Leoš Janáček: Streichquartett Nr. 2 "Intime Briefe"

  • Leoš Janáček: Streichquartett Nr. 2 "Intime Briefe"

    Liebe Kammermusik-Fans! (und solche, die es werden wollen)
    Zu Janáčeks erstem Streichquartett ("Kreuzersonate") gibt es einen Thread schon seit über zehn Jahren. Das andere seiner beiden Streichquartette wurde bisher noch mit keinem Thread bedacht. Das möchte ich ändern, denn gerade Janáčeks zweites Streichquartett liegt mir sehr am Herzen.


    Leoš Janáček: Streichquartett Nr. 2 "Intime Briefe"/"Listy důvěrné" (1928)

    Leoš Janáčeks (1854–1928) kompositorisches Schaffen ist bedauerlicherweise überschaubar. Seine beiden Streichquartette enstanden erst im fortgeschrittenen Alter, nämlich in den Jahren 1923 und 1928, ein halbes Jahr vor seinem Tode.

    Wie viele Werke Janáčeks ist auch sein zweites Streichquartett nicht von seiner Biographie zu trennen. Janáčeks Ehe war zerrüttert, als er 1917 die knapp 40 Jahre jüngere verheiratete Kamila Stösslová kennenlernte, die von da an in seinen Werken präsent ist (und die Mehrzahl seiner bedeutenden Werke enstand ab 1917).

    Das zweite Streichquartett gilt als das wahrscheinlich eindeutigste musikalische Liebesbekenntnis des Komponisten, es schildert seine (unerwidert gebliebenen) Gefühle für die deutlich jüngere Frau. Der ursprünglich geplante Titel "Liebesbriefe" (Listy milostné) wurde von Janáček wieder verworfen, ebenso das Vorhaben, eine Viola d'amore anstatt der Bratsche einzusetzen.

    Das Quartett hat eine Spieldauer von ca. 25 min und besteht aus diesen vier Sätzen:

    • Andante – Con moto – Allegro
    • Adagio – Vivace
    • Moderato – Andante – Adagio
    • Allegro – Andante – Adagio

    Janáček skizzierte in Briefen an Kamila Stösslová den Inhalt der einzelnen Sätze wie folgt (gekürzt):

    • Unser Leben wird darin sein. Meine Eindrücke, als ich Dich zum ersten Mal sah.
    • Heute habe ich mein zärtlichstes Verlangen in Tönen geschrieben. Ich ringe mit ihm, es bleibt Sieger. Genau wie Du bist, von Tränen in Lachen wechselnd, so klingt es.
    • Heute beendete ich die Nummer, in der die Erde bebt. Es wird der beste Satz sein. Wie hätte ich nicht beglückt sein können, als ich fühlte, daß die Erde vor Freude unter mir bebte?
    • Wie die Furcht um Dein Wohlergehen. Doch er wird nicht mit der Furcht enden, sondern mit großer Sehnsucht, und gleichsam ihrer Erfüllung.

    Auch mich, der ich mich nicht als Streichquartett-Fan bezeichne, fasziniert dieses Werk. Wenn ich zuhöre, habe ich tatsächlich den Eindruck einer Schilderung leidenschaftlicher Gefühle. Momentan schätze ich den vierten Satz am meisten.

    Aufführungen sind nicht besonders häufig, aber auch nicht sehr selten. Ich bin erst einmal in den Live-Genuss gekommen (am 25. April 2019 im Wiener Konzerthaus durch das Belcea-Quartett, allerdings war die Leistung wirklich indiskutabel). Auf Youtube gibt es mehrere Aufnahmen.

    Wie gefällt Euch dieses Streichquartett?
    Welche Aufnahmen (derer es zahlreiche gibt) schätzt Ihr und welche nicht?
    Ich freue mich über jeden Eintrag dazu - gerne auch über inhaltliche Korrekturen oder Ergänzungen!

