Das Kärntnerlied
Heute möchte ich das traditionelle Kärntnerlied vorstellen – weit über die Grenzen Kärntens bekannt. (manches wurde schon im Thread „Alpenmusik“ geschrieben, aber das so spezifische Kärntnerlied hat einen eigenen Thread verdient, wie ich meine)
Kärnten ist das südlichste Bundesland Österreichs und ist für seine reichhaltige Musiktradition bekannt. Gesungen wird a capella.
Grob lässt sich das Liedgut in zwei Gruppen teilen: in das „alte Kärntnerlied“ und in das „neue Kärntnerlied“.
Alte Kärntnerlieder sind Volksweisen, die mündlich tradiert wurden und deren Dichter und Komponisten für uns rein gar nicht fassbar sind.
Neue Kärntnerlieder wurden meist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von uns bekannten Dichtern/Musikern komponiert.
Ich interessiere mich mehr für das alte Kärtnerlied (weil es tendentiell härter/kantiger ist und ein Fenster in die Lebenswelt der einfachen Leute des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bietet), auch wenn das neue vielleicht musikalisch „schöner“ empfunden werden mag, aber ich halte das neue für verflacht und teils verkitscht.
Die Themen drehen sich oftmals um Liebe, Tod, Erotik, ländliche Arbeit, Alltag, Humor, Religion...
Der Charakter ist weich und oftmals (aber nicht immer) melancholisch. (Unterschied zum alten Wienerlied!)
Sprache des alten Kärntnerliedes ist der Dialekt des jeweiligen Tales / des jeweiligen Ortes, es gibt aber auch – und das ist wenig bekannt – schriftsprachliche Lieder. Neue Kärntnerlieder sind in einer gemeinhin als "Kärntnerisch" bekannten Einheits-Mundart geschrieben. Für Übersetzungen ins Schriftdeutsche stehe ich jederzeit zur Verfügung
So wie das Kärntnerische enorm viele Einflüsse aus dem Slovenischen hat (zum historischen Hintergrund weiter unten), ist das Kärntnerlied nicht nur deutschsprachig – slovenisches Liedgut gehört genauso zu Kärnten und klingt, abgesehen von der Sprache, nicht anders als deutsches (Wer's nicht glaubt, bitte mit Youtube nachprüfen). Erfreulicherweise wird es mittlerweile nicht mehr als rückständig oder schändlich angesehen, wenn man sich als Kärntner zur historisch gewachsenen Mehrsprachigkeit bekennt und dieser Tatsache auch in Konzertprogrammen Rechnung trägt (was noch in den 1970ern diametral anders war; ein ähnliches Schicksal hatten die burgenländischen Kroaten).
Wo kann man heutzutage noch authentisches Liedgut hören: Tja, nur mehr mit Glück.
Das Wirtshaussingen ist großteils verschwunden (zur Illustration: Ich arbeite in Wien in der Gastronomie, mein Chef kommt aus Kärnten und singt gelegentlich mit seinen beiden Brüdern im sehr kleinen Lokal, allerdings hat er das Pensionsalter schon vor mehreren Jahren überschritten und sucht einen Nachfolger; sobald er in Pension ist, wird dort auch das Singen verstummen), junge Leute interessieren sich nur selten für das traditionelle Liedgut.
Gleichzeitig geben bekannte Chöre Konzerte in Steinbrüchen, in Kongresshallen, sogar im Wiener Musikverein – was natürlich nichts mit ursprünglicher Tradition zu tun hat. Abstoßend ist, dass Kärntner Lied, das ja ohne die slovenischen Einflüsse undenkbar ist, zeitweise von Politikern, die massiv gegen die autochthone slovenischen Mitbürger agierten, politisch instrumentalisiert wurde (zB auf Youtube „Pfiat Gott liabe Alm 2008“ eingeben). In vielen Orten gibt es Singvereine/Singkreise (insgesamt in Kärnten über 600), die allerdings auch Überalterung zu beklagen haben.
