkürlich konstruiert.

    Herzliche Grüße

    Bernd

  • Möchte der Künstler beim Publikum eine bestimmte Wirkung erzielen? Oft ja, aber nicht immer. Manchmal reicht es dem Künstler, wenn das Publikum seine Arbeit erst mal nur zur Kenntnis nimmt.

    Meinst du wirklich, dass eine Künstler sich damit zufrieden gibt? Das klingt so nach einem Publikum, dass sagt, dass es ganz nett war.

    Natürlich will der Künstler, hier der Dirigent eine Wirkung erzielen. Er hat eine bestimmte Idee vom Werk, hat ja auch viel Arbeit hineingesteckt und will seine Idee, seine Interpretation nun vermitteln. Und will bestimmt kein Publikum, dass das nur zur Kenntnis nimmt.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Meinst du wirklich, dass eine Künstler sich damit zufrieden gibt? Das klingt so nach einem Publikum, dass sagt, dass es ganz nett war.

    Natürlich will der Künstler, hier der Dirigent eine Wirkung erzielen. Er hat eine bestimmte Idee vom Werk, hat ja auch viel Arbeit hineingesteckt und will seine Idee, seine Interpretation nun vermitteln. Und will bestimmt kein Publikum, dass das nur zur Kenntnis nimmt.

    Ich schrieb ja "manchmal". Denke aber schon, dass die ganz großen Künstler nicht primär für ein Publikum arbeiten. Sie arbeiten sozusagen "für ihr Werk". Sie möchten zwar, dass es von einem Publikum gesehen wird, aber wenn sie in ihr Schaffen vertieft sind, denken sie nicht an das Publikum.

    In der Konzeptphase (also vor der Ausführung) denken sie durchaus an das Publikum, schon aus rein praktischen Gründen. Die Idee soll ja verstanden werden. Selbst wenn der Künstler denkt: "Mir egal, ob die das verstehen", hat er an sein Publikum gedacht. Aber während der Ausführung dürfte das Publikum nicht im Vordergrund stehen.

    Wobei die Übergänge natürlich fließend sind. Manche Künstler (z.B. Performance-Künstler) beziehen das Publikum in ihr Werk ein. Manche Dirigenten sehen sich vielleicht tatsächlich als Performance-Künstler...


    Thomas

  • Sie möchten zwar, dass es von einem Publikum gesehen wird, aber wenn sie in ihr Schaffen vertieft sind, denken sie nicht an das Publikum.

    ich denke mir, da man ja als Dirigent ja auch "ganz Ohr" sein muss, dass man eigentlich eher selbst das allererste Publikum zu sein die Aufgabe hat und die Perspektive dessen, bei dem "Es" ankommen soll, recht eigentlich zu seiner Eigenen machen soll... oder?

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Wenn es einem Dirigenten darum geht, durch die "Schönheit des Klanges" das Publikum zu erreichen, geht es ihm am Ende auch um nichts anderes als sein eigenes Musikerleben.

    besser könnte ich es nicht sagen!

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Mir scheint es nicht gut genug gelungen zu sein, die Frage konkret genug zu stellen. Oder es interessiert nicht wirklich. Denn die bisherigen Antworten sinf für mich größtenteils unbefriedigend oder am Thema vorbei.
    Zu einigen Beiträgen

    Will sagen: Wenn jemand davon, was er sieht und hört, darauf zurückschließt, warum der Beobachtete so handelte, wie er handelte, dann erzählt er mindestens so viel von sich selbst wie von dem Beobachteten.

    Was weiß die Katze davon, warum ihr Mensch täglich Dosen öffnet? Sie lässt sich daran genügen. Sie überlegt nur, ob ihr das dargereichte Futter genehm sei oder ob sie sich lieber ein Mäuschen fängt. Recht hat sie.

    Wissen die Dirigenten eigentlich selbst, was sie auf die Bühne treibt und was sie dazu bringt, das Risiko einer Aufführung einzugehen? Hat da jeder den Mut gehabt, in die eigenen Abgründe zu schauen und die Motivlage zu klären?