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Aufnahmen?

    Die 1985er Aufnahme des Talich Quartetts. Leider vergriffen.

    ASIN B01KAULX64

    David Hurwitz hob das Janáček-Quartett auf den Thron:

    ASIN B01KAUME7Q

    Ein Füllhorn exquisiter Aufnahme von Streichquartetten slawischer Provenienz:

    ASIN B01KB0MXMG

    Für die beiden Quartette von Janáček zeichnet darin das Škampa-Quartett verantwortlich.

    Neuere Aufnahmen: Hagen und die Pavelhasen. Letztere koppelten die Werke ihres Namensgebers - sehr lohnend.

     

     

    Bei den Mandelrings bekommt man beim zweiten Quartett alternativ auch die Fassung mit Viola d'amore.

    *

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ich bin erst einmal in den Live-Genuss gekommen (am 25. April 2019 im Wiener Konzerthaus durch das Belcea-Quartett, allerdings war die Leistung wirklich indiskutabel).

    Ich habe mir gerade die dieses Jahr erschienene Aufnahme der Belceas angehört:

    Sie hat mir ausgezeichnet gefallen, deshalb würde es mich interessieren, inwiefern ihre Live-Performance "indiskutabel" war.

  • Aufnahmen?

    Die 1985er Aufnahme des Talich Quartetts. Leider vergriffen.

    ASIN B01KAULX64


    David Hurwitz hob das Janáček-Quartett auf den Thron:

    ASIN B01KAUME7Q


    Ein Füllhorn exquisiter Aufnahme von Streichquartetten slawischer Provenienz:

    ASIN B01KB0MXMG

    Für die beiden Quartette von Janáček zeichnet darin das Škampa-Quartett verantwortlich


    oder

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Beide Quartette von Janacek liegen mir seit über vierzig Jahren am Herzen und ich wüsste auch gar nicht, welchem ich den Vorzug geben sollte. Damals stand der Mähre überdies längst nicht so im Zentrum meines Interesses, wie das heute der Fall ist.

    Von den oben verlinkten CD-Einspielungen kenne ich etwa eine Handvoll. Mehrere weitere fanden sich schon vorher entweder auch auf CD oder in Gestalt von Rundfunkmitschnitten per Kassette. Live gehört mit dem Bamberger Streichquartett und für unsere Zeitung besprochen habe ich das Quartett auch schon zu meiner Freude.

    Jetzt möchte ich noch kurz nachhaken.

    Zitat von Sadko

    [...] im Wiener Konzerthaus durch das Belcea-Quartett, allerdings war die Leistung wirklich indiskutabel

    Zitat von Peter Jott

    Sie [= Die Einspielung der Belceas] hat mir ausgezeichnet gefallen, deshalb würde es mich interessieren, inwiefern ihre Live-Performance "indiskutabel" war.

    Ich gehe davon aus, dass das Belcea-Quartett zu den besten jungen Quartett-Formationen gehört und kann dies zwar nicht wie Peter Jott durch Janacek-Hörerfahrung über Tonträger bestätigen, aber doch durch solche mit Beethoven und Bartok.

    "Indiskutabel" ist ein denkbar hartes Urteil. Es anzuzweifeln liegt mir aus naheliegenden Gründen absolut fern. Dennoch, werter Sadko: Worauf gründet sich diese Deine Sicht? Es dürfen auch gerne drei Sätze sein statt eines einzigen. ( ;) )

    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Danke an alle für die Antworten und für das Einstellen der Cover!