Aber es gibt ja Aufnahmen:
(CDs sind erhältlich, können aber nicht verlinkt werden, zumal nicht bei JPC/Amazon erwerbbar, sondern v.a. bei den jeweiligen Musikgruppen, einfach googeln bei Interesse!)
Exemplarisch möchte ich folgende Musikgruppen/Persönlichkeiten kurz vorstellen, die ich für absolut spitzenmäßig halte und die im Gegensatz zu anderen wenig bekannt sind, da sie nicht über Publicity verfügen, sondern das traditionelle Liedgut auf Spitzenniveau pfleg(t)en.
(Ja, es gibt genauso wie in der Klassik auch in der Volksmusik Musiker, die sich zu unrecht gut vermarkten und welche die zu unrecht kaum bekannt sind.) Folglich ausschließlich hochkompetente Gruppen, die des Anhörens wert sind:
Hans Pleschberger:
geboren am 28. Dez. 1942 in Rennweg am Katschberg, studierte in Wien Musikerziehung, Kirchenmusik, Gesang und Geschichte. Er erkannte in den 1960ern, dass sich in seiner Heimat ein Schatz fast vergessener Musik befindet und betrieb Feldforschung, wodurch er viele Lieder ganz knapp vor dem Verschwinden bewahrte. (Vor allem alte Frauen auf Bergbauernhöfen kannten noch Lieder, die sie von ihrer (Groß-)Mutter gehört hatten.)
Er setzte diese Lieder vierstimmig und bringt sie zu Gehör mit dem:
Katschtaler Quartett,
dessen Klang ich für ganz besonders und leicht wiedererkennbar halte. Auch wurde eine überlieferte Deutsche Messe (eine Zusammenstellung aus feststehender und dem Kirchenjahr entsprechend wechselnder Messteile in deutscher Schriftsprache, denn Dialekt wird in der Kirche als unpassend angesehen) vierstimmig aufgenommen.
Hörproben: Ach, was ist das Menschenleben, Was macht die Frau im Grase, Scheane Schwoagrin, steah auf, Ei, wie so selig schlafest Du
5 Gailtaler
formierten sich 1976 aus dem (sehr bekannten) Grenzlandchor Arnoldstein. Auch sie haben traditionelles Liedgut knapp vor dem Verschwinden bewahrt (auf CDs aufgenommen sowie Text und Noten in einem Liederbuch schriftlich festgehalten), ferner im Gailtal gesungene slovenische Lieder oftmals aufgenommen und auch Ausflüge zu anderen musikalischen Genres (Spirituals, Schlager) gewagt. Der Bühnenabschied wurde (aus Altersgründen) am 30. Nov. 2018 vollzogen.
Hörproben: Påck ma zsåmm und gemma, Domovina, mili kraj, Måcht da Håhn in da Fruah
Quintett St. Lorenzen
St. Lorenzen liegt im Lesachtal (einem wunderschönen Fleck Kärntens), dessen Dialekt aus historischen Gründen dem Tirolerischen viel näher steht als der gemeinhin als Kärntnerisch bekannten Sprachform. Auch ist das „klassische“ Kärntnerlied dort nicht traditionell, sondern wird dort erst seit Kriegsende gepflegt. Davor hörte man in Wirtshäusern und auf Bauernhöfen Lieder in gehobener Sprache, auch sogar in Schriftsprache, denn im Lesachtaler Dialekt gibt es keine Lieder. Das Quintett St. Lorenzen lässt die mittlerweile verschwundenen Lieder erklingen und singt gleichzeitig in das in den anderen Tälern Kärntens verbreitete Liedgut, gleichzeitig unternimmt es auch Ausflüge zur Renaissancemusik, zur Popularmusik, zum Deutschen Volkslied.