    Dieses Argument stammt vom grünen Tisch der Theoretiker. Gegenbeispiel: Eine Frau wird vergewaltigt. Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln. Das Gericht sieht den Vorsatz als gegeben an, weil sämtliches Tun, Taten, Gesten, Worte, den eindeutigen Schluss zulassen, dass er es wollte. Liebes Mauerblümchen, würdest du dagegen argumentieren, weil man aus dem Verhalten nicht auf das Wollen schließen kann?

    Nicht sämtliches Verhalten ist willensgesteuert, da sind wir uns einig. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, dass alles Verhalten nicht willensgesteuert ist.

    Ich glaube nicht, dass jeder Dirigent vor der Aufführung seine Motivlage klärt. Oft mag sie auch undifferenziert darin bestehen, gut abzuliefern. Auch daher dachte ich, wir könnten die Motivlage mal aufdröseln, z. B. kommt in Betracht: Erwerbstätigkeit nachgehen. Bestimmte musikwissenschaftliche Erkenntnisse vorstellen. Spaß zu haben. Das Orchester zu bändigen. Das Publikum vom Werk überzeugen. Den Solisten unterstützen. Eine bestimmt Spielauffassung durchsetzen. Altbekanntes mal anders zu machen.

    Ich glaube weiter, dass die Motivlage je nach Werk und je nach Persönlichkeiten des Dirigenten unterschiedlich ist und hielt es für interessant, insbesondere den letztgenannten Umstand näher zu untersuchen: Warum macht Currentzis, was er macht? Warum dirgierte Furtwängler anderrs als Gielen? Ist Bernstein mehr Selbstdarsteller als Richard Strauss (als Dirigent)? Was folgern wir daraus? Wie ist das Verhältnis verschiedener Dirigenten zum Publikum? Gibt es Unterschiede? Wenn ja, worin bestehen sie und was bedeuten sie für die Musik?

    Ich gehe mal einfach davon aus, dass die meisten Dirigenten die Partitur lesen können, lesen und sich dazu Gedanken machen. Das Ergebnis wird dann in Proben mit dem Orchester umgesetzt. Im Konzert wird das dann nachvollzogen (mit entsprechenden Gesten und Blicken) und manchmal in der besonderen Atmosphäre mit Publikum übertroffen

    Die Bemerkung ist nicht falsch, ausgenommen, dass selbstverständlich alle Dirigenten die Partitur lesen können, hilft aber nicht weiter, weil sie nicht die Fragestellung aufgreift, sondern positivistisch Banalitäten aufzählt.

    Unter den Dirigenten gab und gibt es viele ernsthafte Künstler und manche Blender / Selbst-Vermarkter (zB den unsäglichen Currentzis, der einfach kein Dirigent ist).

    Bei dieser Bemerkung wundere ich mich ebenfalls, wie schlecht Dirigenten wegkommen. Ich habe nie daran gezweifelt, dass jeder einzelne Dirigent ein Künstler ist.

    Da der Dirigent Künstler ist, wird er das wollen, was Künstler üblicherweise tun: Ein Kunstwerk erschaffen. Sein Werk ist in diesem Fall die Aufführung

    Ja. richtig. Aber ebenfalls nichts als eine Platitüde. Besser nur noch: Der Dirigent ist Dirigent, deshalb möchte er dirigieren.

    Ich kenne keinen Musiker, der vor Publikum spielt/dirigiert und dieses Publikum nicht erreichen will.

    Und mir ist auf der anderen Seite noch nie ein ernst zu nehmender Musiker/ Dirigent untergekommen, für den das "eigene Musikereleben" bei ernst zu nehmenden Werken zweitrangig war. Das Publikum erreicht man doch nur, indem man die Musik bei der Aufführung für sich selber erst einmal so intensiv wie möglich erlebt - wie denn sonst? Durch irgendwelche jenseits der Musik liegenden Showeffekte?