    Das Live-Erlebnis mit dem Belcea-Quartett liegt ja schon über ein halbes Jahr zurück, daher hab ich es nicht mehr genau im Kopf, aber ich weiß noch, dass (vor allem) die erste Violinistin die Passagen, an denen sie die Sechzehntel spielt, während die anderen Musiker nichts/wenig zu tun haben, komplett versemmelt hat. Außerdem glaubte ich, zeitweise falsche Töne zu hören; und - das ist allerdings ein Geschmacksurteil - mir wurde das Streichquartett insgesamt zu aggressiv, zu fahrig, zu unausgeglichen gespielt (es fehlte mir der musikalische Bogen, denn Janáčeks Musik ist ja mehr als eine bloße Aneinanderreihung von Takten).
    Ich hoffe, dass die CD (die ich nicht kenne) besser ist!

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Belcea

    man sollte sich hüten, von einem offensichtlich misglückten Konzert auf eine Aufnahme zu schließen, die schon einige Jahre zurückliegt.
    Ich habe die Belcea-Aufnahme vor Jahren mal im Radio gehört und mir notiert:
    "ganz gut, gemäßigt idiomatisch, gemäßigt expressiv. etwas viel stereotypes, meckerndes Vibrato, geht aber. Super Intonation und Klang."

    Aus Sadkos Konzerterfahrung schließe ich, dass das Quartett dort der aktuellen Hyperaktivitäts- und Hyperexpressivitäts-Mode gefolgt ist, was mir auch zuviel des Guten wäre. Auf der CD ist das aber nicht der Fall.

    Janaceks 2. Streichquartett zähle ich (ebenso wie andrejo) seit über 40 Jahren zu meinen absoluten Lieblingen. Kennengelernt mit dem Smetana Quartett, das ich immer noch toll finde. Ansonsten: je tschechischer umso lieber...
    Wenn ein Ensemble anfängt, Auftakte zu spielen wo keine stehen (Grundrhythmnus im 3. Satz als Beispiel), hat es für mich schon verloren. Ist so ne Marotte von mir. Tschechische Musik ist wie die Spache dadurch gekennzeichnet, dass Auftakte tunlichst vermieden werden.

    Galten die Janacek-Quartette in meiner Jugend noch als relativ exotisch (OT einer Kommilitonin: "wieso kennt man das nicht, das ist so gute Musik!"), so hat sich das glücklicherweise grundlegend geändert.
    Die Auswahl an sehr guten Aufnahmen ist riesig.
    Was ich so mitbekommen habe, würde ich nur von diesen abraten:
    Quatuor Diotima: schien mir lieblos zusammengestückelt, nicht konzertmäßig fertiggeprobt. 1. Violine dominiert zu sehr.
    Petersen Quartett: anti-idiomatisch, nicht expressiv, eher verhuscht; nervig spitzer Klang
    :wink:

    [edit: allzu biographische Anektote geändert]

  • man sollte sich hüten, von einem offensichtlich misglückten Konzert auf eine Aufnahme zu schließen, die schon einige Jahre zurückliegt.

    Du beziehst dich vermutlich auf diese tatsächlich schon einige Jahre alte Aufnahme des Belcea-Quartetts:

    Bei der oben von mir verlinkten Aufnahme handelt es sich aber (wenn ich mich nicht völlig vertue) um eine Neueinspielung von Anfang 2019, also aus dem direkten zeitlichen Umfeld des von sadko genannten Konzerts. Der interpretatorische Ansatz wird also wohl dem des Konzerts entsprechen. Über mögliche spieltechnische "Unfälle" bei der Live-Aufführung können natürlich nur die dort Anwesenden Auskunft geben...

  • Du beziehst dich vermutlich auf diese tatsächlich schon einige Jahre alte Aufnahme des Belcea-Quartetts:


    :huh: sorry, nicht aufgepasst.
    oder... Kinners, wie die Zeit vergeht...

    Von der neuen habe ich via Spotify eben den 3.+4. Satz gehört. Nicht schlecht, 3. Satz rhythmisch klarer als die ältere Aufnahme, sehr gute Intonation. Keine Exaltiertheit, die man beklagen könnte. Mrs Belceas Vibrato mag ich immer noch nicht besonders, aber das ist subjektiv.

