Beethoven: Sinfonie Nr. 9 d-Moll – Nur noch ein Festtagsbraten im Konzertleben?

  • Diese angesprochene Konsequenz ist ein Hinweis auf den ideologischen Gehalt des Freundenthemas, dass aber nicht nur Ideologie ist. Bereits durch die instrumentale Erscheinung dieses Themas wird nicht zuletzt die Einleitung des 4. Satzes so beeindruckend kontrastiert; aber auch z.B. der 1. Satz.

    Das es üblere Dekontextualisierungen gibt, macht die Sache allerdings nicht besser. Im Gegentum. Statt Dekontextualisierungen würde ich aber gleich direkt sagen: Das Thema vollends system- und event-konform zugerichtet, plattgemacht. Alles soll dem Betrieb angepasst werden. Durch Zurichtungen dieser Art werden nicht zuletzt die letzten Reservate in der Kunst getilgt, die sich u.U. als Gegenentwürfe, als partiell unbahängig gegen die Realität erweisen könnten.

    Ein paar realitätsresistente Reservate gibt's dann doch noch, Beethovens Neunte war schon lange vor der Europahymne keines mehr.

    Ich weiß, wir sollen uns alle dem Getriebe der Welt entziehen usw. usf. :D, aber Beethoven hat sich mit der Schiller-Vertonung selbst in dieses Getriebe hineinbegeben.

    Die Europahymne will ich gar nicht verteidigen, das ist sie mir bestimmt nicht wert. Die komplette Aufführung der Neunten zum Anlass von Hitlers Geburtstag durch Furtwängler finde ich jedoch wesentlich problematischer als die harmlose Herrichtung der Freudenmelodie für einen vergleichsweise erfreulichen Zweck.

    Hab's übrigens gestern nochmal in dem oben verlinkten Buch von D. Hildebrandt nachgeschaut: Diese Einrichtung als Europahymne hat kein Geringerer vorgenommen als Herbert von Karajan :D . Auf eine Textierung verzichtete man aufgrund der europäischen Sprachenvielfalt.

    Aber vielleicht möchte doch lieber jemand etwas zum Tempo des dritten Satzes oder zu anderen musikalischen Aspekten sagen.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • RE: Die Vergötterung der Langsamkeit


    Obwohl ich Abweichungen von den Metronomangaben fast immer toleriere, erscheinen mir alle Aufführungen, in denen der Satz über 15 Minuten dauert, auch subjektiv als verschleppt. Wenn man schon beim Hauptthema die Synkopen in den Bratschen ab Takt 3 nicht mehr wahrnimmt, weil das Tempo zu langsam ist, entsteht genau die Klangsauce, die mir den Satz so lange verleidet hat (heute liebe ich ihn über die Maßen). Man muss bei aller Langsamkeit den Puls spüren, die Sechzehntel in den ersten Geigen bei der ersten Variation des Hauptthemas (und später) sollten wirklich fließen.

    Während ich Furtwänglers nach meiner Erinnerung knapp 20 Minuten langer Interpretation beim Bayreuther Mitschnitt von 1951 noch eine gewisse Faszination abgewinnen kann, finde ich die zerdehnten Tempi seiner Adepten meist nur abtörnend. Wenn man das, wie aus der HIP-Fraktion oft gehört, als Wagnerisierung Beethovens bezeichnet, tut man auch Wagner Unrecht.

    Hallo Bernd,


    19:32, um genau zu sein. ;)

    Was Du in Bezug auf Furtwängler schreibst, trifft in meinen Augen genau den Punkt: Bei dem einen Dirigenten passen schnelle bzw. langsame Tempi, bei anderen wirken sie deplaziert. Oder, um mit einer Plattitude fortzufahren: Tempo ist nicht alles.