Hörproben: Ewig lieb' ich meine Berge + Dirndle, bist stolz? (bitte die blödsinnigen ersten 10 Sekunden Fremdenverkehrswerbung am Anfang ignorieren)
Kvintet bratov Smrtnik / Quintett der Brüder Smrtnik
ist eine der ganz wenigen slovenischen Gesangsgruppen Kärntens. Wer es nicht weiß: Weite Teile des heutigen Österreichs waren im Mittelalter zweisprachig (Deutsch+"Alpenslavisch"), und vor 600 Jahren passierte in Niederösterreich das, was heute in Kärnten passiert, nämlich die Zurückdrängung des Slavischen zugunsten des Deutschen (übrigens wurde wahrscheinlich in diesen Gebieten schon zu einer Zeit slavisch gesprochen, als es dort noch keine deutschsprachige Bevölkerung gab). Die Kärntner Slovenen sind der letzte Rest der autochthonen österreichischen slavischen Bevölkerung (ganz besonders dumme Politiker wissen das nicht und versuchen, auf Rücken der slovenischen Volksgruppe politisches Kleingeld zu wechseln sowie gegen die autochthone Volksgruppe Stimmung zu machen – und gleichzeitig gibt man sich traditionsverbunden durch das Singen von Kärntner Liedern, was für eine widerliche Doppelmoral). (Ein sehr empfehlenswerter Lesetipp zu den Spuren des mittelalterlichen Slaventums Österreichs: Georg Holzer, "Die Slaven im Erlaftal – eine Namenlandschaft in Niederösterreich")
Die Sänger sind seit 1985 vier Brüder und seit 1996 zusätzlich ein Cousin zweiten Grades, die hauptsächlich das Liedgut der in ihrer Heimat (derzeit noch) ansässigen slovenischen Volksgruppe pflegen, gleichzeitig gibt es Lieder gemischt Deutsch-Slovenisch, daneben wenige „typische“ Kärnterlieder und Arragements von Popularmusik sowie Volksmusik in anderen Sprachen.
Einer der fünf Sänger (Franz Josef / Franc Jožef Smrtnik) ist (in Bad Eisenkappel - Vellach / Železna Kapla - Bela) seit 2009 der erste kärntner slovenische Bürgermeister – ein historischer Erfolg für die immer schon dagewesene Mehrsprachigkeit in Kärnten.
Hörproben: Videl dežele sem tuje, Sončne livade, Jaz pa oj počas, Na mostu (einsprachig) / Zwei alte Leute zu Haus' (zweisprachig), Das Dirndle vom Rosentål (zweisprachig), Im Löllinger Gråbn
Anbei noch ein Hörbeispiel einer 2009 enstandenen unkonventionellen Neubearbeitung eines neuen Kärntner Volkslieds: "Wo is' denn im Schnee noch a Wegle zu Dir... Werst mei Liacht ume sein" (1971 enstanden: Melodie und Satz von Günther Mittergradnegger, Text von Gerhard Glawischnig): Hubert Dohr (der mittlerweile schon verstorbene langjährige Chorleiter der Sängerrunde St. Michael im Lavanttal; 2. Juli 1932–21. Nov. 2016) singt solistisch, begleitet wird er von Irish Bouzouki, Gitarre und Tin Whistle. Das ist natürlich überhaupt nicht authentisch, hat aber einen ganz eigenen Charme, also mir gefällts! (von der CD Carinthian Folk Project – Weltmusik aus Kärnten)
Hier kann man sich dasselbe Lied von einem gemischen Chor (Grenzlandchor Arnoldstein) in der üblichen Praxis anhören.
Schließlich noch eine persönliche Anmerkung: Mein Vater kommt aus Kärnten, meine Mutter aus Wien, und seit meiner frühen Kindheit bin ich mit der Volksmusik dieser beiden Gegenden vertraut, sie gehört zu mir, ist ein Teil von mir. Es mag befremdlich wirken, aber SO tief innerlich wie (gut und authentisch vorgetragene) Kärntner Volksmusik trifft mich kaum andere Musik. Vielleicht schreibe ich später etwas über das traditionelle Wienerlied, das ich durch meinen Opa kennengelernt habe.
Ergänzungen und Korrekturen sind gerne willkommen! (besonders freuen würde ich mich auch über Kommentare von Musikfans, denen diese Musik vollkommen fremd ist)