    Schließlich hab ich dann doch Sehnsucht nach dem Smetana-Quartett bekommen
    [als Japan-Import auf dem Marketplace zu vernünftigem Preis zu erwerben]
    und siehe da, die ist auch bei Spotify zu hören. Dort aber mit der klanglichen Einschränkung dass die Emphasis* nicht rausgerechnet ist. Die Höhenanhebung muss man sich also wegdenken, was für einen Eindruck zur Interpretation erst mal unerheblich ist.

    Ob durch frühkindliche Prägung oder was auch immer, muss ich diese Aufnahme des Smetana-Quartett immer für einen Authentizitäts-Check hernehmen.


    *frühe Digitalaufnahmen wurden häufig mit einer Höhenanhebung versehen, die im CD-Player nach der DA-Wandlung rückgängig gemacht werden muss. Ziel ist die Reduzierung von AD/DA-Wandler-Artefakten. Denon und BIS haben diese Praxis bis in die 1990er Jahre beibehalten. CD-Player müssen die De-Emphasis implementiert haben, Computer können solche CDs und Soundfiles dagegen nie richtig abspielen.

  • Ob durch frühkindliche Prägung oder was auch immer, muss ich diese Aufnahme des Smetana-Quartett immer für einen Authentizitäts-Check hernehmen.

    Ich hatte mal diese Denon/Smetana Aufnahme :

    Aber die älteren Einspielungen der beiden Quartette - verteilt auf 2 Testament CDs - gefielen mir besser . Hier das 2.Quartett :

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Ich hatte mal diese Denon/Smetana Aufnahme :

    die kenne ich nicht. Aus Japan gibt es ein paar Informationen und Hörbeispiele: Aufnahme 1979, wirklich live in Prag; ...und der Primarius hatte jedenfalls keinen guten Tag.

    Aber die älteren Einspielungen der beiden Quartette - verteilt auf 2 Testament CDs - gefielen mir besser . Hier das 2.Quartett :

    Aufnahme 1965. Jetzt wo du's sagst, müsste meine frühkindliche Prägung ebenfalls von dieser Aufnahme stammen.
    Ja, nach meiner Erinnerung super Aufnahmen.

    Aber die mittlere, die ich (ohne Bild) verlinkt habe, ist mindestens genauso gut. Aufnahme 1976.

    (man wundert sich, aber Supraphon hat tatsächlich die ersten Digitalaufnahmen in Europa gemacht. Als Co-Produktionen mit der Technik von Denon, aber immerhin. Der Grund ist schlicht die Faszination, die das Smetana Quartett auf einige Entscheidungsträger in Japan ausgeübt hat. Hat man mir im vertraulichen Gespräch erzählt)

  • Janaceks Streichquartette dürften inzwischen zu den meist gespielten und populärsten Quartetten des 20. Jahrhunderts gehören. Nicht nur alle tschechischen Quartette haben sie im Repertoire, auch fast alle international agierende spielen sie inzwischen regelmäßig. Man begegnet ihnen inzwischen fast so häufig im Konzertsaal wie denen von Debussy und Ravel oder denen von Bartok.

    Von den tschechischen Quartetten habe ich noch nie eine schlechte Aufnahme gehört, die haben das wohl alle im Blut. So auch das Prazak Quartett, dessen Aufnahme der "Intimen Briefe" ich gerade gehört habe. Es ist wohl ihre zweite Einspielung.

    Fono Forum vergab Höchstnoten und auch diverse englischsprachigen Journale lobten die Aufnahme in höchsten Tönen. Zu recht!

    Die Belcea Aufnahme würde mich noch interessieren und die ebenfalls hochgelobte Doric habe ich gerade für 'nen Appel und 'n Ei ersteigert.
    Im Regal stehen noch Janacek Q, Smetana Q (2x), Pavel Haas Q, Hagen Q, Diotima Q, Zaide Q, ABQ.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

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