Da wäre ich gern dabei gewesen! - Spielerisch durch die Musik- und Aufführungsgeschichte

  • Was ihr alle bloß an dem ollen Bach findet :versteck1: .

    Da finde ich Vivaldi viel interessanter. Ich würde gerne ins Venedig zu Beginn des 18. Jahrhunderts reisen, als Vivaldi dort das Mädchenorchester des Waisenhauses Ospedale della Pietà betreute, zunächst als Maestro di violino, später auch als musikalischer Leiter. Vivaldi hat einen großen Teil seiner Instrumentalwerke für die wöchentlichen Aufführungen dieses Orchesters komponiert. Seinen Zeitgenossen galt Il Prete Rosso nicht nur als berühmter Komponist, sondern auch als Violinvirtuose, den viele Besucher aus aller Herren Länder spielen hören wollten. Da würde ich mich gerne einreihen. Damit böte sich auch die Möglichkeit zu überprüfen, wie nah unsere historisch informierte Aufführungspraxis wirklich am Original ist.

    [Blockierte Grafik: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/c/c4/Ospedale_della_Piet%C3%A0.jpg/220px-Ospedale_della_Piet%C3%A0.jpg]

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Wenn ich im November 1918 in Wien gelebt hätte, wäre ich gern dem damals gegründeten Verein für musikalische Privataufführungen beigetreten. In den folgenden Jahren, bis zum Dezember 1921, hätte ich dann über 100 Konzerten beigewohnt, den einleitenden Vorträgen des Präsidenten und musikalischen Leiters Arnold Schönberg gelauscht und ganz viel zeitgenössische Musik gehört, z. B. von Reger und Debussy.

    Da ich aber nur ein Konzert nennen soll, entscheide ich mich für das am 23. Oktober 1920. Es fand im Kleinen Konzerthaussaal (Schubert-Saal), Wien III, Lothringerstraße 20, statt, und zwar zu Ehren von Maurice Ravel, der zu Besuch in Wien war. Zunächst spielte Emanuel Steuermann Maurice Ravels Gaspard de la nuit, dann folgten von Arnold Schönberg Fünf Lieder aus "Das Buch der hängenden Gärten" op. 15 (H. Lindberg, E. Steuermann) und die Klavierstücke op. 23, Nr. 1 und 2 (E. Steuermann), von Anton Webern Vier Stücke für Geige und Klavier op. 7 (O. Adler, E. Steuermann), von Alban Berg Vier Klarinettenstücke op. 5 (K. Gaudriot, E. Steuermann), von Maurice Ravel La valse, poème choréographique pour orchestre, Bearbeitung für 2 Klaviere von Ravel (M. Ravel, A. Casella) und Trois poèmes de Stéphane Mallarmé (M. Freund, M. Ravel). Den Abschluß bildeten Arnold Schönbergs Jane Grey, Ballade aus op. 12 (O. Bauer-Pilecka, E. Bachrich) und Maurice Ravels Streichquartett F-Dur op. 35 (Feist-Quartett).

    Ich vermute, daß sämtliche Komponisten, deren Musik erklang, persönlich anwesend waren.

    ^^

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • und zwar zu Ehren von Maurice Ravel, der zu Besuch in Wien war.

    in irgend einer kleinen Ravel-Biographie las ich mal dazu, Ravel hätte unbedingt nach Wien wollen, es wäre ganz unverständlich, wieso eigentlich... ;)

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • in irgend einer kleinen Ravel-Biographie las ich mal dazu, Ravel hätte unbedingt nach Wien wollen, es wäre ganz unverständlich, wieso eigentlich... ;)

    Ist doch klar: Um den Wienern zu zeigen, wie Walzer geht.

    :P

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ist doch klar: Um den Wienern zu zeigen, wie Walzer geht.

    ja klar, daß ich bzw. der Biograph darauf nicht gekommen ist...


    Emanuel Steuermann

    ach so, "Eduard" oder "Edward" dürfte schon ausreichend Vornamensauswahl für Steuermann sein ;)

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • zu Ehren von Maurice Ravel

    diese Formulierung war übrigens offizielle Konzertbezeichnung und singulär.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • OT: Ravel in Wien:
    Ravel sagte nach dem Konzert im Oktober 1920, dass er Schönberg nicht nur für Wiens führenden Musiker, sondern für den größten Musiker der Welt hält. Des weiteren haben Schönberg und die Schönberg-Schüler seine Musik so herrlich interpretiert wie niemand in Paris.

    Ravel war insgesamt dreimal in Wien: Oktober 1920, Februar/März 1929 und Februar 1932. Bei seinem letzten Besuch gab es ihm zu Ehren ein Konzert im Musikverein mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Clemens Krauss. Gespielt wurden die Rhapsodie espagnol, das Klavierkonzert in G-Dur mit der Solisitn Marguerite Long und mit Ravel als Dirigent und nach der Pause Mussorgskys Bilder einer Ausstellung in Ravels Orchestrierung. Der dritte Satz des G-Dur Klavierkonzerts wurde nach stürmischen Applaus als Zugabe gespielt.