    Wenn ein David Zinman den dritten Satz in 11:31 "durchexerziert", dann ärgere ich mich darüber, dass anscheinend nur noch das Metronom zählt. Bei einem Michael Gielen, der für den gleichen Satz nur zwölf Sekunden länger benötigt, entdecke ich wenigstens einige ruhige Ansätze, denn man darf bei allen Metronomangaben meiner Meinung nach nicht den Satzcharakter vergessen. Der lautat: "Adagio molto e cantabile". Ein "Adagio" steht nun einmal für "langsam, ruhig".


    Andererseits frage ich mich, weswegen z.B. ein Simon Rattle in seinem Beethoven-Zyklus sich den Metronomangaben annähert, aber gerade bei der 9. Symphonie mit knapp 70 Minuten in tradierte, konventionelle Strickmuster zurückfällt. Es leuchtet mir nicht ein, warum er gerade an die 9. andere Maßstäbe ansetzt.

    Es ist nicht erforderlich, Musik zu verstehen. Man braucht sie nur zu genießen.
    Leopold Stokowski

  • RE: RE: Die Vergötterung der Langsamkeit

    [...] man darf bei allen Metronomangaben meiner Meinung nach nicht den Satzcharakter vergessen. Der lautet: "Adagio molto e cantabile". Ein "Adagio" steht nun einmal für "langsam, ruhig".

    Wenn ich mich richtig erinnere, bewegte sich auch Paavo Järvi in dem Konzert, das ich eingangs besprochen habe, eher im Rahmen der Metronomangaben, Und ähnlich wie Zinman und Gielen fand er nicht zu der Ruhe und Innigkeit, die Beethoven wohl vorgeschwebt hat: "Adagio molto e cantabile" und Metronomvorgabe: Geht das überhaupt zusammen? Ich bin sehr gespannt auf die Studioaufnahme, die seit Dezember 2008 "im Kasten" ist!

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

    Einmal editiert, zuletzt von Gurnemanz (21. Mai 2009 um 22:11)

  • RE: RE: RE: Die Vergötterung der Langsamkeit


    "Adagio molto e cantabile" und Metronomvorgabe: Geht das überhaupt zusammen?


    Das ist eine sehr gute Frage.


    Ich habe noch keine Aufnahme gefunden, die sich den Metronomangaben zumindest annähert und mich vollständig zufriedenstellt.


    Gielen und Norrington (RSO Stuttgart) stellen für mich die hörenswertesten Kompromisse dar, alle anderen Dirigenten, die sich Beethovens Metronomangaben bedienen, dirigieren namentlich Symphonie Nr. 9 zu "leichtgewichtig" oder "beliebig".


    Insofern bin auch ich sehr auf Järvis Interpretation gespannt.

    Es ist nicht erforderlich, Musik zu verstehen. Man braucht sie nur zu genießen.
    Leopold Stokowski

  • Adagio molto


    Das ist eine sehr gute Frage.


    Ich habe noch keine Aufnahme gefunden, die sich den Metronomangaben zumindest annähert und mich vollständig zufriedenstellt.

    Man muss sich immer klar machen, dass die Tempovorschrift Adagio, selbst im Verbund mit molto, bei Haydn, Beethoven usw. ein anderes, schnelleres Tempo meint als später etwa bei Bruckner oder Mahler. Das Problem stellt sich bei Beethoven ja oft, auch z.B. im Adagio e sostenuto der Hammerklaviersonate.

    Lieber Telramund, Du meinst wahrscheinlich Gielens EMI-Einspielung aus den 90ern. In dem späteren, auf DVD festgehaltenem Mitschnitt nimmt Gielen den dritten Satz langsamer und braucht über 13 Minuten (genaue Zeiten kann ich nicht angeben, ich habe meine CDs/DVDs nicht hier). Das ist etwas langsamer als die Metronomangabe, aber nicht viel, und für mich die schönste Interpretation des dritten Satzes, die ich kenne. Auch Kopfsatz und vor allem Finale gelingen großartig (nur die Sänger sind z.T. sehr mäßig):


    "http://images.blockbuster.com/is/amg/dvd/cov…t59780taad1.jpg"


    Viele Grüße

    Bernd

    .

