Heidelberger Streichquartettfest 2020
Zum 16. Mal fand es dieses Jahr statt, dass Heidelberger Streichquartettfest und zum ersten Mal war es mir gelungen, einen Pass für alle Veranstaltungen zu ergattern. Speziell die "Lange Nacht des Streichquartetts" am Samstag ist i.d.R. nach wenigen Stunden ausverkauft, wenn die Karten im Oktober in den Verkauf gehen.
Angekündigt waren insgesamt 6 Streichquartette:
das in London basierte Navarra String Quartet,
das italienische Quartetto di Cremona,
das deutsche Signum Quartett,
das deutsche in Berlin ansässige Vision String Quartet,
und das junge amerikanische Callisto Quartet, 2. Preisträger in Banff letzten Sommer.
Das ebenfalls angekündigte spanische Cuarteto Quiroga hatte aus Gesundheitsgründen absagen müssen.
Dies hatte einige Programmänderungen zur Folge und bot drei sehr jungen Quartetten, die am Donnerstag am Streichquartett-Wettbewerb der Irene-Steels-Wilsing-Stiftung die Plätze 1-3 belegt hatten, ihr Können noch einmal vor größerem Publikum vorzuführen. Dies waren das österreichische Adelphi Quartett, das englische Barbican String Quartet und das koreanische Baum Quartet. Das Adelphi Quartett spielte am Donnerstag abend beim Eröffnungskonzert Haydns op 33.5. Das Konzert habe ich nicht gehört, da mir die Anreise aus Stuttgart für ein Konzert zu aufwendig war. Statt meiner ist Capriccio Gurnemanz gegangen, den ich am Freitag dann auch persönlich kennenlernen durfte, da er noch weitere Karten ergattern konnte. Die drei jungen Quartette fügten sich jedenfalls bestens in das sehr hohe Niveau der gesamten Veranstaltung ein.
Charakteristisch für das HD SQF ist, dass viele Programmteile von mehreren Formationen bestritten werden, was die reizvolle Möglichkeit eröffnet, den Klang der verschiedenen Formationen direkt vergleichen zu können.
Für mich ging es am Freitag morgen um 10:00 los. Im ersten Konzert boten das Navarra SQ eine ausgefeilte Interpretation von Beethoven op. 18,1 und danach das Barbican SQ eine spannende Wiedergabe von Janaceks "Kreutzersonate". Die Stimmung im Publikum schon hier sehr gut bis enthusiastisch, fast alle Darbietungen wurden mit Bravorufen quittiert.
Auf das erste Konzert folgte ein Workshop mit Oliver Wille (Kuss Quartett), der mit den Cremonesern Beethovens op. 133 (Große Fuge) analytisch auseinandernahm, zum Glück auf einem Niveau, das auch dem Nichtmusiker verständlich war. Zum Abschluss spielten die Italiener das Werk natürlich auch komplett. Das Navarra SQ leitet dann mit Frank Bridge zauberhaften Drei Idyllen zum Lunch über.
Die Verpflegung während der gesamten Veranstaltung war einfach, aber preiswert und gut, das Weinangebot ansprechend.
Das nächste Konzert brachte Neues und Unbekanntes. Das Callisto Q spielte Entr'acte, eine Komposition der jungen amerikanischen Komponistin Caroline Shaw, das auch die kürzlich erschienene CD der Komponistin eröffnet und das ich zufällig gerade 2 Tage vorher schon gehört hatte. Ein interessantes und gut zugängliches Stück. Die Cremoneser steuerten eines der avantgardistischen Quartette von Fabio Vacchi bei und das Signum Quartett beendete diesen Teil mit Liedbearbeitungen von Schubert, die ihr Bratschist Xandi van Dijk angefertigt hatte. Einige davon finden sich auch auf einer kürzlich erschienenen CD des Quartetts.
Im nächsten Konzert um 16:00 begeisterte dann das Baum Quartet als Einspringer mit Schnittke/Stravinsky (Canon/3 Stücke) und Bartok 2. A quartet to watch.
Das Signum Quartett boten Goreckis SQ 2, bei dem ich einen kleinen Aufmerksamkeitstiefpunkt hatte und das Navarra SQ wiesen mit einer tollen Wiedergabe von Anton Reichas op. 95,1 darauf hin, dass hier noch ein gesamtes Quartettoeuvre eines Beethoven Zeitgenossen zu entdecken ist. "Zeitgenossen" war auch das Motto der gesamten Veranstaltung.
Das Abendkonzert war dann ganz Beethoven gewidmet, Signum spielte op. 18.3, Cremona op. 95 und Callisto op. 59.2. Man tut den beiden etablierten Quartetten sicher nicht unrecht, wenn man daraufhin weist, dass die spannendste und ausgefeilteste Interpretation durch die Newcomer aus USA geboten wurde. Hier reift offensichtlich ein weiteres künftiges Spitzenensemble heran, das schon jetzt ein erstaunliches Niveau zeigt.