    Das ist eine in der Schauspieltheorie sehr streitige Frage - Stichwort: method acting. Muss der Künstler die Emotionen bei der Darstellung selbst erleben oder vor der Darstellung erlebt haben, um sie darstellen zu können? Manche meinen mit dir, lieber Bernd, das sei der Fall. Kesting zum Beispiel ist in seinem großen Sänger-Buch anderer Auffassung. Seiner Auffassung nach versteht der wahre Künstler es, Emotionen zu überzeugen, weil er die technischen Mittel dazu kennt. Wenn er sich von seinen Emotionen davontragen lässt, geht das typischerweise mit einer weniger guten Beherrschung der Technik einher (kühles Blust bewahren). Bewusster Einsatz der Mittel statt emotionalem Empfinden.

    Wieder interessant: Welche Dirigenten sind welcher Gruppe zuzuordnen? Gibt es bei Dirigenten einen entsprechenden Streit. Ich wage zu behaupten, dass Currentzis der Gruppe der kühlen Techniker angehört. Mir sind nur seine Mittel teilweise zu plump.

    Das, was man anderen eindringlich vermitteln will, muss man selber noch eindringlicher erlebt haben/erleben.

    Siehe soeben. Nein, das sehe ich vollkommen anders.

    Natürlich will der Künstler, hier der Dirigent eine Wirkung erzielen. Er hat eine bestimmte Idee vom Werk, hat ja auch viel Arbeit hineingesteckt und will seine Idee, seine Interpretation nun vermitteln. Und will bestimmt kein Publikum, dass das nur zur Kenntnis nimmt.


    Ja, aber auch das bleibt allgemein. Ich wollte konkreter fragen: Gibt es Dirigenten, deren Interpretationsvermittlungsbemühungen typisiert werden können? Am Beispiel Harnoncourt: Er sah sich meiner Wahrnehmung nach als Teil einer Entdeckergemeinschaft, die mit der schlampigen Traditionen aufräumen wollte. Ihm ging es um Vermittlung des Richtigen gegen die herrschende Auffassung. Ja, auch er wollte das Publikum erreichen, das will jeder - Platitüde -, aber zu einem bestimmten Zweck. Musik als Klangrede.

  • Liebes Mauerblümchen, würdest du dagegen argumentieren, weil man aus dem Verhalten nicht auf das Wollen schließen kann?

    Nun, ich habe nicht gesagt, dass man aus dem Verhalten nicht auf das Wollen schließen könne.

    Ich habe gesagt,

    (1) dass Versuche, aus dem Verhalten auf das Wollen zu schließen, zum Unfrieden beitragen können;
    (2) dass die Gefahr besteht, eigene Verhaltensmuster unbewusst mit einzubringen;
    (3) dass die Dirigenten eventuell sich selbst nicht immer über ihre Motive im Klaren sein mögen.

    Im dem von Dir genannten Fall einer hypothetischen Vergewaltigung würde ich davon ausgehen, dass die Frau ihr Nichteinverständnis mit dem Geschlechtsverkehr sehr klar zu verstehen gegeben hat und dass der Mann (ich gehe mal davon aus, dass ein Mann unter Tatverdacht steht?) einiges an physischer Kraft, Gewaltandrohung oder List (KO-Tropfen o. ä.) aufgewendet hat. Aus diesen Gründen würde ich - ohne Weiteres zu kennen, das Beispiel ist ja fiktiv - mich der Annahme des Wollens anschließen. Zu beweisen, dass die Vergewaltigung nur aus Versehen und nicht etwa vorsätzlich geschehen sei, wäre die Aufgabe der Verteidigung.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Das ist eine in der Schauspieltheorie sehr streitige Frage - Stichwort: method acting. Muss der Künstler die Emotionen bei der Darstellung selbst erleben oder vor der Darstellung erlebt haben, um sie darstellen zu können? Manche meinen mit dir, lieber Bernd, das sei der Fall. Kesting zum Beispiel ist in seinem großen Sänger-Buch anderer Auffassung. Seiner Auffassung nach versteht der wahre Künstler es, Emotionen zu überzeugen, weil er die technischen Mittel dazu kennt. Wenn er sich von seinen Emotionen davontragen lässt, geht das typischerweise mit einer weniger guten Beherrschung der Technik einher (kühles Blust bewahren). Bewusster Einsatz der Mittel statt emotionalem Empfinden.