    Apropos Ravel: Im Februar 1929 gaben die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Leopold Reichwein im Wiener Konzerthaus ein interessantes Programm bei dem ich gerne dabei gewesen wäre:
    - Richard Strauss: Sinfonia domestica, op. 53
    - Wolfgang Amadeus Mozart: Serenade Nr. 10 B-Dur "Gran Partita", KV 361
    - Maurice Ravel: La Valse
    - Johann Strauss, Sohn: Geschichten aus dem Wiener Wald, op. 325

    Quellen:
    - https://www.degruyter.com/view/j/omz.197…5.30.56.305.xml
    - https://www.musikverein.at/CustomResource…136d5ab74e4.pdf
    - https://www.wienersymphoniker.at/en/events/l-re…avel-strauss-ii

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Ich finde solche Gedankenspielchen immer recht sinnfrei. Zumal man sich ja eigentlich überlegen müsste, unter welchen Voraussetzungen man damals dabei gewesen sein möchte. Mit dem jetzigen (Lebens-) Wissen (und anschließend wieder zurück in der Gegenwart)? Oder wenn schon, dann gerne ganz in der damaligen Zeit gelebt? Wenn man sich z. B. ausmalt, wie toll es gewesen wäre, damals bei dem Uraufführungsskandal von Le Sacre in Paris dabei gewesen zu sein. Wäre es das wirklich? Vielliecht nur aus jetziger Sicht. Damals hätte man das Werk vielleicht selber nicht verstanden geschweige denn gemocht. Oder hätte man bei der Uraufführung von Schostakowitschs Fünfter nicht eher Angst gehabt, anschließend verhaftet zu werden?

    Aber dann sage ich spontan trotzdem etwas zum Topic: Wie im Film "Funny Face" wäre ich gerne zusammen mit Audrey Hepburn singend durch Paris gegangen. Oder hätte mich gerne wie Cary Grant in "Charade" in einer Pariser Absteige von ihr "verarzten" lassen. Hätte gern, wie Walter Matthau, mit ihr in einem Cafe bei Les Halles rauchend über Agenten und Spione philosophiert. :rolleyes:


    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Zumal man sich ja eigentlich überlegen müsste, unter welchen Voraussetzungen man damals dabei gewesen sein möchte. Mit dem jetzigen (Lebens-) Wissen (und anschließend wieder zurück in der Gegenwart)? Oder wenn schon, dann gerne ganz in der damaligen Zeit gelebt? Wenn man sich z. B. ausmalt, wie toll es gewesen wäre, damals bei dem Uraufführungsskandal von Le Sacre in Paris dabei gewesen zu sein. Wäre es das wirklich? Vielliecht nur aus jetziger Sicht. Damals hätte man das Werk vielleicht selber nicht verstanden geschweige denn gemocht.

    Ich glaube, diesen Gedankengang hatte schon jemand formuliert.

  • Ich glaube, diesen Gedankengang hatte schon jemand formuliert.

    Okay, mag sein. Ist ja auch naheliegend.

    Aber um kein Spielverderber zu sein, habe ich mich ja doch noch beteiligt... :jaja1:

    maticus

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  • Das stimmt in mehrfacher Hinsicht nicht.

    Vielen Dank für die Richtigstellung! Da muss ich mal mit meiner Quelle schimpfen ...

    Aber schön, mal wieder etwas von Dir zu lesen!

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Wenn man sich z. B. ausmalt, wie toll es gewesen wäre, damals bei dem Uraufführungsskandal von Le Sacre in Paris dabei gewesen zu sein. Wäre es das wirklich?

    Na ja - immerhin gäbe es die Chance auf ein ausgeschlagenes Auge, ein paar verlorene Zähne, Knochenbrüche und Ähnliches mehr. Wo gibt es das schon, außer offsite von "traditionsreichen" Fußballspielen, wo sich die wahren Fans der beiden Vereine schon mal andernorts verabreden, um einander mal so richtig zu zeigen, wo der Hammer hängt?

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ich glaube, diesen Gedankengang hatte schon jemand formuliert.

    Sorry, Andreas, ich lese jetzt erst, dass Du schon den Sacre genannt hattest. Da ich das nicht wusste, habe ich mich auch nicht auf Dich bezogen. Ich hatte dies Beispiel gewählt, weil es ja als eines der großen musikalischen Meilensteine gilt (und ich zudem ja auch ein Fan des Sacre bin.)

    In der Tat bin ich meist zu faul, die Meinungen anderer zu lesen, und mache mir lieber meine eigenen Gedanken dazu... :versteck1:

    maticus

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  • Interessante Ideen! Bitte nur ein Geschehnis/Ort pro Beitrag.

    Sorry, hab' ich natürlich wieder überlesen. Ich splitte das mal auf.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Na ja - immerhin gäbe es die Chance auf ein ausgeschlagenes Auge, ein paar verlorene Zähne, Knochenbrüche und Ähnliches mehr. Wo gibt es das schon, außer offsite von "traditionsreichen" Fußballspielen, wo sich die wahren Fans der beiden Vereine schon mal andernorts verabreden, um einander mal so richtig zu zeigen, wo der Hammer hängt?

    Wenn man die heutigen Krankenversicherungen als Polster hat... (wobei das für die Zähne heute auch nicht mehr so richtig gilt)...

    maticus

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    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
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  • Ein paar Knüffe vom Sacre in Paris wären kein solches Problem, wenn man vor gut 100 Jahren gelebt hätte. Ein paar Jahre später an der Westfront aber vielleicht doch eine ersparenswerte Erfahrung...

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ein weiteres Konzert, dass ich verpasst habe:
    Karajans letztes Konzert in HH, weil er ein Programm aufführte, dass mir nicht so richtig gefiel und für das ich mein damals geringes Geld nicht opfern wollte. Also warten auf den nächsten Termin, hoffentlich mit irgendeiner großer Sinfonie. Nur leider war es halt in dieser Welt eben sein letztes Konzert in HH.
    Ich bin ja gar nicht einmal der Karajan-Fan, aber ihn wenigstens einmal live erlebt zu haben, seine Ausstrahlung, seine Persönlichkeit, sein Auftreten, das wäre mit Sicherheit schon etwas gewesen.

    :wink: Wolfram

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