    Einmal editiert, zuletzt von Zwielicht (23. Mai 2009 um 11:23)

  • Also, Amfortas empfindet den P-Järvi-Radio-Mitschnitt (vom 17.12.08 aus Bremen) als nicht glatt. Bei aller Zügigkeit, werden die Themen unter Järvi nicht dem Verlauf plattgemacht. Das gilt aber für die CD-Studio-Wiedergaben mit Zinman,Norrington und Gardiner, wobei ich den 2. Satz der Gardiner-Einspielung durchaus für gelungen halte. Aber ansonsten sind mir diese 3 Wiedergaben völlig uninteressant.

    Bei der Gielen-CD beeindrucken mich vor allem der 3. und 4. Satz (während die Sätze 1 und 2 ich nicht für so gelungen halte). Ich könnte mir vorstellen, dass Gielen-live zu wesentlich sinnvolleren Ergebnissen gelangt, wie z.B. Gielens beeindruckender Pastorale-Wiedergabe (30.06.04; Granada), die der Studioeinspielung weit überlegen ist ). Der 3. Satz von S. 9 wird durch Gielen sehr emotional wiedergegeben. Die Tempi stimmen. Nicht wird zerdehnt. Das Thema ist für den Hörer in seinem Zusammenhang gut nachvollziehbar. Und wie Gielen im 4. Satz die Holzbläser des instrumentalen Part des Freudenthemas spielen lässt, da kommt Amfortas so richtig ins Schwelgen. :thumbup: Und ich habe vor allem den Eindruck, dass Gielen sich durchaus der Zwiespältigkeit des 4. Satzes klar ist, sie quasi zum Programm macht und das macht für Amfortas Gielens Wiedergabe (also die 2. Hälfte von S. 9) so reizvoll. :juhu:

    Hoffentlich wird der DVD-Mitschnitt der Gielenwiedergabe mal im TV gesendet.

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Zitat

    Lieber Telramund, Du meinst wahrscheinlich die Gielens EMI-Einspielung aus den 90ern.

    Richtig, Bernd, gemeint ist die Aufnahme, die 1994 entstand. Die DVD kenne ich leider nicht.

    Es ist nicht erforderlich, Musik zu verstehen. Man braucht sie nur zu genießen.
    Leopold Stokowski

  • Eigentlich gehört dies in einen Thread "Mein traumatischstes Konzerterlebnis". Aber seit ca. einem Jahr verbinde ich die Neunte
    vor allem mit folgender Geschichte:

    Damals hörte ich die Neunte zum erste und bisher einzige Mal live im Konzert. In vier Konzerten wurden innerhalb von zwei Wochen alle neun Beethoven-Sinfonien gegeben. Es spielten die Bamberger Symphoniker unter Jonathan Nott.
    Zuvor hatte ich mich wieder einmal ausführlich mit diesen Werken beschäftigt. In der Neunten gab es für mich zwischen drittem und viertem Satz keinen Bruch mehr. Es sollte der großartige Zyklus- und Saisonabschluss sein. Vor allem der dritte Satz war überwältigend gespielt.

    Aber dann!

    Mir gegenüber auf der anderen Seite des Orchesters saß eine ältere Dame, die meinte, immer wenn der Chor singt, fotografieren zu müssen.
    Mit Blitzlicht!
    Bald war ich geblendet und bekam von der Musik nicht mehr viel mit.
    :cursing: (<--- dies ist der erste "Smiley", den ich in diesem Forum setze)

    Gruss,
    Falstaff

  • also "fetzig " :) bedeutet, wenn Amfortas durch ein Werk so richtig mitgezogen :klatsch: , gepackt :stern: wird. Im Falle Beethovens durch einen z.B. hammergeilen Variationssatz z.B. 4. Satz von S. 9; Diabelli-Variationen ..und .. und .. und...