    das scheint mir eine etwas mißverstehende Auffassung dessen zu sein, was Bernd meinte mMn.
    Es geht nicht (in erster Linie) darum, die "Emotionen" zu fühlen, sondern zu hören, ob das, was erklingt, das ist, was man wollte. Für den Sänger sicher schwerer, weil er ja von sich weg singt, aber für den Dirigenten zentral. Die technischen Mittel stehen ja im Dienst des Klangereignisses und am Ende auch der emotionalen Botschaft, aber entscheidend ist doch, ich wiederhole mich, was erklingt.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Das, was man anderen eindringlich vermitteln will, muss man selber noch eindringlicher erlebt haben/erleben

    Ist doch ziemlich eindeutig, nicht?

    Edit: Ist aber auch nicht so wichtig, wer was wie gesagt oder gemeint hat. Da ist der Kommunikationsaustausch im Forum immer unzulänglich Ich finde es nur schade, dass das eigentliche Thema nicht zu interessieren scheint. Macht aber nichts. Ist halt manchmal so.

  • Das ist eine in der Schauspieltheorie sehr streitige Frage - Stichwort: method acting. Muss der Künstler die Emotionen bei der Darstellung selbst erleben oder vor der Darstellung erlebt haben, um sie darstellen zu können? Manche meinen mit dir, lieber Bernd, das sei der Fall.

    Meine Aussage resultiert nicht aus Theorien, sondern aus meiner eigenen Erfahrung als ausführender Musiker. Und als solcher muss ich, um in meinen Zuhörern Emotionen wachzurufen, diese Emotionen beim Spielen ganz unmittelbar selber empfinden. Eine andere Möglichkeit habe ich nicht - das steht für mich (subjektiv) völlig außer Frage.

    Kesting zum Beispiel ist in seinem großen Sänger-Buch anderer Auffassung. Seiner Auffassung nach versteht der wahre Künstler es, Emotionen zu überzeugen, weil er die technischen Mittel dazu kennt. Wenn er sich von seinen Emotionen davontragen lässt, geht das typischerweise mit einer weniger guten Beherrschung der Technik einher (kühles Blust bewahren). Bewusster Einsatz der Mittel statt emotionalem Empfinden.

    Gerade umgekehrt wird ein Schuh draus: Die technischen Mittel müssen natürlich im Hintergrund vorhanden sein, und zwar in so hohem Maße, dass sie auch bei sehr stark empfundenen Emotionen seitens des Musiker einen Qualitätsverlust im technischen Sinne verhindern. Aber sie dienen nicht der Erzeugung von Emotionen im Zuhörer, sondern gewährleisten unbewusst, dass die Emotionen des Ausführenden nicht zu Fehlern (falsche Töne, rhythmische Unschärfen etc.) führen. Mir stehen jedenfalls keine "technischen Mittel", durch die ich im Zuhörer emotionale Bewegung hervorrufen kann, zur Verfügung. Emotionen entstehen immer nur durch Emotionen und nicht durch irgendwelche außerhalb meiner Gefühlswelt (als Ausführender) liegenden "Techniken". Wenn du entsprechende "technische Mittel" konkret benennen kannst, würde ich dich bitten, dies zu tun!

    Herzliche Grüße

    Bernd

  • Lieber Bernd, ich stehe auf keiner Seite, sondern finde beide Wege gehbar und achte auch deinen hoch.