Der Abend klang mit Gurnemanz bei 2 Glas Rotwein aus.
Am Samstag morgen boten das Navarra Q zwei Raritäten, zuerst das zeitgenössische, aber ebenfalls gut anhörbare 2. SQ von Joseph Phibbs und das SQ 24 von Andreas Romberg, einem weiteren Beethoven-Zeitgenossen und -Freund. Hoffentlich bringt das äußerst sympathisch rüberkommende Quartett ihre Funde auch auf Tonträger heraus.
Der zweite Workshop mit Oliver Wille widmete sich den 12 Mikroludien von György Kurtag, die ebenfalls das Navarra Q klanglich begleitete. Das war noch interessanter als der Workshop vom Vortag, da Wille aufzeigen konnte, wieviel gedankliche Tiefe in diesen abstrakten Klängen doch steckt. Das ganze Werk wurde zweimal gespielt, einmal vorweg und einmal nach der Analyse.
Das Lunchkonzert übernahm dann Signum und brachte mit Priaulx Rainiers Streichquartett von 1939 eine weitere tolle Neuentdeckung. Eine ganz eigene sehr orchestrale Klangwelt entfaltet die südafrikanisch/britische Komponistin hier, hoffentlich auch bald auf Tonträger. Dieses Stück zierte übrigens die allererste Schallplatte, die das junge Amadeus Quartett 1949 einspielte. Leider kann ich nirgendwo die Schallplatte finden, es gibt die Aufnahme aber als Download.
Das Nachmittagskonzert eröffnete dann das Signum Q mit Neun Fragmenten einer Ewigkeit von Konstantia Gourzi bevor das dazugekommene vision string quartet, mit einer fetzigen Wiedergabe ohne Noten von Schumann op. 41.3 begeisterte.
Den Vortrag am Nachmittag schenkte ich mir, um mal ein bisschen runterzukommen. Weiter ging es dann mit dem VSQ und Beethoven op. 132, diesmal mit Noten. Für ein so junges Quartett sicher eine beachtliche Darbietung, die Ruhe und Kontemplation, die der Heilige Dankgesang erfordert, haben sie aber noch nicht.
Nach 2 Stunden Pause folgte dann die Lange Nacht. Hierzu wurde das Auditorium von Sitzreihen zu kleinen Tischen mit je 5 Stühlen umgebaut, so dass man während des Abendprogramms essen und trinken konnte.
Den ersten Teil gestaltete noch einmal das VSQ, das elektrisch verstärkt Jazzimprovisationen und selbst komponierte Stücke darbot. Offensichtlich ist das ein nicht unwesentlicher Teil der Arbeit dieser Formation.
Den zweiten Teil gestalteten dann die anderen vier Formationen. Das Callisto Q führte eine von ihnen in Auftrag gegebene Komposition von Annika Socolofsky auf, die sich durch changierende Klangflächen auszeichnete. Cremona bot Filmmusik von Morricone und eine Arie aus Verdis Luisa Miller. Alle vier Quartette vereinigten sich dann zum kleinen Kammerorchester und spielten 7 Brahms-Walzer sowie augenzwinckernd einen Csardas von Vittorio Monti, bei dem sich vier Primgeiger beim schluchzenden Spiel zu übertrumpfen suchten.
Der letzten Teil, der fast bis Mitternacht ging, war dann die Rock-Lounge des Signum Quartetts, der gelungene Versuch Gemeinsamkeiten von klassicher Musik und Rockmusik herauszuarbeiten. Hier reichte der Bogen von Mozart Adagio und Fuge KV 546 über Stravinskys Danse aus den 3 Stücken zu Creams Sunshine of your love, Led Zeppelins Heartbreaker und Radioheads Paranoid Android bis zu Schulhoffs Alla tarantella und abschliessend noch einmal der Großen Fuge vom Oberrocker LvB.
Es erübrigt sich fast zu erwähnen, dass dieser Abend vom Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen wurde und auch die Musiker beschwingt und locker agierten.
Am heutigen Sonntag folgt dann noch ein Abschlusskonzert mit Schuberts op. 168 (Signum), Thomas Ades "Four quarters" (Callisto) und LvB op. 131 (Cremona).
Insgesamt also eine tolle Sache dieses HD SQF. Gurnemanz und ich haben uns schon fürs kommende Jahr verabredet, vielleicht können wir ja noch weitere Capricciosi motivieren und dann ein kleines Südwest-Treffen veranstalten. Es lohnt sich auf jeden Fall.