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Na schön - ich hab bei dem Wort eher knackige Rhythmen wie im Jazz, Funk und Rock im Sinn, und sowas kommt in der klassischen Musik allenfalls im 20 Jahrhundert vor - Beispiel: Hindemith, Kammermusik Nr.1, v. a. der Schlußsatz!

    Ein langsamer Variationensatz ist dagegen (nicht nur) nach meinem Sprachgebrauch das genaue Gegenteil von "fetzig", was keine Abwertung darstellen soll...

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • ich hab bei dem Wort eher knackige Rhythmen wie im Jazz, Funk und Rock im Sinn,

    Das wäre vielleicht "groovy" ;)

    und sowas kommt in der klassischen Musik allenfalls im 20 Jahrhundert vor -

    Entschiedener Einspruch! Gerade bei Beethoven ist Vieles durchaus "fetzig" im Sinne von "groovy" - man muss sich nur die richtigen Einspielungen anhören. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist immer der 1. Satz der 2. Symphonie in der Aufnahme von René Leibowitz. Wem's da, wenn es nach der langsamen Einleitung so richtig los geht, nicht im Tanzbein juckt, dem ist nicht mehr zu helfen!

  • Das wäre vielleicht "groovy" ;)


    Entschiedener Einspruch! Gerade bei Beethoven ist Vieles durchaus "fetzig" im Sinne von "groovy" - man muss sich nur die richtigen Einspielungen anhören. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist immer der 1. Satz der 2. Symphonie in der Aufnahme von René Leibowitz. Wem's da, wenn es nach der langsamen Einleitung so richtig los geht, nicht im Tanzbein juckt, dem ist nicht mehr zu helfen!


    Ganz zu schweigen von der vorletzten(?) Variation in der Arietta aus der Klaviersonate op. 111, bevorzugt in Friedrich Guldas Einspielung! Hätte selbst Art Tatum neidisch machen müssen! Ach ja, und der Kopfsatz der Siebten. Und der Schlußsatz des Violinkonzerts. Und ...
    Also, Beethoven ist sowas von fetzig! :thumbup:

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • Thema

    Liebe Beethoven-Freunde!

    Sosehr ich mich darüber freue, daß diese Diskussion einen so lebhaften und interessanten Verlauf nimmt: Ich fände es schön, wenn Ihr Eure Aufmerksamkeit wieder dem Eingangsthema zuwenden würdet:

    Welche Rolle spielt Beethovens 9. Symphonie im heutigen Konzertleben? Ist das große Werk inzwischen vorwiegend zu einem Festtagserlebnis herabgesetzt, mit dem die feine bürgerliche Gesellschaft sich selber feiert? Was ergibt sich für uns daraus, wie können wir damit umgehen...?

    Die faszinierende Frage, was an Beethovens Werk generell als groovy oder fetzig empfunden wird, würde doch auch gut in einen neu zu gründenden Diskussionsfaden passen (in den evt. auch die letzten Beiträge übergeführt werden sollten?). Vielleicht mag sich auch ein freundlicher Moderator mit noch freien Kapazitäten der Sache annehmen...? ;)

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • RE: Thema

    Welche Rolle spielt Beethovens 9. Symphonie im heutigen Konzertleben? Ist das große Werk inzwischen vorwiegend zu einem Festtagserlebnis herabgesetzt, mit dem die feine bürgerliche Gesellschaft sich selber feiert? Was ergibt sich für uns daraus, wie können wir damit umgehen...?


    Hallo,

    Ich kann die Fragestellung von wegen "Festtagsbraten" gut verstehen. Ich empfinde das auch so, und mache mich auch manchmal etwas über diese, wie du sagst "feine Bürgerliche Gesellschaft" lustig, die nur um des Ereignis willen in das Konzert geht.