    Die Antwort auf deine Frage dürfte in dem Verweis auf die Technik liegen. Eine frühere Cellolehrerin von mir meinte mal, der Unterschied zwischen einem Vortrag, dem die Zuhörer gern zuhören und einem, dem sie weniger gern zuhören, besteht wesentlich im Liegenlassen der Finger. Das Beispiel war Pars pro toto zu verstehen (Ich selbst bin schon froh, wenn ich die Töne "richtig" spiele, kann also nicht aus eigener Aufführungpraxis mitreden). Es geht weniger um Zauberei über das Handwerk hinaus, sondern nur und gerade um dieses. Deshalb finde ich das Beispiel Richard Strauss so gut. Er ist als Dirigent ein steinerner Monolith. Keine Regung bis auf den Finger. Nichts Emotionales. Seine dirgentische Botschaft, wie ich sie höre: Es ist alles in der Musik.

  • Ich finde es nur schade, dass das eigentliche Thema nicht zu interessieren scheint.


    Das Thema interessiert mich durchaus. Nur finde ich es extrem kompliziert.

    Einige haben skizziert, was die Aufgabe eines Dirigenten ist. Das ist cum grano salis alles mMn richtig beschrieben, beantwortet aber nicht die Frage im Thema des Threads.

    Nee ihr Lieben, das Rumgehampel ist oft als Zuschauershow gedacht oder entsteht aus Selbstvergessenheit (Furtwängler ?),


    Und da geht es schon los. Wie ist bitteschön zu belegen, dass die Bewegungen nur als Show gedacht sind und nicht etwa Beleg eines außer-sich-Seins? (Fachbegriff "Ekstase")

    Und, man hätte darauf wetten können: den Lieblingen (Furtwängler) werden ohne Beleg edlere Motive unterstellt als allen anderen.

    die eigentliche Arbeit wird mit Gesten und Blicken erledigt.


    Klar. Bei Mahlers Achter helfen Blicke ungemein, wenn der Tenor im zweiten Chor schon wieder zu tief im "Alles Vergängliche" ist.

    Also wenn der Dirigent glaubt, er hätte "das Stück" verstanden wird er mit seinen Musikern proben, bis sich seine Vorstellungen mit dem Höreindruck mehr oder weniger decken.


    Wäre schön. In Tat und Wahrheit werden Konzerte teilweise Jahre vorher geplant. Zumindest mal vor Beginn der Saison ... und wenn ein junger Gastdirigent zum ersten Mal eingeladen wird, dann fragt keine Sau, ob der "das Stück" verstanden hätte. Der soll kommen, proben und aufführen. Und dann schauen wir weiter. Oder, wie es ein arrivierter Dirigent mal sagte: Es ist kein Problem, als Gastdirigent eingeladen zu werden. Das Problem ist, zum zweiten Mal eingeladen zu werden.

    Und wie viele Dirigenten haben nicht ihre Vorstellungen flugs korrigiert, als sie mit dem tatsächlichen Höreindruck konfrontiert wurden? Angefangen mit Mahler, der seine Partituren in den Proben korrigierte ...

    Da der Dirigent Künstler ist, wird er das wollen, was Künstler üblicherweise tun: Ein Kunstwerk erschaffen.


    Tja. Wenn genug Zeit zum Proben blieb. In London soll es Zeiten gegeben haben, wo es nur eine Probe gab. Levine soll Mahlers Neunte auch mal ohne Probe dirigiert haben.

    Unfallfrei durchzukommen könnte unter manchen Bedingungen schon fast alles sein, "was ein Dirigent im Konzert will".

    Ich kenne keinen Musiker, der vor Publikum spielt/dirigiert und dieses Publikum nicht erreichen will.


    Celibidache hat zumindest mal gesagt - ob's stimmt, ist eine andere Frage -, dass er in der Aufführung Korrelationen herstellen will, Beziehungen innerhalb eines Stückes gemeinsam mit dem Orchester aufzeigen will. Und das Publikum darf daran teilhaben. Das würde des Arundo Donax Meinung zumindest in diesem Falle widersprechen. (Um ganz genau zu sein: Es widerspricht des Arundo Donax Meinung natürlich nicht, weil er nur über diejenigen Musiker sprach, die er kennt.)

    Gruß
    MB

    :wink:

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