    Doch ist es auch für mich etwas besonderes, wenn ich Beethoven höre. Aber das ist ganz selbstverständlich, da die 9. - mal rein musikalisch gesehen - eindeutig meine Lieblingsymphonie von Beethoven darstellt. Ich finde, diese Symphonie wird leider viel zu selten rein musikalisch gesehen...
    Aber sein wir mal ehrlich: Wann hat Beethoven je einen perfekteren, klassischeren und gleichzeitig so wunderschön romantischen Symphoniesatz geschrieben?
    ( Und: Was wäre Bruckner ohne die Ideen aus dieser Symphonie??? :P )

    lg kreisler

    von eurem Kreislerianer

  • Zitat


    Aber sein wir mal ehrlich: Wann hat Beethoven je einen perfekteren,
    klassischeren und gleichzeitig so wunderschön romantischen
    Symphoniesatz geschrieben?

    Bin ich: in der 7. - dem Höhepunkt (vielleicht knapp vor der 8.) des Beethovenschen Symphonieschaffens, und hier insbesondere den 2. Satz.
    Ich muss gestehen, dass ich die 9. gerne nach dem 2. Satz abbreche. Der 1. - ein unglaubliches Ding, der zweite eine fantastische große Fuge. Aber dann?? :hide:
    Mir ist sehr selten nach der 9. , wenn ich sie höre, dann aber halte ich mich überhaupt nicht an Feiertags"verordnungen"....


    :wink:
    Wulf

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • Naja, 7. oder 9.; das kann man wohl nur subjektiv sehen. Aber ich liebe den 2. Satz aus der 7. ja auch...
    Jedenfalls finde ich persönlich die Neunte, vielleicht nicht genialer als z.B. die 7., aber doch noch mal um einiges "gereifter" und ergreifender.

    Ich finde jedenfalls, dass der 3. Satz auch sehr schöne Passagen besitzt, die man nicht abschalten braucht ?(

    Und der Anfang des letzten Satzes ist schon sehr revolutionär! Auch wenn mir der Satz zugegebenermaßen etwas zu opernhaft deklamatorisch ist, höre ich in trotzdem.

    Wie ist das eigentlich mit Aufnahmen, gehören die auch in diesen Thread?
    Meine Lieblingsaufnahmen ist jedenfalls bis jetzt die berühmte Einspielung mit Fricsay in der man sehr schön gleichzeitig die klassischen Züge und den romantische Ausdruck der Symphonie findet.

    Grüße,
    Kreisler

    von eurem Kreislerianer

  • Meine Lieben,

    Also als bloßes Festtagserlebnis würde ich die Neunte nicht empfinden (als Wiener assoziiere ich da eher das Neujahrskonzert). Einige Hemmungen gegenüber dem Werk mögen freilich aus dem Glauben entspringen, sie würde nur mehr als solches eingeschätzt, weil man sie ohnehin schon kennt (gute Dirigenten überlegen sich diese Pflichtübung wahrscheinlich in Wirklichkeit deswegen, weil sie wissen, daß man von ihnen einen überdurchschnittliche Wiedergabe erwartet und eine durchschnittliche oder schlechte ihnen lange nachhängen würde - bei diesem Werk wird man ja doch gnadenlos mit den Granden des Orchesterpults verglichen).

    Tatsächlich ist eher das Gegenteil anzunehmen: Man kennt die Symphonie viel zu wenig und neigt oft ein bisserl dazu, sie auf ihre Ohrwurmhaftigkeit bzw. auf bestimmte Teile zu reduzieren. Da die 6., 7., und 8. in der populären Begrifflichkeit weniger verankert sind, ist mit deren Kennerschaft vermutlich mehr Ansehen verbunden. Die 9. ist - für mich - in sich weniger homogen, aber zu entdecken gibt es bei jedem Anhören genauso wie bei den anderen (und ich runzle die Stirn über mich selbst, daß ich die 1.-5. nicht einbeziehe, was doch nur gerecht wäre) immer wieder etwas. Es ist halt ein reifes Werk und dessen Wesen zu begreifen, fällt oft schwerer als ein nicht so vollkommenes. Auch mir sagen die 6.-8. mehr zu, aber das gilt nur so lange, bis ich die 9. einlege.

    Gegenüber einer Konzertankündigung wäre ich wahrscheinlich etwas kritischer, weil ein gutes Orchester, ein guter Dirigent und vier gute Stimmen allein noch keine gute 9. machen. Eine ganz ideale Gesamtinterpretation wüßte ich nicht zu nennen. Mag sein, daß ich mich bloß wieder einmal durch ein paar Favoriten durchhören muß (und Fricsay gehört sicher dazu).

    Liebe Grüße

    Waldi

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

  • Ich höre die Neunte zugegebenermassen selten und bedaure auch die politischen Missbräuche mancher Musik, insbesondere Beethovens sehr, habe aber gegen eine Verwendung zfür positive Ideen, wie Völkerverständigung u.ä. eigentlich keine so grossen Bedenken, weshalb ich die Verwendung für eine Europahymne für durchaus legitim halte. Ich glaube Beethoven hätte dies nicht abgelehnt.
    Auch die Verwendung zu anderen Zwecken (so hat z.B. Hagen Rheter sie in einer leisen nachdenklichen Variante am Klavier als Untermalung für seine sehr kritischen kabarettistischen Kommentare verwendet) ist m.E. durchaus in Ordnung.
    --------------------------
    Zum Thema groovy:
    Für mich gibt es keine Musik die mehr fetzt, mehr nach Bewegung dürstet, mehr Rhythmus besitzt als die Beethovens
    -----------
    und gleichzeitig sind von ihm die intesivsten und schönsten langsamen Sätze der Musikgeschichte

    Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum (Nietzsche)
    In der Tat spuckte ... der teuflische Blechtrichter nun alsbald jene Mischung von Bronchialschleim und zerkautem Gummi aus, welchen die Besitzer von Grammophonen und Abonnenten von Radios übereingekommen sind Musik zu nennen (H Hesse)
    ----------------------------
    Im übrigen bin ich der Meinung, dass immer Sommerzeit sein sollte (gerade im Winter)


  • Tatsächlich ist eher das Gegenteil anzunehmen: Man kennt die Symphonie viel zu wenig und neigt oft ein bisserl dazu, sie auf ihre Ohrwurmhaftigkeit bzw. auf bestimmte Teile zu reduzieren. Da die 6., 7., und 8. in der populären Begrifflichkeit weniger verankert sind, ist mit deren Kennerschaft vermutlich mehr Ansehen verbunden. Die 9. ist - für mich - in sich weniger homogen, aber zu entdecken gibt es bei jedem Anhören genauso wie bei den anderen (und ich runzle die Stirn über mich selbst, daß ich die 1.-5. nicht einbeziehe, was doch nur gerecht wäre) immer wieder etwas. Es ist halt ein reifes Werk und dessen Wesen zu begreifen, fällt oft schwerer als ein nicht so vollkommenes. Auch mir sagen die 6.-8. mehr zu, aber das gilt nur so lange, bis ich die 9. einlege.


    Lieber Waldi,


    Du hast in meinen Augen recht. Auch mir ging es lange so, dass ich nur bestimmte Teile der 9. Symphonie hören wollte, konkret, mir das "adagio molto e cantabile" über lange Zeit gar nicht gefallen wollte.


    Bei mir hat es geholfen, nicht verkrampft einen Zugang finden zu wollen, sondern ich habe den Satz einige Zeit "liegenlassen" und ihn dann wieder angehört. Mit inzwischen veränderten Hörgewohnheiten fand ich oben erwähnten Zugang, und inzwischen liebe ich auch diesen Satz heiß und innig.

    Es ist nicht erforderlich, Musik zu verstehen. Man braucht sie nur zu genießen.
    Leopold Stokowski

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